Gogol | Die Nacht vor Weihnachten | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, Band 35, 96 Seiten

Reihe: Penguin Edition

Gogol Die Nacht vor Weihnachten

Erzählung - Penguin Edition (Deutsche Ausgabe) – Die kultige Klassikerreihe – Klassiker einfach lesen

E-Book, Deutsch, Band 35, 96 Seiten

Reihe: Penguin Edition

ISBN: 978-3-641-32103-1
Verlag: Penguin
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Ein burleskes Wintermärchen aus Russland
»Und so geschah es denn, dass es auf der ganzen Welt, kaum dass der Teufel den Mond in die Tasche gesteckt hatte, so finster wurde, dass man nicht einmal den Weg in die Schenke, geschweige denn zum Küsterhaus gefunden hätte.«Was führt wohl, wundert sich die Hexe Solocha, der Teufel wieder im Schilde, der da klammheimlich den Mond vom Himmel stiehlt? Während im Dorf nach altem Brauch die Weihnachtssinger durch die Gassen ziehen, sinnt der Teufel auf einen ganz anderen Zeitvertreib: Dem Schmied Wakula, der sich über ihn lustig gemacht hat, will er einen gehörigen Denkzettel verpassen ... In Nikolai Gogols heiterer Weihnachtserzählung mischt sich Burleskes mit jenem märchenhaft-fantastischen Element, das seinen Geschichten ihren zauberhaften Charme verleiht.

