E-Book, Französisch, Deutsch, 100 Seiten
Goetzinger / Kmec / Roster Mit den Haien streiten
1. Auflage 2019
ISBN: 978-99959-4-319-6
Verlag: capybarabooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Frauen und Gender in Luxemburg seit 1940 / Femmes et genre au Luxembourg depuis 1940
E-Book, Französisch, Deutsch, 100 Seiten
ISBN: 978-99959-4-319-6
Verlag: capybarabooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Das Thema Gender in Luxemburg steht im Fokus dieses
Buches. In 27 Beiträgen und sieben übergeordneten
Themenfeldern – Geschichte, Schule, Politik, Medien,
Kunst, Identitäten und Feminismus – untersucht es
unterschiedliche Quellen wie literarische Dokumente,
Presse- und Gesetzestexte, Bild- und Filmmaterial.
Dabei geht es nicht nur um »Fraleit«, sondern auch
um »Maansmënschen« sowie LGBTIQ+, vor allem aber
um die Selbstbestimmtheit als conditio sine qua non
jeglicher Genderdiskussion. Anliegen des vorliegenden
Werks ist es daher, solche selbstbestimmten und selbstbewussten
Stimmen hörbar werden zu lassen.
Le présent ouvrage concerne la question du genre au
Luxembourg. Ses 27 contributions regroupées dans sept
champs thématiques – histoire, enseignement, politique,
médias, arts, identités et féminisme – puisent dans diff érentes
sources telles que des textes littéraires, des articles
de presse et des documents législatifs, des images et du
matériel audiovisuel. La publication ne se limite pas à la
gent féminine mais traite aussi de l’autre sexe ainsi que des
LGBTIQ+ et met l’accent sur l’autodétermination comme
conditio sine qua non de toute discussion sur le genre.
Partant, ce livre a pour objet de permettre à des voix indépendantes
et sûres d’elles de se faire entendre.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
GERMAINE GOETZINGER, SONJA KMEC, DANIELLE ROSTER UND RENÉE WAGENER
Einleitung
Wer hat Angst vor Genderforschung?
Das «Bedürfnis, gegen kollektive Amnesie und Sprachlosigkeit anzukämpfen»1, bewegte die AutorInnen des Buches «Wenn nun wir Frauen auch das Wort ergreifen…». Frauen in Luxemburg / Femmes au Luxembourg 1880-1950, das 1997, vor mehr als zwanzig Jahren, erschien. Es war ein Meilenstein für die Erforschung der Frauengeschichte in Luxemburg und ermutigte das CID /Fraen an Gender zur Herausgabe einer Reihe weiterer historischer Publikationen zum Thema: 2010 erschien Not the Girl you’re looking for… Objekt + Subjekt Frau in der Kultur Luxemburgs2. 2012 zeichnete Das Gespenst des Feminismus die Geschichte der Frauenbewegung in Luxemburg von den 1970er Jahren bis heute nach und eröffnete einen Blick in die Zukunft.3 2014 erschien die musik- und literaturhistorische Publikation Komponistinnen in Luxemburg.4 Wir sehen den vorliegenden Band als Fortführung und Weiterentwicklung des gleichen «Kampfes» um Sichtbarkeit und des Bemühens um «ein mehrperspektivisches und dezentriertes Betrachten der Luxemburger Wirklichkeit», wie es vor rund 20 Jahren im Vorwort des Buches «Wenn nun wir Frauen auch das Wort ergreifen…»formuliert wurde.5 Dies verweist auf ein patriarchalisches «Zentrum», das umschifft und damit destabilisiert werden soll. Zu Beginn des Zeitraums, dem das neue Buch gewidmet ist – die unmittelbare Nachkriegszeit –, waren patriarchale Strukturen noch deutlich ausgeprägt. Sie wurden aber durch die Bürgerrechts-, Frauen-, Drittwelt- und Friedensbewegungen der 1960er bis 1980er Jahre zutiefst in Frage gestellt, sodass wir heute möglicherweise in einem «postpatriarchalischen Zeitalter» leben. Diese Formulierung wurde von Eric Macé in Analogie zum «Postkolonialismus» geprägt.6 Sie bedeutet nicht, dass das Patriarchat abgeschafft sei, vielmehr, dass es zwar delegitimiert sei, aber strukturell