E-Book, Deutsch, 466 Seiten
Greiner Weißglut
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-406-83629-9
Verlag: Verlag C. H. Beck GmbH & Co. KG
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Die inneren Kriege der USA
E-Book, Deutsch, 466 Seiten
ISBN: 978-3-406-83629-9
Verlag: Verlag C. H. Beck GmbH & Co. KG
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Bernd Greiner erzählt eine andere Geschichte der USA der letzten hundert Jahre, die ebenso erhellend wie bedrückend ist. Es ist die Geschichte einer Gesellschaft, die sich innere Kriege leistet, befeuert von einem Extremismus der Mitte, der sich als das politische Metronom des Landes erweist. Im Mittelpunkt stehen weder Präsidenten noch Parteien. Im Mittelpunkt steht selbsternannte Hüter des Gemeinwohls, Bürgerinnen und Bürger, die im Namen der Demokratie anderen die demokratische Teilhabe streitig machen - mit minimaler Toleranz für politisch Unangepasstes, mit kompromisslosem Beharren auf eigenen Zielen, mit missionarischem Sendungsbewusstsein. Sie haben der Arbeiterbewegung das Rückgrat gebrochen, Linke aus dem politischen Leben verbannt, Rüstungs- und Kriegskritiker marginalisiert und die Dominanz der Weißen zementiert. Über allem thront die Maxime, dass wahre Macht auf der Angst der anderen beruht. Und dass Verunsicherung und Furcht den größeren Gewinn abwerfen. Anders gesagt: Wenn Donald Trump das einzige Problem wäre, hätte Amerika nur ein geringes Problem.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Einblicke
«Es ist ein Krieg der Ideologie, ein Krieg der Ideen und ein Krieg um unsere Lebensweise. Und ich meine, dass er mit der gleichen Intensität und Hingabe ausgetragen werden muss wie ein Krieg,
in dem geschossen wird.»[1]
Paul Weyrich
Was ist bloß mit Amerika los? Wieso schießen Phantasien über einen neuen Bürgerkrieg ins Kraut? Woher kommt das Gift im politischen Betrieb? Das Lügen, Denunzieren und Dämonisieren, der Hass, das Misstrauen und die Unerbittlichkeit? Die ewige Trennung der Welt in Gut und Böse, Schwarz und Weiß, Freund und Feind? Die Umformatierung von Wahrheit zur Lüge und umgekehrt? Die Behauptung, dass es immerzu «um alles» geht? Das Verständnis von Politik als Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln?
Diese Fragen sind alles andere als neu, sie stellten sich schon an der Wende zum 20. Jahrhundert und seither Jahrzehnt für Jahrzehnt. Heute stehen sie erneut im Raum und erfordern angesichts eines raumgreifenden Trumpismus eine größere Aufmerksamkeit als je zuvor.
«We came unarmed (this time)» war auf einem selbstgefertigten Schild zu lesen, das ein Anhänger der «Tea Party» während einer Demonstration gegen die Regierung Obama grimmig in die Höhe hielt: «Wir sind unbewaffnet hierhergekommen – dieses Mal». Er war nicht allein. «I’ll keep my guns/My Freedom & My Money/You can keep the ‹change›» war andernorts zu lesen, eine Ankündigung, dass man dem von Obama angekündigten Politikwandel die Stirn bieten würde – unterlegt mit dem Hinweis auf zu Hause gehortete Waffen. «Ich bin verbittert. Ich besitze Waffen. Und ich gehe wählen», verkündete ein Dritter auf einem Plakat, das ein rechter Think Tank gesponsert hatte. Und so weiter und so fort. Zwischen 2009 und 2012 war mancher Beobachter geneigt, derlei als typischen Mummenschanz einer «lunatic fringe», der Durchgeknallten an der politischen Peripherie, zu sehen. Warum auch nicht, schließlich wurde der mit Gift und Galle übergossene Barack Obama mit großem Vorsprung im Amt bestätigt. Im Rückblick erscheinen diese Demonstrationen jedoch in einem anderen, trüberen Licht.
Heute wissen wir, dass damals ein Haufen Zunder geschichtet wurde und die Zeit für einen Brandstifter gekommen war.[2] Jedenfalls nahm Donald Trump bereits 2011 Witterung auf. «Ich denke, dass mich die Leute in der Tea Party mögen, weil ich für vieles stehe, was die Tea Party will.»[3] Je mehr Zeit verging, desto sicherer konnte er seiner Sache sein. Anhänger der «Tea Party» schienen wie berauscht von den Darbietungen eines Mannes, der Macht ausstrahlte und ihnen einen Rachefeldzug gegen alle versprach, die sie inbrünstig hassten – Einwanderer, Liberale, Schwarze, Sozialhilfeempfänger, Linke. «Ich war gierig. Ich bin Geschäftsmann», rief Trump ihnen 2016 zu. «Nehmen, nehmen, nehmen. Jetzt werde ich für die Vereinigten Staaten gierig sein. […] Wir schweigen nicht länger. Wir sind die laute, lärmende Mehrheit. […] Räumen wir mit politischer Korrektheit auf!»[4] Aufräumen sollte heißen, so viele bundesstaatliche Behörden wie möglich abzuschaffen, elf Millionen Immigranten ohne gültige Papiere, vorweg Mexikaner, sofort zu deportieren und einen kompletten Einwanderungsstopp über Muslime zu verhängen. Klassenfragen aus dem Bewusstsein zu verdrängen und alles in das grelle Licht eines Kulturkampfes zu rücken, das war schon damals Trumps bevorzugtes Metier. Er hatte es nicht erfunden, wusste sich aber so gut wie kaum jemand sonst darin zu bewegen. Just darauf spielte er während einer Wahlkampfrede in Iowa an: «Ich könnte mitten auf der Fifth Avenue stehen und jemanden erschießen, ok, und ich würde keine Wähler verlieren. Das ist irgendwie unglaublich.»[5] Es sollte witzig klingen und kam der Wahrheit doch sehr nah. Zumindest war es einer der seltenen Momente, an denen Donald Trump nicht log. Die Geister, die ihn riefen, werden bleiben.