Nikolaj Gogol (1809-1852) wurde auf einem Landgut in der Ukraine geboren. 1828 ging er nach Petersburg, wo er eine Anstellung im Staatsdienst erhielt. Bereits seine ersten Erzählungen, die er 1831 veröffentlichte, waren ein Erfolg und verschafften ihm Zugang zu den literarischen Kreisen der Stadt. Ab 1831 unterrichtete er an einer Mädchenschule, später an der Universität. Er veröffentlichte weitere Erzählungen und Theaterstücke, die begeistert aufgenommen wurden; er selbst fühlte sich jedoch als bloßer Zeitkritiker missverstanden und lebte von 1836 bis 1848 mit kurzen Unterbrechungen im Ausland, überwiegend in Rom. Seine tiefe Religiosität stürzte ihn in den 1840er Jahren in eine Schaffenskrise. Sein einziger Roman «Die toten Seelen» erschien 1842; den zweiten Teil verbrannte er jedoch. Gogols einzigartige, kunstvolle Sprache, seine unnachahmliche Figurenzeichnung und der gedankliche Reichtum seiner Werke machten ihn zu einem Vorbild für folgende Dichtergenerationen.
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I Der letzte Tag vor Weihnachten war zu Ende gegangen. Eine klare Winternacht brach an. Die Sterne blinkten. Der Mond stieg feierlich am Himmel empor, um den guten Menschen auf der ganzen Welt zu leuchten, auf dass sie frohen Mutes nach altem Brauch ihre Weihnachtslieder unter den Fenstern sängen. Der Frost hatte seit dem Morgen stark zugenommen. Dafür war es aber so windstill, dass man das Knirschen des Schnees unter den Stiefelsohlen eine halbe Werst weit hören konnte. Noch hatte sich keine Singschar auf der Straße gezeigt. Nur der Mond schien verstohlen in die Hüttenfenster, wie um die sich putzenden Mädchen daran zu erinnern, dass es an der Zeit sei, in den knisternden Schnee hinauszulaufen. Da qualmten dicke Rauchschwaden aus einem der Schornsteine und stiegen als schwarze Wolke empor. Mit ihnen fuhr aber, auf einem Besenstiele reitend, eine Hexe zum Himmel auf. Wäre in diesem Augenblick der Assessor von Sorotschinzy in einer mit Bürgerpferden bespannten Troika vorbeigefahren, die nach Ulanenart pelzverbrämte Mütze auf dem Kopf, in seinem blauen, mit schwarzem Lammfell gefütterten Mantel und mit seiner teuflisch geflochtenen Peitsche, mit der er den Kutscher anzutreiben liebte – so hätte er die Hexe sicherlich bemerkt; denn es gibt keine Hexe auf der ganzen Welt, die dem scharfen Blick des Assessors von Sorotschinzy zu entgehen vermag. Er weiß haargenau, wie viele Ferkel die Sau einer jeden Einwohnerin wirft, wie viel Leinwand sie in ihrer Truhe aufbewahrt und welche Kleidungsstücke oder Wirtschaftsgegenstände jeder ordentliche Mann an den Feiertagen in der Schenke zu versetzen pflegt. Doch der Assessor fuhr nicht vorbei und hätte sich um das fremde Dorf auch gar nicht bekümmert – er hatte seinen eigenen Bezirk. Die Hexe hatte sich inzwischen so hoch erhoben, dass sie nur noch wie ein kleiner schwarzer Fleck am Himmel zu sehen war. Doch überall, wo sich dieser schwarze Fleck zeigte, verschwanden die Sterne am Firmament. Schon hatte die Hexe einen ganzen Arm voll von ihnen eingesammelt, nur noch drei oder vier funkelten durch die Nacht. Da zeigte sich an der entgegengesetzten Seite des Himmels ein anderer schwarzer Fleck, dehnte sich rasch aus und war bald mehr als bloß ein Fleck. Ein kurzsichtiger Mensch, selbst wenn er sich Brillengläser so groß wie die Wagenräder der Kommissarskutsche auf die Nase gesetzt hätte, wäre nicht imstande gewesen, festzustellen, was es mit diesem Fleck für eine Bewandtnis hatte. Von vorn sah er ganz wie ein Deutscher oder ein sonstiger Ausländer aus: Ein schmales, sich hin und her wendendes und alles, was ihm nur in die Quere kam, beschnüffelndes Schnäuzchen lief, wie bei unseren Schweinen, in ein rundes Fünfkopekenstück aus. Die Beinchen waren so dünn, dass sie der Dorfschulze von Jareskowo, wenn sie sein Eigen gewesen wären, schon beim ersten Hoppak-Sprung gebrochen hätte. Von hinten dagegen glich er zum Verwechseln dem Gouvernementsanwalt in Galatracht; denn er hatte einen so langen und spitzen Schwanz, dass man an die Frackschöße der heutigen Beamtenuniformen erinnert wurde. Nur aus dem Ziegenbärtchen unter seiner Schnauze, aus den Hörnchen auf seinem Kopf und daraus, dass er im Ganzen genommen nicht heller als ein Schornsteinfeger war, hätte man schließen können, dass es sich weder um einen Ausländer noch um den Gouvernementsanwalt handelte, sondern schlicht und einfach um den Teufel in höchsteigener Person, dem es nur noch in dieser Nacht vergönnt war, durch die weite Welt zu schweifen und die Leute zu verführen; denn schon morgen musste er bei den ersten Glockenschlägen, die zur Frühmesse riefen, sich eingeklemmten Schwanzes Hals über Kopf in den Höllenschlund stürzen. Mittlerweile hatte er sich behutsam dem Monde genähert und streckte schon die Hand aus, um ihn zu stehlen, zog sie jedoch im gleichen Augenblick hastig zurück, als wenn er sich verbrannt hätte, lutschte an seinen Fingern und schlenkerte mit einem Bein. Jetzt rückte er von einer anderen Seite an, prallte von Neuem zurück und zog wieder die Hand weg. Trotz dieser Misserfolge aber konnte der listige Teufel nicht von seinen Schelmenstreichen lassen. In einem plötzlichen Anlauf packte er den Mond mit beiden Händen zugleich, warf ihn, sich krümmend und ihn in einem fort anblasend, aus einer Hand in die andere, wie ein Bauer, der sich mit bloßen Fingern Feuer für seine Pfeife holt, und steckte ihn zu guter Letzt in seine Tasche. Dann eilte er, als wenn nichts geschehen wäre, weiter. In Dikanjka hatte niemand bemerkt, wie der Teufel das fertiggebracht hatte. Der Gemeindeschreiber freilich, der auf allen vieren aus der Schenke kroch, glaubte gesehen zu haben, wie der Mond auf einmal mir nichts, dir nichts am Himmel hin- und hertanzte, und versuchte, unter Anrufung Gottes und aller Heiligen, das ganze Dorf von diesem Wunder zu überzeugen. Doch