Gruber | Theologie nach dem Cultural Turn | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 258 Seiten

Gruber Theologie nach dem Cultural Turn

Interkulturalität als theologische Ressource
1. Auflage 2013
ISBN: 978-3-17-026411-3
Verlag: Kohlhammer
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark

Interkulturalität als theologische Ressource

E-Book, Deutsch, 258 Seiten

ISBN: 978-3-17-026411-3
Verlag: Kohlhammer
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark



Wie lässt sich der christliche Einheits- und Universalitätsanspruch angesichts der faktischen Pluralität partikularer Theologien normativ begründen? Das Projekt, Theologie interkulturell zu betreiben, sucht Antworten auf diese Frage: mit der fundamentaltheologischen Verhältnisbestimmung von der Partikularität und Universalität des Evangeliums, von Einheit und Differenzen in Theologien, von Normativität und Kontingenz christlicher Gottesreden. Gruber stellt zunächst in historischen Skizzen den Weg zur interkulturellen Theologie dar, um dann eine fundamentaltheologische Interpretation im Rahmen einer Theologie nach dem Cultural Turn zu entwerfen: Interkulturalität, postkolonial als Raum der Differenz und Raum der Absenz entworfen, wird zu einer theologischen Ressource.

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Einleitung
May God us keep From Single vision William Blake Wer die traditionellen Deutungspfade der Christentumsgeschichte verlässt, gerät sehr schnell in ein unwegsames, unüberschaubares und zum Teil auch unkartografiertes Gelände prekärer und instabiler Identitätskonstellationen. In diesem weiten Feld sind wackelige und schlupflöchrige Grenzzäune zwischen Eigenem und Fremdem aufgestellt, aber auch dicke Mauern gegenseitiger Abschottung und Abgrenzung. Tiefe Gräben durchziehen den eigenen Grundbesitz und brechen seine homogene Geschlossenheit auf. Dieses Gelände abseits vertrauter kirchengeschichtlicher Interpretationen ist gezeichnet von Schlachtfeldern machtvoller und gewaltbesetzter Kämpfe um identitätsstiftende Repräsentationen, aber weist auch Zonen freien Handels und Austausches zwischen fluktuierenden und nomadisierenden Gruppen auf. Wer sich einmal in diese Gegenden christlicher Identitätskonstruktion gewagt hat, kann keine breite, gerade, gut gepflasterte Straße mehr ausmachen, die von einem sicheren, fest verankerten Ursprung ausgeht, zuverlässig zwischen häretischen Abgründen und schismatischen Schluchten hindurchführt und auf ein zwar in der Ferne verschwindendes, aber doch deutlich angebbares Ziel hinsteuert und die als einzige Schikanen konfessionelle Wegscheiden aufweist. Vielmehr sieht man sich in ein verwirrendes, weit verzweigtes Wegesystem gestellt, ein undurchdringliches, bodenloses Netz prekärer Routen von Identifizierungen im Raum der Anderen, voller Sackgassen sprachlos gewordener Aussageformen, als heterodox beschilderter Straßensperren und zugewachsener Trampelpfade vergessener Traditionen. Traditionelle hermeneutische Modelle der Christentumsgeschichte, die hier im Bild einer breiten Straße zur Sprache kommen, rekurrieren auf essentialistische Vorstellungen christlicher Identität und auf teleologische Konstrukte ihrer historischen Entwicklung im Raum der Kirche: ihr Wesen ist „ihrer Natur nach unveränderlich“, sie muss „genauso bleiben... , wie er [Christus] sie von Anfang an eingesetzt hat.