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E-Book, Deutsch, 208 Seiten

Grill Tränenlachen


1. Auflage 2013
ISBN: 978-3-7013-6153-3
Verlag: Otto Müller Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 208 Seiten

ISBN: 978-3-7013-6153-3
Verlag: Otto Müller Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Die Geschichte einer Österreicherin und eines Albaners ... Österreichs und Albaniens.

Ein Anruf aus der Ferne weckt ihre Erinnerungen: an den Albaner Galip und wie sie ihn, kurz nach seiner Flucht nach Österreich, 1991 kennen lernte. Wie sich in Momente der Vertrautheit immer wieder ein Gefühl der Fremde einschlich, bis der Albaner aus dem Leben der jungen Österreicherin verschwand. In Briefen will sie ihm ihre gemeinsame Zeit noch einmal vor Augen führen. Es zeichnet sich ab, wie die politische Geschichte eines Landes die Geschicke des einzelnen prägen kann. Galip war durch die Liebe zu ihr mit dem fremden Land verbunden, eine Heimat ist es ihm nie geworden. Und auch Albanien konnte ihm kein wirkliches Zuhause mehr sein. 2007 bricht die Österreicherin erneut nach Albanien auf, das sie und Galip früher gemeinsam bereisten. Seine Familie nimmt sie auf, als sei keine Zeit vergangen. Doch das Land hat sich verändert. Und ein vom Dach gefallener Toter ist zu identifizieren.

Andrea Grill skizziert mit feinen Linien die Beziehung zweier Menschen, in der sich zwei Kulturen begegnen. Es ergibt sich ein bezauberndes Gespinst aus Liebe und Freundschaft, enttäuschten Hoffnungen und der Verwunderung über das Unbekannte. Ein Roman über Grenzen aller Art und ihre Willkür.

