E-Book, Deutsch, 400 Seiten
Gralle Gefährliche Liebe einer Königin: Historischer Roman
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-95764-213-4
Verlag: Hallenberger Media Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 400 Seiten
ISBN: 978-3-95764-213-4
Verlag: Hallenberger Media Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Auf dem Ring der Frankenkönigin Brunichilde scheint ein grauenhafter Fluch zu liegen: "Sterben müssen alle, die du liebst."
Kurz nach dem mysteriösen Tod ihrer Schwester Galsuinta wird auch Brunichildes Gatte Sigibert von dem Fluch heimgesucht und ermordet.
Doch Brunichilde bezweifelt, dass es sich um einen Fluch handelt und vermutet ganz irdische Machenschaften hinter den Vorfällen.
Die Königin sinnt auf Rache und der Diakon Aitulf erhält den Auftrag, die Herkunft des Ringes zu erforschen. Der Mörder soll ausfindig gemacht werden.
Als dann der irische Mönch Columban die Königin aufsucht, wird ihr Schicksal in neue Bahnen gelenkt...
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Eins
Im vierten Regierungsjahr Athanagilds, König der Westgoten, Herrscher über das Gebiet der früheren römischen Provinz Hispania (558 n. Chr.)
Die Sommerhitze wütete im Inneren Hispanias wie ein Drache, der unbarmherzig seinen Feueratem über das Land blies. Äcker und Wiesen verwandelten sich innerhalb von zwei Wochen in gelbe Flächen. Nur dort, wo sich Bäche oder Rinnsale durch das Gras schlängelten, zeichneten sich grüne Linien ab.
Der Wasserspiegel in den tiefen Brunnen von Toletum (Hinweis: die heutigen geografischen Namen sowie die Ausspracheregeln befinden sich im Anhang) hatte sich bedenklich gesenkt, aber noch konnte man dort Wasser holen, selbst wenn es nicht mehr so klar in der Sonne funkelte wie vor einigen Wochen. Auch führte der große Fluss Tagus, der Toletum von drei Seiten umgab, noch genügend Wasser, obwohl Sand und Kiesbänke sich aus dem Wasser hoben wie die Rücken von träge daliegenden Wassertieren. Wenn die Hitze sich weiter halten würde, könnte es sein, dass die Brunnen irgendwann austrockneten und man ins Tal steigen musste, um das trübe Flusswasser zu schöpfen.
Es war am späten Nachmittag. Die Sonne hatte ihre Kraft schon eingebüßt und das Grün der Zypressen fing an aufzuleuchten, da trauten sich die Menschen allmählich wieder aus ihren engen Steinhäusern heraus und belebten die steil nach oben führenden oder jäh abfallenden Gassen der Stadt. Denn Toletum war von den Römern auf einem riesigen, schräg abfallenden Felsen gebaut worden, der durch den Fluss von den übrigen Hügeln abgeschnitten war.
Am Rand der Stadt, im Osten, erhob sich das Castellum der westgotischen Könige, die zeitweise dort residierten. Die verschachtelten Gebäude, von den Römern vor langer Zeit gebaut und jetzt mit neu gebrannten Ziegeln vervollständigt, beherbergten Mägde, Sklaven, Krieger, Handwerker und die Mitglieder der Königsfamilie, ganz zu schweigen von den Pferden und Schafen.
Auch dort wurde es nach der Mittagsruhe wieder lebendig. Frauen eilten mit Wasserkrügen auf der Schulter über das Kopfsteinpflaster, Waffen klirrten, und hier und da hörte man ein herzhaftes Gähnen oder ein ärgerliches Brummen.
Im Innenhof des Castellum, dessen Mauer sich mit dem Granitfelsen verband und steil ins Tal stürzte, standen ein paar alte, große Platanen, die vor hundert Jahren aus Italia importiert worden waren und großzügigen Schatten spendeten. Und wenn der Wind durch die Blätterkronen rauschte, hörte es sich an wie die Brandung eines fernen Meeres.
