E-Book, Deutsch, Band 5, 768 Seiten
Reihe: THE GRAY MAN
Greaney The Gray Man - Operation Back Blast
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-86552-967-1
Verlag: Festa Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
E-Book, Deutsch, Band 5, 768 Seiten
Reihe: THE GRAY MAN
ISBN: 978-3-86552-967-1
Verlag: Festa Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Autoren/Hrsg.
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2 In einer spärlich beleuchteten Straße mitten in Washington Highlands konnte ein nächtlicher Spaziergang verdammt ungemütlich werden. Die Highlands lagen in der Südwestecke des Distrikts, in Ward Eight jenseits des Anacostia River. Haufenweise Wohnblocks für Behördenangestellte, Apartmentkomplexe für Geringverdiener und verwahrloste Einfamilienhäuschen auf winzigen, vollgemüllten Grundstücken. Nach Ward Seven war Ward Eight der zweitgefährlichste Washingtoner Bezirk gewesen, bis er kürzlich dank eines Dreifachmordes gegen Ende des letzten Erfassungszeitraums die Spitzenreiterposition zurückerobern konnte. Trotz der späten Stunde schlenderte in dieser verrufenen Gegend jedoch ein einsamer Fußgänger gemächlich durch den Abendnebel. Scheinbar völlig unbekümmert ging er die Atlantic Street SE in Richtung Norden auf dem maroden Gehsteig entlang und durchschritt dabei den Lichtschein jener Straßenlaternen, deren Lampen noch nicht durchgebrannt oder von einer Kugel getroffen worden und dann einfach nie ersetzt worden waren von einer Stadtverwaltung, die sich einen feuchten Dreck um ihre ärmste Einwohnerschaft scherte. Der Mann trug Bluejeans zu einer verknitterten blauen Windjacke, sein dunkelbraunes Haar war feucht und strubbelig, und sein glatt rasiertes Gesicht zeigte eindeutig, dass es sich um einen Weißen handelte – was darauf hindeutete, hier um diese Zeit, dass er wohl nichts Gutes im Schilde führte. Mittlerweile war es zehn Uhr abends, und bis auf den einsamen Fußgänger schien die ganze Wohngegend völlig ausgestorben. Die Straße war leer gefegt, doch verfolgten mehrere Augenpaare jede Bewegung des Mannes. Verwundert linsten einige ältere Mitbürger durch ihre vergitterten Fenster nach draußen. Durch eine verriegelte Plexiglastür sah ihm eine alleinerziehende Mutter, die von ihrem kranken Kind wach gehalten wurde, seufzend hinterher – der verdammte Trottel, so viel stand für sie fest, würde bestimmt ausgeraubt oder, schlimmer noch, ermordet werden. Und aus dem Schatten eines Apartmenthauseingangs heraus beobachtete ein Jugendlicher mit Handy gewissenhaft diesen Mann, gab seinem Gesprächspartner am anderen Ende der Leitung jede Einzelheit durch und hoffte, dass sein Freund und dessen Kumpane den ahnungslosen Fremden in die Mangel nehmen und ihn um sämtliche Wertsachen erleichtern würden und dass dabei auch für ihn eine kleine Provision abfiele. Aber diesmal hatten sie Pech, der Teenager und seine Freunde, denn eine andere Bande von Straßenräubern hatte die Beute ebenfalls ins Visier genommen und kam ihnen zuvor. In einer Hauseinfahrt standen drei dunkle Gestalten um eine 55-Gallonen-Öltonne herum, in der Abfall verbrannte, und verfolgten mit ihren Blicken den Weißen, der da zu Fuß unterwegs war. Marvin war mit seinen 31 Jahren der Älteste des Trios. Elf Verhaftungen in seinem Register, zumeist Einbrüche