Götting | Alles Amore | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 256 Seiten

Reihe: Ullstein eBooks

Götting Alles Amore

Wie ich in Italien um meine Liebe campte
1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-8437-0763-3
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Wie ich in Italien um meine Liebe campte

E-Book, Deutsch, 256 Seiten

Reihe: Ullstein eBooks

ISBN: 978-3-8437-0763-3
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Wie lang braucht ein Mann in der Midlife-Crisis, um seine Welt komplett in Trümmer zu legen? Markus genügen dafür ein paar Wochen. Er verlässt Frau und Kinder für eine Jüngere und lebt, als wäre er noch mal Mitte 20. Als seine Hirnzellen endlich wieder die Oberhand über seine Hormone gewinnen, beschließt er, um seine Ehe zu kämpfen. In einem italienischen Fischerdörfchen, wo die Familie traditionell im Wohnwagen ihre Ferien verbringt, will er seine Lena zurückerobern. Und seine schrägen Camperfreunde versuchen mit vielen verrückten Ideen, ihm bei diesem ganz persönlichen Canossa-Gang zu helfen.

Markus Götting, Jahrgang 1971, lebt in München. Nach Stationen bei der Süddeutschen Zeitung, dem SZ-Magazin und dem stern ist er seit 2014 Textchef beim Focus. Seine Bestseller 'Nachts im Sägewerk' und 'Alles Azzurro' sind beide bei Ullstein erschienen.
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Uno


Himmel, ist das heiß hier. Und Hölle: In meinem Schädel pocht der Kopfschmerz auch Stunden später noch wie die Bässe einer Hardcore-Techno-Hymne.

Wumm wumm wumm.

Wie lange bin ich jetzt wohl unterwegs? Gefühlt mindestens drei Tage, und wenn meine Uhr richtig geht, dann sind es immerhin gute zwanzig Stunden. Und die letzten beiden in diesem an sich herrlich anachronistischen Bummelzug von San Severo haben mich total fertiggemacht. Natürlich ist das bezaubernd. Dieses gemütliche Rattern und Rumpeln entlang der adriatischen Küste in der hübschen Provinz Foggit. Aber fertig macht es mich trotzdem. Physisch, weil mein Rücken nach einer ganzen Weile so sehr mit den alten rissigen Kunstledersitzen verschmolzen war, dass ich glaubte, nur ein Einsatzkommando der lokalen Feuerwehr könne mich je wieder ablösen.

Mental war ich nicht minder ausgelaugt. Ermattet und entsprechend wehrlos saß ich da. Krächzende Stimmen hatten sich in meinen Kopf gebohrt, die drei alten Schnattertanten hatten schon beim Einsteigen eine offenbar ziemlich kontroverse Diskussion begonnen, die sie mit allerlei Gesten und bemerkenswerten Amplituden in ihrem süditalienischen Singsang bis zum Aussteigen durchgeorgelt hatten. Das ist ja das Verrückte hier in Süditalien: so viele Stunden bei Donatella, meiner lombardischen Italienischlehrerin; Zeitung lesen, Gameshows in der RAI gucken, alles bene. Semplice. Aber sobald die hier in ihrem Dialekt palavern, versteht man selbst als ambitionierter Hilfsitaliener genauso wenig wie ein Krabbenfischer, der ins Ötztal verschleppt wurde.

Mein Schwiegervater liebt diesen Bummelzug. Wahrscheinlich weniger, weil er eine Reise im Sinne des Raumgewinns darstellt, sondern vielmehr eine in die Vergangenheit. In eine Zeit, in der die Deutschen grässlichen Wein aus bauchigen Flaschen tranken und diese nachher zu Kerzenständern umfunktionierten. Damals war Peter noch ein Pionier, der seine Familie in einem schnaufenden VW-Bus bis in den äußersten Zipfel Apuliens expedierte; und seine vier Kinder wurden noch wie wundersame Wesen bestaunt. Diese blonden Haare! Das älteste dieser Kinder ist meine Frau Lena.

