E-Book, Deutsch, 152 Seiten
Reihe: kleine bayerische biografien
Göttler Emerenz Meier
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-7917-6260-9
Verlag: Pustet, F
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
"Sanfte Rebellin" zwischen Bayerwald und Chicago
E-Book, Deutsch, 152 Seiten
Reihe: kleine bayerische biografien
ISBN: 978-3-7917-6260-9
Verlag: Pustet, F
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Sie nannte sich selber "des freien Waldes freies Kind", Hans Carossa bezeichnete die Bayerwalddichterin als "sanfte Rebellin" mit schwer zu ergründender "Doppelnatur". Heute apostrophiert man sie oft als "Heimatdichterin ohne Heimat": Emerenz Meier, geboren 1874 in Schiefweg im Bayerischen Wald, Gastwirtstochter und Bauernmagd, gelangte bereits als ganz junge Frau mit harten Geschichten und feinfühligen Gedichten – auch in bairischer Mundart – sowie mit ihrem einzigen Buch "Aus dem bayrischen Wald" zu großer Bekanntheit. 1906 wanderte sie aus wirtschaftlichen Gründen in die USA aus und starb dort 1928 in Chicago mit nur 53 Jahren.
Lange wurde sie als Schriftstellerin unterschätzt. Umso mehr gilt es heute – nicht nur aus Anlass ihres 150. Geburtstags –, Emerenz Meier und ihr vielfältiges, in zwei unterschiedlichen Welten entstandenes Werk neu zu entdecken!
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1 Kindheit und Jugend im Wald
Emerenz Meier erblickte am 3. Oktober 1874 das Licht der Welt, zu Hause – wie damals üblich – im elterlichen Wirtshaus in Schiefweg bei Waldkirchen im Unteren Bayerischen Wald. Die Mutter der Emerenz trug denselben Vornamen, sie war eine geborene Raab und bei der Geburt ihrer Tochter, des fünften Kindes, bereits 39 Jahre alt. Sie stammte aus dem »Raabenhof« im benachbarten Richardsreut. Der Vater Josef Meier, Gast- und Landwirt, kam vom »Hirschlehenhof« in Manzenberg bei Büchlberg und war 37 Jahre alt. Josef und Emerenz Meier hatten das Anwesen in Schiefweg im Frühjahr 1866 für 6.800 Gulden erworben. Der Vorname Emerenz
Der Vorname Emerenz ist eine Variante von Emerentia/Emerentiana (lat. die Verdienstvolle/die Würdige), deren römisch-katholischer Gedenk- und Namenstag am 23. Januar im alten Heiligenkalender steht. Die Hl. Emerentiana war eine Ziehschwester der Hl. Agnes und wurde um 304 n. Chr. in Rom gesteinigt. Interessanterweise findet sich bei der späteren Dichterin Emerenz Meier ein Gedicht, das mit folgender Zeile beginnt: »Sie haben Steine nach mir geschmissen«. Nomen est omen? Vielleicht bloß ein purer Zufall ohne jegliche Bedeutung! Oder …? Das Anwesen war – wie Paul Praxl erforscht hat – der sog. »Restkomplex« des schon »zertrümmerten« Fuchsenhofes und trug die Hausnummer 10; Schiefweg gehörte damals zur Gemeinde Stadl im Bezirksamt Wolfstein. Heute heißt die Adresse »Schiefweg, Dorfplatz 9, 94065 Waldkirchen, Landkreis Freyung-Grafenau«; das mustergültig vom rührigen Schiefweger »Emerenz-Meier-Hausverein« renovierte Anwesen beherbergt seit 2000 das Wirtshaus »Zur Emerenz«, in dem man ganz hervorragend essen und trinken kann! Seit 2010 befindet sich darin auch das sehr sehenswerte Auswanderermuseum »Born in Schiefweg«. Geburtshaus der Emerenz Meier in Schiefweg. – Aufnahme eines unbekannten Fotografen, ca. 1890. Als die Meiers das Anwesen erwarben, umfasste es nur noch ca. zwölf Tagwerk – ca. 4 ha – Grund, besaß