E-Book, Deutsch, 275 Seiten
Gross Brave enough to kiss me. Florian & Tobias
24001. Auflage 2024
ISBN: 978-3-95818-762-7
Verlag: Forever
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman | Eine herzzerreißende Gay Romance
E-Book, Deutsch, 275 Seiten
ISBN: 978-3-95818-762-7
Verlag: Forever
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Katharina B. Gross lebte und studierte im Ruhrgebiet, bevor es sie in den Norden verschlug. Trotzdem hat sie ihre Heimat nicht vergessen, weshalb viele ihrer Romane in Essen und Umgebung angesiedelt sind. Die Liebe zum Schreiben entdeckte sie bereits in der Grundschule, doch bis sie einen Roman zu Papier brachte, dauerte es mehrere Jahre. Ihr erster Roman erschien 2017 - und es wird garantiert nicht der Letzte sein.
Autoren/Hrsg.
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Kapitel 1
-Florian-
Montag. Heute ist ein ganz besonderer Tag. Das spüre ich bereits, als ich die Augen aufschlage. Heute werde ich achtzehn Jahre alt. Endlich volljährig. Endlich muss ich niemandem mehr Rechenschaft darüber ablegen, was ich tue oder lasse. Obwohl ich diesen Tag herbeigesehnt habe, ist da auch eine wachsende Unruhe in mir. Zu Hause herrscht seit Jahren dicke Luft, seitdem Mama einen neuen Freund hat, ist gar nichts mehr wie früher. Vor allem nicht, seit ich mich vor meiner Familie praktisch unfreiwillig als homosexuell geoutet habe …
Träge erhebe ich mich aus meinem Bett und gähne herzhaft. Ich streiche mir einige Haarsträhnen aus dem Gesicht, die mir störend in die Augen fallen. Vielleicht sollte ich zur Feier des Tages zum Friseur gehen? Schnell ziehe ich mich an und verlasse mein Zimmer.
»Mama, bist du schon wach?«, rufe ich durch den Wohnungsflur. Weil meine Mutter schon seit Jahren keine Arbeit mehr als Büroangestellte findet, ist sie stets zu Hause, wenn ich aufstehe. Als Kind hat es mir gefallen, denn es gab immer leckeres Frühstück. Doch mit der Zeit hat sich vieles geändert, vor allem, seit Dirk hier eingezogen ist. Nun bleibt Mama oft im Bett, wenn ich am Morgen das Haus verlasse.
Heute finde ich sie jedoch in der Küche vor. Sie sitzt vor einer Tasse schwarzem Kaffee am Küchentisch, den Kopf in die Handflächen gestützt. Ihr dunkelblondes Haar hängt ihr wirr ins Gesicht.
»Mama, alles okay?«, frage ich sie und nähere mich dem Tisch. Sie hebt den Kopf. Dunkle Ringe zeichnen sich unter ihren blaugrauen Augen ab, die Wangen sind eingefallen und blass. Sie sieht aus, als hätte sie vergangene Nacht kaum geschlafen.
»Ist Dirk wieder nicht nach Hause gekommen?«, frage ich sie und gieße mir etwas von dem bereits lauwarmen Filterkaffee ein, ehe ich mich zu ihr an den Tisch setze. Ich habe keine Torte erwartet, auch kein aufwendiges Geburtstagsfrühstück. Doch es verletzt mich, dass mir Mama nicht einmal ein Lächeln schenkt oder mir gratuliert. Immerhin hat sie mich vor genau achtzehn Jahren zur Welt gebracht. Wie so oft in den vergangenen Monaten frage ich mich, ob sie es bereut, mich geboren zu haben. Ihr Leben wäre ganz anders verlaufen, wäre sie nicht mit siebzehn schwanger geworden.
Meine Mutter schüttelt traurig den Kopf, nimmt einen großen Schluck von ihrem Kaffee und schiebt den Becher von sich. Dann sieht sie mich endlich an. Ich glaube schon, dass sie mir gleich gratulieren wird, doch sie streicht sich bloß die zerzausten Haare zurück.
