Goulson Die seltensten Bienen der Welt.
1. Auflage 2017
ISBN: 978-3-446-25622-4
Verlag: Carl Hanser
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ein Reisebericht
E-Book, Deutsch, 304 Seiten
ISBN: 978-3-446-25622-4
Verlag: Carl Hanser
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Wenn wir Bienen und Hummeln retten wollen, müssen wir uns auf die Suche nach ihren seltensten Arten begeben. Um zu verstehen, warum sie verschwinden, aber auch, um diese faszinierenden Geschöpfe in Erinnerung zu behalten. Der Biologe Dave Goulson hat sich an ihre pollenbestäubten Fersen geheftet. Egal, ob er den Kampf der Goldenen Patagonischen Hummel gegen invasive Arten beschreibt oder auf den Äußeren Hebriden die letzten Deichhummeln Großbritanniens aufspürt: Immer ist seine Leidenschaft für die Wildbestäuber ansteckend. Und seine Tipps, wie wir in unserer unmittelbaren Umwelt Bienen vor dem Sterben bewahren, machen unbändige Lust darauf, den heimischen Balkon mit Beinwell zu bepflanzen.
Fachgebiete
- Geowissenschaften Umweltwissenschaften Tier- und Umweltschutz
- Sozialwissenschaften Sport | Tourismus | Freizeit Tourismus & Reise Expeditions- & Reiseliteratur
- Naturwissenschaften Biowissenschaften Biowissenschaften Biowissenschaften, Biologie: Sachbuch, Naturführer
- Geowissenschaften Umweltwissenschaften Klimawandel, Globale Erwärmung
Weitere Infos & Material
Die Salisbury Plain und die Waldhummel
Irgendwo wartet etwas Unglaubliches auf seine Entdeckung. Carl Sagan In früheren Büchern habe ich Adolf Hitler für den Niedergang der Hummeln in Großbritannien verantwortlich gemacht, weil sich das Land im Zweiten Weltkrieg unabhängig machen wollte und die britische Nahrungsproduktion daher drastisch gesteigert werden musste. Damit begannen Jahrzehnte der Intensivierung der Landwirtschaft. Große Teile unserer Landschaften wurden zerstört, um Monokulturen für Nutzpflanzen Platz zu machen. Gehe ich freilich in dieser Logik weiter, muss ich dafür dem letzten deutschen Kaiser (und auch Hitler) zähneknirschend auch ein kleines bisschen dankbar sein. Denn ein ungeplanter Nebeneffekt ihrer Kriegstreiberei war die Einrichtung eines der größten Naturreservate in ganz Europa. 1897 begann das britische Verteidigungsministerium, in der Hochebene nördlich von Salisbury Landflächen zu erwerben, um sie als militärisches Übungsgelände zu nutzen.4 Großbritannien war damals ein Empire, das rund um den Erdball in unzählige Konflikte verwickelt war – es war ziemlich mühsam, in den abgelegensten Weltengegenden neue Territorien zu beanspruchen, und man brauchte gut trainierte Truppen, um schlecht bewaffnete einheimische Völker ordentlich in Schach zu halten. Unter der 63 Jahre dauernden Herrschaft von Queen Victoria waren wir in nicht weniger als 36 ausgewachsene Kriege verwickelt, dazu kamen 18 Militärkampagnen und 98 Militärexpeditionen. Unser stehendes Heer war riesig, und irgendwo mussten all diese Männer ausgebildet werden. Daher erließ die Regierung ein Gesetz, das es dem Heer erlaubte, eigenen Landbesitz zu erwerben, zur Not durch Enteignung. Sinnvollerweise fasste das Militär Gebiete ins Auge, die nicht zu weit von den Transportknotenpunkten, also von London und den Häfen am Ärmelkanal entfernt lagen, die wenig bevölkert und zu günstigen Preisen zu haben waren. Die Salisbury Plain erfüllte all diese Kriterien, denn der Einbruch der Wollindustrie Mitte des 19. Jahrhunderts hatte Wiltshire zu einem der ärmsten Countys des Landes gemacht. Das Heer ging auf eine ausgiebige Shopping-Tour – 1897 wurden in der Ebene etwa 6000 Hektar aufgekauft, dazu kamen noch weitere Gelände anderswo in