E-Book, Deutsch, Band 1, 432 Seiten
Reihe: Krone der sieben Inseln
Grace Fluch der sieben Seelen
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-492-99851-2
Verlag: Piper Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman | Von der Autorin von "Belladonna"
E-Book, Deutsch, Band 1, 432 Seiten
Reihe: Krone der sieben Inseln
ISBN: 978-3-492-99851-2
Verlag: Piper Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Adalyn Grace, wohnhaft in San Diego, ist New-York-Times-Bestsellerautorin. Bevor sie sich dem Schreiben widmete, absolvierte Grace mit neunzehn die Arizona State University Summa cum Laude, arbeitete am Theater, war Chefredakteurin einer gemeinnützigen Zeitung und studierte Storytelling, wobei sie als Praktikantin bei Nickelodeons populärer Serie »Die Legende von Korra« mitwirkte. Ihre Fantasydilogie rund um die Inselprinzessin Amora Montana erscheint im Piper Verlag.
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1
Dieser Tag ist zum Segeln gemacht.
Die salzig feuchte Meeresluft legt sich auf meine Zunge und ich genieße den Biss. Die Hitze des Spätsommers hat das Meer bezwungen, es schaukelt kaum, als ich an der Steuerbordreling lehne.
Türkisgrünes Wasser bis zum Horizont, voller Doktorfische und Schwärmen von Gelbschwanz-Schnappern, die eilig vor unserem Schiff davonflitzen und sich unter dünnen Schichten Gischt verstecken. Im Morgendunst sehe ich die Umrisse der nebelverhangenen Berge, die Mornute bilden, die nördlichste Insel des Königreichs. Es ist eine der sechs Inseln, die ich noch nicht gesehen habe, aber eines Tages regieren werde.
»Wohin segeln wir?«, frage ich. »Zu den Vulkanen von Valuka? Dem Dschungel von Suntosu?« Das Wetter ist so mild, dass meine Worte bis zum Bug tragen, wo Vater steht und über das Wasser blickt.
Jahre auf See haben seine gebräunte, olivfarbene Haut faltig werden lassen, er sieht dadurch älter aus als seine vierzig Jahre. Die Falten lassen ihn auch ernst erscheinen, was mir gefällt. Aridas Hoher Animant, der König von Visidia, sollte immer ernst aussehen.
»Das Meer ist eine gefährliche Bestie, Amora«, sagt er. »Und du bist zu wertvoll, wir dürfen dich nicht verlieren. Beweise unserem Volk heute Abend deine Stärke, und ich werde wissen, dass du dem Meer trotzen kannst. Konzentriere dich aber erst einmal darauf, dir den Thron zu verdienen.« Er wirft mir aus seinen tiefbraunen Augen einen Blick zu und grinst. »Und auf die Verkündung deiner Verlobung.«
Mein Hals wird eng. Ferrick ist kein schlechter Mann, wenn man davon träumt, mit einem Bekannten aus Kindertagen eine Familie zu gründen. Aber ich bevorzuge meine täglichen Verehrer und ihre Geschenke.
Amabons, Ginnadas und Kleider aus den feinsten Stoffen: alles, um die leicht zu beeindruckende Prinzessin zu umwerben, für die sie mich halten. Die Jungen im Königreich glauben, sie könnten meine Liebe und meinen Titel kaufen, und ich lasse sie in dem Glauben. Nichts kommt den verschwenderischen Kinkerlitzchen gieriger Verehrer gleich, und ich habe nicht vor, ihre Großzügigkeit zu unterbinden.
»Bist du soweit?« Vater sagt es leise, aber fest, gleichzeitig verändert sich etwas in seinem Blick. Er spricht nicht von meiner bevorstehenden Verlobung.
Instinktiv lege ich die Hand an die Ledertasche, die an meiner Hüfte ruht. Die Gegenstände darin klappern, als ich ihre harten Ränder berühre.
