Gorski | Selbst glauben! | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 368 Seiten

Gorski Selbst glauben!

Anstiftung zu einer Lebenskunst für herausfordernde Zeiten
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-641-33031-6
Verlag: Gütersloher Verlagshaus
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Anstiftung zu einer Lebenskunst für herausfordernde Zeiten

E-Book, Deutsch, 368 Seiten

ISBN: 978-3-641-33031-6
Verlag: Gütersloher Verlagshaus
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Eine Biographie des Glaubens

Der Glaube wird geboren aus Träumen und Berührungen mit dem Unendlichen. Er ist Quelle und Resonanzraum mutigen Lebens in der Freiheit des Denkens, des Urteilens und des Handelns.

„Mein Himmel ist nicht leer.“ – Dieses Bekenntnis ist für Horst Gorski die Triebfeder seines Lebens und Arbeitens als Pfarrer und Theologe. Sein Ziel ist es, zu vermitteln: zwischen einer Erfahrung, die alles Verstehen übersteigt, einerseits und dem vernünftigen Begreifen menschlicher Existenz andererseits. In diesem Spannungsfeld entwickelt er eine liberale Theologie, die die Fühlungnahme mit dem Urgrund des Lebens mit den Fragen der Gegenwart ins Gespräch bringt.
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A. Glaubenserfahrungen im Dialog

Eine etwas andere Biografie

Fragen und Gespräche haben mich herausgefordert

»Herr Pastor, glauben Sie an die Auferstehung?« Als ich mich im Frühjahr 1988 auf eine Pfarrstelle in der Kirchengemeinde Hamburg-Iserbrook bewarb, wurde ich in der Gemeindeversammlung so gefragt. Ich bekam einen Schreck. Ich war auf diese Frage nicht vorbereitet. Noch gab es ja den Streit um Rudolf Bultmann und seine existenziale Deutung des Evangeliums. Das Schlagwort hieß: Jesus Christus ist »ins Kerygma« – also in die Verkündigung – auferstanden. Den einen war dies der Ausweis einer zeitgemäßen, vernünftigen Bibelauslegung. Den anderen war es die Preisgabe der Wahrheit. Nun, ich sortierte meine Gedanken und sagte: »Ja, ich glaube an die Auferstehung.« Aber meine Antwort ging mir noch lange nach. Ich fragte mich: Hast du ehrlich geantwortet oder strategisch? Oder war es vielleicht so, dass ich mit meiner Antwort mir selbst ein wenig voraus war? Denn manchmal ist das, was wir behaupten, mehr als das, wovon wir tatsächlich überzeugt sind. Und doch schwindeln wir nicht, sondern verändern so unsere innere Haltung und Überzeugung. Ich bin überzeugt, ich habe ehrlich geantwortet. Ich glaube an die Auferstehung.

Welche Antwort der Fragesteller oder die Gemeindeversammlung erwarteten, weiß ich bis heute nicht. Da mein Vorgänger die Gemeinde mit liberaler, aufgeklärter Theologie vertraut gemacht hatte, ist es nicht gesagt, dass ein Statement gegen Bultmann erwartet wurde. Vielleicht wurde, egal wie, einfach eine ehrliche Antwort erwartet. Die hatte ich gegeben, zum Glück und intuitiv. Ich wurde gewählt.

Während meiner Jahre als Gemeindepastor und später als Propst eines Kirchenkreises sprachen mich zahllose Male Menschen ungefähr so an: »Herr Pastor, ich hab ja auch meinen Glauben. Aber ich glaube nicht so, wie Sie das müssen.« Meine Rückfrage: »Was meinen Sie denn, wie ich glauben muss?« »Na ja, dass die Welt in sieben Tagen entstanden ist. Und das mit der Jungfrauengeburt und der Himmelfahrt und so.« Manchmal waren solche Dialoge der Anfang längerer Gespräche, in denen ich – zur Überraschung meines Gegenübers – erklärte, dass ich das auch nicht glaube. Hin und wieder stand am Ende die überraschte Feststellung des anderen: »Das ist ja interessant, Herr Pastor, dass Sie ungefähr dasselbe glauben, was ich auch glaube. Ich dachte, die Kirche glaubt ganz anders und Sie müssten das ja von Berufs wegen tun.«

