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E-Book, Deutsch, 250 Seiten, E-Book
Reihe: Haufe Fachbuch
Grewe Kein Change ohne Story!
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-648-19002-9
Verlag: Haufe
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Storylistening und Storytelling als Schlüssel für empathische Führung in Change- und Transformationsprozessen
E-Book, Deutsch, 250 Seiten, E-Book
Reihe: Haufe Fachbuch
ISBN: 978-3-648-19002-9
Verlag: Haufe
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Tobias Grewe ist Experte in der narrativen und systemischen Organisationsentwicklung sowie im Coaching. Mit seinem innovativen Ansatz, #StoriesThatMatter, vereint er Organisationsentwicklung mit der Macht des Storytellings als gezieltes Werkzeug zur Reflexion und Kommunikation in Veränderungsprozessen. Durch Reflektieren und gemeinsames Kreieren ihrer Geschichten hilft er Menschen in Organisationen, ihre Veränderungsprozesse verständlicher zu gestalten und durch tieferes Verständnis Motivation zum Handeln zu schaffen. Zudem ist Tobias Grewe Mitbegründer von #DiversityStoriesThatMatter, einem wegweisenden Konzept, das durch narrative Ansätze Menschen neue Erfahrungen mit Diskriminierung ermöglicht und so das Bewusstsein für Diversität und Vorurteile in Organisationen schärft.
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1 Vom Abgrund zur Absprungkante – meine Transformationsgeschichte
Wie ich das Zuhören neu gelernt habe – und warum es heute mein Beruf ist
Wenn mich vor acht Jahren jemand gefragt hätte, ob ich einmal große Veränderungsprozesse in Unternehmen begleiten und Führungskräfte beraten würde, hätte ich vermutlich gelacht. Warum? Weil ich selbst immer Angst vor Veränderungen hatte und am liebsten die hundertprozentige Kontrolle darüber behalten wollte, was als Nächstes passiert.
Ich bin im ländlich geprägten Sauerland aufgewachsen und habe – wie es in meinem Umfeld üblich war – BWL studiert, um eine »solide Basis« für meine Zukunft zu haben. Kreativität war zwar schon immer eines meiner Talente und Leidenschaften, aber sie galt in meiner Sozialisierung eher als »nettes Hobby«. Wenn jemand künstlerische Ambitionen hatte, wurde man sofort gewarnt, dass kreative Berufe »brotlose Kunst« seien, weil man damit kein Geld verdienen könne. Also entschied ich mich für den vermeintlich sicheren Weg.
Doch das Leben hatte andere Pläne und die Kreativität wurde trotz BWL-Studium nicht komplett aus meinem Leben gestrichen. Ein Praktikum führte mich Ende der 1990er-Jahre in die kreative Werbebranche. Dort lernte ich in der Beratungsabteilung, die strategische Seite von Kreativität zu managen, statt selbst Kunst zu schaffen. In der anschließenden Festanstellung als Junior-Berater begleitete ich Kunden in puncto Konzept und Strategie, drehte TV-Spots – die Zusammenarbeit mit kreativen Menschen im Bereich Text und Art Direction bereitete mir große Freude. Ihnen bei Kunden das zu ermöglichen, was ich mir selbst verwehrt hatte, empfand ich als unglaublich sinnvoll. So fühlte sich für mich mein Berufseinstieg wie eine Befreiung an. Und so blieb ich 20 Jahre in diesem Geschäft, arbeitete mich »hoch« – denn ich hatte gelernt: Wenn du Geschäftsführer bist, bist du angekommen. Die letzten fünf Jahre dieser Zeit war ich das dann auch, in einer großen Agentur inklusive Gründung eines eigenen Standorts. Ich war also oben – aber war ich auch angekommen? Ich fühlte mich eher an einem Abgrund. Denn es ging für mich nicht weiter.
