E-Book, Deutsch, 680 Seiten
Gontscharow OBLOMOW
1. Auflage 2017
ISBN: 978-80-272-1068-8
Verlag: Musaicum Books
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Eine alltägliche Geschichte: Langeweile und Schwermut russischer Adligen
E-Book, Deutsch, 680 Seiten
ISBN: 978-80-272-1068-8
Verlag: Musaicum Books
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Iwan Alexandrowitsch Gontscharows Meisterwerk 'Oblomow' ist ein epischer Roman, der die Geschichte des lethargischen Edelmanns Iwan Iljitsch Oblomow erzählt. Der Roman, der erstmals 1859 veröffentlicht wurde, wird als eines der bedeutendsten Werke der russischen Literatur des 19. Jahrhunderts angesehen. Gontscharow's Schreibstil ist von einer tiefen psychologischen Realität geprägt, die die inneren Konflikte und Zweifel der Protagonisten auf eindringliche Weise darstellt. Die Darstellung der russischen Adelsgesellschaft zu seiner Zeit verleiht dem Werk eine historische und gesellschaftliche Relevanz. Iwan Alexandrowitsch Gontscharow, ein russischer Schriftsteller, der auch als Beamter und Verleger tätig war, verfasste 'Oblomow' als Kritik an der Passivität und Bürokratie in der zaristischen Gesellschaft. Seine eigenen Erfahrungen in der Verwaltung spiegeln sich in der detaillierten Darstellung der Bürokratie im Roman wider. Gontscharows Fähigkeit, komplexe Charaktere und emotionale Konflikte zu beschreiben, zeigt sein tiefes Verständnis der menschlichen Natur. 'Oblomow' ist ein zeitloses Meisterwerk, das sowohl Liebhaber der russischen Literatur als auch Leser, die an psychologischen Romanen interessiert sind, ansprechen wird. Die tiefgründige Darstellung des Protagonisten und die kritische Auseinandersetzung mit der Gesellschaft machen dieses Buch zu einem Muss für Kenner der Weltliteratur.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Zweites Kapitel
Inhaltsverzeichnis
Es trat ein junger, fünfundzwanzigjähriger Mann herein, der von Gesundheit strotzte und lachende Wangen, Lippen und Augen besaß. Man wurde neidisch, wenn man ihn anblickte. Er war tadellos frisiert und gekleidet und blendete durch die Frische seines Gesichtes, seiner Wäsche, seiner Handschuhe und seines Frackes. Auf seiner Weste breitete sich eine elegante Kette mit einer Menge von winzigen Berlocken aus. Er zog ein sehr feines Batisttuch hervor, atmete die morgenländischen Wohlgerüche ein, fuhr sich dann damit nachlässig über das Gesicht, über den glänzenden Hut und staubte sich die Lackstiefel ab. »Ah, guten Tag, Wolkow!« rief Ilja Iljitsch aus. »Guten Tag, Oblomow«, sagte der strahlende Herr, sich ihm nähernd. »Nicht so nah, nicht so nah! Sie kommen aus der Kälte!« sagte dieser. »Oh, Sie verzärtelter Sybarit!« erwiderte Wolkow und sah sich um, wo er seinen Hut hinlegen konnte; da er aber überall Staub sah, legte er ihn nirgendshin; dann hob er seine Frackschöße auf, um sich hinzusetzen; nachdem er aber den Sessel aufmerksam betrachtet hatte, blieb er stehen. »Sie sind noch nicht aufgestanden! Was tragen Sie da für einen Morgenanzug? Man trägt solche schon längst nicht mehr«, beschämte er Oblomow. »Das ist kein Morgenanzug, das ist ein Schlafrock«, sagte Oblomow, sich liebevoll hineinwickelnd. »Fühlen Sie sich nicht wohl?« fragte Wolkow. »Gar nicht!« antwortete Oblomow gähnend, »es geht mir schlecht: meine Kongestionen quälen mich so. Und wie geht es Ihnen?« »Mir? Ich kann nicht klagen: Ich bin gesund und lustig!« fügte der junge Mann mit Betonung hinzu. »Woher kommen Sie so früh?« fragte Oblomow. »Vom Schneider. Schauen Sie mich an, ob der Frack gut sitzt?