Großbritannien. Lange vor der militärischen Nutzung hatte die Hochebene bereits eine lange Geschichte menschlicher Besiedelung aufzuweisen. Die große Kreideplatte entstand vor einigen Hundert Millionen Jahren, als die Schalen von Billionen winzigen toten Meerestieren sich am Boden eines einstigen Ozeans ablagerten; später wurde sie angehoben und bildet jetzt eine hügelige, von Süden nach Norden leicht abfallende Ebene, die in ihren höchsten Lagen nicht mehr als 200 Meter über dem Meeresspiegel erreicht. Als sich nach der letzten Eiszeit die Gletscher von Großbritannien zurückzogen, entstanden dort wohl große Wälder, doch zusammen mit den North und South Downs war dies eine der ersten Regionen, in denen vor etwa 5500 Jahren steinzeitliche Siedler die Bäume rodeten – dank der dünnen Kalkböden war es weniger schwierig, die Wurzeln auszugraben, als in den niedrigeren umliegenden Landschaften. Auch aus noch älteren Zeiten gibt es Spuren menschlicher Aktivität – etwa die verrotteten Stümpfe in Reihen angeordneter Pfosten, die vor 8000 Jahren zu einem unbekannten Zweck in regelmäßigen Abständen senkrecht in den Boden versenkt worden waren. Wir wissen nur sehr wenig darüber, wie Menschen damals lebten, aber ihre Präsenz beweisen die vielen sonderbaren Hügelgräber, Tumuli, Wallburgen und anderen seltsam geformten Anhöhen rätselhafter Herkunft. Die bekannteste jungsteinzeitliche Struktur ist natürlich Stonehenge, die kultige, mysteriöse Anordnung riesiger behauener Steine, ein Kreis aus senkrechten Pfeilern, die Sarsensteine, überbrückt mit massiven Decksteinen; erbaut wurde die Anlage vor etwa 5000 Jahren. Ich habe Stonehenge schon als Kind besichtigt, in einer Zeit, als die Besucher noch zwischen den Steinblöcken herumgehen und -klettern durften, und meine Erinnerung daran ist bis heute hellwach. Ein unerklärlicher Zauber geht von diesen uralten Steinkreisen aus, die der Legende nach der sagenhafte Zauberer Merlin hierher verbracht und aufgerichtet hat. Natürlich ist nur schwer zu erklären, wie sie tatsächlich transportiert wurden; die vier Tonnen schweren Blausteine, die in Stonehenge den kleineren Innenkreis bilden, stammen nämlich aus dem Westen von Wales – das ist etwa 290 Kilometer entfernt, und dazwischen liegen mehrere größere Flüsse und Gebirgszüge. Wenn wir Zauberei ausschließen, kann man sich vorstellen, welch unglaubliche Mengen an Blut, Schweiß und Tränen stattdessen vergossen wurden; den Menschen muss also die Erbauung von Stonehenge verdammt wichtig gewesen sein. Die Sarsensteine stammen aus der Gegend von Avebury, knapp 40 Kilometer nördlich, aber die 20 Tonnen, die jeder von ihnen wiegt, mussten auch erst einmal umhergewälzt werden. Berechnungen zufolge benötigt man die Arbeitskraft von 600 Männern, um jeden Stein auf Rollen vorwärtszuschleppen, und auch so ging es noch sehr, sehr langsam. Man kann sich denken, dass schon die Zusammenstellung eines solchen Teams ein ziemlicher Aufwand war in Zeiten, als die Gesamtbevölkerung Großbritanniens vielleicht ein paar Zigtausend Menschen betrug. Warum die alten Völker all diese Mühen auf sich nahmen, ist vollständig unbekannt. In Gruben auf dem Gelände wurden eingeäscherte menschliche Gebeine und andere Überreste gefunden, und Messungen mit der Radiokarbonmethode haben ergeben, dass einige dieser Überreste zu Menschen gehören, die von sehr weit her stammten, aus Deutschland, Frankreich, sogar aus dem Mittelmeerraum. Vielleicht waren es Menschenopfer, fremde Sklaven, die geschlachtet wurden, um einen längst vergessenen Gott zu besänftigen. Anderen Theorien zufolge waren die Steine ein gigantisches astronomisches