E-Book, Deutsch, Band 22, 268 Seiten
Reihe: edition pace
Goldscheid / Bürger Menschenökonomie, Weltkrieg und Weltfrieden
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-7597-1889-1
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Ausgewählte Schriften 1912 - 1926
E-Book, Deutsch, Band 22, 268 Seiten
Reihe: edition pace
ISBN: 978-3-7597-1889-1
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
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Der Österreicher Rudolf Goldscheid (1870-1931) zählte zu den Pionieren der Soziologie im deutschsprachigen Raum und votierte für einen demokratischen Sozialismus. Der vorliegende Band erschließt zentrale pazifistische Texte aus seiner Forschungswerkstatt. Für Goldscheid waren Vernunft und Menschlichkeit keine Gegensätze, sondern notwendige Entsprechungen. Nur unter dem Vorzeichen des Friedens und eines neuartigen Internationalismus lässt sich eine Zukunft des homo sapiens überhaupt denken: "Nichts kurzsichtiger, als zu glauben, in dem Ringen um Vermeidung von Kriegen handle es sich nur um eine politische oder gar lediglich um eine parteipolitische Angelegenheit. Hier stehen wir vielmehr vor der alles Politische weitaus überragenden Grundfrage unserer Gattung überhaupt. Zu so gewaltiger Größe hat die Entwicklung des wissenschaftlichen und organisatorischen Genius die Kriegstechnik entfaltet, dass die Kulturmenschheit sich nur vor Selbstmord zu bewahren vermag, wenn sie dafür sorgt, die selbstgeschaffene Höllenmaschine nicht in Funktion geraten zu lassen. Das sicherste Mittel hierzu ist natürlich ihr systematischer Abbau. Zu diesem schreiten heißt aber, die Friedenstechnik in noch viel vollkommenerer Weise ausbauen wie bisher die Kriegstechnik, heißt also mit glühendstem Eifer die allgemeine pazifistische Wehrpflicht verfechten, sich mit Leib und Seele in den Dienst des allumfassenden Vaterlandes friedlicher Kultur stellen. - Nie wieder Krieg, nie wieder Völkermord, nie wieder planmäßige, bestialisch organisierte Massenschlächterei!" (R. Goldscheid: Friedenswarte, 1924). edition pace. Regal: Pazifisten & Antimilitaristen aus jüdischen Familien 2. Herausgeber: Peter Bürger.
Rudolf Goldscheid (1870-1931) kam in Wien als jüngstes Kind der Eheleute Moses Hirsch (1826-1897) und Betty geb. Reitzes (1810-1884) zur Welt. Er war "ein Novellenschreiber, ein universaler Privatgelehrter, ein Pazifist und theoretischer Sozialreformer, ein Mitglied der Mittelschicht und ein Sozialist, ein assimilierter Jude und ein Modernist" (Helge Peukert, 2009). G. "studierte in Berlin und Wien Philosophie (besonders bei E. Mach) und Volkswirtschaft, ohne jedoch ein Diplom zu erwerben. ... In jüngeren Jahren als Dichter fruchtbar, wandte er sich später der wissenschaftlichen Behandlung ökonomischer und soziologischer Probleme zu. - Philosophisch Vertreter des Monismus, lehnt G. als Nationalökonom die Übertragung der darwinistischen Entwicklungslehre auf Kultur und Gesellschaft ab. Er tritt für 'Menschenökonomie' ein ... und propagiert die Umwandlung des Steuerstaates in einen selbstwirtschaftenden Staat. ... G.s außerordentliche Aktivität findet neben seinem publizistischen Wirken auch in seiner organisatorischen Tätigkeit ihren Niederschlag. So war er 1907 Gründer der Soziologischen Gesellschaft in Wien, 1909 Mitbegründer der Deutschen Gesellschaft für Soziologie, außerdem Mitherausgeber der Annalen für Natur- und Kulturphilosophie (mit Wilhelm Ostwald) und seit 1922 Herausgeber der 'Friedenswarte'; Ehrenvorsitzender des Deutschen Monistenbundes" (Neue Deutsche Biographie Bd. 6, 1964).