Abb. 1: Vom Abgrund zur Absprungkante (eigene Darstellung)Alles, was mir zuvor Freude gemacht hatte – Kund:innen beraten, Konzepte entwickeln und Kreativität managen –, hatte sich in der Geschäftsführungsposition langsam, aber sicher in das Führen von Menschen, das Erstellen von Reportings und die Neukundenakquise am Fließband verwandelt. Und das alles immer unter immensem Zeitdruck – gefordert nicht nur von anspruchsvollen Kund:innen, die die Aufträge bezahlen, sondern ebenso von der Holding-Geschäftsführung, der Finanzabteilung und vor allem den Mitarbeitenden. Gefühlt waren sie alle Kund:innen, denen ich gerecht werden musste.
Irgendwann merkte ich, dass mich das überforderte und nicht mehr erfüllte. Morgens brauchte ich vier Stunden Anlaufzeit, damit ich um 9 Uhr am Schreibtisch sitzen konnte. Wenn ihr das erlebt, seid gewiss: Dann ist etwas nicht mehr richtig – und es braucht Veränderung.
Vom Festhalten an der Sicherheit zur Erkenntnis »Es ist deine Box«
Christine Knauf beschreibt in ihrem Box-Modell, wie Menschen in ihren gelernten Überzeugungen regelrecht feststecken können, ohne es zu merken. Wir bauen uns eine scheinbare Komfortzone – eine Box –, die uns limitiert, aber sicher vorkommt. Erst wenn wir aus dieser Box herauskatapultiert werden, erkennen wir, was alles möglich gewesen wäre – und was sonst noch möglich ist (vgl. Knauf, 2006, in: Probst & Windhausen, 2024, S. 24–29).
Meine gelernten Glaubenssätze – dass ein BWL-Studium eine sichere Basis bietet und man als Geschäftsführer oben angekommen ist – hatten mich lange in meiner Box, sprich Komfortzone, gehalten. Mit einem guten Gehalt und diversen Annehmlichkeiten konnte ich den unterschwelligen Stress und den Impuls, etwas Neues wagen zu wollen, gut betäuben. Ich hatte nicht gemerkt, dass diese Glaubenssätze mich in meinen Möglichkeiten begrenzten.
Das ist das Gefährliche daran!
Abb. 2: Box-Modell in Anlehnung an Christine Knauf (eigene Darstellung)Genauso wie an positive Umstände können wir uns daran gewöhnen, dass sich etwas nicht mehr gut anfühlt. Meine alten Überzeugungen sagten mir: Bleib, wo du bist – hier ist es sicher. Aber was sich sicher anfühlte, war in Wirklichkeit nur vertraut. Echte Sicherheit liegt in der Fähigkeit, auch mit Unsicherheit umgehen zu können. Doch das erkannte ich erst, als ich aus der Box geworfen wurde. In meinem Fall waren es zunehmende Differenzen mit Kolleg:innen der Geschäftsführung, die mich dazu zwangen, mich mit meiner beruflichen Zukunft auseinanderzusetzen. Tom Andersen beschreibt dieses Phänomen treffend: »Menschen, die sich als in etwas festgefahren erleben, was sie selbst als problematische Situation definieren, waren es gewohnt, sich immer wieder dieselben Fragen zu stellen.« (Andersen, 1990, S. 54)
Auf den Punkt
Erst wenn dieser innere Dialog unterbrochen wird – nicht selten durch äußere Ereignisse –, öffnet sich ein Raum für neue Fragen. Und manchmal auch für neue Antworten.
Meine äußeren Umstände hatten mich plötzlich in eine Phase des Nichtwissens katapultiert und daher musste ich mir neue Fragen stellen: Was mache ich als Nächstes? Was will ich machen? – Ein »fraglicher« Zustand, den ich immer gefürchtet und darum sehr lange hinausgezögert hatte.
Ich gebe zu, es ist nicht einfach, und alles in uns versucht, die alte Box wiederherzustellen. Gerade in solchen unsicheren Zeiten klammern wir uns an das Bekannte, selbst wenn es sich nicht mehr richtig anfühlt.