aber immer noch eine reale Wirtsgerechtigkeit, was bedeutete, dass Bier ausgeschenkt und verkauft werden durfte. Max Peinkofer schilderte 1954 den Vater der Emerenz in einer biografischen Darstellung der Tochter als aufrechten, kernigen und trinkfesten Mann, der als Vieh- und Güterhändler oft und viel unterwegs gewesen sei; die Mutter kennzeichnete er als stille, eher versonnene Natur, Einschätzungen, die sich schon bei Hans Carossa 1941 finden lassen, der sie 1898 zum ersten Mal kennengelernt hatte. Bei Paul Praxl erscheint Josef Meier als »ein unruhiger Geist in einer unruhigen Zeit, stets Ausschau haltend nach einem ›Geschäft‹«, die Mutter schildert er als »gefühlvoll und arbeitsam«. Die Dichterin vereinigte wohl alle diese elterlichen Charaktereigenschaften in ihrer Person, das Unruhige, auch etwas Aufrührerische des Vaters genauso wie die stille Versonnenheit und Gefühlswärme der Mutter. Von den Geschwistern der Emerenz haben das Erwachsenenalter erlebt: Petronilla (Lina) (1867–1952), Josef (1871– 1898), Maria (1876–1927) und Anna (1879–1954). Dem drei Jahre älteren Bruder Josef soll sich Emerenz sehr verbunden gefühlt haben. Er starb schon im Alter von 27 Jahren und wurde damit als einziges Meier-Kind aus dieser Generation in Waldkirchen begraben. Die drei Schwestern wanderten zu Beginn des 20. Jhs. auch in die USA aus: Ihre Namen lauteten dann Lina Maier, Mary Jacklin und Anna Gumminger. Die Emerenz-Meier-Forscher
Wichtigste Emerenz-Meier-Forscherin war zunächst ihre Freundin Gusti Unertl (1864–1941) aus Waldkirchen; nach deren Tod übernahm der bairische Dichter Max Peinkofer (1891–1963) diese Aufgabe; ab den 1970er-Jahren kann Paul Praxl (Jg. 1935) aus Waldkirchen als der unbestrittene Doyen der Emerenz-Meier-Forschung bezeichnet werden. SENZ ALS WIRTSDIRNDL IN SCHIEFWEG
Aus der Kindheit der Emerenz weiß man einiges zu berichten, obwohl ein autobiografischer Lebensrückblick von ihr selbst fehlt. Emerenz, von klein auf »Senz« oder »Senzl« gerufen, lebte bis zu ihrem 17. Lebensjahr im viel besuchten elterlichen Wirtshaus. Sie musste frühzeitig in der Gaststube und in Haus und Hof mitarbeiten, beobachtete die Gäste genau und wuchs zu einem sehr begabten und lebhaften Mädchen heran. Eine frühe (ca. 1888) Fotografie, die im Museum »Born in Schiefweg« zu sehen ist, zeigt sie zusammen mit ihrer Mutter, beide wirken sehr ruhig, still und in sich gekehrt. Im Gasthaus ging es sehr viel lebhafter zu. Bei den damals noch üblichen größeren Raufereien im Wirtshaus suchte Emerenz nicht etwa verschreckt das Weite, sondern verblieb mutig, wie Hans Carossa es beschrieb, mitten im wilden Schlachtgetümmel und versorgte die leidenschaftlichen Kampfgenossen, die u. a. mit Bierkrügen aufeinander einschlugen, immer wieder mit neuer Munition, indem sie ihnen flink und behende unversehrte Trinkgefäße zusteckte. Erste Aufnahme von Emerenz Meier – hier mit ihrer Mutter. – Abzug von einer Ferrotypie eines unbekannten »Schnellphotographen«, ca. 1888. Eine gewisse geschwisterliche Rivalität bestand zur sieben Jahre älteren Schwester Petronilla, die ebenfalls sehr gescheit und energisch war. Petronilla dominierte als Älteste die jüngeren Geschwister und war selbst eine leidenschaftliche Leserin und Schreiberin. Schon bald, spätestens seit dem Schuleintritt der Emerenz bei den Englischen Fräulein in