“1 Die Entwicklung ihrer spezifischen Strukturen und Glaubensformulierungen, die sich in dynamischer Beziehung zu Judentum und Hellenismus herauskristallisierten, wird interpretiert als „the unfolding of what was implicit or embryonic from the start“2 – in den klassischen organischen Metaphern der Dogmenentwicklung wird das depositum fidei als reifendes, wachsendes organisches Ganzes gesehen, das in der Geschichte immer mehr zum Blühen kommt. Diese essentialistisch vorgegebene und somit statische Identität liegt in klarer Abgrenzung zu anderen Identitäten vor, das Christentum erscheint als selbstständiges und abgeschlossenes Phänomen, „to be analysed as if fundamentally isolable and explicable in its own terms.“3 In diese breite Straße traditioneller kirchengeschichtlicher Deutung, die auf das Fundament eines modernen – statischen, essentialistischen, isolierenden – Identitätsbegriffs gelegt ist, reißen die poststrukturalistischen und postkolonialen Dekonstruktionen des Cultural Turn tiefe Schlaglöcher, die die bodenlose Instabilität von Identität freilegen: Identität kann nicht auf ihr unveränderliches Wesen zurückverfolgt werden, sondern wird in diskursiven Prozessen konstituiert. Um noch einmal auf die Wegmetapher zurückzugreifen: statt je auf die „roots“ von Identität zu treffen, kann man nur die komplexen „routes“ ihrer Identifizierungen durch Ein/Ausschließungen nachverfolgen.4 Dieser prekäre Identitätsbegriff verlangt nach einem ‚anderen‘ Blick auf die Geschichte des Christentums. Er macht jedoch die theologische Frage nach der Identität des Christentums nicht redundant und er eröffnet keine Beliebigkeit ihrer Formulierung. Gerade in ihrer Problematisierung durch postkoloniale Dekonstruktionen bleibt die Frage nach christlicher Identität, ihrer Grundlage und ihrer Vermittlung zentrales Thema der Theologie – die Hoffnung, die uns erfüllt (1Petr 3, 15), muss auch dann bestimmbar, aussagbar, bezeugbar, verkündbar bleiben, wenn die diskursive Narrativität ihrer Weitergabe durch die Tradition hindurch offengelegt wird. Ein diskurskritischer Blick auf die Christentumsgeschichte, der die unhintergehbare Pluralität und Hybridität christlicher Identität freilegt, suspendiert nicht von der theologischen Verantwortung des universalen Anspruchs, der im Glauben für das Evangelium Jesu Christi erhoben wird. Dieser postkolonial/poststruktureller Blick legt dabei die Brüchigkeit und Kontingenz jeder menschlichen Bezeugung der christlichen Hoffnung frei; christliche Identität liegt nicht einfach vorgegeben, statisch vor, sondern muss je neu diskursiv verhandelt werden. Die Idee einer essentialistischen Identität, eines Wesens des Christentums, das sich im Lauf der Tradition an verschiedenen Orten und Zeiten expliziert, wird unterminiert.5 Das ‚Kern-Schale’-Modell wird unhaltbar. Die diskursive Verhandlung von Identität im unhintergehbaren Rückgriff auf unterschiedliche Zeichensysteme verstellt die Rede von einem unveränderlichen Wesenskern des Christlichen, an dem akzidentielle Äußerlichkeiten an die jeweilige Kultur adaptiert werden könnten, in die die ‚Substanz‘ des Christentums implantiert wird. Stattdessen wird die bodenlose Verstrickung christlicher Identitätskonstellationen in plurale, instabile Bezeichnungssysteme aufgedeckt; sie formieren sich in den Zwischenräumen zu anderen Identitätsdiskursen: „Das Christentum ist nicht nur im Kontakt mit, sondern aus den Lebensressourcen und Symbolwelten anderer ... Traditionen entstanden – und es ist nur als ein offenes System mit z.T. fließenden Übergängen zu begreifen, das sich mit alternativen ... Traditionen extern und intern berührte.