Employer Branding – Vorbote für mein nächstes Lebenskapitel
Ein Highlight hatte ich mir über die Jahre in der Agenturarbeit dennoch erhalten: meine Leidenschaft für Employer Branding. Es war in der Agentur damals neu, also hatte ich als Geschäftsführer den Auftrag, dieses Feld operativ und strategisch als Agenturleistung zu entwickeln. Wir konzipierten Workshop-Formate, in denen wir Mitarbeitende des beauftragenden Unternehmens einluden, ihre Erlebnisse zu erzählen. Diese Geschichten analysierten wir mit unseren Konzeptioner:innen, um authentische Kommunikation für die jeweilige Arbeitgebermarke zu entwickeln. Ich liebte diesen Prozess – aber ich hatte bei meinen Kund:innen nicht das Mandat, tiefer als bis zur Arbeitgeberkommunikation zu gehen. Ein großer Teil dieser Arbeit war zwar das Zuhören, wie Menschen über ihre Organisation sprachen und dachten, was sie bewegte, was sie frustrierte, welche Veränderungsprozesse funktionierten und welche nicht – aber mein Job endete bei der Kommunikationskonzeption, um die Arbeitgebervorteile nach außen darzustellen und neue Bewerber:innen anzuziehen. Dabei hatte ich durch die Erzählungen der Mitarbeitenden schon längst gesehen, dass hinter den Kulissen oft Verhältnisse mit strukturellen und kommunikativen Blockaden herrschten, die Fortkommen, Weiterentwicklung und nötige Veränderungen verhinderten. Ich musste mich auf die authentischen positiven Erlebnisse fokussieren, obwohl ich bereits spürte: Da braucht es Change im System selbst.
Im Rückblick war das der Vorbote dessen, was das nächste Kapitel meiner beruflichen Laufbahn werden sollte.
Vom Verlassen der Komfortzone und der Kraft des Nichtwissens
Im Jahr 2018 verließ ich die Agenturwelt und nutzte ein Jahr Sabbatical, um meinen Kopf auf null zu stellen. Ich wusste: Ich will selbstständig sein. Ich wusste nur noch nicht, mit was. Denn nur das, was ich bisher gemacht habe, nun als Freelancer zu tun, schien mir nicht mehr passend. Ich befand mich in einem Zustand des Nichtwissens – einem Zustand, vor dem ich regelrecht Panik hatte. Genau in dieser Zeit erhielt ich »natürlich« Angebote für ähnliche Jobs und Positionen. Mich dagegen zu entscheiden, fiel mir nicht leicht, da ich mich unterbewusst in meine alte Box zurücksehnte. In dieser Phase war mir ein Zitat von Goethe eine Art Kompass, der mich daran erinnerte, dass das Unbekannte oft schon in uns liegt – lange bevor wir es greifen können.
Unsere Wünsche sind Vorgefühle der Fähigkeiten, die in uns liegen,
Vorboten desjenigen, was wir zu leisten imstande sein werden.
Was wir können und möchten, stellt sich in unserer Einbildungskraft
außer uns und in der Zukunft dar; wir fühlen eine Sehnsucht nach dem,
was wir schon im Stillen besitzen. So verwandelt ein leidenschaftliches
Vorausgreifen das wahrhaft Mögliche in ein erträumtes Wirkliches.
Johann Wolfgang von Goethe
Und genau dort – im Nichtwissen – beginnt Wachstum.
In dieser Phase kam auch der Wandel. Durch einen Tipp kam ich auf das Institut Almut Probst (heute Wandelplan) und machte während der Pandemie eine Ausbildung zum systemischen Coach, danach zum systemischen Organisationsentwickler. Aber irgendetwas fehlte noch. Da entdeckte ich über das Buch »Narrative Organisationen« von Christine Erlach und Michael Müller die Möglichkeiten der Narrativen Organisationsentwicklung (Erlach/Müller, 2020) und absolvierte die entsprechende Ausbildung. Plötzlich ergab alles Sinn. Es war, als hätte ich das fehlende Bindeglied gefunden – zwischen meiner Laufbahn in der strategischen Kommunikation und meiner Zukunft als freier Berater und Organisationsentwickler. Die...