Großmann / Böhm | Der Überzeugungstäter | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 256 Seiten

Großmann / Böhm Der Überzeugungstäter


1. Auflage 2017
ISBN: 978-3-360-51042-6
Verlag: Das Neue Berlin
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 256 Seiten

ISBN: 978-3-360-51042-6
Verlag: Das Neue Berlin
Format: EPUB
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Man wird nicht als Soldat geboren, hieß ein Roman über die Schlacht von Stalingrad, und Autor Simonow schildert darin, dass keiner der Soldaten freiwillig und begeistert ins Gefecht gezogen ist. Die misslichen Umstände zwangen sie dazu. Werner Großmann zog auch nicht freiwillig in den Kalten Krieg. Die Umstände sorgten dafür, dass der gelernte Maurer Geheimdienstler wurde, landläufig Spion genannt. 1986 übernahm er von Markus Wolf den Auslandsnachrichtendienst der DDR. In einem Gespräch mit Peter Böhm macht der inzwischen 88-Jährige reinen Tisch. Er berichtet über sein schwieriges Verhältnis zu Mielke, Honecker und zum Parteiapparat. Probleme ganz anderer Art bekam er mit Hansjoachim Tiedge, als der Spionageabwehrchef der Bundesrepublik in die DDR überlief ...

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Fahnenflüchtig bei den Nazis In den einschlägigen Nachschlagewerken der Neuzeit findet man zwei Auskünfte, die nicht interpretiert werden: »Werner Großmann kam am 9. März 1929 zur Welt.« Und: »Der Geburtsort heißt Oberebenheit und liegt bei Pirna in Sachsen.« Was für ein merkwürdiger Name. Oberebenheit liegt auf einer Ebene oberhalb der Elbe, und seit ich den Ort kenne, hat er sich nicht verändert: Er besteht aus drei Gehöften. Meine Eltern, beide noch sehr jung, heirateten erst 1934, und so kam ich als uneheliches Kind zur Welt. Allerdings wurde ich in eine funktionierende Familie hineingeboren. Meine Mutter Martha Großmann fand Rückhalt bei ihren Eltern, somit verbrachte ich die ersten Jahre bei meinen Großeltern in Oberebenheit. Mein Vater Arno war Zimmermann und – wie damals üblich – auf der Walz, um in der Fremde Geld zu verdienen. Als ich geboren wurde, war er kurz zu Haus; dann zog er wieder los, schweren Herzens. Man lebte dort einfach. Die Höfe wurden von kleinen Bauern geführt, die sechs bis acht Kühe besaßen, zwei, drei Pferde und ein paar Schweine. Dazu Enten, Gänse, Hühner und einen Wachhund. Dann gab es noch die Scheune mit der Tenne, wo das Getreide gedroschen wurde, einen Heuboden und ein Getreidelager. Die Bauern beschäftigten in der Regel eine Magd und einen Knecht. Sie wohnten in kleinen Zimmern über dem Pferdestall und unterhalb des Getreidebodens. Weder dort noch in der Küche des Bauern gab es fließendes Wasser, Bad und WC kannte man nicht. Das Klo befand sich in einem Verschlag auf dem Hof. Im Winter war das Brett mit dem Loch vereist, im Sommer kreisten die Fliegen. Alles nicht sehr angenehm. Aber da man nichts anderes kannte, nahm keiner daran Anstoß. Man kann nur vermissen, was man kennt. Brannte denn wenigstens eine Glühbirne an der Decke? In den 30er Jahren probierte man in Berlin bereits das Fernsehen. Die Wohnung hatte kein elektrisches Licht, und wir besaßen folglich auch kein Radio. Musik machten wir mit einem Grammophon, dessen Feder mit einer Kurbel aufgezogen werden musste. Licht spendeten Petroleumlampen. Elektrischen Strom gab es nur dort, wo er Arbeit verrichtete: im Stall, in welchem abends die Kühe gemolken wurden, und auf der Tenne, wo er die Dreschmaschine antrieb. Drei Höfe. Wo war die Schule? In Ebenheit, dem Hauptdorf mit vielleich 200 Seelen. Dorthin führte keine Straße, sondern nur ein Weg, den allenfalls Fuhrwerke befahren konnten. Zum Unterricht und zum Einkaufen – dort gab es einen Tante-Emma-Laden – lief man zu Fuß. Was hatten