weiterhin die gesellschaftlichen Beziehungen bestimme. Das trifft auch auf die «Luxemburger Wirklichkeit» zu, die unser Buch untersuchen möchte. Ein Blick auf die politische Unterrepräsentanz von Frauen auf kommunaler wie nationaler Ebene, 100 Jahre nach der Einführung des Frauenwahlrechts, möge genügen, um dies deutlich zu machen. Die Entstehung des vorliegenden Bandes verweist darauf, dass es in Luxemburg weiterhin notwendig erscheint, neben der allgemeinen Geschichtsforschung eine spezifische historische Genderforschung zu betreiben. Dies erscheint auf den ersten Blick paradox, da in diesem Bereich eine unübersehbare Entwicklung stattgefunden hat, welche die Genderdebatten weltweit stark beeinflusst hat. Dennoch bleibt die Frage, ob, wie es in den 1980er Jahren erhofft wurde, feministische Forschung die wissenschaftliche Praxis verändert hat: «The writing of women into history necessarily involves redefining and enlarging traditional notions of historical significance, to encompass personal, subjective experience as well as public and political activities. It is not too much to suggest that however hesitant the actual beginnings, such a methodology implies not only a new history of women, but also a new history.»7 Eine Geschichte der Frauen ist wichtig, aber sie bleibt unvollständig ohne Reflexion über die sich wandelnde Bedeutung von «Frauen» als Kategorie. Unstrittig ist, dass die Frauengeschichte ein wichtiger Wegbereiter der Genderforschung war. Dem Katalog des Netzwerks der Luxemburger Bibliotheken zufolge wurden bis heute mehrere hundert Bücher und mehrere tausend Artikel veröffentlicht, die zugleich von Luxemburg, Frauen und Geschichte handeln.8 Auch die Anzahl der Publikationen, die im weitesten Sinne mit dem Thema zu tun haben, ist in den letzten zehn Jahren deutlich gestiegen. Thematisch ergeben sich in der Luxemburger Frauenforschung folgende historische Schwerpunkte: Bildung, Arbeitswelt (insbesondere Dienstmädchen im frühen 20. Jahrhundert und UnternehmerInnen seit dem späten 20. Jahrhundert), Prostitution (was auch der Arbeitswelt zugerechnet werden könnte, aber auch Themen wie Menschenhandel, Migration und Ausweisungspolitik betrifft), Frauen im Zweiten Weltkrieg, in Politik (politische Partizipation, Emanzipation, Feminismus), Sport und Scoutismus, Medien, Kunst und Musik – sowie Biografien berühmter Frauen. Demgegenüber findet sich jedoch keine einzige Publikation über «hommes» im Sinn von «Männer», sondern nur einige über «hommes d’affaires» oder «hommes politiques», womit wohl auch Frauen gemeint sind. Die Verschlagwortung ist nicht unproblematisch und hängt von der Interpretation derjenigen ab, die die Bibliothekskataloge verfassen. Hinzu kommt, dass neue Forschungsbegriffe nicht direkt in den Schlagwortkatalog eingehen: Erst im letzten Jahr wurde «études sur les femmes» durch «études sur le genre» ergänzt und auch «queer studies» ist neu im Schlagwortkatalog, wobei die neuen Begriffe nicht rückwirkend auf alle bisher erschienenen Werke angewandt wurden. Dies mag erklären, warum sich kein Werk über «feminité» oder «masculinité» mit Bezug auf Luxemburg findet, sowie nur zwei Einträge zu Luxemburger «études sur le genre».9 Die folgenden Beispiele zeigen jedoch, dass sich die Genderforschung in den letzten Jahrzehnten entwickelt hat. Seit 1998 wird am Forschungszentrum CEPS-INSTEAD (heute LISER, Luxembourg Institute of Socio-Economic Research) der Genderaspekt in wirtschaftssoziologischen und geografischen Untersuchungen mitberücksichtigt. 