Grill | Das Schöne und das Notwendige | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 261 Seiten

Grill Das Schöne und das Notwendige


1. Auflage 2012
ISBN: 978-3-7013-6169-4
Verlag: Otto Müller Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 261 Seiten

ISBN: 978-3-7013-6169-4
Verlag: Otto Müller Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Zwei Männer, viel Kaffee und eine Schleichkatze.

Das Schöne und das Notwendige ist eine ökologische Parabel, ein witziger und herzklopfenerregender Roman, in seiner Wirkung dem Kaffee nicht unähnlich:
Er weckt die Sinne.

Zwei Freunde, die vor dem finanziellen Ruin stehen, fassen einen gewagten Plan: Sie wollen in den Kaffeehandel einsteigen und mit einem originellen Einfall die mitteleuropäische Kaffeekultur revolutionieren.
Die geniale Idee hat nur einen Haken: Für ihre Umsetzung benötigen die beiden Männer eine asiatische Schleichkatze. Ein nachtaktiver, pelziger Bewohner der Baumkronen indischer Regenwälder. Denn auf dem Speiseplan dieser Katzen stehen unter anderem Kaffeebohnen ...
Woher bekommt man aber ein solches Tier, und wie hält man es in einer Wohnung im fünften Stock?

Andrea Grill erzählt mit großer Leichtigkeit, hintergründig und berührend. Ihr neuer Roman ist eine literarische Ernte der überraschenden und manchmal auch bitteren Früchte des Lebens.

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Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


