Goschler | Schuld und Schulden | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, Band 3, 543 Seiten

Reihe: Beiträge zur Geschichte des 20. Jahrhunderts

Goschler Schuld und Schulden

Die Politik der Wiedergutmachung für NS-Verfolgte seit 1945
2. Auflage 2011
ISBN: 978-3-8353-2069-7
Verlag: Wallstein Verlag
Format: PDF
Kopierschutz: 0 - No protection

Die Politik der Wiedergutmachung für NS-Verfolgte seit 1945

E-Book, Deutsch, Band 3, 543 Seiten

Reihe: Beiträge zur Geschichte des 20. Jahrhunderts

ISBN: 978-3-8353-2069-7
Verlag: Wallstein Verlag
Format: PDF
Kopierschutz: 0 - No protection



In dieser Studie wird erstmals die Politik der Wiedergutmachung für NS-Verfolgte in der Bundesrepublik und in der DDR umfassend dargestellt.

Die Entschädigung der Verfolgten des Nationalsozialismus bildet einen zentralen Aspekt der Auseinandersetzung mit dem »Dritten Reich« nach 1945. Zudem hat sich die Wiedergutmachung für NS-Verfolgte mehr und mehr zu einem internationalen Präzedenzfall für andere Versuche, die Folgen von Diktaturen und staatlichen Gewaltverbrechen zu bewältigen, entwickelt. Das Thema ist deshalb nicht allein wichtig im Hinblick auf die Frage nach dem Umgang der Deutschen mit Nationalsozialismus und Zweitem Weltkrieg, sondern auch für die Entwicklung globaler Maßstäbe im Umgang mit historischem Unrecht.

In dieser Studie wird erstmals die Politik der Wiedergutmachung in der alten und neuen Bundesrepublik sowie in der DDR umfassend dargestellt. Der Bogen reicht von ersten schon während des Krieges einsetzenden Überlegungen zur Entschädigung der Verfolgten bis zur Etablierung der Stiftung »Erinnerung, Verantwortung und Zukunft«, mit der seit 2000 endlich auch die osteuropäischen Zwangsarbeiter entschädigt werden. Somit untersucht Constantin Goschler die Wiedergutmachung gleichermaßen unter dem Gesichtspunkt der prägenden Bedingungen des Kalten Krieges wie unter dem seiner Überwindung. Welche allgemeine Bedeutung für den Umgang mit den Betroffenen staatlicher Großverbrechen besitzt also der in Deutschland unternommene Versuch, den NS-Verfolgten im Medium materieller Entschädigung zu begegnen? Im Mittelpunkt dieser Studie steht damit das Spannungsverhältnis von moralischer Schuld und materiellen Schulden.

Goschler Schuld und Schulden jetzt bestellen!

Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


1;Inhalt;6
2;Einleitung;8
3;I. Die Anfänge der Entschädigungsdiskussion bis zum Kriegsende;32
3.1;1. Wiedergutmachung gegen Kollektivschuld:;32
3.2;2. Jüdische Wiedergutmachungspläne;41
3.3;3. Die Alliierten und die Entschädigung der NS-Verfolgten;48
3.4;4. Zwischenbilanz;58
4;II. NS-Verfolgte unter alliierter Besatzung (1945-1949);62
4.1;1. Schock, Schuld und Abwehr;62
4.2;2. Erste Hilfsmaßnahmen und Betreuung für NS-Verfolgte;66
4.3;3. Entschädigung oder erweiterte Fürsorge?;85
4.4;4. Die Rückerstattung geraubten und entzogenen Eigentums;101
4.5;5. Zwischenbilanz;123
5;III. Wiedergutmachung im westdeutschen Wiederaufbau (1949-1957);126
5.1;1. Ein bockendes Volk und die verordnete Versöhnung;126
5.2;2. Souveränität und Kredit:;148
5.3;3. Die Erweiterung der Entschädigung und Rückerstattung;177
5.4;4. Zwischenbilanz;216
6;IV. Das »Ende der Nachkriegszeit« (1958-1965);220
6.1;1. Die Lasten der Vergangenheit und der Blick nach vorn;220
6.2;2. Ausländische Verfolgte und die Globalabkommen;234
6.3;3. Die Entschädigungsforderungen der Zwangsarbeiter;249
6.4;4. Der »Schlussstrich« unter die;255
6.5;5. Zwischenbilanz;290
7;V. Im Schatten von sozialliberaler Reform und »geistig-moralischer Wende« (1966-1990);294
7.1;1. Politische Stagnation und kultureller Wandel;294
7.2;2. »Indirekte« Wiedergutmachung für den »Osten«?;310
7.3;3. »Abschlussgeste Wiedergutmachung«:;324
7.4;4. Vom »Härtefall« zum »vergessenen Opfer«;346
7.5;5. Zwischenbilanz;358
8;VI. Wiedergutmachung in der DDR (1949-1989);362
8.1;1. Antifaschismus und Sozialpolitik;362
8.2;2. Die Liquidierung der Rückerstattung;369
8.3;3. Die Vereinheitlichung der Verfolgtenbetreuung;374
8.4;4. Ehrenpensionen für Verfolgte des Naziregimes;384
8.5;5. Der Umgang mit ausländischen jüdischen Forderungen;399
8.6;6. Zwischenbilanz;408
9;VII. Die Berliner Republik und das Erbe der NS-Verfolgung (1990-2000);414
9.1;1. Das Ende des Kalten Krieges und;414
9.2;2. Die deutsche Einigung und;423
9.3;3. Die Globalabkommen;430
9.4;4. Neue Abkommen mit der Claims Conference;439
9.5;5. Die Stiftung »Erinnerung, Verantwortung und Zukunft«;451
9.6;6. Zwischenbilanz;473
10;VIII. Fazit: Die Politik der Wiedergutmachung als Medium historischer Gerechtigkeit;478
10.1;1. Das politische Feld der Wiedergutmachung;479
10.2;2. Wiedergutmachung als rechtliche;484
10.3;3. Die Universalisierung der Wiedergutmachung;489
11;Dank;496
12;Quellen und Literatur;498
13;Abkürzungen;532
14;Zeittafel;535
15;Leistungen der öffentlichen Hand auf dem Gebiet der Wiedergutmachung;540
16;Personenverzeichnis;541