»Du solltest gehen, Flo«, murmelt sie matt. Irritiert sehe ich sie an, glaube, mich verhört zu haben.
»Was?«, frage ich nach, denn ihre Worte ergeben in meinem Kopf keinen Sinn. Wohin sollte ich denn gehen? Meint sie etwa zum Bäcker zwei Straßen weiter, um etwas fürs Frühstück zu besorgen? Oder muss ich Erledigungen für sie machen, zu denen sie sich nicht aufraffen kann?
»Ich habe dir zweihundert Euro auf dein Konto überwiesen. Es tut mir leid, dass es nicht mehr ist … Damit wirst du bestimmt die erste Zeit auskommen«, erklärt sie mit zitternder Stimme und starrt dabei auf die Tischplatte, als ob die plötzlich ein ganz interessantes Muster hätte. Ihre Worte dringen zu mir durch, doch ich verstehe sie nicht. Was zur Hölle will sie mir damit sagen? Meine Mutter hat mir noch nie so viel Geld gegeben, weil wir nach dem Tod meines Vaters immer sehr knapp bei Kasse waren. Wenn ich früher etwas Bestimmtes haben wollte, musste ich entweder sehr lange sparen oder selbst arbeiten gehen. In den vergangenen Jahren habe ich mein weniges Geld fast ausschließlich für Partys ausgegeben. Diesen Sommer habe ich an einer Tankstelle gejobbt, doch dort hat es mich nicht lange gehalten, weil ich wegen der Spätschichten nicht feiern gehen konnte. Partys, Musik und Männer sind das Einzige, was mich von meinem verkorksten Leben zu Hause ablenken kann.
Wegen der vielen Partys, meinem ständigen Fehlen in der Schule und meiner Legasthenie, die nie therapiert wurde, habe ich gerade so den Realschulabschluss geschafft. Doch statt mich direkt für das neue Schuljahr anzumelden oder mich für einen Ausbildungsplatz zu bewerben, ließ ich die Dinge schleifen, bis es zu spät war. Ich fühlte mich wie ein Versager. So denkt auch Dirk von mir, wie er mich immer noch tagtäglich spüren lässt. Immer wieder macht er abfällige Bemerkungen in meine Richtung, wenn er zu Hause ist.
Dirk hat prophezeit, dass aus mir sowieso nichts werden wird. Bloß ein weiterer Sozialschmarotzer, der dem Staat auf der Tasche liegt. Dabei hatte ich irgendwann auch mal Träume. Ich wollte verreisen, die Welt sehen und neue Kulturen kennenlernen. Außerdem wollte ich Erzieher werden, denn ich liebe Kinder. Wenn ich schon keine eigenen bekommen würde, dann wollte ich wenigstens täglich von lachenden und fröhlichen Kindern umgeben sein, die mir vertrauten und gerne bei mir waren.
»Bitte, Flo. Mach es mir nicht schwerer, als es ist. Ich habe Dirk versprochen, dass du heute nicht mehr hier bist, wenn er heimkommt.«
»Aber wo soll ich denn hin?«, frage ich sie irritiert, weil ich immer noch nicht begreifen kann, was sie von mir verlangt. Schmeißt sie mich etwa raus?
Viele meiner Freunde sind nach dem Schulabschluss ins Ausland gegangen oder für ein Studium weggezogen, zu ihnen kann ich nicht gehen. Ich bin als Einziger in Duisburg zurückgeblieben. Ich komme aus meiner Heimatstadt nicht weg. Dafür fehlen mir die Motivation und die finanziellen Mittel.