Niemand muss den Verstand an der Kirchentür abgeben

Diese wirklich erlebten, für mich biografisch aber zugleich symbolisch verdichteten Situationen beschreiben die Pole, zwischen denen ich mich mein Berufsleben lang bewegt habe. Dabei waren die Gespräche, die ich mit anderen geführt habe, immer auch Gespräche mit mir selbst. Denn ich muss auch mir, wenn ich ehrlich sein will, Rechenschaft darüber geben, warum ich an die Auferstehung glaube, aber nicht, dass die Welt in sieben Tagen geschaffen wurde. Was ich als »aufgeklärten Glauben« verstehe und zu vermitteln versuche, ist alles andere als neu. Salopp gesagt, ist aufgeklärter Glaube gute 300 Jahre alt, es gibt ihn seit den Anfängen der europäischen Aufklärung im 18. Jahrhundert. Seit über 300 Jahren wird die Vermittlung von Glaube und Vernunft, Theologie und Naturwissenschaft an den Universitäten gelehrt und von den Kanzeln gepredigt. Aber selbst unter regelmäßigen Kirchgängern ist dieser Glaube nicht Allgemeingut. Hartnäckig halten sich vormoderne und aus meiner Sicht völlig unangemessene Bilder dessen, was Glaube ist oder woran »die Kirche« glaubt.

Man muss die Vernunft nicht an der Kirchentür abgeben, um ein glaubender Christ, eine glaubende Christin zu sein. Wenn es anders wäre, könnte ich nicht Pastor und Theologe sein. Für mich gab es keinen anderen Weg als den einer liberalen Vermittlungstheologie, weil ich einerseits immer von der unmittelbaren und intuitiven Gewissheit der Existenz Gottes überzeugt war und weil ich andererseits nie bereit war, deshalb irrational zu werden oder ans »Supranaturale« zu glauben, sondern meiner Vernunft gefolgt bin.

Es ist ein Unterschied, ob man annimmt, dass Gott wie ein Handwerker die Welt in sieben Tagen geschaffen hat und in die Naturgesetze eingreift (supranatural), oder ob man Gott als den Grund unseres Daseins versteht, der uns eine Seele gegeben hat, die sich nach ihm sehnt, und einen Verstand, der ihn sucht (transzendental). Wenn es jenseits der sichtbaren Welt nichts gäbe, bräuchte es theologisch keine »Vermittlung« zwischen irgendetwas. Vermittlungstheologie braucht es, weil und insofern eine Wirklichkeit jenseits dieser sichtbaren Welt existiert und weil und insofern der Mensch ein glaubendes und zugleich denkendes Wesen ist. »Liberal« ist diese Theologie – wohl als logische Folge –, weil eine Theologie, die den glaubenden, denkenden, zweifelnden und verzweifelnden Menschen mitreflektiert, nicht dogmatisch sein kann: Sie kommt nicht »von oben« zu allgemeinen Urteilen, wie die Menschen zu leben haben, sondern betrachtet den Menschen, und zwar jeden einzelnen Menschen, im Lichte Gottes. Diese Theologie kann gar nicht anders, als gegenwarts- und konfliktsensibel für den Einzelfall zu sein.

Raus aus der Schmuddelecke

Mir dieses Verständnis von Theologie zu erarbeiten war ein langer Weg, weil diese Art Theologie zu meinen Studienzeiten in der Schmuddelecke stand. Es gab nämlich Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts schon einmal eine liberale Vermittlungstheologie, und die war eng mit der bürgerlichen Kultur des Kaiserreichs verwoben. Man nannte sie »Kulturprotestantismus«. Diese Theologie vermittelte nicht nur zwischen Glaube und Vernunft, sondern war zugleich mit der bürgerlichen Kultur eine so enge Verbindung eingegangen, dass christliches Ethos und bürgerliche Wohlanständigkeit praktisch gleichgesetzt wurden. Die nötige Distanz zwischen Glaube und Kultur war weithin verloren gegangen. Aus dieser zu engen Vermischung heraus war es schwierig, zu den politischen Entwicklungen der Zeit den nötigen Abstand zu wahren. Viele Theologen dieser Couleur begrüßten auf diesem Hintergrund den Ersten Weltkrieg. So war es schlüssig, dass der Kulturprotestantismus mit der Niederlage und dem Ende des Kaiserreichs 1918 diskreditiert war und unterging.