Diese Baumgruppe war der Lieblingsplatz von Bruna und Galsuinta, den beiden Töchter König Athanagilds und seiner Frau Gotesuinda. Unter dem kühlen Schatten der Zweige konnten die Kinder auf den Wurzeln sitzen und sich unterhalten. Außerdem standen die Bäume weit genug von der Mauer entfernt. Und das war gut, denn so stieg der Gestank, den die »Wandpisser« dort hinterließen, den Mädchen nicht zu stark in die Nase.
»Wandpisser« nannten die Mädchen alle Männer, wenn sie unter sich waren.
»Sai, Suinta - Schau nur, Suinta«, rief Bruna auf Gotisch und warf ihre dunklen Locken nach hinten, weil sie sich aus dem Lederband gelöst hatten. »Haba unsarana manaseths us arthai - ich habe unsere Erdmenschen dabei.« Sie hielt zwei kleine Gegenstände hoch, die so groß wie eine Männerhand waren und aus getrocknetem Lehm bestanden. Brunas Gesicht, das eben von einem Sonnenstrahl getroffen wurde, schimmerte bronzen. Es war nicht von ungefähr, dass sie den Namen Bruna, die Braune, bekommen hatte.
»Ah, die hatte ich ganz vergessen«, sagte Galsuinta, und in ihrer Stimme schwang eine leise Entschuldigung mit. Galsuinta war etwas größer als ihre Schwester, dafür schlanker und zierlicher. Ihr Name bedeutete: die Starke. Aber wenn die Schwestern nebeneinander standen, wirkte Bruna stärker und kräftiger als die größere Schwester. Während Bruna südländisch, römisch aussah, hatte Galsuinta das gotische Erbe aus dem Norden bewahrt. Ihre Haut war hell, mit Sommersprossen übersät, und die Haare leuchteten rötlich.
Vorsichtig, als seien die Figuren kostbare Schätze, legte sie Bruna zwischen zwei Wurzeln.
War es nur Zufall, dass die eine Figur kleiner und breiter geformt war als die andere? Oder hatten die Mädchen gleich von Anfang an den Plan gefasst, sich selbst in den Lehmfiguren abzubilden?
Jedenfalls lagen Bruna und Galsuinta jetzt magisch verkleinert in einem Erdbett zwischen zwei Wurzeln und erwachten gerade aus einem tiefen, lehmartigen Schlaf.
»Uahh«, gähnte Bruna und schwebte in der Luft, festgehalten von der Hand ihrer riesenhaften Doppelgängerin. »Heute müssen wir früh aufstehen, weil die... weil die...«
»Weil die Könige der ganzen Welt kommen werden«, fuhr die größere Lehmfigur fort, »um uns zu besuchen und um unsere Hand anzuhalten.«
»Um unsere Hände anzuhalten«, verbesserte Bruna und ließ ihr zweites Ich den Baumstamm hinaufklettern. »Ich sehe am Horizont eine große Schar von Pferden und vielen Leuten. Bald werden sie eintreffen. Komm, Suinta, wir müssen unsere Festkleider anziehen, die Haare flechten und den passenden Schmuck anlegen!«
Ein Stein, der auf dem Boden lag, verwandelte sich vor den Augen der Mädchen in eine kostbare Holztruhe mit Elfenbeinverzierungen.
Langsam und feierlich holte Bruna unsichtbare seidene Unterkleider, Obergewänder und kostbare Mäntel heraus, die mit goldenen Fibeln an der Schulter zusammengehalten wurden und bekleidete die noch nackten Lehmpuppen.
Währenddessen schälte Galsuinta zwei Handteller große Rindenstücke von einem der Bäume, brach die dünne Rinde an einigen Stellen so ab, dass die groben Umrisse von zwei Menschen erkennbar wurden und trat ein paar Schritte zurück.
»Wir sind zwei Könige aus fernem Land«, sagte Galsuinta mit tiefer Stimme, »und haben gehört, dass es zwei Prinzessinnen geben soll, die in ganz Hispania bekannt sind wegen ihrer Schönheit und Klugheit.«
Bruna lehnte die fertig angezogenen Prinzessinnen gegen den Baum, ging zu ihrer Schwester und nahm ihr einen Rindenkönig aus der Hand.
