E-Book, Deutsch, Band 3, 263 Seiten
Reihe: Mord in Bayern
Graf Eisprinzessin
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-98952-049-3
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Regionalkrimi - Mord in Bayern 3 | Ein Krimi der Spiegel-Bestseller-Autorin
E-Book, Deutsch, Band 3, 263 Seiten
Reihe: Mord in Bayern
ISBN: 978-3-98952-049-3
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Lisa Graf, geboren in Passau, studierte Romanistik und Völkerkunde und ist Reisebuch- und Krimi-Autorin. Mit ihrer historischen Romanreihe über das Feinkost-Haus Dallmayr erreichte sie Spitzenplatzierungen auf der Spiegel-Bestsellerliste. Die Autorin lebt im Berchtesgadener Land. Die Website der Autorin: www.lisagraf-autorin.de/ Die Autorin bei Facebook: www.facebook.com/lisa.grafriemann/ Die Autorin auf Instagram: www.instagram.com/lisa.grafriemann/ Bei dotbooks veröffentlichte die Autorin ihre »Mord in Bayern«-Krimireihe mit den Bänden »Eine schöne Leich«, »Donaugrab«, »Eisprinzessin« und »Steckerlfisch«, der in Co-Autorschaft mit Ottmar Neuburger entstand. »Eine schöne Leich« ist auch als Printausgabe erhältlich. Lisa Graf und Ottmar Neuburger veröffentlichten bei dotbooks außerdem gemeinsam den Thriller »Die Bitcoin-Morde«.
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Kapitel 4
Mit Fischers Eröffnung war Meißners grandiose Pechsträhne losgegangen. Irgendwie wollte es in diesem Jahr für ihn einfach nicht rundlaufen. Für eine Midlife-Crisis war er eigentlich schon fast zu alt, wobei er ja mit allem ein bisschen spät dran war. Mit Fischers Glück hatte quasi sein Unglück angefangen, und dann kam auch schon der nächste Schlag. Das Schlimmste war der aber immer noch nicht, nur der Auftakt zu etwas noch Schlimmerem.
Manchmal geht es Schlag auf Schlag, da lässt sich das Leben nicht lange bitten, da haut es dann auch auf solche ein, die schon am Boden liegen, gnadenlos ist es dann, das Leben. Christen glauben in einer solchen Situation gern an eine Serie von Prüfungen, Esoteriker meinen, das Universum stelle ihnen Aufgaben, die es gelte, auf dieser Daseinsstufe zu meistern. Denn ohne Lösen der Aufgaben gibt es kein Weiterkommen, dann droht einem die Existenz als Salatkopf oder einsame Schildkröte.
Meißner jedenfalls begann ein bisschen christlich, ein bisschen esoterisch, aber vor allem ängstlich und mit einer guten Portion Selbstmitleid, sich als Hiob zu fühlen und furchtsam auf den nächsten Nackenschlag des Lebens zu warten. Er wusste es irgendwie, ahnte es voraus, obwohl er es weder im Urin noch in der kleinen Zehe spürte, eher ganz tief in den Eingeweiden, wo nach der chinesischen Medizin ja alles Unglück und ebenso alles Glück sitzt.
Der Tag hatte damit begonnen, dass er vor dem Rathaus beinahe über einen Wagen gefallen war. Über ein blaues Fahrzeug, das aussah wie ein Rasenmäher zum Aufsitzen oder einer von den kleinen Traktoren, mit denen im Winter Schnee geräumt wurde. Auf dem unkippbaren Kleintraktor saß ein Mann. Er trug einen beigefarbenen Blouson, hatte eine Halbglatze und rauchte, ohne die Hände dafür zu benutzen. Eigentlich war der Fahrer in seinem Wagen nicht zu übersehen, und doch war Meißner fast über ihn gestolpert. Wo war der jetzt so schnell hergekommen? Hatte er schon dagestanden, als Meißner aus der Altstadt auf den Rathausplatz hinausgetreten war? Seine Zigarette war halb geraucht, die Hände des Mannes steckten in den Taschen des Blousons. Meißner entschuldigte sich, aber der Mann schwieg, sah ihn nur an und sog an seinem dünnen Tabakstängel, der, wie Meißner jetzt sehen konnte, selbst gedreht war, mit zerknittertem Papier, durch das die Tabakbrösel schimmerten wie spitze Knie durch eine dünne Hose. Genau da hatte Carola angerufen und sich für den nächsten Tag, einen Samstag, mit ihm zum Joggen verabreden wollen. »Zum Joggen?«, hatte er sich gewundert. Er hatte gedacht, sie wolle sich vielleicht mit ihm unterhalten.