Vor dem Gesetz und fürs Finanzamt ist sie das jedenfalls immer noch …

Die Lok ächzt, als der Zug zum Stehen kommt. Willkommen in Sepiana. »Stazione terminale«, sagt der Schaffner über Lautsprecher. Ich muss resigniert schmunzeln: Endstation.

Der sogenannte Bahnhof, das hatte ich schon fast vergessen, ist ein niedlicher Witz. Ein gelbes Siebziger-Jahre-Häuschen, das exakt so aussieht wie aus einem Modelleisenbahn-Bausatz von Faller; die Zypressen auf dem kleinen Vorplatz erscheinen arg mitgenommen. Viel geregnet hat es wohl nicht in den vergangenen Wochen. Zwei Dutzend Leute steigen aus; die Schnattertanten schlurfen durch den Staub hinüber zum Bus, der wie die übrigen Autos nach guter italienischer Sitte mit laufendem Motor wartet. Auch, wenn er frühestens in einer Viertelstunde fährt.

Ein Typ, der mir irgendwie bekannt vorkommt, holt in seinem roten Golf Cabrio zwei Touristinnen mit schweren Rucksäcken ab, die er sich vorbildlich über je eine Schulter hängt. Ich krame Zigaretten aus meiner Umhängetasche hervor, dann blicke ich mich um. Wo ist Willi?

Willi ist mein väterlicher Camper-Kumpel, den ich vor ein paar Jahren während meiner Hochzeitsreise hier auf dem Campingplatz kennengelernt habe. Ein patenter Rentner aus dem Rheinland, der mir nicht nur half, meinen allerersten Wohnwagenurlaub in Würde zu überstehen, sondern mich geduldig in dieses seltsamste aller Ferien-Milieus einführte. Vor ein paar Tagen hatte er mich angerufen, als Lena mit den Kindern im »Grande Paradiso« angekommen war; und dabei hat er mich dermaßen zusammengefaltet, wie ich es sonst nur von meinem echten Vater kenne, wenn ich ihn alle paar Monate mal wieder anpumpe, um mein defizitäres Konto auszugleichen.

Kein Willi. Nirgends. Und ich muss zugeben, meine Ankunft hier hätte ich auch besser organisieren können. Wie so ziemlich alles in meinem verkorksten Leben.

Es ist noch keine 24 Stunden her, da wäre ich im Augustiner-Garten beinahe von der Bierbank gepurzelt. Wir waren eine ziemlich lustige Runde in ständig wechselnder Besetzung (ich war wenigstens diesmal die einzige Konstante), die schon am Nachmittag damit begonnen hatte, Erfrischung in Maßkrügen zu suchen. So ganz konkret und in allen Details erinnere ich mich leider nicht mehr. Ein paar Filmfetzen sind mir geblieben: Toni, mein bester, wenn auch nicht seriösester Freund, war von meinem bluesigen Gejammer dermaßen genervt, dass er bloß sagte: »Dann fahr ihr doch hinterher.«

Und ich weiß auch noch, wie ich in der Dämmerung die Arnulfstraße entlang zum Hauptbahnhof getaumelt bin. Aber statt in die U-Bahn zu steigen und die zwei Haltestellen nach Hause zu fahren, um meinen Rausch auszuschlafen, bin ich geradewegs in das Service-Center gewankt.

Da können die Leute ja noch so viel über die Deutsche Bahn und ihr unfreundliches Personal meckern: Ich muss ehrlich sagen: Wie es der Frau am Schalter gelungen ist, aus meinem Gelalle die wesentlichen Informationen herauszufiltern und mir tatsächlich ein Ticket nach Sepiana statt nach Sardinien oder sonst wohin zu verkaufen, das nötigt mir Respekt ab. Jedenfalls saß ich nur wenig später im Nachtzug nach Bologna.

