E-Book, Deutsch, 184 Seiten
Goldschmidt-Lechner Nerd Girl Magic
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-95732-621-8
Verlag: Verbrecher Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 184 Seiten
ISBN: 978-3-95732-621-8
Verlag: Verbrecher Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ausgehend von persönlichen Erfahrungen seit der Kindheit widmet sich Simoné Goldschmidt-Lechner in »Nerd Girl Magic« der Nerd und Geek Culture aus nicht-weißer, nicht-männlicher Perspektive. Diskutiert wird das nerdy Coming-of-Age als Potential für gesellschaftlichen Widerstand und Wandel anhand verschiedener Beispiele. Diese reichen vom Magical Girl-Genre und seiner (scheinbar) inhärenten Queerness über Gaming Culture, Videospiele und den Kampf gegen den Ausschluss von Personen, die nicht weiß, männlich und cis sind, um Pen & Paper und alternative Realitäten, Fantasy und Sci-Fi bis hin zu Pro-Wrestling und der »großen Welle« aus Korea in den letzten Jahren mit K-Pop und K-Drama. Es geht um einen Zugang zu Nerd Culture für diejenigen, die Nerdiness nach wie vor abwerten, aber auch darum, dass Fandom schon immer von antiautoritären, widerständigen, female and non-white Strömungen durchzogen ist, dass Nerd Culture ein utopischer Rückzugsort sein kann für FLINTA, queere Menschen, BIPoC, neurodivergente Menschen und Arbeiter*innen. Dies alles wird eingebettet in eine detaillierte, intersektionale, erkenntnisreiche wie amüsante Analyse von Filmen, Serien, Spielen, Comics, Anime, Manga und Genreliteratur wie Sailor Moon, Buffy, Star Trek und auch Dark Academia. Es ist an der Zeit, das Bild des Nerds neu zu denken!
Simoné Goldschmidt-Lechner schreibt, übersetzt, interessiert sich für (queere) Fandoms online, Horror aus postmigrantischer Perspektive, Sprache in Videospielen und sprachlich Experimentelles. Seit 2022 Teil verschiedener Theater-, Performance- sowie Filmprojekte. Gibt das Literaturmagazin process*in mit heraus. 2022 erschien der Debütroman »Messer, Zungen«, 2024 das zweisprachige Buch »Ich kann dich noch sehen (an diesen Tagen)«, das mit dem Preis für das Buch des Jahres der Hamburger Literaturpreise ausgezeichnet wurde. Übersetzungen u. a. von »Against White Feminism« von Rafia Zakaria (2022), »Exponiert« von Olivia Sudjic (2023) und »Good Talk« von Mira Jacob (2022).
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
1.
DIE MACHT DES MONDES
Hannah Gadsby, großartige*r australische*r Comedian, machte mit dem Special Nanette 2018 das Nach-unten-Treten männlicher Comedians endgültig salonunfähig, hat Kunstgeschichte studiert und in diesem Fachbereich auch promoviert. In Nanette sowie im Folge-Special Douglas spricht Gadsby von der Obsession cis-männlicher, weißer Künstler, nackte Frauen zu malen, und sie so zu einem für sie formbaren Objekt ohne eigene Handlungsmacht zu degradieren. Von diesen Körpern geht für diese Künstler eine gewisse Anziehungskraft, eine Magie aus. Doch für die Magie des Weiblichen braucht es natürlich keinen männlichen Blick. Die Objekte werden zu Subjekten. Sie werden zu magical women oder, wie es in der japanischen Popkultur heißt, maho shojo – magical girls. Das Magical-Girl-Genre ist Ende der 90er und zu Beginn der Zweitausender einer der wichtigsten Pfeiler der japanischen Zeichentrickindustrie, also der Anime-Industrie – Anime ist die japanische Abkürzung des aus dem Englischen kommenden Begriffs Animation. Animes in Japan gibt es in etwa so lange wie Disney in den USA. Das Magical-Girl-Genre gibt es in seinen Grundzügen bereits seit den 70ern. Im globalen Norden ist Sailor Moon (1992) wohl das bekannteste Beispiel. Die Zeichnerin des dem Anime zugrundliegenden Manga heißt Naoko Takeuchi. Takeuchi wurde mit Sicherheit von Serien wie Cutie Honey aus den 70ern beeinflusst, in dem sich ein brünettes katholisches Schulmädchen in die sexy blonde