»Joggen, ja. Kann dir doch nicht schaden, oder?«, hatte sie geantwortet, und er hatte am Telefon unwillkürlich den Bauch eingezogen. Er und Joggen. Er hatte eher an das Stadtcafé gedacht, Cappuccino, dazu ein Stück Johannisbeer-Baiser oder Erdbeersahne, seinetwegen auch eine Bionade, Kombucha Cranberry oder Ingwer-Irgendwas, was Carola so gern bestellte. Gesunde Ernährung und Fitness, das alles war total wichtig für sie. Er war da ja eher der Genusstyp.
»Kann man sich denn beim Joggen überhaupt unterhalten?«, fragte er.
»Natürlich«, sagte sie, »man soll sowieso nur so schnell laufen, dass man, ohne zu schnaufen, noch mühelos reden kann. Bei dem Tempo funktioniert auch die Fettverbrennung am optimalsten.«
Also mussten sie nur noch beim gleichen Tempo Fett verbrennen und er nicht schon nach Luft japsen, während sie noch ganz relaxed dahintrabte, dann wäre alles gut.
***
Am Samstagmorgen kramte er im Schrank nach seinen Sportklamotten, fand, dass das Lauf-T-Shirt an den Hüften etwas spannte und seine Beine immer dünner wurden, was nicht gerade zur Verbesserung des Gesamtbildes beitrug. An den Schuhen, die er nach längerem Suchen endlich im Keller fand, klebten noch Erdbrocken und bräunliches Gras vom letzten Lauf, der vielleicht ein, zwei Jahre – zwei Jahre? – zurücklag. Mein Gott, warum hatte er nicht einfach Nein gesagt und ein Treffen im Café vorgeschlagen? Manchmal war er so langsam im Denken und im Erkennen, was er wollte, und vor allem, was er nicht wollte. Noch langsamer war er allerdings darin, seine späten Erkenntnisse auch noch in Sprache umzusetzen und seinem Gegenüber eine klare Ansage zu machen. Nur im beruflichen Umfeld gelang ihm das mittlerweile meistens, aber das hatte er sich auch wie eine Vernehmungstechnik antrainieren müssen. Privat galt diese erworbene Fähigkeit allerdings nichts. Da war er zu langsam, zu träge, zu wenig auf der Hut. Womöglich hätte er auch Ja gesagt, wenn Carola ihm Thaiboxen oder Pilates vorgeschlagen hätte. Da hatte er mit Joggen womöglich noch Glück gehabt, denn Carola war immer für Überraschungen gut.
Als er um halb zehn seinen Wagen bei der Tennisanlage des RTC abstellte, schien schon halb Ingolstadt entweder zu Fuß oder auf dem Rad draußen am Baggersee oder am Donau-Stausee unterwegs zu sein. Die vierzehn Grad, die das Thermometer in seinem Audi anzeigte, waren zwar nicht besonders verlockend, aber es war Samstag, die knappe Freizeit musste genutzt werden. Weil Meißner im Bett, beim Duschen oder beim Kaffeekochen zu sehr getrödelt hatte, war auch noch das Frühstück ausgefallen. Wahrscheinlich wegen des Kaffeeautomaten. Das Warnlämpchen seiner Saeco hatte ihm signalisiert, dass der Filter bis oben hin voll war. Aber statt ihn einfach zu entleeren, hatte Meißner das ganze Ding einer gründlichen Reinigung unterzogen, das abgestandene Wasser gewechselt und die Milchschaumdüse gründlich mit einer alten Zahnbürste gereinigt, bis er schließlich nicht einmal mehr Zeit hatte, seinen Kaffee auch noch zu trinken, wollte er nicht zu spät zu seiner Verabredung kommen.