»O ja«, nickte sie bedächtig, »der Ruf ihrer Schönheit hat sogar schon Hispania verlassen und weitet sich immer mehr aus. Ich glaube sie heißen Bruna und Galsuinta.«
»Du hast Recht, o König aus dem Norden«, fuhr Galsuinta fort, »sie sollen so anmutig sein, dass die Mägde ihre Blicke senken vor ihrer Schönheit und ihnen manchmal die falschen Kleider zum Anziehen geben, weil sie es nicht wagen, ihre Augen zu heben.«
»Lass uns nach Toletum reisen, um diese wunderbaren Geschöpfe zu sehen und uns an ihrem Anblick zu laben. Und - wenn es möglich ist -, um ihre... Hände anzuhalten.« Bruna schüttelte den Kopf. »Nein das klingt doch zu seltsam, wenn man Hand in die Mehrzahl setzt.« Sie runzelte die Stirn und verbesserte ihren Satz: »Lass uns nach Toletum reisen, um diese wunderbaren Geschöpfe zu sehen und uns an ihrem Anblick zu laben. Und - wenn es möglich ist -, sie zu heiraten.«
»Bis die Könige kommen, um diese unvergleichlichen Geschöpfe zu sehen«, hörten die Mädchen plötzlich eine weibliche Stimme hinter sich, »ist gerade noch Zeit, eure Lateinlektionen durchzunehmen. Ich habe schon vermutet, dass ihr hier seid.«
Unwillig drehten sich die Schwestern um. Sie hatten gar nicht gehört, wie Josefa, ihre Erzieherin, gekommen war.
»Nun kommt schon. Euer Lehrer wartet auf euch.«
Bruna verzog den Mund. »Muss das jetzt sein, wir sind mitten in einer wichtigen Besprechung.«
»Ja, es muss jetzt sein. Ihr könnt nachher immer noch mit euren Königen zusammentreffen. Außerdem dauert es Wochen, bis sie Toletum erreichen. Jetzt ist Schulzeit.«
Seufzend ergaben sich Bruna und Galsuinta, die schönsten Prinzessinnen Hispanias, in ihr Schicksal und wandten sich zum Gehen. Die beiden Figuren mit ihren Rindenkönigen ließen sie in ihrem Wurzelbett zurück.
Sobald die Mädchen aus dem Schatten der Baumgruppe getreten waren, hauchte sie der Feueratem des Sommertages an, der zwar schon seine Kraft eingebüßt hatte, aber nach dem Spiel im Schatten heißer schien, als er in Wirklichkeit war.
Über den gepflasterten Innenhof erreichten sie ein wenig später das Unterrichtszimmer, in dem die Kühle des Morgens noch gefangen war. Dicke Kalksteinmauern ließen die Hitze nicht durch, denn die beiden glaslosen Fenster zeigten nach Westen und würden erst viel später die milde Abendwärme hereinlassen.
Ein kleiner alter Mann, der von allen Magister Felix genannt wurde und dessen Gesicht an die faltige Haut einer Eidechse erinnerte, stand am Fenster, das auf den Innenhof zeigte, und wandte sich den beiden Mädchen zu: »Ah, adestis, hirundines inconstantes! - Ah, da seid ihr ja endlich, ihr flatterhaften Schwalben!« Er wies mit der Hand auf zwei Stehpulte. »Stellt euch da hin und holt eure Wachstafeln heraus!«
Während sie ihre Tafeln aus dem Hohlraum unter der Auflage holten, setzte sich Magister Felix würdevoll auf den einzigen Stuhl im Raum und sagte auf Latein: »Wir werden heute ein neues Wort lernen. Es heißt hereditas und bezeichnet alles, was jemand bekommt, wenn ein Verwandter stirbt und...«
Während ihr Lehrer fortfuhr, das Wort hereditas zu erklären, das seine Schülerinnen auf ihre Wachstafeln schrieben, schweiften Brunas Gedanken ab. Sie war immer noch bei ihren beiden Lehmpuppen und den Rindenkönigen, die geschützt zwischen den Baumwurzeln lagen. Geschützt? Aber was wäre, wenn ein Hund daran herumschnüffelte und sie vielleicht ins Maul nahm und forttrug? Eigentlich war es unvorsichtig...