Gralle | Die dritte Herrlichkeit | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 115 Seiten

Gralle Die dritte Herrlichkeit


1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-95764-113-7
Verlag: Hallenberger Media Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 115 Seiten

ISBN: 978-3-95764-113-7
Verlag: Hallenberger Media Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Carl Schrader steckt in einer Lebenskrise und verbringt vier Tage in einem Benediktinerkloster. In seinem Zimmer entdeckt er in einem Hohlraum in der Wand das Tagebuch eines Kriegsflüchtlings. Dieser beschreibt drei aufwühlende Visionen, die von der Herrlichkeit und der Hässlichkeit der Welt handeln und Carl zutiefst berühren.
Gleichzeitig entwickelt sich die Begegnung mit einer Forscherin zu einem überraschenden Abenteuer. Sie ist auf der Suche nach einer Handschrift aus dem zwölften Jahrhundert.
Nach und nach verschränkt sich diese Suche inhaltlich mit dem Tagebuchfund...
Freuen Sie sich auf eine atmosphärisch dichte, geheimnisvolle Geschichte von Albrecht Gralle!

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  1
Am frühen Nachmittag erreichte Carl das Kloster. Langsam ließ er das Auto ausrollen und blieb am Rand der Straße stehen, weil er nicht sicher war, ob man innerhalb der Klosteranlage parken durfte. Seit einer Stunde regnete es, und über den Straßen und Dächern glänzte matt ein bleierner Himmel. Schon auf der Fahrt hierher hatten sich unberechenbare Windböen gegen das Auto geworfen und das Fahren erschwert. Als Carl ausstieg und den Schirm aufspannte, traf ihn eine geballte Ladung Regen von der Seite. Schimpfend ging er mit großen Schritten durch den steinernen Torbogen an verblühten Apfelbäumen vorbei. Hätte jemand zu ihm gesagt, dass diese vier Tage im Kloster wie ein sanftes Erdbeben sein Leben erschüttern würden, wäre er wahrscheinlich in Lachen ausgebrochen. Im Augenblick fragte er sich eher, ob dieser Klosterbesuch wirklich so eine gute Idee war, um von seiner Verwirrung geheilt zu werden. Verwirrung war übrigens nicht sein eigenes Wort gewesen. Harry hatte es zuerst gesagt, als sie sich abends bei einem Glas Bier unterhalten hatten und Carl davon erzählte, dass er seit einem halben Jahr zu nichts mehr Lust hatte. Er zwang sich, seine Arbeit zu machen, Bücher las er nur bis zu den ersten Kapiteln, Reisen fand er langweilig, Frauen interessierten ihn nicht mehr wirklich. Er sah sie an, wie man ein Kunstwerk ansieht. Er bemerkte die Ästhetik eines weiblichen Körpers, aber verstand nicht, warum ein entblößter Busen ihn jemals erregt hatte. Würde er seine Wohnung aufschließen und eine nackte, gut aussehende Frau säße im Wohnzimmersessel, hätte er dafür nur ein müdes Lächeln übrig und würde vermutlich sagen: „Ziehen Sie sie sich doch bitte an, Sie frieren ja.“ Es war nicht so, dass ihn nun plötzlich Männer erotisch in ihren Bann zogen. Sie langweilten ihn eher, wenn sie davon überzeugt waren, gut auszusehen. Selbst ein Steak, medium, saftig und zart, konnte ihn nicht mehr begeistern. Und Blockbuster oder schaurige Reportagen gelangten nicht in die Alptraum-Werkstatt seiner Seele. Wahrscheinlich waren die Requisiten sowieso verrostet. Sport? Er fand es lächerlich, wie sich die Leute anstrengten, nur um eine Trophäe zu ergattern. Kindergartenniveau in seinen Augen.   „Tiefsitzende Verwirrung“, war Harrys Kommentar nach einer Weile gewesen, während er in sein halbvolles Bierglas blickte. „Meine Güte, ich bin nicht verwirrt“, hatte Carl halb entrüstet und halb belustigt erwidert. „Ich fühle mich eigentlich gut, es ist alles okay, vielleicht fehlt mir nur diese gewisse Lebensspannung, so eine prickelnde Aufregung, nach dem Motto: Es könnte heute etwas Ungewöhnliches passieren. Aber ist das nicht normal, wenn man älter wird?“ „Älter wird?“, hatte Harry gefragt und die Hefekrümel in seinem Weizenbier kreisen lassen. „Du bist Anfang vierzig, Mann. Das gehört nicht wirklich zum Thema Älterwerden. Nein, du bist verwirrt. Spirituelle Verwirrung würde ich das nennen, weil du an nichts mehr glaubst. Nicht einmal daran, dass es Gott nicht gibt.“ Carl hatte nur die Schultern gehoben: „Weißt du, es ist mir völlig egal, ob es Gott oder das Nirwana gibt oder nicht. Meinst du wirklich, man muss nur an irgendetwas glauben, meinetwegen an die Kraft der Autoindustrie oder an das Geheimnis der Gänseblümchen oder an ein unsichtbares Wesen, und alles wird gut?“ „Natürlich nicht, aber eine Überzeugung treibt einen vorwärts.“ „'Vorwärts', sagte die Maus, ‚es geht vorwärts‘, und eilte durch einen schmalen Gang in das aufgesperrte Maul einer Katze.“ „Sehr erbaulich, Carl, wirklich.“ „Ich habe nur Kafka zitiert. Jedenfalls sinngemäß.