und bewaffnete Raubüberfälle; nur zwei allerdings hatten zu einer Haftstrafe geführt, das erste Mal fuhr er für elf Monate und 29 Tage im städtischen Gefängnis ein. Und dort, in Haft, kassierte Marvin dann den Hauptgewinn: lebenslänglich in Hagerstown, für Totschlag. Nach sechs Jahren wurde er wegen guter Führung entlassen, oder was man in der Haftananstalt eben darunter verstand, und befand sich nun wieder in Freiheit, zurück auf der Straße. Wo er nicht etwa nach Arbeit suchte. Sondern nach dem nächsten Ding. Zu diesem Zweck hatte er seine beiden jüngeren Begleiter unter seine Fittiche genommen. Darius und James, beide 16, sahen zum älteren Marvin auf, denn schließlich war er im Knast gewesen und hatte sogar einen Mann umgebracht. Sie würden ihm überallhin folgen. Marvin andererseits freute es, eine Bande Jugendlicher anzuführen, denn die konnten eher was riskieren; im Ernstfall würden ihre Vorstrafen ziemlich sicher bei Erreichen der Volljährigkeit wieder gelöscht werden. Unterm Gürtel seiner weiten Boxershorts trug Marvin nur halb verborgen eine Schusswaffe. Eine rostige Lorcin Arms L380, eigentlich ein Stück Schrott, selbst im Vergleich zu den anderen hier in der »Waffenverbotszone« von D. C. gängigen Billigschießeisen der Kleinkriminellen. Marvin hatte sie noch nie abgefeuert, es war im Grunde nur Show, er ließ den Griff absichtlich aus dem Hosenbund herausragen, unterhalb seiner kurzen Kunstlederjacke. Solange keine Cops in der Nähe waren. Wenn er einen Streifenwagen kommen sah, genügte ein leichtes Schütteln, und die kleine Automatik würde innen durch seine Sporthose rutschen und auf den Boden fallen. Ein schneller Tritt, und sie rutschte von ihm weg oder irgendwo drunter, und falls nicht, konnte er immer noch einfach davonrennen. Marvin war schon vor etlichem Ärger davongerannt, bevor die beiden Jungs neben ihm überhaupt geboren wurden. Die zwei Kids besaßen dünne Schnappmesser, die sie in einem Head Shop in Hyattsville geklaut hatten. Die lächerlich billigen Messer in ihren Jackentaschen waren ihr neuestes Spielzeug, und die beiden dummen Teenager kamen sich damit wie richtig böse schwere Jungs vor. Als der Weiße kurz aus ihrem Blickfeld verschwand, im Nebel hinter einer wuchernden Hecke voller vom Wind verwehtem Abfall, befingerten die beiden ihre Messer unter dem Jackenstoff und wandten sich gleichzeitig einander zu. Sie konnten ihr Glück kaum fassen und lächelten. Der Fußgänger, der da gerade an ihnen vorbeigelaufen war, schien die drei Männer um das Feuer überhaupt nicht bemerkt zu haben. Er musste betrunken sein oder high, oder womöglich beides. Obwohl sie hier in diesem Teil von Washington Highlands kaum jemals einen Weißen mitten in der Nacht zu Fuß gehen sahen, wussten sie doch, dass Männer und Frauen egal welcher Ethnie immer hierhergefahren kamen, um in dieser Gegend Drogen zu kaufen, besonders natürlich nachts; die beiden konnten sich schlicht keinen anderen Grund vorstellen, warum dieser Trottel jetzt hier rumlief, als einen Drogenkauf. Also hatte er entweder Kohle dabei oder Drogen, und was von beidem, war ganz egal – hier waren Drogen so gut wie Bargeld. Darius und James blickten über das Lodern in der Öltonne hinweg zu ihrem Anführer. Marvin nickte seiner Crew zu, mehr war nicht nötig. Alle drei verließen das