die Einwohner schüttelten nur ihre Köpfe und lachten ihn aus. Was hatte den Teufel eigentlich zu einem so gesetzwidrigen Unternehmen bewogen? Der Grund war folgender. Er wusste, dass der reiche Kosak Tschub vom Küster zum allweihnachtlichen Honigreisschmaus eingeladen war, an welchem nicht nur der Dorfschulze und ein mit dem Küster verwandter blau berockter Vorsänger des bischöflichen Kirchenchors mit einem unwahrscheinlich tiefen Bass, sondern auch der Kosak Swerbygus und einige andere Gäste teilnehmen würden; während dieses Festmahles nun würde Tschubs Tochter, das schönste Mädchen des Dorfes, allein zu Hause sitzen und sicherlich vom jungen Schmied besucht werden, einem handfesten Riesen und Kindskopf, der dem Teufel noch widerwärtiger war als die Predigten des Vaters Kondrat. In seinen Mußestunden huldigte der Schmied nämlich der edlen Malkunst und galt für den geschicktesten Maler der ganzen Gegend, sodass ihn sogar der Kosakenhauptmann L…ko, der damals noch lebte, eigens nach Poltawa hatte kommen lassen, um den Bretterzaun um sein Besitztum anzustreichen. Alle Schüsseln, aus denen die Kosaken in Dikanjka ihren Borschtsch löffelten, waren von ihm bemalt worden. Der Schmied war ein gottesfürchtiger Mann und malte zuweilen auch Heiligenbilder: Heute noch kann man seinen Evangelisten Lukas in der Kirche zu T. bewundern. Der Triumph seiner Kunst aber war ein Bild, das er auf die rechte Seitenwand der Kirchenvorhalle gemalt hatte und das den heiligen Petrus darstellte, wie er, die Schlüssel in der Hand, am Jüngsten Tage den Bösen aus der Hölle vertreibt: Der aufgescheuchte Teufel rennt, seinen Untergang ahnend, nach allen Seiten hin und her und wird von den Sündern, die einst von ihm in die Hölle gesperrt worden waren, mit Peitschen, Holzscheiten und allem, was ihnen in die Hände geraten ist, verprügelt. Als der Schmied an diesem Bilde schuf und es auf eine große hölzerne Tafel malte, hatte der Teufel ihn auf jede Weise zu stören versucht; er hatte ihn unsichtbar am Arm gestoßen und das Gemälde mehrfach mit Asche aus der Schmiedeesse bestreut. Trotzdem wurde das Werk vollendet. Die Tafel wurde in die Kirche getragen und in die Wand der Vorhalle eingelassen. Damals nun hatte der Teufel sich vorgenommen, am Schmied Rache zu nehmen. Eine Nacht nur noch war ihm im alten Jahre übrig geblieben, durch die weite Welt zu schweifen. In dieser Nacht musste er etwas finden, um seine Wut am Schmied auslassen zu können, und war darauf verfallen, den Mond zu stehlen; denn er verließ sich darauf, dass der alte Tschub faul und nur schwer auf die Beine zu bringen war; der Weg zum Küster aber war ziemlich weit, er führte hinter dem Dorfe an den Mühlen, am Friedhof und einem steilen Abhang vorbei; bei Mondschein würde die Aussicht auf den Honigreis, den Weihnachtskuchen und den Safranschnaps den Alten freilich verlockt haben; in einer lichtlosen Nacht dagegen hätte es kaum jemand über ihn vermocht, dass er sich von seiner Ofenecke getrennt und ins Freie hinausgetraut hätte; der Schmied wiederum, der schon seit Langem nicht mehr in gutem Einvernehmen mit Tschub lebte, würde es, trotz seiner Bärenkräfte, nicht wagen, die Tochter zu besuchen, solange ihr Vater im Hause war. Und so geschah es denn, dass es auf der ganzen Welt, kaum dass der Teufel den Mond in die Tasche gesteckt, so finster wurde, dass man nicht einmal den Weg in die Schenke, geschweige denn den zum Küsterhaus gefunden hätte. Die Hexe stieß, als das Dunkel sie so plötzlich umringte, einen schrillen Schrei aus. Doch der Teufel hatte sich dicht an sie herangemacht, fasste sie am Arm und flüsterte ihr dasselbe ins Ohr, was man überall dem ganzen weiblichen Geschlecht ins Ohr zu flüstern pflegt. Wunderlich ist’s eingerichtet auf unserer Welt: Alles, was lebt, beschäftigt sich zumeist damit, andern etwas abzugucken und es nachzuäffen. Es gab zum Beispiel einmal eine Zeit, da gingen in Mirgorod zur Winterszeit nur der Richter und allenfalls noch das Stadtoberhaupt in mit Tuch überzogenen Pelzen einher, die niedere Beamtenschaft trug das Fell nach außen. Heute dagegen haben sich nicht nur der Assessor, sondern auch der Unterrentmeister ihre Lammfellpelze mit Tuch überziehen lassen. Vor zwei Jahren kauften sich der Kanzlist und der Gemeindeschreiber bestes blaues Tuch zu sechs Kopeken die Elle ein. Und der Kirchendiener ließ sich zum Sommer Pluderhosen aus Nanking und eine Weste aus gestreiftem Kammgarn machen. Mit einem Wort: Alles will hoch hinaus. Wann werden die Menschen endlich einmal nicht mehr ihrer Eitelkeit nachlaufen? Wetten wir: Vielen dürfte es sonderbar vorkommen, dass der Teufel in die gleiche Kerbe schlägt und dass er, was am ärgerlichsten ist, sich für eine Schönheit hält, während man ihn doch in Wirklichkeit kaum anzuschauen vermag: Solch eine Fresse hat er,...


Gogol, Nikolaj
Nikolaj Gogol (1809-1852) wurde auf einem Landgut in der Ukraine geboren. 1828 ging er nach Petersburg, wo er eine Anstellung im Staatsdienst erhielt. Bereits seine ersten Erzählungen, die er 1831 veröffentlichte, waren ein Erfolg und verschafften ihm Zugang zu den literarischen Kreisen der Stadt. Ab 1831 unterrichtete er an einer Mädchenschule, später an der Universität. Er veröffentlichte weitere Erzählungen und Theaterstücke, die begeistert aufgenommen wurden; er selbst fühlte sich jedoch als bloßer Zeitkritiker missverstanden und lebte von 1836 bis 1848 mit kurzen Unterbrechungen im Ausland, überwiegend in Rom. Seine tiefe Religiosität stürzte ihn in den 1840er Jahren in eine Schaffenskrise. Sein einziger Roman «Die toten Seelen» erschien 1842; den zweiten Teil verbrannte er jedoch. Gogols einzigartige, kunstvolle Sprache, seine unnachahmliche Figurenzeichnung und der gedankliche Reichtum seiner Werke machten ihn zu einem Vorbild für folgende Dichtergenerationen.


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