Ihre Eltern gelernt? Ihr Vater, sagten Sie, war Zimmermann. Und Ihre Mutter? Sie besuchte die Volksschule und ging danach »in Stellung«, wie das damals hieß. Sie musste Geld verdienen. In Pirna arbeitete sie als Haushaltshilfe bei einem Fleischer. Das brachte etwas Bares und, ganz wichtig, Naturalien in Form von Wurst und Fleisch. Vater arbeitete, nachdem er das Leben als wandernder Zimmermann aufgeben konnte, in Cunnersdorf. Das lag wenige Kilometer von Ebenheit entfernt und näher an der Stadt Pirna. Arno Großmann stammte aus einer Bauarbeiterfamilie. Sein Vater arbeitete auf dem Bau, und dessen Geschwister taten es auch. Großmanns hatten vier Söhne und eine Tochter. Arno war der Älteste. Die Söhne gingen auch alle auf den Bau, als Maurer oder als Zimmerleute. Unter dem Dach war also ein ganzer Bautrupp versammelt, weshalb eines Tages auch ein Haus errichtet wurde. Wie mein Großvater zum Hausbesitzer geworden war, blieb mir lange Zeit unerklärlich. Zwar konnten meine Onkel und der Vater Gebäude errichten, aber neben der Arbeitskraft, die es unentgeltlich gab, kostete vor allem das Baumaterial. Später erst merkte ich, wie groß der angehäufte Schuldenberg war. Die Großeltern besaßen ein größeres Grundstück an der Dorfstraße in Cunnersdorf. Das Haus, das sie darauf setzten, verfügte über sechs Wohnungen, in jeder Etage zwei. Das zweite Haus bauten sie 1934 für meine Eltern und mich. Erheblich kleiner. Es wurde auf einer Wiese an Rand eines Waldes, der ins Elbtal hinabging, errichtet und bestand aus Wohnküche, Schlafzimmer und einem kleinen Toilettenraum. Es war aber voll unterkellert, jedoch ohne Dachboden, an der Seite gab es noch einen kleinen Schuppen. Das Haus war außen mit Holz verkleidet, weshalb es »das Holzhäuschen« hieß. Dort zogen wir 1934 ein. Häusle-Bauer, aber kein Geld zum Heiraten. Das verstehe ich nicht. Sie haben ja geheiratet, als ich fünf war. Da ging es ihnen finanziell ein wenig besser. Und dadurch, dass Vater als Zimmermann damals in Deutschland und Österreich auf der Walz war, wollte man sich wohl auch nicht binden. Ich kann nur spekulieren, denn darüber habe ich nie mit ihnen gesprochen. Sie heirateten erst, als er sesshaft geworden war. In der Stadt Pirna gab es zwei Baufirmen, bei der einen hat Vater bis zu seinem frühen Tod 1947 gearbeitet. Aber die Zimmermanns-Tätigkeit befriedigte meinen Vater nicht. Er wollte sich entwickeln, lernen, weiterkommen. Und so qualifizierte er sich im Selbststudium zum Polier, eine Art Baustellenleiter. Gab es in Cunnersdorf eine Schule? Nein, wir mussten nach Ebenheit. Wir waren so sechs bis acht Kinder, die täglich und bei jedem Wetter die etwa drei Kilometer zu Fuß zurücklegten. Über Kuhweiden, Stock und Stein, wie man so sagt. Als wir größer waren, fuhren wir mit dem Rad über die Feldwege. Dies alles stärkte unser Gemeinschafts- und Zusammengehörigkeitsgefühl. Es existierte in allen Generationen. Man war aufeinander angewiesen, brauchte sich gegenseitig, half einander, wenn es nottat. Die Väter trafen sich reihum zum Doppelkopf – dieses Kartenspiel beherrscht heute kaum noch jemand. In meiner Kindheit war es sehr populär. Jede Woche traf sich die Doppelkopfrunde bei einem anderen. Natürlich gab es auch eine freiwillige Feuerwehr, was für die Bauernhöfe sehr wichtig war, denn schnell fing ein Getreidefeld oder eine Scheune Feuer. Sobald man einen Schlauch tragen konnte, schloss man sich der Dorffeuerwehr an. Ich auch. Zweimal im Monat fand eine Übung statt. Und man brauchte Kraft, denn die Pumpe wurde mit Muskelkraft bewegt. Ihr Wohnort lag unweit von Schloss Sonnenstein, einer Mordstätte der Nazis. Dort wurden, wie man heute weiß, an die 14000 Menschen mit geistigen und körperlichen Behinderungen im Rahmen