Dämonenkämpferin Cutie Honey verwandelt, die mit ihren neuen Kräften den Tod ihres Vaters rächen will. Ein weiterer für das Magical-Girl-Genre bedeutender Eintrag ist Magical Princess Minky Momo (1982). Da bei den Menschen auf der Erde die Märchen in Vergessenheit geraten, droht der Planet der Märchen Fenarinarsa, das »Land der Träume im Himmel«, immer weiter von der Erde abzudriften. Daher kommt Princess Minky Momo in Gestalt eines jungen Teenagers auf die Erde, um die Menschen an Magie zu erinnern und ihre Träume zu erfüllen, wofür sie sich in eine junge Erwachsene verwandelt. Sailor Moon wurde in unzählige Sprachen übersetzt und in den 1990ern in vielen Ländern ausgestrahlt. Es geht um das Schulmädchen Usagi Tsukino. Zu Deutsch bedeutet der Name so viel wie »HaseaufdemMond«, weshalb dieser in der deutschen Synchronfassung – eigentlich recht clever – mit »Bunny« übersetzt wurde. Usagi, bzw. Bunny, verfügt über magische Kräfte und kann sich in Sailor Moon, die hübsche Kriegerin für Liebe und Gerechtigkeit, verwandeln. Über fünf Staffeln hinweg begegnet sie Mitstreiter*innen und über Vergangenheit und Zukunft hinweg ihrem Love Interest Mamoru Chiba aka Tuxedo Mask. Mamoru bedeutet wortwörtlich »Ich beschütze dich«; bei Sailor Moon und einigen anderen Animes für ein jüngeres Publikum sind die Namen immer sprechend. Als ich Ende der 90er nach Deutschland komme, ist die Sailor-Moon-Manie gerade noch spürbar. Meine Lieblingskriegerin ist, wie die vieler BIPoC-Kids, Sailor Mars. Die schwarzen Haare erlauben eine besondere Art der Identifikation für Schwarzköpfe wie mich. Trotz des Serienerfolgs gilt es in der Schule nicht als cool, Sailor Moon gut zu finden, im Gegenteil. Zu wenig ironisch, zu wenig edgy für eine Zeit, in der Skaten und Ironie und Zynismus hochgehalten werden, und wer glaubt denn an Liebe oder Gerechtigkeit? Ich offiziell auch nicht. Ich schaue die Serie also heimlich, es wird mein dirty little secret, und sehe den Anime-Mädchen dabei zu, wie sie sich verwandeln und doch gleichbleiben, da in Sailor Moon, im Gegensatz zu anderen Serien, so getan wird, als könne man die Held*innen nicht erkennen, wenn sie etwas andere Kleidung, Schmuck und Make-up tragen. Jetzt, Jahrzehnte später, gehört Sailor Moon zu mögen zum guten Ton all derer, die sich für Gerechtigkeit einsetzen, die Serie ist queere Ikone und Coming-of-Age-Stoff für postmigrantische Perspektiven.5 Beim Fandom geht es vor allem um Mode und Ästhetik, eine gewisse Farbpallette und Campiness, um die Transformation der Figuren und ihr Potenzial einer transidentitären Haltung. It’s an open secret. In Sailor Moon gibt es, obwohl ich es damals noch nicht einordnen kann, erstaunlich viel Queerness. Das offensichtlichste Beispiel sind dabei Sailor Uranus und Sailor Neptun, das lesbische Paar, in ihren nicht-verwandelten Formen Haruka Tenoh und Michiru Kaioh. Haruka ist burschikos, stört sich nicht daran, mit männlichen Pronomen angeredet zu werden, könnte also als nicht-binär gelesen werden, agiert aber eher in der Tradition von Frauen als Männern, wie etwa auch Lady Oscar im gleichnamigen Manga, in dem es um eine kampferprobte Frau geht, die die Leibwächterin Marie Antoinettes zu Zeiten der französischen Revolution wird (im Japanischen Die Rose von Versailles).6 An den Figuren Haruka und Michiru ist interessant, wie ihre Queerness in Japan und im Rest der Welt verhandelt wurde. Das lesbische Paar ist im Anime-Kosmos der 90er Jahre besonders, da es positiv dargestellt wird, und obwohl es in der Manga-Vorlage seitens Haruka einen nicht-konsensuellen Kuss mit Sailor Moon gibt, sind die beiden weder übergriffig oder anders negativ belegt noch letzten Endes tragisch.7 Sie überleben nicht nur alle aufkommenden Katastrophen, ihre Liebe zueinander gilt als zusätzliche Kraft und setzt sie somit von den übrigen Sailor-Krieger*innen