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Vorbemerkungen
zu dieser Auswahl von
Schriften Rudolf Goldscheids
„Ihr habt im Kriege eine Welt zu verlieren und nichts zu gewinnen, als neue Ketten und neue Lasten. Nationen aller Länder, vereinigt euch! Vereinigt euch im Kampfe gegen den Krieg, vereinigt euch im unablässigen Ausbau solcher Friedensorganisationen, die den Ausbruch von Kriegen für alle Zeiten kulturtechnisch unmöglich machen!“ RUDOLF GOLDSCHEID: ‚Krieg und Kultur‘, 19121 Das Regal „Pazifisten und Antimilitaristen aus jüdischen Familien“ innerhalb der Reihe „edition pace“ vermittelt das Denken von Frauen und Männern, deren Friedenswerke unser – durchaus auf Erfahrung beruhendes – Wissen um eine mögliche (!) Schönheit der menschlichen Gattung immer wieder aufs Neue anschaulich werden lassen. Die Freude am eigenen Menschsein kann vorzugsweise dort Nahrung finden, wo in anderen Vertretern der Spezies Vernunft und Menschlichkeit – diese aufeinander verwiesenen Entsprechungen – eine unzerreißbare Verbindung eingehen. Im vorliegenden Band mit Texten des Österreichers RUDOLF GOLDSCHEID (1870-1931) erkunden wir Pfade eines rationalen Pazifismus, der die Symbiose von klarem Denken und lebensdienlicher Ethik (‚biophiles Ethos‘) nicht nur für wünschenswert hält, sondern auch als alternativlos betrachtet. Das Votum von Albert Einstein Nachdrücklich hat nach dem Ersten Weltkrieg ALBERT EINSTEIN (1879-1955) für wissenschaftliche Grundlegungen der Friedensarbeit votiert. Er ging davon aus, dass Vertreter empirischer Wissenschaften aufgrund von Erfordernissen und Interessenlagen ihrer Fachgebiete eine besondere Affinität zur Kritik der Kriegsapparatur aufweisen: „Kriege sind die schwersten Hindernisse für die Entwicklung aller Bestrebungen, die wesentlich auf der Zusammenarbeit von Menschen aller Nationen beruhen, insbesondere alle kulturellen Bestrebungen. […] Deshalb muß ein Mensch, dem die geistigen Werte die höchsten sind, Pazifist sein. Dies beweist auch die Geschichte, wenn man die Männer der Vergangenheit nicht zählt, sondern wägt. Wie steht es mit der Wirkung der Wissenschaft auf die Entwicklung des Pazifismus? Der Einfluß der Geisteswissenschaft in dieser Beziehung war offenbar ein sehr geringer. Es ist leicht, zu beobachten, daß die Mehrzahl der Vertreter derjenigen Wissenschaft, die hier in erster Linie in Betracht kommt, nämlich der Geschichte, die Sache des Pazifismus keineswegs gefördert hat. Viele Vertreter dieser Wissenschaft, wenn auch nicht gerade die besten unter ihnen, haben sich merkwürdigerweise, besonders bei Gelegenheit des letzten großen Krieges, in der Öffentlichkeit durch besonders starke chauvinistische und militaristische Äußerungen hervorgetan. – Ganz anders steht es bei den Naturwissenschaften. Ihre Vertreter neigen infolge des universellen Charakters der von ihnen behandelten Gegenstände und infolge der Notwendigkeit international organisierter Zusammenarbeit zu internationaler Gesinnung und damit zur Begünstigung der pazifistischen Ziele. Ähnlich verhält es sich mit den Nationalökonomen, die den Krieg notwendig als eine durch Organisationsmangel bedingte Störung des wirtschaftlichen Prozesses auffassen müssen. […]“2 Namentlich einige Friedensforscher, die wie EINSTEIN aus jüdischen Familien stammten, haben sehr früh die Bedeutung der Natur-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften für einen zeitgemäßen Pazifismus unterstrichen. Zum Ende des 19. Jahrhunderts legte JOHANN bzw. IWAN VON BLOCH (1836-1902) in sechs Bänden seine bahnbrechende Arbeit „Der zukünftige Krieg in seiner technischen, volkswirtschaftlichen und politischen Bedeutung“ vor.3 Diese weitsichtige Aufklärung zu künftigen Schrecken konnte leider Irrationalismus und Macht der bis heute fortbestehenden, jüngst auch im Nahbereich revitalisierten Militärreligion nicht brechen. – Während des Ersten Weltkrieges erschien dann das zweibändige Werk „Die Biologie des Krieges – Betrachtungen eines Naturforschers“ (Zürich 1917) des in Deutschland gemaßregelten, ja verfemten Mediziners und Hochschullehrers GEORG FRIEDRICH NICOLAI4 (1874-1964, ursprünglicher Geburtsname: G. LEWINSTEIN). RUDOLF GOLDSCHEIDS Beiträge zur Friedensfrage aus vorwiegend soziologischer und ökonomischer