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Ein Mann ist tot und der andere am Verrotten und der dritte, der ist gefallen in … und man wird ihn nie wiedersehen. Im Übrigen ist es ruhig geworden in der Gegend, die Farbe dreizehn Millimeter dick. Alle werden sie gefüttert und relaxed, die Offiziere das Gegenteil. Drei Millionen Schutzkammern aus Beton an den Stränden, nun Ziegenställe auf den Feldern, Umkleidekabinen, die Farbe: zwei Millimeter dick. Sprühdosen. Pink Floyd steht geschrieben, wo früher ein Kopf war, Abbild des Diktators, nun auch gerollt. (Juni 1997) Zur Zeit der Kriege im Balkan haben wir die Streitpunkte verlegt, als stünden wir beide uns als feindliche Mächte gegenüber. Dabei bin ich doch auf deiner Seite gewesen, du halt auf Seiten der Amerikaner, und da konnte ich mich nicht einfach dazustellen. Dann haben wir Benigni gesehen. Roberto, und sein schönes Leben – La vita è bella – und, du weißt es bestimmt noch, ich bin auch froh gewesen über die Ankunft der amerikanischen Retter. Im Film zumindest. Da bleibt es ja beim Mitleiden. Politisch waren wir naturgemäß ziemlich konträr eingestellt. Wer aus Albanien geflohen war, konnte nicht mit den Kommunisten sympathisieren. Eines Tages sind wir selber als Schauspieler aufgetreten. Statist ist einer der wenigen Berufe gewesen, die du ohne Arbeitsgenehmigung ausüben durftest. Nach wie vor warst du offiziell Student. Es ist ein Kostümfilm gewesen. Weiße Handschuhe haben sie dir angezogen, mir seidige violette bis über den Ellbogen herauf und so ein Kleid, wie es Sissy in den Filmen anhat, wenn sie von Romy Schneider gespielt wird. Wir mussten uns auf der Terrasse des Kurhauses aufstellen und auf ein Zeichen hin ab und zu tanzen. Ein Sommerfest sollte es sein, nur war es Winter. Der Atem ist als weiße Wolke vor unseren Mündern gestanden. Wie sie den später wegretuschiert haben, aus dem Film? Womöglich sieht man die Hauche sogar, ich habe ihn mir ja nie angeschaut. Eine Serie ist es geworden, Der Salzbaron. Im Dorf wurde allenthalben Schotter auf die Straße geschüttet, damit es wirkt wie vor hundert Jahren, und die Litfasssäulen haben sie mit Reklamen von 1902 beklebt. In den Pausen sind Regieassistenten auf die Terrasse des Kurhotels geschwirrt, haben uns Mädchen Decken um die Schultern gelegt, Tee verteilt und heiße Schokolade. Gefroren habe ich trotzdem. Du weniger, denn du trugst einen Frack. Du hast ihn getragen, als wärst du für solche Gewänder gemacht. Als hättest du endlich gefunden, was dir entsprach. Einen Spazierstock hast du auch in der Hand gehabt, allerdings nicht beim Tanzen, in einer anderen Nacht, als wir aneinandergeschmiegt über die angeschotterte Kaiserfranzjosefstraße geschlendert sind. Ein anderes Mal erhielt ich einen geflochtenen Korb voller Früchte, einen Bauernkittel, die Handschuhe fehlten, doch es blieb eine gewisse Vornehmheit, die Maske zog mir die Taille straff, mir blieb die Luft weg. Da traut sich keine, die Haltung zu verlieren, in so einem Kleid. Die Autos waren verbannt aus diesen Nächten, nur Pferdehufe zu hören auf dem Schotter. Oft haben wir stundenlang warten müssen, bis wir endlich neun Minuten lang drankamen für eine Szene, die im ausgestrahlten Film vier Sekunden ausmachte. Wir haben uns gut verstanden, während wir warteten, in unseren edlen Kleidern, den Handschuhen, den Maschen, haben Kaffee getrunken und Tee, immer aufgepasst, uns nirgends dreckig zu machen; haben uns angeschaut, als würden wir uns jetzt erst richtig erkennen. Die Castingchefin hat uns immer wieder miteinander eingeteilt, als Paar. Einmal haben wir im Theater, im Saal, stundenlang geklatscht, damit sich der Hauptdarsteller, der Salzbaron, an uns vorbei auf seinen Platz drängen konnte. Diese Szene ist übrigens die einzige, die ich später einmal im Fernsehen gesehen habe. Du bist auch zu erkennen, ganz aus der Nähe. Ich hab es zufällig bei meinen Eltern gesehen, gleich nach der Werbeeinschaltung ist diese Szene gekommen, und ich ausgerechnet in dem Moment zur Tür herein, da habe ich dich und mich eine Sekunde lang auf dem Bildschirm gesehen, wie wir waren, vor zehn Jahren. Wie Kinder haben wir ausgeschaut, geschminkte Kinder, als Prinz und Prinzessin verkleidet. „Lasst euch nicht betrügen“, brummte der bärtige Doktor, als der chinesische Zirkus in die Hauptstadt kam, Bleistifte verteilte auf dem Hauptplatz, jahrelang schrieben alle Schulkinder dann mit chinesischen Bleistiften, hatten chinesische Bleistiftspitzer, Radiergummis, kleine chinesische Federetuis. Und er war nicht einmal schlecht, der Zirkus. Lasst euch nicht reinlegen, nicht in die Pfanne hauen, ihr Eier (!), warnte Signor Salvo, und es hat einige gegeben seither. (November 1997) Neben dem Statistendasein haben wir uns als Fahrradboten versucht. Mir hat das Spaß gemacht, als Sport habe ich es gesehen. Du nicht. Du hast es als schauderhaft unterbezahlte Arbeit für Idioten betrachtet, die sonst nichts können. Durch dieses Walkie-Talkie, das wir alle