Waldkirchen 1881, wurde Petronilla aber von der jüngeren Schwester übertroffen. Eine ihrer klösterlichen Lehrerinnen lobte 1899 im Rückblick die sehr guten Lese- und Schreibfähigkeiten ihrer früheren Schülerin Emerenz. Der weite und vor allem im Winter und bei schlechter Witterung beschwerliche Fußweg von Schiefweg in die Volksschule nach Waldkirchen vermochte Emerenz nicht zu schrecken. Mit zehn Jahren bereits las sie Texte von Goethe, Schiller, Heine, Platen und anderen Dichtern. Sie verschlang zahllose Romane, gute und weniger gute. Die kindliche Vielleserin suchte sich den umfangreichen Lesestoff in der ganzen Gemeinde zusammen. Große Teile der Dichtungen lernte sie auswendig, z. B. Stücke aus den Homerischen Epen »Ilias« und »Odyssee« sowie aus Dantes »Göttlicher Komödie«. Die gute und fleißige Schülerin befasste sich außerdem sehr gerne mit heimischen Sagen sowie Sternkunde. Noch in ihrer amerikanischen Zeit machte sie sich aus der Erinnerung und mit brieflicher Unterstützung durch die Freundin Gusti Unertl aus Waldkirchen Notizen zu diesen Themen. In ihrer Volksschulzeit (1881–1888) und auch in den zwei Jahren danach, in der sog. Feiertagsschule, begann Emerenz mit dem dichterischen Schreiben. Sie verfasste insgeheim kleine Geschichten und Verse und schrieb außerdem Gelegenheitsgedichte auf Bestellung. DIE UNVERBESSERLICHE VERSLSCHREIBERIN
Von diesen allerersten Texten ist allerdings nichts erhalten geblieben. Die Meier-Eltern waren über die Schreibkunst ihrer Tochter ohnehin alles andere als erfreut und rügten – vor allem der Vater – scharf die »narrische Verslmacherei«. Sie wollten eben keine Tochter haben, die über den einfachen Stand, in den sie hineingeboren war, hinauswachsen konnte. Man brauchte eine fleißige Magd und Wirtsdirn in Haus und Hof, keine Dichterin. Die Verbote der Eltern fruchteten bei der mehr und mehr selbstbewussten und eigenständigen Tochter aber nicht. Emerenz schrieb einfach weiter und machte die Situation der jungen, weiblichen Schriftstellerin in einer illiteraten, dörflichen Gesellschaft zu einem Thema ihres Schreibens, etwa in dem Gedicht »Unverbesserlich«: Unverbesserlich Der Vater verbot mir das Dichten,
Das Mütterchen stimmte mit ein:
Ich soll nach dem Stande mich richten,
Die Bücher dem Backofen weih’n. Wohl hab’ ich es heilig versprochen,
Zu tun, was ihr Wille gebeut,
Das Wort hundertmal doch gebrochen,
Das Schwören noch öfters bereut. Doch gestern, zu Tränen gerühret,
Erneut’ ich es nochmals bei Gott,
Durch Bitten und Drohen verführet
Und weiter durch peinlichen Spott. Ich ging in die dunkelste Kammer,
Hielt über die Verse Gericht,
Verfaßte dann in meinem Jammer
Verstohlen ein Klagegedicht. (EM, GW, 2012, II, S. 129.) SENZLS STARKER GERECHTIGKEITSSINN
Einen ganz besonderen Wesenszug der Volksschülerin Emerenz stellte zudem ihr schon früh ausgeprägter Sinn für Gerechtigkeit dar. Auch da waren ihre eigenen Erfahrungen in Haus und Hof das auslösende Moment. Vor allem die in der Schule erlebten Ungerechtigkeiten hatten sie immer bedrückt, gerade auch solche, die anderen Kindern zugefügt wurden. Emerenz, aber auch ihre Schwester Maria, konnten es nur schwer ertragen, dass die Kinder wohlhabenderer Eltern von den klösterlichen Lehrerinnen vorgezogen wurden. Diese Ungleichbehandlung bewegte die Meier-Töchter aus Schiefweg auch noch fast vierzig...