Das vorliegende Buch handelt von der Geschichte dieser Gegenwart. Oder von der Gegenwart der Geschichte. Im Mittelpunkt steht das Innenleben der Vereinigten Staaten von 1900 bis heute – und der Versuch, Vertrautes abseits der üblichen Trampelpfade und aus ungewohnter Perspektive neu zu erzählen.
Die Bühne gehört Bürgerinnen und Bürgern, die in Eigenregie Politik machten – selbstermächtigt, unabhängig von Parteien und außerhalb des Parlaments. Sie schlossen sich in der «American Protective League» oder der «American Legion» zusammen, sie hatten keine Scheu vor Bündnissen mit dem «Ku Klux Klan» und anderen Gewalttätern, sie verlegten Schriften wie «Firing Line» oder «COUNTERATTACK», sie betrieben im «Committee on the Present Danger» Innenpolitik mit außenpolitischen Fragen, sie finden Wiedergänger bis zum heutigen Tag – lautstark und selbstbewusst, stets auf der Jagd nach Unangepassten, Widerständigen und Auffälligen. Oder, in ihrer Diktion, nach Monstern, die es zu erlegen gilt – siehe die Gotteskrieger der religiösen Rechten, siehe die «Tea Party», siehe die gewalttätigen Milizen, die am 6. Januar 2021 das Kapitol stürmten und die Bestätigung der Wahl von Joe Biden zum neuen Präsidenten verhindern wollten.
Ein bunter Haufen, gewiss, Ad-hoc-Gruppen, die mal hier, mal da auf die Pauke hauten und dann wieder abtauchten. Und doch gibt es frappierende Gemeinsamkeiten, auf den ersten Blick unsichtbare Brücken, die sie miteinander verbinden und als Akteure eigener Art ausweisen. Wissend um ihre Rolle als politischer Unterbau, verschafften sie sich Gehör nach Belieben. Und einer Vetomacht ähnlich, setzten sie das Land unter Spannung, drückten ihrer Zeit mitunter auch ihren Stempel auf. Weil sie es mit Erfolg darauf anlegten, die Mehrheit vor sich herzutreiben, lässt sich sagen: Ihr Ganzes war und ist mehr als die Summe seiner Teile.
Erstens rekrutierten sie Mitglieder und Anhänger aus der Mitte der Gesellschaft. Freiberufler, Lehrer, Geistliche, Juristen, Arbeiter, Ärzte, Intellektuelle, Wissenschaftler, alle, die gemeinhin als Rückgrat einer Gesellschaft bezeichnet werden, fanden bei ihnen einen politischen Platz. Der Applaus führender Medien war so sicher wie die finanzielle Unterstützung industrieller Gönner, zumal es an ihrem sattelfesten «Amerikanismus» keinen Zweifel gab. Sie waren gläubige Patrioten und engagierte Christen, bereit, für Gott und Vaterland aufs Ganze zu gehen, selbst um den Preis der Aufkündigung demokratischer Tugenden wie Toleranz oder Respekt vor der Freiheit Andersdenkender. Und weil sie sich selbst für das Maß aller Dinge hielten, legten sie in der Praxis ein maßloses Verhalten an den Tag – wie zur Bestätigung des bereits unter Zeitgenossen geläufigen Vorwurfs, dass man es mit Extremisten der Mitte zu tun hatte.
Zweitens machten sie ein Recht und eine Pflicht zur Selbstermächtigung geltend. Getragen von einem tiefen Misstrauen gegen Staat und Parteien, also gegen politische Repräsentation, predigten sie das Dogma einer direkten Demokratie: Freie Bürger sorgen selbst für Ordnung und Gerechtigkeit, sie sind die Gärtner im Wildwuchs des Sozialen, sie achten stets darauf, dass nach ihrer Fasson den Erfordernissen der allgemeinen Wohlfahrt Genüge getan wird. Und weiter: Sollte der Staat bei der Erfüllung seiner Aufgaben überfordert sein, helfen sie ihm gerne aus der Bredouille – aber nicht wie Untertanen, sondern als «watchdogs» mit der Lizenz zu eigenständigem Handeln.
Drittens hielten sie die strikte Unterscheidung von Freund und Feind für das Wesen aller Politik. «Wir» oder «Sie», «Die» gegen «Uns», der Manichäismus bestimmte die Agenda, ganz so, als bedürfe es der Identifikation von Feinden und der Gegenwart des Teufels, um zu wissen, wer man selbst ist oder sein will. Die Gefahr schien unentwegt ernst und akut, durchweg galt das Verlangen nach drastischen Gegenmitteln, die sofort verabreicht werden mussten – eingedenk der Überzeugung, dass geringfügige Friktionen das gesamte gesellschaftliche und politische Gefüge zum Einsturz bringen könnten. Welche Maßnahmen zur Abwehr der «Bösen» ergriffen wurden, hing von den konkreten Umständen ab. Einschüchterung und Drohung gehörten dazu, manchmal Gewalt und immer der bellende Vorwurf, «un-amerikanisch» zu denken oder – was auf dasselbe hinauslief – die «nationale Sicherheit» zu schädigen. Über allem aber thronte die...