77 Beiträge zum Thema «gender» wurden bis heute publiziert, die meisten mit Bezug auf Luxemburg.10 An der 2003 gegründeten Universität Luxemburg ergibt eine Stichwortsuche nach «gender» auf der Publikationsplattform der MitarbeiterInnen ebenfalls 336 Ergebnisse.11 Diese betreffen ein weites Spektrum von Disziplinen – von der molekularen Neurobiologie bis zu den Erziehungswissenschaften – und beschränken sich nicht auf Luxemburg. Allein in den Studiengängen der Geschichte wurden im Zeitraum 2004 bis 2017 acht Masterarbeiten12 sowie 17 Bachelorarbeiten im Bereich der Frauen- und Genderforschung abgeschlossen.13 Gender erscheint zudem als transversale Fragestellung, die in jeder Forschung – ob in den Sozial- und Geisteswissenschaften oder den Naturwissenschaften – angewandt werden kann. Jedoch gibt es bis heute keinen eigenen Studiengang in Gender Studies. Während in Deutschland seit 1984 insgesamt 65 Professorinnen auf solche Posten berufen wurden, scheint sich Luxemburg in dieser Hinsicht weiterhin im Stadium der «Pionierarbeit» zu befinden. Hier wie dort aber gilt das, was Claudia Kemper als «eine fortgesetzte Partikularisierung der Genderforschungsperspektive in der ‹allgemeinen› Wissenschaft» bezeichnet hat.14 Genderforschung und Queer Theory Im Blickpunkt des Bandes steht der Luxemburger Raum, aber die untersuchten Lebensrealitäten sprengen den nationalen Rahmen. Auch die Kategorie der «Frauen» kann nicht mehr als gegeben betrachtet werden. Wird diese Kategorie historisiert, stellen sich neue Fragen in Bezug auf Männlichkeit. Konsequenterweise führt dies dazu, dass die Zweiteilung der Geschlechter selbst in Frage gestellt wird. Gender ist heute als Beschreibung der sozialen Konstruktion von Geschlecht anerkannt, allerdings stellt eine bloße Beschreibung von Unterschieden, z. B. in Verhaltensweisen und Darstellungen von Frauen und Männern, diese nicht unbedingt in Frage. Das radikale Potenzial von Genderforschung wird nicht immer wahrgenommen, so lautet zumindest die Kritik von Joan Wallach Scott, laut der dieses Potenzial in Geschichten liegt, die sich nicht nur auf weibliche Erfahrungen fokussieren, sondern die Art und Weise analysieren, wie Politik Gender und Gender Politik konstruiert. Der ursprünglich radikale akademische und politische Begriff habe mittlerweile jedoch seine destabilisierende Wirkung verloren, da er immer häufiger als «neutrale» Kategorie benutzt werde, ohne Ungleichheit und Machtstrukturen zu benennen.15 Auf diese Kritik reagierte u. a. die Queer Theory. Denn Genderforschung schärft den Blick für die «Heteronormativität», also die Vorstellung, dass Männer und Frauen von Natur aus gegensätzlich sind, ihre gesellschaftlichen Rollen sich ergänzen und sie nur das jeweils andere Geschlecht sexuell begehren sollen. Dieses Ordnungssystem ist oft hierarchisch zu Gunsten der Männer angelegt, die dann nicht nur als anders, sondern als besser (stärker, intelligenter, durchsetzungsfähiger etc.) angesehen werden. Radikal an der neuen Genderforschung ist also die Frage, ob die Opposition männlich/weiblich tatsächlich immer die zentrale Bruchlinie ist, da diese Gegenüberstellung selbst das Produkt einer bestimmten Geschichte ist. Dabei geraten auch andere geschlechtliche und sexuelle Identitäten in den Fokus.16 Außerdem werden alle Identifikationen, sei es als «Frau», «Mann», «Lesbe», «Gay» oder «Trans», als Teil eines Ordnungssystems angesehen: «Identity categories tend to be instruments of regulatory regimes, whether as the normalizing categories of oppressive structures or as the rallying points for a liberatory contestation of that very oppression.»17 Postpatriarchat? Sind wir heute im «Postpatriarchat» angelangt? Feministische Strömungen haben seit den 1970er, verstärkt seit den 2000er Jahren, auch manche TheologInnen, BiologInnen und insbesondere die Kulturschaffenden erfasst, ganz...