Aber anscheinend war es nun Carola, die zu spät kam, denn er konnte sie nirgendwo entdecken. Er widerstand der Idee, auszusteigen und sich warm zu machen oder alternativ vor sich hin zu bibbern, und blieb im Auto sitzen, um weiter sein Klassikradio zu hören. Bayern 4. War ja niemand da, der sich über ihn hätte lustig machen können. Ein Schubert-Lied, gesungen von einem Menschen namens Fischer-Dieskau. Fast konnte er die verdrehten Augen von Kollegin Marlu oder Kollege Fischers ruckartig auf die Ohren gelegte manikürte Hände sehen, wenn er zum leeren Beifahrersitz hinüberschaute. Meißner war ein nicht übermäßig anspruchsvoller Klassikfan, sondern von vielem relativ leicht zu begeistern. Ein Staunender.
Da klopfte es, und als er den Kopf Richtung Seitenfenster drehte, sah er tatsächlich in zwei himmelwärts gedrehte Augen. Sie gehörten Carola. Er hatte das Radio so laut gestellt, dass Fischer-Dieskau wie eine Posaune auf dem Kirchturm sein Kunstlied schmetterte. Wahrscheinlich war es auch außerhalb des Wagens noch laut genug zu hören. Er stellte das Radio aus und sah Carolas Kopfschütteln nur noch aus den Augenwinkeln.
»Los, raus, du Sportler«, sagte sie, während er sich aus dem Sitz schälte.
Carola hatte eine gesunde Gesichtsfarbe und schwitzte bereits. Weit und breit kein Auto, das ihr gehört hätte. Sie war also schon von zu Hause hierhergelaufen, wobei sie den kleinen Konstantin in einem geländegängigen Fahrzeug, das wahrscheinlich so etwas wie einen Kinderwagen darstellen sollte, vor sich hergeschoben hatte. Drei Ballonreifen mit Alufelgen.
»Scheibenbremsen beidseitig und Hinterachsfederung. Das Ding heißt Joggster«, sagte Carola, als sie sein ungläubiges Staunen bemerkte.
Konstantin schlief wie ein kleiner Buddha, ein Fettröllchen zierte ganz ungeniert seinen Babyhals, während er hoffentlich von den schönen Dingen des Lebens träumte. Eine Elster krächzte ihr spottendes Schäck-schäck-schäck, und Meißner setzte sein Skelett in Bewegung und hoffte, dass nur er das unangenehme Knirschen seiner Gelenke hören konnte. Für die fünf Kilometer um den See müsste seine Kondition gerade so reichen.
Carola lief voraus und erzählte, dass Konstantin sich nun schon allein hochziehen und auch stehen könne, aber zur Fortbewegung immer noch alle vier Extremitäten benutze.
»Ich war auch ein Spätzünder beim Laufen«, sagte Meißner. »Das hängt mir wahrscheinlich bis heute noch nach.« Er konnte nicht erkennen, ob Carola das witzig fand, und hatte alle Mühe, mit ihr mitzuhalten. Eigentlich war ihm das Tempo zu schnell, aber das wollte er nicht zugeben. Mit Unterhalten war schon nach ein paar Metern nicht mehr viel, aber das hatte er sich ja schon gedacht.
Als sie am Tiergehege vorbeigelaufen waren, das Konstantin ebenso wie ihre Begrüßung verschlafen hatte, drehte Carola sich zu ihm um. »Ich muss dir was sagen.«
Meißner dachte sich noch nichts dabei. Er war auf nichts gefasst, er ahnte und roch nichts. Wieder einmal war er nicht auf der Hut.
Schwarze Tage haben die Angewohnheit, sich nicht anzukündigen. Man stolpert über sie wie über eine Bordsteinkante und schlägt der Länge nach hin wie ein Idiot. Alle anderen haben das Unglück natürlich längst kommen sehen und schauen einem nun genüsslich dabei zu, wie man sich mit blutigen Knien aus der Horizontalen wieder in eine menschenwürdige Position bringt.
Meißner lief neben Carola her wie ein ergebenes und außerdem hechelndes Hündchen, als sie ohne weitere Umschweife zum Punkt kam.
»Ich habe einen Vaterschaftstest machen lassen«, sagte sie.
Er wollte fragen: »Was, du? Kennst du deinen Vater etwa nicht?«, kapierte dann aber doch, was sie meinte. Und plötzlich wünschte er sich sonst wohin, zur Not sogar an den Start des Ingolstädter Halbmarathons oder in die Box-Fabrik, nur weg von hier. Es ging natürlich darum, wer Konstantins Vater war. Er, Stefan Meißner, langjähriger Ex-Lebensgefährte von Carola, oder Thomas, genannt Tom, ihr derzeitiger Partner. Konstantins...