VI. Wiedergutmachung in der DDR (1949-1989) (S. 361-362)

1. Antifaschismus und Sozialpolitik

Bereits am Ende der Besatzungszeit hatten West- und Ostdeutschland in der Wiedergutmachungsfrage verschiedene Entwicklungspfade eingeschlagen, die eng mit dem gegensätzlichen Systemcharakter verknüpft waren. Dabei spielten auch unterschiedliche Prioritäten der Besatzungsmächte eine gewichtige Rolle: So stand in der DDR die Reparationsfrage an erster Stelle, während die Frage individueller Entschädigungen für NS-Verfolgte weitaus geringere Bedeutung als in der Bundesrepublik besaß.

Aufgrund der hohen Reparationsbelastungen der DDR1 – im dortigen Sprachgebrauch anders als in der Bundesrepublik als »Wiedergutmachung « bezeichnet – entstand in der ostdeutschen Bevölkerung schließlich der Eindruck, man habe allein für die nationalsozialistischen Verbrechen bezahlt. Diese Selbstwahrnehmung als Opfer alliierter Reparationspolitik wurde noch durch den Eindruck verstärkt, dass der »Westen « durch Marshallplanhilfen aufgepäppelt worden sei.

Gleichzeitig herrschte Konsens zwischen Regierung und Bevölkerung, dass die DDR nicht in der historischen Kontinuität des Deutschen Reiches und damit auch nicht in der Verantwortung für die Verbrechen des nationalsozialistischen Deutschland stünde. Auf diese Weise existierte in Ostdeutschland kein mit Westdeutschland vergleichbarer Schulddiskurs.

Aber auch ein weiteres wichtiges Charakteristikum im Umgang mit den NS-Verfolgten hatte sich bei Gründung der DDR bereits herauskristallisiert und bis 1952, als auf der zweiten Parteikonferenz der SED der Aufbau des Sozialismus verkündet wurde, endgültig verfestigt: Die ostdeutsche Politik der Wiedergutmachung gehorchte dem Primat der gesellschaftlichen Umwälzung im sozialistischen Sinne.

Eine Interpretation der Wiedergutmachungsfrage in der DDR im Lichte der offiziellen Parteilinie bietet die im selben Jahr abgeschlossene juristische Dissertation Wolfgang Vogels, der später unter anderem eine wichtige Rolle als Anwalt bei Geheimverhandlungen zwischen der DDR und der Bundesrepublik über den Freikauf politischer Gefangener spielte. Vogel meinte, die Rückerstattungs- und Entschädigungsproblematik könne nicht über der Parteipolitik stehen. Aufgabe sei es vielmehr, die »antifaschistischen, demokratischen Kräfte« sowie die »demokratische Erneuerung Deutschlands « zu stärken.

Tatsächlich war das in der Besatzungszeit noch diskutierte »bürgerliche« Entschädigungsprinzip schon bis zur Gründung der DDR fallen gelassen worden. An seine Stelle trat das Prinzip der »permanente[n] Soforthilfe mit Zügen einer sozialen Privilegierung«4. Die ökonomische Schwäche Ostdeutschlands wie auch die durch die Sozialisierungspolitik gesetzten Fakten zogen dabei der Möglichkeit von Schadensersatz und Rückerstattung zusätzlich enge Grenzen. Zugleich zeigte sich die Orientierung an einer anderen gesellschaftspolitischen Zielgröße als in der Bundesrepublik: soziale Sicherheit (statt Wiederherstellung verlorener Rechte) bildeten in der DDR den Hauptmaßstab auch in der Frage der individuellen Wiedergutmachung für NS-Verfolgte.

So kam es nicht zu jener Monetarisierung der Entschädigung, die in der Bundesrepublik frühzeitig einsetzte. Ein bloßer Vergleich auf der Ebene der materiellen Leistungen an NS-Verfolgte wäre deshalb irreführend. Stattdessen müssen die unterschiedlichen Strukturen des Umgangs mit den Verfolgten in den Blick genommen werden.


Goschler, Constantin
Constantin Goschler, geb. 1960, ist Professor für Zeitgeschichte an der Ruhr-Universität Bochum.
Veröffentlichungen u.a.: Europäische Zeitgeschichte seit 1945 (Hg. zus. mit Rüdiger Graf, 2010); »Wiedergutmachung. Westdeutschland und die Verfolgten des Nationalsozialismus, 1945-1954« (2002); »Rudolf Virchow. Mediziner, Anthropologe, Politiker« (2002)



Ihre Fragen, Wünsche oder Anmerkungen
Vorname*
Nachname*
Ihre E-Mail-Adresse*
Kundennr.
Ihre Nachricht*
Lediglich mit * gekennzeichnete Felder sind Pflichtfelder.
Wenn Sie die im Kontaktformular eingegebenen Daten durch Klick auf den nachfolgenden Button übersenden, erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Ihr Angaben für die Beantwortung Ihrer Anfrage verwenden. Selbstverständlich werden Ihre Daten vertraulich behandelt und nicht an Dritte weitergegeben. Sie können der Verwendung Ihrer Daten jederzeit widersprechen. Das Datenhandling bei Sack Fachmedien erklären wir Ihnen in unserer Datenschutzerklärung.