eingesteckt hatten, habe ich dann gehört, wie sie dir die Aufträge durchgegeben haben, wie du wieder einmal zehn Kilometer außerhalb des Zentrums verschickt wurdest, wie alle Anfänger in der Branche. Da musste man sich hinaufarbeiten, wie der Kerl in der Zentrale süffisant sagte, der die Adressen durchgab, schnell, damit man es kaum mitkriegte, nachfragen musste. Jeder übt seine Macht aus, wo er kann. Deine Mutter schickte Schecks, die sie als Geigenlehrerin verdiente. Alle sechs Monate mussten wir einige davon den Behörden vorlegen, um dein Visum zu verlängern. Jedes Mal waren sie misstrauischer, ließen sie dich länger warten. Der Herr ist Student?, hat der Beamte hinter seiner Glasscheibe gefragt, und ich hab ihn angeschimpft, dass ihn das gar nichts anginge. Sehr wohl gehe ihn das was an, sonst dürfe der feine Herr-weiß-nicht-wer auch umgehend seine Koffer packen und sich gefälligst wieder fortscheren. Es gibt nur eine einzige Möglichkeit, eine reguläre Arbeitserlaubnis zu erhalten, für richtige Jobs, hast du gesagt. Ein derart romantischer Heiratsantrag wird mir kaum ein zweites Mal beschert sein. So intensiv wir uns die vergangenen drei Jahre regelmäßig versicherten, dass wir nie heiraten würden, so schnell hatten wir es beschlossen. Demzufolge wurde die Bank des Graslandes zur Grafschaft erhoben, einige weiße Blätter vor dem Index. Dies war ein dreißigjähriges Projekt, Juli bis Dezember, Januar bis Juni. Jeder Grasfaden war zu ordnen, zu hundert Axtschlägen. Noch fünf dazu pro Jahr, und das sind die Früchte der Arbeit, wie es Mode war. Eine Weltkarte nur als Register der Unpersonen, derer es Milliarden gab, und die es auszurotten galt, oder nicht zur Kenntnis zu nehmen. (Mai 1998) Heimlich habe ich mir Kleider von meiner Mutter geliehen. Trotz allem hatte ich das Gefühl, ich müsse mich feierlich anziehen. Ich nahm einen dunkelblauen Hosenanzug. Wie ein Matrose habe ich ausgesehen. Das Wichtigste: kein Aufwand. Brauchen wir nicht, habe ich zum Standesbeamten gesagt, als er bei der Vorbesprechung fragte, ob wir Musik wollten. Mit Musik hätte es mehr gekostet. Du hast dich nicht eingemischt. Ringe hatten wir keine. Auch das musste man vorher anmelden. Vielleicht weil sie dann eine Schale hinstellen, auf den Trautisch, in der sie aufbewahrt werden, bis der Augenblick kommt, „ja“ zu sagen und sie anzustecken. Wir haben es eilig gehabt, wollten den Termin schnell. Es war Mai und die guten Tage bereits alle reserviert. Die halbe Welt schien in diesem Saal heiraten zu wollen. Wir hatten ihn uns nicht speziell ausgesucht, wohnten einfach im Zuständigkeitsbereich. Am zehnten Mai ist noch einer frei, sagte der Standesbeamte, um halb acht in der Früh, das sei der einzige. Gut, den nehmen wir dann, sagte ich. Zufällig war es der Tag vor deinem Geburtstag. Als wir um sieben gähnend mit den Trauzeugen vor dem Eingangstor des Gebäudes standen, hat ein anderer Standesbeamte noch einmal nachgefragt, Musik?, und ich habe noch einmal den Kopf geschüttelt. Du hast mir etwas ins Ohr flüstern wollen, magst auf einmal doch gedacht haben, Musik ist feierlich. Ich wollte ganz und gar nichts Feierliches. Ich lieh dir meinen Namen und der Staat verlieh dir Rechte. Felix austria nube. Eigentlich hätte ich in einer Ritterrüstung heiraten müssen, so heroisch bin ich mir vorgekommen. Schließlich hatten wir uns schon beim zweiten Eis unter dem Feuerwerk versprochen, nie zu heiraten. Die Trauzeugen waren zwei junge Frauen, die ich am Standesamt zum ersten Mal traf. Du hattest sie aus dem Deutschkurs für Ausländer mitgebracht. Die eine kam aus Indien, die andere aus Serbien. Ich überreichte ihnen je eine Rose, und sie hatten uns einen ganzen Rosenstrauß mitgebracht. Komisch, all die Rosen in unserer Geschichte. Dabei mag ich Rosen gar nicht besonders. Der Standesbeamte hielt eine rührende Rede über internationale Freund- und Liebschaften. Kurz darauf haben wir der Reihe nach „ja“ gesagt, zuerst ich, dann du. Statt der Ringe hatten wir am Vorabend Glasmurmeln getauscht. Die habe ich noch lange aufbewahrt. In einem samtigen Etui sind sie nebeneinandergelegen, in irgendeiner Schale. Manchmal habe ich sie herausgeholt und in der Handfläche gehalten, ein bisschen hin und her rollen lassen. Inzwischen hab ich sie schon eine zeitlang nicht mehr gesehen. Vielleicht...


Andrea Grill geboren 1975 in Bad Ischl, studierte u.a. in Salzburg und Thessaloniki und promovierte an der Universität Amsterdam über die Evolution endemischer Schmetterlinge Sardiniens. Sie schreibt Romane, Erzählungen und Gedichte, arbeitet als Übersetzerin aus dem Albanischen und veröffentlicht in Zeitungen und Zeitschriften.
Für ihre Werke erhielt sie zahlreiche Auszeichnungen, so den Förderpreis der Stadt Salzburg 2010, den Otto Stoessl-Preis 2010 sowie den Förderpreis zum Bremer Literaturpreis 2011.
Nach Aufenthalten in Tirana, Cagliari (Sardinien), Neuchatel, Bologna und New York lebt sie in Wien.



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