« sagte er, sich vor Oblomow hin und her wendend. »Ausgezeichnet! Er ist sehr geschmackvoll genäht«, sagte Ilja Iljitsch, »aber warum ist er rückwärts so breit?« »Das ist ein Reitfrack: zum Ausreiten.« »Reiten Sie denn?« »Aber gewiß! Ich habe mir den Frack extra für den heutigen Tag bestellt. Heute ist ja der erste Mai: ich reite mit Gorjunow nach Jekaterinhof. Ach! Sie wissen nicht? Man hat Mischa Gorjunow im Rang befördert, darum feiern wir heute«, fügte Wolkow entzückt hinzu. »So!« sagte Oblomow. »Er hat einen Fuchs«, fuhr Wolkow fort, »sie haben in ihrem Regiment Füchse, ich aber habe einen Rappen. Wie kommen Sie: zu Fuß oder im Wagen?« »Überhaupt nicht.« »Am ersten Mai nicht in Jekaterinhof sein! Aber Ilja Iljitsch. Dort werden ja alle sein!« »Wieso alle! Doch nicht alle!« bemerkte Oblomow träge. »Kommen Sie, lieber Ilja Iljitsch! Sofja Nikolajewna wird nur mit Lydia im Wagen sein, vis-à-vis ist aber noch eine Bank, Sie könnten also mitkommen …« »Nein, ich habe auf der Bank keinen Platz. Und was soll ich dort anfangen?« »Nun, dann gibt Ihnen Mischa ein zweites Pferd!« »Gott weiß, was er sich ausdenkt!« sagte Oblomow fast flüsternd. »Was haben Sie denn mit den Gorjunows?« »Ach!« rief Wolkow errötend aus; »soll ich’s sagen?« »Sagen Sie’s!« »Werden Sie das niemand erzählen, Ihr Ehrenwort?« sprach Wolkow weiter, sich zu ihm aufs Sofa setzend. »Gut.« »Ich … bin in Lydia verliebt«, flüsterte er. »Bravo! Schon lange? Ich glaube, sie ist sehr nett.« »Schon drei Wochen!« sagte Wolkow tief seufzend. »Und Mischa ist in Daschenjka verliebt.« »In welche Daschenjka?« »Woher sind Sie, Oblomow? Sie kennen nicht Daschenjka! Die ganze Stadt ist entzückt, wenn sie tanzt! Heute sind wir zusammen im Ballett; er wird ihr ein Bukett zuwerfen. Ich muß ihn bei ihr einführen: er ist schüchtern und noch ein Neuling … Ach! ich muß ja noch hinfahren und Kamelien kaufen …« »Was noch? Lassen Sie das, bleiben Sie zum Mittagessen; wir würden miteinander sprechen. Ich habe ein doppeltes Unglück gehabt …« »Ich kann nicht, ich esse beim Fürsten Tjumenjew zu Mittag; es werden dort alle Gorjunows sein, und auch sie, sie … Lidinjka!« fügte er flüsternd hinzu. »Warum haben Sie den Verkehr mit dem Fürsten aufgegeben? Was das für ein lustiges Haus ist! Was für ein Ton dort herrscht! Und das Landhaus! es ist in Blumen gebettet! Man hat eine Galerie gothique angebaut. Es heißt, man wird dort im Sommer tanzen und lebende Bilder aufführen. Werden Sie hinkommen?« »Nein, ich glaube nicht.« »Ach, was das für ein Haus ist! Diesen Winter gab es dort jeden Mittwoch nicht unter fünfzig Personen, und manchmal waren es sogar hundert …« »Mein Gott! da ist es gewiß höllisch langweilig!« »Wie kann man so etwas sagen? Langweilig! Je mehr Menschen da sind, desto lustiger ist es ja. Auch Lydia kam hin, ich habe ihr keine Aufmerksamkeit geschenkt, und plötzlich … »Vergebens müh’ ich mich, sie zu vergessen
Und durch Vernunft die Leidenschaft zu bannen …«, sang er und setzte sich verträumt auf den Sessel; doch dann sprang er plötzlich auf und begann sich den Staub von den Kleidern zu klopfen. »Wie staubig es bei Ihnen überall ist!« sagte er. »Das ist alles Sachars Schuld!« klagte Oblomow. »Nun, ich muß gehen!« sagte Wolkow, »ich habe noch für Mischa ein Bukett Kamelien zu besorgen. Au revoir!« »Kommen Sie abends nach dem Ballett Tee trinken, Sie werden mir erzählen, wie es dort zugegangen ist«, lud Oblomow ein. »Ich kann nicht, ich habe den Mussinskys versprochen, hinzukommen, heute ist bei ihnen Jour. Kommen Sie auch! Wenn Sie wollen, stelle ich Sie vor!