»Bin ich«, sage ich, selbst wenn es sich kühner anhört als ich mich fühle. Denn auch wenn ich das einzige Kind des Königs bin, wird mein Volk mir die Krone nicht einfach übergeben und mich aufgrund meines Geburtsrechts regieren lassen. Hier im Königreich Visidia muss ich mich ihnen zuerst beweisen, wenn ich mir den Titel der Erbin verdienen möchte. Und das muss ich tun, indem ich ihnen eine angemessene Demonstration aridischer Magie liefere, der Magie, die nur in den Adern der Familie Montara fließt.
Heute Abend habe ich nur eine Chance, um mich des Titels der Animantin – einer Meisterin der Seelen – würdig zu erweisen. Doch mein Volk wird sich nicht mit einer guten Leistung zufriedengeben. Meine Leute verlangen Exzellenz, und genau die werde ich ihnen bieten. Am Ende des Abends werde ich ihnen beweisen, dass es niemals jemanden geben wird, der besser für den Thron geeignet ist.
Ausgedehnte Berge mit üppig grünen Hängen erstrecken sich vor uns, während das Meer unser Schiff zum Hafen von Arida zieht, meiner Heimatinsel. Die Berghänge sind dicht von biolumineszenten Pflanzen bewachsen, die bei Tag wunderschön aussehen, aber nachts, wenn sie ihre leuchtend lila- und rosafarbenen Blüten im Mondlicht öffnen, schlicht atemberaubend sind.
Es ist überwältigend und doch zieht sich beim Näherkommen ein dicker Knoten aus Bitterkeit in meiner Brust zusammen. Ich versuche, ihn zu ignorieren, aber er sinkt in meine Magengegend wie ein Anker.
Ich liebe Arida, aber bei den Göttern, was würde ich nicht alles geben, um dieses Schiff zu drehen und weiterzusegeln.
Unsere Segel blähen sich, als der Wind uns in Richtung Hafen schiebt, und Vater macht sich für die Landung bereit. Man mag von mir erwarten, dass ich eines Tages das Königreich regiere, dennoch weigert sich Vater, mir etwas so Einfaches beizubringen wie die Duchess zu segeln. Da ich eine der beiden potenziellen Erbinnen der Montaras bin, sagt er mir immer wieder, reisen sei zu gefährlich. Obwohl ich ihn jahrelang angebettelt und ins Feld geführt habe, dass ich in der Lage sein sollte, Segel zu setzen und mein Königreich zu sehen, lässt er mich das Steuer kaum einmal anfassen.
Das heißt aber nur, dass es Zeit wird, mich mehr anzustrengen. Heute ist schließlich mein Geburtstag.
Ich schicke meine Sorgen mit den Möwen fort, die um den Hauptmast kreisen, und gehe zu ihm. Vater schürzt die Lippen, als ich lächle; er weiß genau, was ich will.
»Bitte?« Ich lege meine glatte Hand neben seine raue ans Steuerrad. Ich sehne mich nach dem sonnengebräunten Schimmer und den vom Meerwasser rauen Schwielen – den Zeichen eines Reisenden –, die er mit Stolz trägt.
Es bleibt nicht mehr viel Zeit, bevor wir andocken. Das Wasser wird flacher, wütend schlägt es gegen das Schiff, während wir uns Arida nähern. Eine kleine Gruppe von Dienern und königlichen Soldaten erwartet uns auf dem roten Sand, um uns eilig wegzubringen und auf heute Abend vorzubereiten.
»Nein.« Vater macht sich breit, damit ich nicht herankomme.
Ich schlängle mich um ihn herum, sodass er mir in die Augen sehen muss. »Doch. Nur dieses eine Mal?«
Vaters breite Brust erbebt unter einem Seufzer. Er muss spüren, wie unbedingt ich das möchte, denn zum ersten Mal in meinem Leben tritt er zur Seite und bietet mir das Steuer an. Mit der freien Hand umfasse ich sofort das glatte Holz und unterdrücke ein Schaudern, weil es sich so schön anfühlt.
Ganz natürlich. Als wären meine Hände dafür geschaffen.
»Du musst langsam machen«, sagt Vater, aber ich höre nur halb zu. Das Schiff fühlt sich genauso an, wie ich es mir vorgestellt habe: wie ein wildes Tier, das die verheißungsvollen Abenteuer, die das Meer verspricht, in Angriff nehmen und alles unterwegs erobern kann. Es ist stark, furchtlos, aber ich spüre sein Zögern, mir zu gehorchen. Dieses Schiff ist wie mein Volk: Es verlangt den verdienstvollsten Kapitän und wird sich nicht mit weniger zufriedengeben.