ab. Was moderne queere Repräsentation angeht, so gibt es außerdem die Sailor Star Lights, die eine Verwandlung von Männern zu Frauen vollziehen, um in den Kampf zu ziehen. Als Männer sind sie Künstler, Sänger, als Frauen sind sie Krieger*innen. Der*die Anführer*in der Star Lights, Seiya, ist übrigens in Sailor Moon verliebt. Überhaupt sind sämtliche Charaktere auf irgendeine Art und Weise queer, selbst Tuxedo Mask aka Mamoru Chiba, Sailor Moons Love Interest, hatte, wie sich später in einem der Filme herausstellte, einmal etwas mit einem cuten Alien-Boy. Diese fiktionale Queerness lässt sich allerdings nicht aus tatsächlicher gesellschaftlicher Akzeptanz von Queerness folgern. Ganz im Gegenteil: Japan ist, nicht anders als die meisten Staaten, eher reaktionär-konservativ eingestellt, was LGBTQI-Rechte betrifft. Zu Zeiten der Shogune und Samurai waren Liebschaften zwischen Männern zwar nicht ungewöhnlich, wenn auch nicht die Norm, ebenso sind langjährige Liebesbeziehungen in Briefen überliefert, doch nach der zwangsweisen »Öffnung« für den internationalen Handel durch den US-amerikanischen Seeoffizier Matthew Perry wurden während der Meiji-Ära preußische, repressive Werte eingeführt. Der Anziehungskraft gleichgeschlechtlicher Liebe aus heterosexueller Perspektive, d. h. aus Perspektive heterosexueller Frauen, hat dies allerdings keinen Abbruch getan.8 Innerhalb des Shojo-Genres, das heißt Anime für junge Frauen, also Mädchen und weibliche Jugendliche, gibt es seit 1970 mit Sunroom Nite von Keiko Takemiya das Phänomen Shonen Ai (in Japan schon seit den 90ern als Boys Love bezeichnet) und seinen expliziteren Zwilling, der im globalen Norden Yaoi heißt. Es handelt sich hierbei um Liebesgeschichten zwischen (jungen) Männern, deren Leser*innenschaft mehrheitlich (cis-)weiblich ist. Dieses Phänomen spiegelt sich auch in Fanfiction wider, dazu später mehr. Außerdem gibt es das im Westen als Yuri betitelte Äquivalent, in dem es um Liebesbeziehungen zwischen Frauen geht. Dieser explizite Fokus auf queere Liebesbeziehungen ist der fiktionalen Sphäre vorbehalten und folgt einer gewissen Heteronormativität; die Mangaka, die Shonen Ai und Yaoi verfassen, sind meist selbst cis-weiblich. Es geht nicht darum, gesellschaftliche Kritik zu üben, der Aspekt des Verbotenen,9 bzw. eher des gesellschaftlich Geächteten, ist lediglich ein einfacher Plot für ein Drama. Dabei geht es nicht um Identität, sondern darum, dass solche Liebesbeziehungen gesellschaftlich nicht existieren sollen, und es gibt eine klare Unterteilung in einen aktiven, »männlichen« Part und einen passiven, »weiblichen« Part, dem Verführer und demjenigen, der verführt wird. Wenn im Magical-Girl-Genre doch mal komplexe queere Beziehungen auftauchen, dann oft als Teil des Magischen, Unrealistischen, in dem andere Regeln gelten, wie etwa bei Revolutionary Girl Utena. Andererseits gibt es seit 1998 unterschiedliche Serienadaptionen des Mangas Card Captor Sakura, wobei hier die gesamte Show mit einer zuckersüßen Wholesomeness, einer pastellfarbenen, schönen, heilen Welt einhergeht, einer utopischen Vorstellung vom Leben und der Liebe. Interessant ist, dass auch in Card Captor Sakura alle Figuren queer sind oder zumindest queere Crushes haben (mit der Ausnahme von Sakuras Vater Fujitaka Kinomoto). Diese Crushes gehen mit einer unkommentierten Selbstverständlichkeit einher. Man könnte daher schlussfolgern, dass die allgegenwärtige Queerness in Kombination mit der pinken Utopie eine politische Aussage darstellten, doch dies wäre zu einfach gedacht. Wenn man sich andere Werke des fünfköpfigen Künstlerinnen-Kollektivs CLAMP ansieht, entdeckt man unabhängig von Genre immer jede Menge Queerness. Das hängt damit zusammen, dass die Künstlerinnen in ihrer Jugend in der Dojinshi-Szene aktiv waren. Dojinshi sind, wie bereits angemerkt,...