1  Coffea arabica Der erste kultivierte Kaffeebaum. Bekannt unter dem Namen „Arabica Kaffee“. Wird bis zu fünf Meter hoch, zur Erleichterung der Ernte meist aber auf zwei Meter gestutzt. Zwei bis vier Jahre nach der Pflanzung beginnen die Bäume weiß und stark duftend zu blühen. Ihr Duft ähnelt dem des Jasmins. Aus den Blüten entwickeln sich die Kaffeekirschen Der April hat so vielversprechend begonnen, mit seinem elastischen Mund, voll Blühpflanzen und knospender Bäume. Jetzt ist August, ein Monat wie ein Sonntag, dem Sehnsüchtigen alles versprechend, um nichts zu halten außer einer erstickenden Temperatur. Von den Wäscheleinen, wo sie zwischen feuchten Socken und Unterwäsche eine letzte Zuflucht gesucht haben, hängen vertrocknete Regenwürmer. Die Erde bricht, ausgedörrt. Am ganzen Kontinent herrscht eine Trockenperiode. Auch das andere Land glüht, sein Adoptivland. Er ist nie dort gewesen, hat es nur vorhin in der Zeitung gelesen, die einer der Fabrikarbeiter, die in die Frühschicht gefahren sind, liegen gelassen hat. Von ihnen ist nichts zu erwarten. Deshalb beginnt er später. Es wird ein schlechter Tag für ihn werden. Die meisten morgendlichen Zugfahrer blättern in der Zeitung, sie würden es auch wissen: Rumänien vertrocknet, wie ganz Europa, in Rumänien brennt der Wald. Er steht auf, geht durch den Waggon, wankend, die Strecke ist kurvig, er stützt sich an jeder zweiten Sitzlehne ab. Einmal greift er dabei in Haare, so lang, dass sie wie ein eigenes Wesen auf dem Stoff liegen. Der Kopf, zu dem sie gehören, lehnt einen Sitz weiter. Erst als ein böser Blick ihn trifft, bemerkt er ihn. Der Kopf schüttelt sich, Arme bündeln die Haare über eine Schulter. Vom Fenster aus sieht er draußen wieder die Frau, die er jeden Tag sieht, ihr gelbes Kopftuch leuchtet zwischen den abgeernteten Stängeln, den Plastikkuppeln über den Salatbeeten. Er möchte sie fragen, was sie tut, wenn sie nicht am Feld arbeitet. Ob sie Zeit hat. Immer wenn der Zug durch die Peripherie der Stadt fährt, sieht er sie dort zwischen den Beeten stehen. Er macht sich an die Arbeit, holt einen Stoß Zettel aus der Hosentasche, geht durch den Mittelgang, der Zug fährt langsamer und geradeaus. Auf den Zetteln steht, dass er aus Rumänien ist, drei Kinder hat und sein Haus bei einer Überschwemmungskatastrophe zerstört wurde. Mit dem Oberarm wischt er sich einige Schweißtropfen von der Stirn, der heutige Tag wird noch schlimmer werden als die anderen dieser Woche. In den Waggons dunsten Pendler und Reisende in der Hitze, lehnen apathisch in ihren Sitzen. Eigentlich könnte er gleich aufhören, gleich aussteigen, umsteigen und zurückfahren. Den ersten Zettel legt er einer jungen Frau hin. Sorgfältig und bedächtig, aber ohne sie anzuschauen, platziert er das Stück Papier auf das schmale Tischchen vor ihr, unter dem sich der ausklappbare Mistkübel befindet. Sie tut, als sähe sie den Zettel nicht, als konzentriere sie sich ganz auf das in ihrem Schoß liegende Telefon, ununterbrochen drückt ihr Daumen eine Taste, als spiele sie ein Spiel. Er weiß, sie denkt nur an seinen Zettel. Eigenhändig, von ihm selber unterschrieben, mit einem rumänischen Vornamen. Radu steht da, in seiner Schrift. Im Zug nennt er sich so. * Ich heiße Ferdinand. Aber alle nennen mich Fiat, hat er im April zu Finzens gesagt, in ihrem ersten Gespräch. Vier Tage später ist er bei ihm eingezogen. Fiat?
Ja. Fiat.
Wie das Auto? Wie das Auto. Meine Eltern fanden, dass ich etwas mit dem Auto gemein habe, und Mercedes ist ja auch ein Name. Ich bin es gewöhnt. Ich könnte dich Ferdinand nennen. Einfach, wie du heißt. Fiat wäre mir lieber. Von den roten Bänken, auf denen sie sich niederließen, um Bekanntschaft zu machen, sah man eine Uhr, auf einem langen Stiel vom Gehsteig aufragend, als hätte jemand sie gepflanzt, wie die Linde daneben. Es war zwölf Uhr vierzig. Von der Linde fielen Zweiglein mit trockenen Fruchtkapseln vom Vorjahr aufs Tischtuch. Zum ersten Mal begegnet sind sich die beiden Männer im sechseckigen Beinhaus direkt neben der Kathedrale der Stadt, wo Tausende Schädel aufeinandergestapelt sind. Finzens verbringt dort oft seine Mittagspause. Er ist in der Kathedrale angestellt. Fiat war an dem Tag als Tourist gekommen. Eine Frau, deren Charme er sich nicht entziehen konnte, hatte ihm empfohlen, sich das Beinhaus anzuschauen, und er wollte berichten können, dass er dort gewesen sei und dass es ihm gefallen habe. Als Finzens ihn ansprach, stand er gerade überrascht vor einem Schädel, auf dem er seinen eigenen Nachnamen entdeckt hatte. Kennen Sie hier jemanden?, fragte Finzens, das Leuchten in Fiats Gesicht, der an diejenige dachte, die ihm den Besuch des Beinhauses nahegelegt hatte, fehldeutend. Unwillkürlich hatte Fiat genickt und auf den Schädel gezeigt, der vor ihm lag. Anna Neupert war in bunten Buchstaben auf die Stirn