der T4-Aktion ermordet. Haben Sie etwas davon bemerkt? Ja und nein. Dass sich während des Krieges dort eine Mordstätte der Nazis befand, erfuhr ich erst viel später, nach dem Krieg. Dass auf der Festung im Pirnaer Stadtteil Sonnenstein geistig und körperlich Kranke stationär untergebracht waren, wusste jeder. Es war eine Heilanstalt seit weit über hundert Jahren, in der geistig Kranke, die als heilbar galten, behandelt wurden. Sie arbeiteten, das war Teil der Therapie, auf einem Gut, einer staatlichen Meierei. Die Patienten wurden am Morgen zur Arbeit geführt und zum Feierabend wieder in das Schloss gebracht. Wir sahen sie gelegentlich, hatten aber keinen Kontakt. 1940/41 fuhren auffällig viele Busse mit zugehängten Fenstern hinauf zur Festung – wie wir heute wissen, saßen darin geistig kranke Menschen, von den Nazis zynisch als »unwertes Leben« bezeichnet. Sie wurden auf Schloss Sonnenstein mit Gas getötet und Opfer der »Euthanasie«-Morde. Nach 1941 wurde das Schloss als Lazarett genutzt, und eine Reichsverwaltungsschule wurde ebenfalls dort untergebracht. Welche Rolle spielte die Kirche im Ort? Waren Ihre Eltern konfessionell gebunden, wurden Sie getauft? Meine Eltern waren evangelisch-lutherisch getauft wie fast jeder, ich natürlich auch. Aber die Religion spielte bei uns kaum eine Rolle. Sie zahlten wohl Kirchensteuer, aber in die Kirche gingen sie nie, ich kann mich jedenfalls nicht daran erinnern. Zu meiner Konfirmation mussten wir extra nach Pirna pilgern, weil es in Cunnersdorf zwar einen Gasthof, aber kein Gotteshaus gab. Ich trat später, was nur logisch und konsequent war, aus der Kirche aus. Nun ist es eine Binsenweisheit, dass die entscheidenden Prägungen während der Kindheit und Jugend erfolgen. Als den Nazis 1933 die Macht übertragen wurde, waren Sie vier, und sechzehn, als das Nazi-Reich durch die militärischen Schläge der Antihitlerkoalition zerbrach. Hinterließ die braune Diktatur Spuren bei Ihnen? Mittel- und langfristig ganz gewiss nicht. Mit der Nazi-Ideologie kam ich erstmals in der Schule in Ebenheit in Berührung. Das war eine Zwergschule, bestehend aus zwei Unterrichtsräumen. In der einen lernten die Klassenstufen eins bis vier, in der anderen die von fünf bis acht. Es gab zwei Lehrer, aber dass sie ausgemachte Nazis gewesen wären, könnte ich nicht sagen. Außerdem wechselte ich mit der 5. Klasse nach Pirna, weil ich Abitur machen wollte oder sollte. Aber bei den sogenannten Pimpfen, der Hitlerjugend, waren Sie schon? Oder? Wie alle Jungs, wenn sie das 10. Lebensjahr erreicht hatten. Ende der 30er Jahre war eine »Jugenddienstpflicht« gesetzlich vorgeschrieben: An zwei Tagen in der Woche hatte man irgendwelche unsinnigen Verrichtungen und Schulungen zu absolvieren. Meine Eltern waren keine Mitläufer oder gar Anhänger des Nazi-Systems, allerdings auch keine Widerstandskämpfer. Ihre Grundeinstellung war eher ablehnend denn zustimmend, im weitesten Sinne wohl antifaschistisch. Ich erinnere mich, dass meine Mutter nach dem Überfall auf die Sowjetunion im Juni ’41 lakonisch feststellte, dass dies nun wohl Hitlers Ende sein würde. Ich hatte nicht den Eindruck, dass diese...


Werner Großmann, geboren 1929, leitete in der Nachfolge von Markus Wolf den Auslandsnachrichtendienst der DDR. Er gehörte dem Dienst seit dessen Gründung 1952 an und übernahm 1986 dessen Führung. Der Generaloberst war zugleich auch Stellvertretender Minister für Staatssicherheit der DDR.
Peter Böhm, geboren 1950, war einst im Internationalen Pressezentrum in Berlin tätig und recherchiert seit Jahren zum Thema Geheimdienste. Er legte vielbeachtete Bücher über die Spione Hans-Joachim Bamler, Hans Voelkner und Horst Hesse vor.



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