Perspektive setzten schon einige Jahre vor dem ‚Menschenschlachthaus 1914-1918‘ ein und gehören zur gleichen Richtung eines ‚wissenschaftlichen Pazifismus‘. Lebensweg, Werk und Wirken von Rudolf Goldscheid J. Fleischhacker schreibt in einer biographischen Skizze: „Rudolf Goldscheid wurde am 12. August 1870 in Wien geboren und wuchs als sechstes und jüngstes Kind seiner Eltern Moses Hirsch (1824-1897) und Betty Goldscheid (geborene Reitzes; 1810-1884) auf. Goldstein entstammte einer wohlhabenden Familie; sein Vater war im Handelsgewerbe beschäftigt … Seine Mutter widmete sich ausschließlich der Erziehung der heranwachsenden Kinder und der Führung des Familienhaushalts. In diesem gut behüteten Milieu aufwachsend und die Schulausbildung in Wien absolvierend verließ Goldscheid mit 21 Jahren zum ersten und einzigen Mal über längere Zeit seine Heimatstadt und zog nach Berlin. 1891 ließ er sich an der Königlichen Friedrich Wilhelms-Universität zu Berlin für das Studium der Philosophie immatrikulieren. Zu seinen Lehrern zählten bedeutsame Nationalökonomen, Philosophen und Soziologen. Bei dem Volks- und Finanzwissenschaftler Adolph Wagner (1835-1917) erhielt Goldscheid Einblicke in die Literaturgeschichte der Nationalökonomie und des Sozialismus, beim Volkswirt Gustav Schmoller (1838-1917) belegte er Vorlesungen zur allgemeinen und theoretischen Nationalökonomie. Wichtige Anregungen zum philosophischen Denken erhielt Goldscheid unter anderem in den Ethikvorlesungen von Georg Simmel (1858-1918) und in den Kursen zur Philosophie der Erfahrungswissenschaft unter der Leitung von Wilhelm Dilthey (1833-1911). Drei Jahre später brach Goldscheid im August 1894 seine philosophischen und wirtschaftswissenschaftlichen Studien ab und ließ sich exmatrikulieren. … In den spärlichen Archivfunden fehlt jeglicher Hinweis darauf, warum Goldscheid trotz guter und sehr guter Studienergebnisse sein Studium der Philosophie vorzeitig und damit ohne einen akademischen Abschluss abbrach. Möglicherweise waren es gerade seine ehrgeizigen literarischen Ambitionen5 [als Dichter; pb], die ihn zu dieser Entscheidung führten … Nach dem Abbruch seines Studiums in Berlin verlieren sich über wenige Jahre die Spuren von Rudolf Goldscheid.“6 Die Angaben zur Schulausbildung (nur „Mittlere Reife“ oder Abitur?) in der Sekundärliteratur fallen unterschiedlich aus und scheinen nicht ganz geklärt zu sein. 1898 heiratete Goldscheid in Leipzig Marie von Maltzahn, die nicht aus einer jüdischen Familie stammte. Der Onkel Sigmund Reitzes, jüdischer Bankier in Wien, ermöglichte die unabhängige geistige Arbeit, war jedoch nicht glücklich über die politische Ausrichtung des Neffen im Lager der Linken.7 1903 kehrte der junge Geistesarbeiter von Berlin nach Wien zurück. – „Trotz der vorzeitigen Studienunterbrechung zeigte sich Goldscheid ausgesprochen aufgeschlossen gegenüber den Wissenschaften. Zeugnis hierfür ist seine wissenschaftliche Produktivität, die sich in einer Fülle von Büchern, Aufsätzen, Festschriften und Kommentaren niederschlug. Obgleich für Goldscheid die Universitätstore Zeit seines Lebens verschlossen blieben, engagierte er sich immer für die Belange der Wissenschaft und war maßgeblich am Prozess der Institutionalisierung der Soziologie in Österreich und Deutschland beteiligt. Gemeinsam mit Repräsentanten der Geisteswissenschaften, der Ökonomie, Statistik, Sozialpolitik, Geschichte, Philosophie, Rechtswissenschaft und Theologie diskutierte Goldscheid über den Gegenstand und die Aufgaben der sich etablierenden soziologischen Wissenschaft.“8 Als ‚Monist‘9 konnte er eine strikte Trennung von Natur- und Geisteswissenschaften (oder von Wissenschaft und Politik) nicht nachvollziehen. Schon 1902 hatte Goldscheid sein bedeutsames soziologisches Erstlingswerk „Zur Ethik des Gesamtwillens“ veröffentlicht. Er war später maßgeblich beteiligt an der Gründung der ersten „Soziologischen Gesellschaft“ für den deutschsprachigen Raum in Wien (1907) sowie der „Deutschen Gesellschaft für Soziologie | DGS“ in Berlin (1909) und gehörte ab 1913 als ordentliches Mitglied auch dem „Institut International de Sociologie“ in Paris an.10 1910 und 1912 erfolgten auf den ersten beiden Deutschen Soziologentagen seine heftige Auseinandersetzungen mit Max...