« »Nein, was soll ich dort anfangen?« »Bei den Mussinskys? Aber ich bitte Sie, dorthin kommt ja die halbe Stadt. Was man dort anfangen soll? Das ist ein Haus, in dem über alles gesprochen wird …« »Das ist ja das Langweilige, daß über alles gesprochen wird«, sagte Oblomow. »Besuchen Sie dann Mesdrows«, unterbrach ihn Wolkow, »dort spricht man nur von einem Gegenstand, von der Kunst; man hört nichts anderes als: die venezianische Schule, Beethoven und Bach, Leonardo da Vinci …« »Immer ein und dasselbe, wie langweilig! Das sind gewiß Pedanten!« sagte Oblomow gähnend. »Man kann es Ihnen nicht recht machen. Gibt es etwa zu wenig Familien! Und alle haben sie jetzt Jours: bei den Sawinows speist man am Donnerstag, die Maklaschins empfangen am Freitag, die Wjasnikows am Sonntag, der Fürst Tjumenjew am Mittwoch. Bei mir sind alle Tage besetzt!« schloß Wolkow mit strahlenden Augen. »Und fällt es Ihnen nicht lästig, tagaus, tagein herumzurennen?« »Lästig! Wie kann das lästig fallen? Es ist so lustig!« sagte er sorglos. »Des Morgens liest man ein wenig, man muß immer au courant sein und alle Neuigkeiten wissen. Ich habe, Gott sei Dank, eine solche Beschäftigung, daß ich nicht ins Amt zu gehen brauche. Ich sitze nur zweimal in der Woche beim General und esse bei ihm zu Mittag; dann mache ich Leuten, bei denen ich schon lange nicht war, einen Besuch; nun, und dann … gibt es ja immer eine neue Schauspielerin, bald im russischen und bald im französischen Theater. Die Oper wird nächstens eröffnet, ich abonniere mich. Und jetzt bin ich verliebt … Es wird bald Sommer; man hat Mischa einen Urlaub versprochen; dann fahren wir für einen Monat auf ihr Gut, der Abwechslung halber. Dort wird gejagt. Sie haben sehr nette Nachbarn, es werden bals champêtres arrangiert. Ich werde mit Lydia im Wald spazierengehen, Boot fahren, Blumen pflücken … Ach! …« Und er machte einen Freudensprung … »Es ist aber Zeit … Adieu«, sagte er und machte vergebliche Versuche, sich im verstaubten Spiegel von vorne und von rückwärts zu betrachten. »Warten Sie«, hielt ihn Oblomow zurück, »ich wollte mit Ihnen geschäftlich sprechen.« »Pardon, ich habe keine Zeit«, antwortete Wolkow eilig, »ein andermal! Wollen Sie nicht mit mir Austern essen? Sie können mir dabei Ihre Angelegenheiten erzählen. Kommen Sie, Mischa ladet Sie ein.« »Nein, was fällt Ihnen ein!« sagte Oblomow darauf. »Also, Adieu!« Er ging und kam zurück. »Haben Sie das schon gesehen?« fragte er, die Hand zeigend, der der Handschuh wie angegossen saß. »Was ist das?« fragte Oblomow verblüfft. »Die neuen Lacets! Sehen Sie, wie gut das zusammenhält: Man braucht sich nicht zwei Stunden lang mit den Knöpfen abzuquälen, man zieht an der Schnur, und die Sache ist erledigt. Das kommt soeben aus Paris. Wollen Sie, daß ich Ihnen ein Paar zur Probe mitbringe?« »Gut, bringen Sie mir eins mit.« »Und sehen Sie sich einmal das an: nicht wahr, das ist sehr hübsch?« sagte er, nachdem er in dem Haufen der Berlocken eines ausgesucht hatte; es war eine Visitenkarte mit einer umgebogenen Ecke. »Ich kann nicht entziffern, was darauf steht.« »Pr. – Prince, M. – Michel, und der Familienname Tjumenjew ist nicht mehr daraufgegangen. Das hat er mir zu Ostern statt eines Eies geschenkt. Aber leben Sie wohl, au revoir! Ich muß noch zehn Personen aufsuchen. O Gott, wie lustig ist es auf der Welt!« Und er verschwand. Zehn Personen an einem Tage aufsuchen – der Unglückliche! dachte Oblomow. Und das ist ein Leben!, und er zuckte heftig die Achseln. Wo bleibt denn dann der Mensch? In wieviel kleine Teile löst er...