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Goll | Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft im Einheits- und Transformationsprozess | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 375 Seiten

Reihe: Beiträge zur Geschichte der GEW

Goll Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft im Einheits- und Transformationsprozess

E-Book, Deutsch, 375 Seiten

Reihe: Beiträge zur Geschichte der GEW

ISBN: 978-3-7799-9126-7
Verlag: Julius Beltz GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Die hier vorliegende Untersuchung greift zentrale Phänomene des Wiedervereinigungsprozesses auf, dies jedoch abseits der bekannten Pfade. Sie betrachtet den Einheits- und Transformationsprozess aus bildungsgeschichtlicher Perspektive und fokussiert sich dabei mit der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) auf einen Akteur, der - wie die Gewerkschaften insgesamt - im Prozess der Deutschen Einheit bisher eher selten im Fokus stand.

Dr. Phil. Jörn-Michael Goll ist Historiker, Publizist und Ausstellungsmacher. Nach seiner Promotion an der Universität Leipzig setzte er sich an namhaften Institutionen und Museen wie der Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland intensiv und facettenreich mit der deutschen Zeitgeschichte auseinander. Als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl Geschichte des 19. bis 21. Jahrhunderts an der Universität Leipzig waren schul- und bildungsgeschichtliche Themen seine Forschungsschwerpunkte. Seit September 2023 ist er Leiter des Schulmuseums - Werkstatt für Schulgeschichte Leipzig.
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1Einleitung


Die Geschichte der „friedlichen Revolution“ in der DDR sowie der sich anschließende Einheits- und Transformationsprozess in den neuen Bundesländern wurde von den Geschichtswissenschaften bereits von vielen Seiten und in unzähligen Untersuchungen beleuchtet. Zentrale Ereignisse scheinen benannt, wesentliche Entwicklungen nachgezeichnet. Doch bei näherer Betrachtung fällt auf, dass auch nach 35 Jahren die Geschichte der deutschen Einheit ebenso wenig auserzählt wie der Prozess der Wiedervereinigung abgeschlossen ist. Vielmehr werden bis heute unterschiedliche Geschichten über die damaligen Ereignisse erzählt – und entsprechend unterscheiden sich auch die Auffassungen darüber, wie weit der Prozess des Zusammenwachsens von Ost- und Westdeutschland fortgeschritten ist.1

Hinzu kommt, dass sich die Geschichtswissenschaften wie auch anderen Forschungsdisziplinen bei der Rekonstruktion des Einheits- und Transformationsprozesses lange Zeit auf die immergleichen zentralen Akteurinnen und Akteure, Abläufe und Ereignisse konzentriert haben, anhand derer um die Geschichte der deutschen Einheit gestritten wurde. Erst nach und nach öffnet sich das Blickfeld und es verfestigt sich der Eindruck, dass gerade die Betrachtung vermeintlicher Randerscheinungen neue Sichtweisen ermöglicht, die das existierende Bild der Wiedervereinigung nicht nur schärfen und ergänzen, sondern auch Antworten auf die Frage liefern können, warum der Prozess des Zusammenwachsens von Ost und West bis heute andauert.

Die vorliegende Untersuchung greift auch zentrale Phänomene des Wiedervereinigungsprozesses auf, betrachtet diese jedoch abseits der bekannten Pfade. Sie blickt aus bildungsgeschichtlicher Perspektive auf den Einheits- und Transformationsprozess und fokussiert sich dabei auf die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), einen Akteur, der – wie die Gewerkschaften insgesamt – bei der Betrachtung des Einheitsprozesses bisher eher selten im Fokus stand. Vor dem Hintergrund der allumfassenden Wandlungsprozesse, die in der ostdeutschen Gesellschaft seit der politischen „Wende“ in der DDR stattfanden, scheint die Transformation des ostdeutschen Bildungssystems nur ein Aspekt unter vielen und vielleicht sogar von eher nachrangiger Bedeutung gewesen zu sein. Dennoch wurden auch hier gravierende Einschnitte vorgenommen, die das Leben sowohl der im DDR-Bildungswesen Beschäftigten als auch der zahllosen Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen in Kindergärten, Horten, Schulen, Hochschulen und Universitäten maßgeblich beeinflussten.

Die im Bildungswesen Beschäftigten verbinden mit dem Transformationsprozess ähnliche Erfahrungen wie die übrigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der DDR. Auch ihre Arbeitsplätze gerieten in Gefahr und nicht wenige von ihnen waren von Arbeitslosigkeit betroffen und mussten sich beruflich umorientieren. Aber ihre Geschichte ist – anders als bei den Millionen Arbeiterinnen und Arbeitern sowie Angestellten in den Betrieben und Kombinaten der DDR – nicht mit der „Treuhand“ verbunden. Die Treuhandanstalt, die bis heute landläufig aufs Engste mit Wohl und Wehe der arbeitenden Bevölkerung in Ostdeutschland in Verbindung gebracht wird, spielte für sie kaum eine Rolle. Ihr Arbeitgeber war die öffentliche Hand, über ihr Schicksal wurde auf Ebene der Länder und Kommunen entschieden und die GEW entwickelte sich zu ihrem wichtigsten Interessenvertreter.