Observatorium oder ein Ort der Heilung oder gar Veranstaltungsstätte einer Feier des Friedens zwischen verschiedenen steinzeitlichen Bevölkerungsgruppen. Höchstwahrscheinlich werden wir es nie herausfinden. Doch egal, wozu die Steine ursprünglich dienen sollten, es fühlt sich so an, als hätten die einstigen Aktivitäten ihren Stempel hinterlassen, denn es lässt sich nicht bestreiten, dass sie über eine ganz eigene Aura verfügen. Viel später kamen dann die Römer und bauten in der Hochebene Nutzpflanzen zur Ernährung ihrer Legionäre an. Noch später, im Jahr 878, soll König Alfred der Große nahe Westbury eine entscheidende Schlacht gegen die einfallenden Wikinger gewonnen haben; dem Sieg wurde mit dem Scharrbild eines weißen Pferdes ein Denkmal gesetzt, das am Westrand der Ebene in den Kalkstein der Hügelflanke oberhalb von Westbury gegraben wurde. In der ganzen Zeit bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts dürfte sich die Lebensweise der Menschen, die in der Salisbury Plain lebten und arbeiteten, nur relativ wenig verändert haben. Die Schwestern Ella und Dora Noyes bereisten die Gegend Ende des viktorianischen 19. Jahrhunderts und veröffentlichten 1913 einen plastischen illustrierten Reisebericht, Salisbury Plain, Its Stones, Cathedral, City, Villages and Folk. Das Leben in der Ebene kreiste um die Schafzucht – einzelne Herden konnten 1000 Tiere umfassen, und während die Wolle die wichtigste externe Einkommensquelle war, lieferten die Tiere auch Fleisch sowie den einzigen Dünger für den Ackerbau. Die Dörfer schmiegen sich noch immer häufig Schutz suchend in die Täler, rundum liegen eingefriedete Felder, während die umliegende Ebene meist aus offenem Weideland besteht. Diese Weiden wurden über fast die gesamten 5000 Jahre wahrscheinlich für die immer gleiche Extensivhaltung genutzt. So beschrieb Ella Noyes das Dorf Imber: Das Dorf liegt in einer tiefen Geländefalte im Bett eines weiteren kleinen Winterbachs; auf allen Seiten ist es von den Hängen der Höhenzüge umgeben. Es besteht aus einer einzigen lang gezogenen Straße mit alten Hütten und Gehöften, die sich unter den schützenden Ulmen durch das Tal windet; im Frühling plätschert frisch und klar der schmale Bach vorbei, doch im Sommer liegt das Bachbett trocken und füllt sich mit wilden Gräsern und Kräutern. Die weiß getünchten Hütten mit ihrem Fachwerk und tief gezogenen Reetdächern liegen in kurzen Reihen oder Haufen beieinander, und in den Ecken und Winkeln dazwischen gibt es üppige Blumengärten; Rosenbüsche, hin und wieder Flieder, Lilien und ein Gewirr aus Bukettwicken. Eine Siedlung in Imber ist seit mindestens 967 bezeugt, und 100 Jahre später wird das Dorf im Doomsday Book Wilhelms des Eroberers erwähnt. Als die Noyes-Schwestern dort waren, gab es kleine Läden, einen Pub, einen Hufschmied, eine Windmühle, um das Korn für das Brot zu mahlen, eine kleine Schule, eine Baptistenkapelle und eine solide Kirche. Ihre Beschreibung des Dorfs und seiner Bewohner klingt romantisch, ja idyllisch, aber das Leben dort muss eine Schinderei gewesen sein. Die meisten Kinder verließen mit neun Jahren die Schule und gingen arbeiten; wer kein Schafhirte war, war Knecht oder Magd auf einem Hof, Hufschmied, Müller oder Bäcker, alles harte Handwerksarbeit, die sich über die Jahrhunderte kaum veränderte. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts jedoch, die Noyes-Schwestern konnten es noch nicht wissen, stand diese Lebensweise kurz vor ihrem Ende. 1898 kamen über 50.000 Soldaten zu Truppenübungen und Militärparaden in die Salisbury Plain – der Zweite Burenkrieg war in Vorbereitung und sandte seine...