“ Und auf die scherzhafte Frage, ob er, Carl, ins Kloster gehen solle, um sich seiner so genannten spirituellen Verwirrung zu stellen, hatte Harry genickt: „Kloster? Keine schlechte Idee!“   Und jetzt war er also hier im Regen und sah, dass ein Reisebus und mehrere Wagen seelenruhig innerhalb der Klosteranlage parkten. „Ich bin einfach nicht frech genug beim Parken. Viel zu vorsichtig“, murmelte er verdrossen und steuerte auf einen kleinen Buchladen zu, in dem er Leute hin- und hergehen sah. „Guten Tag. Können Sie mir sagen, wo hier der Eingang zum Kloster ist? Ich habe ein Zimmer bestellt!“ Die Verkäuferin im engen Pulli mit einer strubbligen Ponyfrisur, die irgendwie nicht zu dem Kloster zu passen schien, lächelte ihn höflich an. „Bruder Claudius, der Pförtner, ist gerade in der Kirche zum Stundengebet. Sehen Sie die Tür da drüben?“ Sie wies auf den grauen Flügel der Klosteranlage. „In zwanzig Minuten ist er wieder da und dann können Sie mit ihm reden.“ Carl nickte und schaute sich zwanzig Minuten lustlos die Bücher und CDs an, die auf ihn alle furchtbar positiv wirkten. Dann schlenderte er hinüber zum Eingang des Klosters.   Der Regen hatte aufgehört, und die Nachmittagssonne, die sich durch die Wolkenschichten gekämpft hatte, warf ihre ganze Kraft auf das feuchte Pflaster des Innenhofes und ließ es dampfen. Es tat gut, die Sonne im Gesicht zu spüren. Carl blieb ein paar Augenblicke stehen, genoss die Sonnenstrahlen und meinte, dass es von irgendwoher nach süßem Heu und Dünger duftete. Landluft.   Ein Mann in der dunklen Kutte der Benediktiner saß an der Pforte, hinter einer Glasscheibe, und schrieb etwas auf einen Zettel. Er blickte auf, grüßte mit einem rollenden „R“ im Grüß Gott und wartete. „Grüß Gott“, nickte Carl. „Ich heiße Carl Schrader und habe für vier Tage ein Zimmer bestellt oder eine ... Zelle“, fügte er mit einem schiefen Grinsen hinzu. „Zellen“, sagte Bruder Claudius und hustete, „sind die Bausteine des Lebens.“ Carl war sich nicht im Klaren, ob das ein Witz sein sollte oder ernst gemeint war, weil Claudius dabei nicht lächelte. Mit ausdrucksloser Miene griff der Pförtner nach einer Plastikschachtel, in der früher einmal Eis aufbewahrt worden war und in der nun Zettel lagen. Bedächtig wühlte er sich durch die Papiere. „Hm“, murmelte er. „Tut mir Leid. Einen Zettel mit Ihrem Namen finde ich hier nicht, und das Kloster ist ausgebucht. Eine Gruppe aus Bamberg führt hier Exerzitien durch.“ „Aber“, begann Carl zögernd. „Ich ... oder wir haben doch telefoniert, und es war eigentlich alles abgemacht…“ „Wahrscheinlich haben Sie mit Bruder Donatus telefoniert. Er ist krank, und ich bin seine Vertretung. Kann sein, dass er vergessen hat, Ihre Buchung aufzuschreiben oder weiterzuleiten.“ „Zu dumm“, knurrte Carl. „Jetzt bin ich den weiten Weg gefahren und ...“ „Warten Sie“, unterbrach ihn Bruder Claudius. „Es gibt ein Notzimmer. Es ist nicht renoviert und sieht ein bisschen schäbig aus. Wenn Sie wollen, werden wir die 'Notzelle' herrichten.“ Er blickte ihn fragend an. „Ja, gut, dann ... dann nehme ich Ihre Notzelle.“ „Schön. Geben Sie uns zum Schluss bei der Abrechnung einfach einen reduzierten Betrag. Sie können dann solange mit Ihrem Gepäck in den Aufenthaltsraum gehen. Sie wissen ja hoffentlich“, Bruder Claudius blickte ihn an, „ein Kloster ist kein Luxushotel.“ Der Mann hat Humor, dachte Carl, aber lächelt nie.   Das Zimmer gehörte tatsächlich nicht in die Abteilung Luxusgüter, stellte Carl fest, als er eine Stunde später in seiner Zelle stand und sich umsah. Die Wand hätte neu gestrichen werden müssen, man sah eine helle Fläche, wo einmal ein Bild gehangen hatte. Jemand hatte oberflächlich Staub gewischt. Ein behäbiger dunkelbrauner Schreibtisch stand unter dem einzigen Fenster, an dessen Rahmen die weiße Farbe abblätterte. Und es gab kein Waschbecken. Dusche und Toilette befanden sich auf dem Flur. Aber die Sonne, die schräg durch das frisch geputzte Fenster schien und zitternde Lichtpunkte auf die Wand warf, schaffte es, eine minimale Gemütlichkeit herzustellen. Es roch nach Putzmittel und eine unsichtbare Wolke wie von abgestandenem Zigarettenrauch hing in der Luft. Spontan öffnete Carl das Fenster und blickte nach draußen. Die Leute aus dem Bus gingen gerade aus irgendeinem Grund hektisch hin und her, riefen sich etwas Dringendes zu, als befürchteten sie, dass der Bus abfahren und nie mehr zurückkommen würde. Carl atmete tief aus und fühlte, wie eine unbestimmte Erwartung ihn erfasste, wenn er daran dachte, vier Tage in diesem alten Gemäuer zu verbringen. „Ich werde das Beste daraus machen“, sagte er zu sich. „Ich werde Spaziergänge machen, vielleicht gibt es hier etwas zu besichtigen, ich werde die nächst größere Stadt besuchen, und wahrscheinlich finde ich in diesen Mauern auch eine Bibliothek oder einen...



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