Für die GEW war jedoch nicht nur die Vertretung von Arbeitnehmerrechten von Beginn an von zentralem Interesse. Darüber hinaus lag und liegt ihr Engagement auch auf dem Gebiet der Bildungspolitik und der bildungspolitischen Entscheidungen, die im Zuge der Wiedervereinigung diskutiert und getroffen wurden. Heute, 35 Jahre später, wird in Deutschland lautstärker um Bildungsfragen gestritten als jemals zuvor. Angesichts allgegenwärtiger Krisenerscheinungen nehmen gesellschaftliche Spannungen zu, das Vertrauen in die Demokratie leidet und insbesondere „den Ostdeutschen“ – ein Begriff, über den sich zunächst einmal trefflich streiten ließe – wird in diesem Zusammenhang ein spezielles Demokratieverständnis attestiert.2 Neben anderen Faktoren wird auch die Entwicklung des Bildungssystem als Erklärung herangezogen, warum die „demokratische Bewusstseinsentwicklung“ – nicht nur in Ostdeutschland – mehr und mehr ins Stocken gerät.

Auch in weiteren Kontexten zeigt sich, dass Bildungsfragen heute von immanenter Wichtigkeit sind. Ob im Zusammenhang mit der Integration von Flüchtlingen, dem Fachkräftemangel, der Konkurrenzfähigkeit der deutschen Wirtschaft auf den Weltmärkten oder der Geschlechtergerechtigkeit im Kontext der Vereinbarkeit von Familie und Beruf – der Ruf nach „mehr Bildung“ ist unüberhörbar. Hier kehrt die vorliegende Untersuchung zu den Ursprüngen zurück, als solche Fragen zur Zeit der Wiedervereinigung schon einmal diskutiert wurden. Vieles von dem, was im Zuge der Transformation des ostdeutschen Bildungssystems verhandelt und entwickelt wurde, gescheitert ist oder umgesetzt wurde, weist heute eine erstaunliche Aktualität auf.

Die vorliegende Studie greift die bildungsgeschichtliche Dimension der Geschichte der deutschen Einheit auf und erzählt sie aus der Perspektive der GEW, die als wichtiger Akteur in diesem Handlungsfeld aktiv war. Darüber hinaus schildert sie die Rahmenbedingungen und die Entwicklung der Gewerkschaft selbst, die in ihrer Organisation, ihren Strukturen und ihrem Selbstverständnis durch die Ereignisse der Wiedervereinigung vor großen Herausforderungen stand und bis heute steht. Die Untersuchung hat zum Ziel, die Entstehung der ostdeutschen GEW-Landesverbände im Zuge der friedlichen Revolution in der DDR 1989/90 zu rekonstruieren und den Einheits- und Transformationsprozess der GEW zu einer gesamtdeutschen Bildungsgewerkschaft zeithistorisch zu untersuchen. Dabei sollen die tiefgreifenden Neuordnungsprozesse, die sich in den 1990er Jahren sowohl auf dem Feld der gewerkschaftlichen Interessenvertretung als auch im Bereich von Bildung und Wissenschaft ergaben, am Beispiel der GEW nachgezeichnet und analysiert werden. Die Studie beschränkt sich nicht auf das Gebiet der neuen Bundesländer, sondern fragt auch nach möglichen Aus- und Rückwirkungen der Transformation auf die „alten“ westdeutschen Landesverbände. In diesem Zusammenhang soll auch beurteilt werden, inwieweit die Bildungsgewerkschaft – trotz aller landesspezifischen Eigenheiten – zu einer gesamtdeutschen Organisation zusammengewachsen ist.

Für den allgemeinen Kontext, in den die vorliegende Studie eingebettet ist – die Zeit der deutschen Teilung und der friedlichen Revolution sowie die Transformation der ostdeutschen Gesellschaft nach der Wiedervereinigung – liegt eine Vielzahl relevanter Untersuchungen vor, auf die an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden soll. Stattdessen bleibt festzuhalten, dass die einzelnen Teilaspekte des Einheits- und Transformationsprozesses bis heute unterschiedlich intensiv beforscht sind. So liegen zur bildungsgeschichtlichen Dimension dieser Zeit einige bedeutende Studien vor.3 Auch was die Rolle der Gewerkschaften betrifft, sind inzwischen verschiedene Untersuchungen angestellt worden.4 Nicht selten wird auch die GEW in diesem Kontext erwähnt, doch umfassend beleuchtet wird sie dabei kaum.

Explizit befassen sich nur eine Handvoll Studien mit der Rolle der GEW in der Zeit der Wiedervereinigung und darüber hinaus. Besonders erwähnenswert erscheinen mir dabei die Arbeiten von Rainer Zech und Christiane Ehses, die die Entwicklungen allerdings aus soziologischer und weniger aus historischer Perspektive betrachten.5 Insbesondere die 1998 veröffentlichte Dissertation von Ehses, die 1998 unter dem Titel „Die Reproduktion des Vertrauten“ erschien,6 zeichnet den Aufbau der GEW in den neuen Bundesländern explizit nach und konzentriert sich dabei auf die unterschiedlichen Handlungsbedingungen und soziokulturellen Voraussetzungen der beteiligten Akteurinnen und Akteure. Besonders die darin enthaltenden Verweise auf schriftlichen Materialien wie Protokolle, Funktionärsbriefe, Sitzungsvorlagen, Flugblätter, Pressemitteilungen etc. waren für die Erstellung der hier vorliegenden Arbeit von großem Wert.

Um jedoch das „Innenleben“ der GEW aus historischer Perspektive detailliert nachzeichnen und analysieren zu können, mussten...


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