wärmende Feuer und setzten sich in Bewegung, die Auffahrt hinab, den Gehsteig entlang, und folgten dem Mann, wobei jeder die Hand unterm Kleidungsstoff bereits knapp über der Waffe schweben ließ. Während in der 8th Street SE drei Raubtiere ihrer Beute nachschlichen, schoss hoch über D. C. ein 24-Millionen-Dollar-Eurocopter dahin auf seinem Flug von Maryland im Nordosten nach Virginia im Südwesten. Die Männer an Bord erörterten die Wahrscheinlichkeit, dass gerade jemand unter ihnen mit der hoch entwickelten Zielvorrichtung einer tragbaren Boden-Luft-Rakete ihren Heckrotor anvisierte oder vielleicht gerade der Schnauze ihres Helis mit dem stählernen Fadenkreuz eines Panzerabwehrraketenrohrs folgte. Gegenmaßnahmen, über die der Heli verfügte, konnten jederzeit eingeleitet werden, der Pilot flog Ausweichbogen, und alle Augen richteten sich hinaus und hinunter auf die Straßen unter ihnen, fieberhaft auf der Suche nach dem flammenden Blitz eines Raketenabschusses. Aber es gab kein Aufblitzen und kein solches Geschoss, denn der Mann, den sie so fürchteten, befand sich zwar tatsächlich irgendwo unter ihnen, hatte jedoch weder eine Panzerfaust noch irgendeinen Raketenwerfer. Nicht mal eine Pistole. Und auch kein bisschen Geld in der Tasche. Ganz allein spazierte Court Gentry durchs verrufenste Wohnviertel von D. C., einerseits auf die Schritte horchend, die sich ihm näherten, andererseits vom heftigen Pochen in seinem rechten Unterarm gequält sowie vom elenden Juckreiz unter dem Gipsverband vom Ellbogen bis zum Handgelenk. Drei Männer verfolgten ihn, wie er genau wusste: ganz klar ein Anführer und zwei Untergebene, die deutlich jünger und ihrem Boss blind ergeben waren. Das hatte ihm ein kurzer Seitenblick offenbart, kaum eine Viertelsekunde lang, als er an ihrer Einfahrt vorbeigelaufen war, und die Schrittgeräusche hinter ihm bestätigten es. Der Mann in der Mitte trat sicherer auf, die beiden außen Gehenden unsicherer, gelegentlich zögernd, zurückfallend, dann schnell wieder zu ihrem Anführer aufschließend. Court kannte sich ein bisschen aus in der Psychologie von Verbrechern. Diese Straßenräuber waren nicht auf einen Kampf aus; sie suchten ein Opfer. Ihr Mut und ihre Entschlossenheit würden sich darin zeigen, wie schnell sie zuschlugen. Wenn sie erst lange fackelten und ihm von Kreuzung zu Kreuzung folgten, würden sie wohl nie zu Potte kommen. Wenn sie aber gleich über ihn herfielen, zeugte das von großem Selbstvertrauen und bedeutete, dass sie kaum Gegenwehr erwarteten, woraus Gentry wiederum schließen konnte, dass sie bewaffnet waren und dies nicht ihr erster Überfall war. Und schon, lange vor der nächsten Kreuzung, rief ihm der Mittlere etwas zu. »He! Du weißt doch genau, was wir wollen. Wir wollen dir nicht wehtun!« Court freute sich. Der Typ kam gleich zur Sache. Gut so, schließlich hatte er nicht die ganze Nacht Zeit. Er hielt inne, ohne sich umzudrehen. Blieb einfach stehen, den Blick abgewandt. Die drei hinter ihm näherten sich. »Dreh dich um, Arschloch. Und zwar langsam.« Court atmete mehrmals ein und aus, zur Beruhigung, drehte sich aber nicht herum. »He, du Affe! Ich red mit dir!« Nun wandte sich Court langsam um, stellte sich der Bedrohung. Seine drei Angreifer standen keine zwei Meter vor ihm auf dem Bürgersteig. Court sah ihnen...