gemalt. Daneben lag Rosa Engl, kleine helle Blümchen über dem E. Das ist meine Großmutter gewesen, sagte Finzens und deutete auf den Schädel von Rosa Engl. So kamen die zwei Männer ins Gespräch. Das Bemalen der Totenschädel hat eine lange Tradition in der Stadt, erklärte Finzens, ohne dass ihn jemand darum gebeten hätte. Von eigens dafür ausgebildeten Künstlern werden Ranken und Weinblätter, bunte Zeichen angebracht. Vorher werden die Schädel gewaschen und in Chlorwasser gebleicht. Der Grund für diese ungewöhnliche Aufbewahrungsweise Verstorbener ist schlicht Platzmangel. Der Friedhof ist zu klein. Er befindet sich auf einer Hügelkuppe an der Peripherie der Stadt, direkt neben der Kathedrale, umgeben von Weinstöcken in vielen Reihen. Die Skelette der Begrabenen müssen nach ein paar Jahren wieder exhumiert werden, ihr Fleckchen Boden freigeben für neue Tote. Weltweit sei dies die beeindruckendste Sammlung, sagte Finzens bei ihrer ersten Begegnung. Äußerlich (wie innerlich) könnten die Freunde kaum unterschiedlicher sein. Finzens Engl kam in Bardarski Geran zur Welt, einem Dorf unweit der bulgarischen Hafenstadt Orjachov. In diesem Dorf lebte damals noch eine aus dem rumänischen Banat zugewanderte deutschsprachige Minderheit, der auch Finzens Familie angehört. Diese Leute sind inzwischen abgewandert oder ausgestorben oder haben sich angewöhnt, bulgarisch zu sprechen. Finzens spricht Deutsch, und niemand, der ihn reden hört, würde vermuten, dass es nicht seine Muttersprache ist. Mittlerweile kann er vier Sprachen: deutsch, bulgarisch, rumänisch, und englisch, und alle spricht er so deutlich, dass sogar Beistriche und Kommata hörbar sind, als würde ihn kontinuierlich jemand interviewen, ein unsichtbarer Gesprächspartner, dessen Intelligenz es mit jeder Silbe zu überflügeln gilt. Die Besessenheit, sich sorgfältig auszudrücken, hat er von seinem Großvater geerbt (das sagt Finzens selber). Im Gegensatz zu Fiat hat Finzens einen Beruf, einen richtigen, wichtigen. Er ist Ruhestifter in der Kathedrale der Stadt. Stille! Stille! Ruhe! Bitte!, schreit er in Abständen von ungefähr fünf Minuten. Und zwischendurch: Keine Fotos! Keine Videos! Auf fünf Schreie um Stille kommt einer, der Fotos und Videoaufnahmen verbietet. Dann lässt er das Mikrophon sinken und schlendert bedächtig umher, kontrolliert, was er schreiend befohlen hat. Die Stille.
Für Stille zu sorgen, sei eines der schwierigsten Unterfangen überhaupt, sagt Finzens, wenn Fiat meint, mit so einem Beruf sei das Geld leicht verdient. Zum Beispiel gibt es da ein Kind, einmal wöchentlich bringen die Eltern es in die Kathedrale. Dieses Kind liegt immer auf dem Bauch. Sogar im Auto wird es bäuchlings transportiert, es liegt auf dem Rücksitz, die schuhlosen Füße schlagen gegen das Glas der Seitenfenster. Der Vater trägt es auf den Armen herein, vor dem Altar versuchen sie, es zum Stehen zu bringen, vergeblich. Sobald man es auf den Boden lässt, legt es sich auf den Bauch, den Kopf auf die Arme, da zappelt es dann mit den Füßen, dünn und in bunten Strumpfsocken. Aber es dreht sich nicht um. Würden die Eltern es drehen, würde es schreien wie am Spieß. Finzens beobachtet die Szene jedes Mal mit angehaltenem Atem. Für einen Ruhestifter ist ein brüllendes Kind eine Horrorvorstellung. Täglich um acht Uhr früh betritt Finzens die Kathedrale. Sie liegt ein bisschen außerhalb der Stadt und er muss mit öffentlichen Verkehrsmitteln anreisen. Wenn er kommt, ist sie schon offen. Einer der Mönche des Klosters, zu dem sie gehört, sperrt das Tor um sieben für die Frühmesse auf. Von sieben bis acht erhält sich die Stille von selber, um diese Zeit gibt es kaum Besucher. Die Messe – das Zeigen und Hochheben der Monstranz und die Worte des Pfarrers – schafft sich ihre eigene Andacht. Sobald der Chor der Mönche den Abschlusschoral anstimmt, betritt Finzens den Schauplatz. Bald darauf läuten die Glocken, und von einer anderen Uhr in der Stadt schlägt es acht. Finzens hat dichte lockige Haare, hellblond (fast weiß). Er trägt sie lang, ab und zu in zwei dicken, unten mit roten Wollfäden zusammengebundenen Zöpfen, im Dienst in der Kathedrale immer offen, in der Freizeit („was...


Andrea Grill geboren 1975 in Bad Ischl, studierte u.a. in Salzburg und Thessaloniki und promovierte an der Universität Amsterdam über die Evolution endemischer Schmetterlinge Sardiniens. Sie schreibt Romane, Erzählungen und Gedichte, arbeitet als Übersetzerin aus dem Albanischen und veröffentlicht in Zeitungen und Zeitschriften.
Für ihre Werke erhielt sie zahlreiche Auszeichnungen, so den Förderpreis der Stadt Salzburg 2010, den Otto Stoessl-Preis 2010 sowie den Förderpreis zum Bremer Literaturpreis 2011.
Nach Aufenthalten in Tirana, Cagliari (Sardinien), Neuchatel, Bologna und New York lebt sie in Wien.



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