Ich kratze mit dem Fingernagel sanft über das Holz und drehe das Steuerrad nur ein kleines bisschen. Als Antwort zittert das Schiff, es prüft mich. Vater bleibt in der Nähe, seine Hände zucken und sind jederzeit bereit zu übernehmen, sollte etwas schiefgehen. Aber dazu werde ich es nicht kommen lassen.
Ich bin Amora Montara, Prinzessin von Visidia und Thronerbin des Hohen Animanten. Es gibt kein Schiff, das ich nicht segeln kann. Es gibt nichts, was ich nicht meistern könnte.
Der Wind dreht mit einer Bö, lässt die Segel unruhig flattern und schiebt das Schiff ein klein wenig nach links. Nicht viel, aber das Schiff fordert mich heraus, und ich bin kein guter Verlierer. Ich umfasse das Steuer fester, um den Kurs zu korrigieren.
Ich muss nicht aufschauen, um zu wissen, dass wir in seichtes Wasser laufen. Ich spüre es am Verhalten des Schiffes, daran, wie sein stetiges, einschläferndes Schaukeln steif und grimmig wird.
»Greif mit der linken Hand fester zu.« Vaters Stimme kommt wie aus weiter Ferne, aber ich tue, was er sagt. Das Schiff knarzt als Antwort.
Ich bin Amora Montara. Wieder bohre ich den Fingernagel in die Duchess, als das Schiff zittert. Die Macht Aridas fließt in mir. Du wirst gehorchen.
Die Duchess ächzt, als wir auf Sand laufen, der Aufprall erschüttert meine Brust. Ich verliere den Halt und versuche mich abzufangen, aber das Steuer ist glitschig von der Gischt des Ozeans, und ich knalle mit dem Gesicht dagegen. Schartiges Holz zerkratzt meine Wange, was das Schiff zum Lachen bringt, während es auf Grund läuft. Ich richte mich auf, streiche mir mit dem Finger über die Haut. Als ich ihn ansehe, ist er blutig.
Das Schiff hat gewonnen und das weiß es. Ich kann mich nicht daran erinnern, wann mich das letzte Mal etwas zum Bluten gebracht hat.
»Amora!« Vaters Schreck ist seiner Stimme anzuhören. Zorn ballt sich in meinem Bauch zusammen, und ich starre finster auf meine Hände, die mich verraten haben.
Verfluchtes Schiff. Es hätte nur zuhören müssen.
»Bei Catos Klinge, du blutest!«
Heute Abend muss ich perfekt sein. Hässliche Verletzungen, die Schwäche erkennen lassen, haben da keinen Platz.
»Es ist nur ein Kratzer.« Ich schiebe ihn weg. »Mira kann das abdecken.«
Vater steht das schlechte Gewissen ins faltige Gesicht geschrieben. Als ich das sehe, tobt Wut durch meine Adern wie Gift. Es ist nicht sein Fehler, dass ich blute. Es ist nicht sein Fehler, dass ich nicht einmal einem Schiff befehlen kann, auf mich zu hören.
Bevor er noch etwas sagen kann, nehme ich Vaters Arm.
Wir verlassen die Brücke der Duchess und gehen auf Mira zu. Der Sand unter ihren Füßen hat die Farbe von frischem Blut. Sie steht zwischen mehreren steifen Männern und Frauen in leichten Jacken mit roségoldenen Bordüren. Sie trägt eine lockere schwarze Hose und ein passendes Oberteil, das sich um ihre kleine Gestalt bläht und dessen sehr schmale Träger aus Perlen unter ihren Haaren – dichten, fließenden Wellen, so dunkel und seidig glänzend wie Rabenfedern – hervorschimmern. Die Bordüre aus reinem Roségold an ihrer Tracht passt zu dem königlichen Wappen, das sie stolz auf der Brust trägt. Es ist dasselbe, das auch die anderen tragen:...