“6 Über weite Strecken der Theologiegeschichte wird diese unhintergehbare Interkulturalität ausgeblendet, indem eine – für die katholische Kirche konkret die der römischen Tradition – kulturelle Form essenzialisiert wird und auch in missionarischen Ausbreitungsprozessen als im Kern unveränderbar gilt. Das Projekt Theologie interkulturell ist der Versuch, entgegen dieser Ausblendungen der immer schon bestehenden Interkulturalität des Christentums theologisch nachzudenken. Einer theologischen Reflexion, die den Erschütterungen des modernen Identitätsbegriffs nicht im Modus der Ausblendung begegnet, sondern sie produktiv in eine Verantwortung des Glaubens aufnehmen möchte, stellen sich große Herausforderungen. Ihr wird das Christentum und seine Identität als selbstverständliche Größe entzogen. De- und Rekonstruktionen zeigen die diskursiven Grenzziehungen auf, entlang derer christliche Identität in unterschiedlichen Kontexten je neu verhandelt wird und wurde. In ihrer Ambivalenz widersetzen sich diese Grenzen einer Logik der Absolutheit, der Losgelöstheit; vielmehr verweisen sie immer wieder auf andere, fremde Identitäten, die dem Christentum gerade in seinen Abgrenzungsprozessen unwiderruflich eingeschrieben bleiben. Dieser Interkulturalität des Christentums kann in Genealogien historisch-deskriptiv auf die Spur gekommen werden. Doch damit beginnt die theologische Aufgabe erst. Vom Bekenntnis zu Gott, der sich in Jesus Christus offenbart, rational verantwortet zu sprechen, fordert nach den epistemologischen Umstellungen des Cultural Turn dazu heraus, den universalen Anspruch seiner Botschaft in eine prekäre Spannung zu ihren partikularen Formulierungen zu setzten, die im Glauben bekannte Einheit in ihren pluralen Zeugnissen zu problematisieren und die Normativität christlicher Identitätsformulierungen in Relation zu den Rekonstruktionen ihrer Kontingenz zu stellen. Eine Theologie nach dem Cultural Turn ist dazu herausgefordert, ein Modell zur Denkbarkeit von Universalität auf der Basis epistemologischer Partikularität zu entwerfen – wie kann der für die christliche Botschaft im Glauben beanspruchte Universalitätsanspruch offengehalten werden, ohne die disparaten Partikularitäten christlicher Identität auszublenden? Was bedeutet ChristIn-sein in pluralen Kulturen? Wie kann christliche Identität umrissen und umschrieben werden angesichts fluider Grenzen? Wie werden klare Trennlinien zu anderen religiösen Ansprüchen gezogen, wenn der Einbruch des Anderen eine konstitutive Rolle in der Identitätsformulierung spielt und das Eigene immer schon von Fremdem durchzogen ist? Wie kann das kulturübergreifende ‚Wesen‘ des Christentums identifiziert werden, ohne in essentialistisch-substantialistisches Denken zurückzufallen? Die vorliegende Arbeit nähert sich dieser fundamental theologischen Aufgabe in zwei Schritten. Im Versuch einer historischen Verortung des Projekts Theologie interkulturell wird seine Entwicklung aus Missionswissenschaften und über Kontextuelle Theologien entlang der theologischen Problemüberhänge in den jeweiligen Paradigmen nachgezeichnet. Jene theologische Disziplin, die sich originär mit den Spannungsverhältnissen von Einheit und Pluralität christlicher Identität, von Universalität des Evangeliums vom Christusereignis und der Partikularität seiner Vermittlung in den Kulturen, und mit den interkulturellen Transformationsprozessen, zu denen diese Spannungen herausfordern, beschäftigt, ist die Missionswissenschaft. Sie wird aus dem Problemdruck heraus institutionalisiert, der durch die Auseinandersetzung mit außereuropäischen Kulturen im Zuge der verstärkten missionarischen Unternehmungen im 19. Jahrhundert erwächst. Unter der Leitmetapher Akkommodation wird das prekäre Verhältnis von Universalität und Partikularität christlicher...


Dr. Judith Gruber ist Assistant Professor of Systematic Theology an der Loyola University New Orleans.



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