Jetzt trat die »Dialektische Theologie« von Karl Barth auf die Bühne, die Theologie rein von Gott, dem »Ganz Anderen«, und seiner Selbstoffenbarung in Jesus Christus her dachte und jede Vermischung mit menschengemachter Kultur oder Religion ablehnte. Alles, was mit religiöser Erfahrung und Glaube als Lebensdeutung zu tun hatte, wurde verdächtigt, keine christliche Theologie zu sein. Zur Zeit des Nationalsozialismus bewahrheitete sich, wie wichtig es war, zwischen der Theologie einerseits und der Politik und Kultur andererseits streng zu unterscheiden und zum nationalsozialistischen Staat Distanz halten zu können. Deshalb wirkte der Impuls der Dialektischen Theologie lange nach, auch noch zu meinen Studienzeiten in den 1970er-Jahren. Doch so richtig die Betonung der Distanz zwischen Gott und Welt ist, so einseitig war diese Perspektive. Die Lebensrelevanz des Glaubens drohte verloren zu gehen, seine Deutungskompetenz für das Leben unsichtbar zu werden. Es bedurfte vieler Jahrzehnte, bis eine neue liberale Vermittlungstheologie entstehen und akademisch Fuß fassen konnte, die mit Theologen wie z. B. Falk Wagner, Hans-Joachim Birkner, Trutz Rendtorff oder Ulrich Barth verbunden ist.

Wer glaubt, hat eine Haltung in der Welt

Für einen solchen, vermittelnden Ansatz gehört es konsequenterweise dazu, theologische Fragen und die gesellschaftlichen Herausforderungen der Gegenwart gemeinsam in den Blick zu nehmen und aufeinander zu beziehen. So entsteht Glaube als eine Lebensform. Und weil Glaube als Lebensform Übung und Einübung braucht, kann man auch sagen: Es entsteht eine Lebenskunst, als Haltung, als Praxis.

Glaube als Lebenskunst verstehe ich als eine Praxis, eine Haltung, sich in das Reich Gottes zu stellen, das Jesus angekündigt hat und das auf geheimnisvolle Weise schon da ist und doch erst am Ende der Zeiten vollendet wird. Diese Haltung macht einen Unterschied. Sie beginnt beim Aufstehen am Morgen. Sie hat damit zu tun, wie ich in den Spiegel gucke. Sie begleitet mich über den Tag mit seinen Aufgaben bis zum Schlafengehen. Wer glaubt, hat eine Haltung in der Welt.

Deshalb handelt dieses Buch von so unterschiedlichen Themen wie der Erfahrung der Berührung mit Gott, dem Gottesdienst, dem Gebet. Gleichzeitig von den Themen unserer Zeit, dem Leben in einer offenen, demokratischen Gesellschaft, dem Umgang mit Flucht und Migration, dem sorgsamen Umgang mit der Schöpfung, dem Frieden in der Welt und existenziellen Fragen am Lebensanfang und Lebensende. Die Auswahl der Themen geht zurück auf meine Arbeit als Gemeindepfarrer, als Propst eines Kirchenkreises und zuletzt als Vizepräsident im Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Sie ist also persönlich geprägt, trotzdem auch sachlich begründet.

Religiös und politisch zugleich – eine Biografie im Gespräch

Dies ist ein politisches Buch, weil es ein religiöses Buch ist.1 Es lebt von meinen Erfahrungen, von meiner Praxis und von meinem Nachdenken über vier Jahrzehnte. Insoweit ist es zugleich ein persönliches Buch. Im Arbeitsprozess war es mir manchmal, als ob ich eine Biografie schreiben würde....


Gorski, Horst
Dr. Horst Gorski, geb. 1957 in Hamburg, studierte evangelische Theologie in Hamburg und Wien. Nach dem Vikariat, einer Zeit als Assistenzreferent im Kirchenamt der EKD und Promotion bei Otto Hermann Pesch wurde er 1985 Pastor einer Kirchengemeinde in Hamburg-Wilhelmsburg, von 1988-1998 in Hamburg-Iserbrock. Von 1999-2015 war Horst Gorski Propst, zunächst im Kirchenkreis Altona, dann im durch Fusion neu entstandenen Kirchenkreis Hamburg West/Südholstein. 2015 wurde er zum Vizepräsidenten im Kirchenamt der EKD berufen, wo er bis 2023 die Abteilung „Öffentliche Verantwortung“ der EKD und den Amtsbereich der VELKD leitete. Heute ist Horst Gorski korrespondierendes Mitglied der Forschungsstätte der evangelischen Studiengemeinschaft „FEST e.V.“ in Heidelberg und publizistisch tätig.



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