Wen diese Stadt einmal in ihren Klauen hat, den lässt sie nicht los. Das hatte mein Vater immer mit einem Lachen gesagt. Bis heute weiß ich nicht, was ihn hier gehalten hat. Der Job kann es nicht gewesen sein, denn bei seiner Arbeit in der Fabrik schuftete er sich Tag und Nacht kaputt. Bis er eines Abends einfach nicht mehr nach Hause gekommen ist. Stunden später fand die Polizei sein Auto im Straßengraben. Papa starb noch an der Unfallstelle. Der Schock über seinen plötzlichen Tod sitzt immer noch sehr tief, und es vergeht kein Tag, an dem ich nicht an ihn denke. Er war meine Stütze, mein bester Freund und mein Vorbild, aber durch seinen Tod blieb ich allein zurück mit einer Mutter, die durch diesen Verlust noch mehr traumatisiert wurde. Egal, was ich versucht habe, um ihr den Schmerz zu erleichtern, sie hat sich weiter von mir distanziert, bis wir nur noch nebeneinanderher gelebt haben.
Mama zuckt ratlos mit den Schultern. »Vielleicht kommst du ja bei einem deiner … Liebhaber unter. Was weiß ich, bei wem du dich sonst immer rumtreibst, wenn du nicht hier bist.«
Diese Worte treffen mich härter als jeder Fausthieb. Denkt sie jetzt genauso schlecht von mir wie Dirk? Als wäre ich ein Herumtreiber, der durch fremde Betten hüpft? Klar, ich mag Sex und habe nicht selten einen One-Night-Stand, wenn mir ein Typ gefällt. Aber das heißt noch lange nicht, dass ich die halbe Stadt kenne, um mich bei irgendeinem x-beliebigen Typen zu verkriechen. Ich habe hier keine Freunde mehr, nicht einmal Verwandte, denn meine Eltern pflegten nie sonderlich viel Kontakt zu anderen Menschen. Als Kind habe ich mich nie über den Umstand beklagt, dass ich keine Oma oder Opa hatte, denn mein Vater schenkte mir seine volle Aufmerksamkeit und Liebe. Ich war sein Wunschkind, sein Ein und Alles, während Mama schon immer abweisender war. Nach seinem Tod kühlte unser Verhältnis weiter ab. Und seitdem ihr Freund Dirk hier wohnt, reden wir eigentlich kaum noch miteinander.
Verärgert springe ich von meinem Stuhl auf. Der schwankt bedrohlich, bis er nach hinten auf die Küchenfliesen knallt.
»Mama! Ich habe heute Geburtstag. Es kann doch nicht dein Ernst sein, mich einfach so vor die Tür zu setzen«, fahre ich sie an. Panik kriecht durch meine Adern, weil ich langsam begreife, was hier läuft. Ich bin achtzehn, und sie will mich loswerden, um ihrem Freund einen Gefallen zu tun. Der Kerl konnte mich von Anfang an nicht leiden. Für ihn war ich ein Klotz am Bein, der sich bei ihm durchschnorrt. Doch was kann ich dafür, dass mir mein Leben bisher immer nur Zitronen gab. Daraus kann ich beim besten Willen keine Limonade machen, weil ich ohne Hilfe nicht aus meinem tiefen Loch herauskomme.
»Aber Dirk sagt —« Mama erhebt sich ebenfalls von ihrem Stuhl und starrt mich an.
»Dirk sagt«, echoe ich abfällig. »Immer nur Dirk. Als hätte der Kerl dein Gehirn gewaschen. Hat er etwa so einen magischen Schwanz, dass du kaum noch eine eigene Meinung hast und immer nur tust, was er von dir verlangt?!«
Ihre Ohrfeige trifft mich nicht überraschend, tut aber trotzdem weh. Es ist nicht der pochende Schmerz auf meiner Wange, die sich plötzlich ganz heiß anfühlt, sondern die Wunde, die sie mit diesem Schlag in meinem Herzen aufgerissen hat. All die Trauer, die ich in den letzten Jahren erfolgreich eingeschlossen habe, quillt heraus und treibt mir die Tränen in die Augen. Denn seitdem mein Vater verstorben ist, hat sich Mama verändert. Als hätte man in ihr ein Licht ausgeknipst. Egal wie zuvorkommend ich gewesen bin, wie sehr ich versucht habe, ihr gerecht zu werden – nichts hat geholfen, dieses Licht wieder zum Strahlen zu bringen. Bis heute nicht.
»Mit achtzehn bist du in der Lage, für dich...