Und ja: In diesem Fall ist der Begriff Odyssee ausnahmsweise mal völlig angemessen. Schließlich geht es bei dieser Irrfahrt tatsächlich um einen Mann, der sich nichts sehnlicher wünscht, als endlich wieder nach Hause zurückkehren zu dürfen.

Der Bus hupt. Die Türen schließen. Kein Willi. Immerhin gelingen mir trotz meines erbärmlichen Zustands noch ein paar sinnvolle Assoziationen – ich renne also los und kann den Bus gerade noch an der Ausfahrt des Bahnhofsvorplatzes stoppen. Keuchend lasse ich mich auf einen Platz fallen, die Schnattertanten labern zwei Reihen hinter mir munter weiter. Ist jetzt auch wurscht. Wir fahren zwanzig Minuten durch wild bewucherte Serpentinen Richtung Marktplatz von Sepiana. Die Kurven werden zu einer Belastungsprobe für meinen Magen. Bevor ich mich übergeben muss, löse ich den obersten Knopf meiner Jeans. Platz schaffen. Dann wähle ich erneut Willis Nummer. Heute in der Früh, beim Umsteigen in Bologna, hatte ich es schon mal bei ihm versucht, aber sofort sprang seine Mailbox an. Wahrscheinlich gibt es mal wieder kein Netz auf dem »Grande Paradiso«. Wenn es immer heißt, unser Campingplatz habe sich seine malerische Ursprünglichkeit bewahrt, schließt das wohl auch ein, selbst im 21. Jahrhundert auf Mobilfunkmasten zu verzichten. Dabei hatte ich früher immer geglaubt, man würde einen Italiener sofort für klinisch tot erklären müssen, sobald er sein Handy und die Sonnenbrille verloren hat.

Meine SMS hat Willi jedenfalls auch nur bekommen, falls er wirklich den Platz mal verlassen sollte. Und hoffentlich kann er als Rentner überhaupt etwas mit SMS anfangen.

Immer noch die Mailbox.

In der Zwischenzeit kommt auch hier wieder die Adria in Sicht und die ersten windigen Häuschen von Sepiana, deren von der Sonne angestrahltes Weiß dem Reisenden schon von weitem entgegenleuchtet. Sepiana war bis vor 15 Jahren ein unbedeutendes Fischerdörfchen, das vorübergehend mal berühmt wurde, als eine Tippgemeinschaft von hundert Leuten den bis dahin größten Jackpot der italienischen Lottogeschichte geknackt hat. Vor allem aber ist es seit Jahrzehnten Lenas absoluter Sehnsuchtsort – eine Obsession, an die ich mich im Laufe der Jahre notgedrungen gewöhnt habe. Die sich nun aber auf unsere zwar unmündigen, dafür jedoch sehr meinungsstarken Kinder übertragen hat.

Der Bus lässt uns an der Piazza raus. In meinem Fall sollte ich eher sagen: er spuckt uns aus. So jedenfalls fühle ich mich – wie ausgekotzt. In meinem Kopf schwirrt die Melodie von »Strada del Sole« herum. Großartiges Lied, in dem Rainhard Fendrich das Schicksal eines armen Tropfs besingt, der am Rande der italienischen Autobahn A1 in der Hitze steht und von seiner Frau sitzengelassen wurde für einen dieser schmierigen Papagalli. Und jetzt ist er allein und komplett abgebrannt: »I hob kaane Lire und kaane Papiere.«

Zugegeben, die Ausgangssituation in meinem Fall ist eher andersherum, soweit es das Sitzenlassen betrifft, und meine Papiere habe ich auch noch am Mann, aber i hob kaane Euros. Jedenfalls nur noch erschreckend wenige.

Als Krisenreporter einer großen Hamburger Zeitschrift hatte ich schon die ein oder andere unangenehme Situationen erlebt. Naturkatastrophen, Kriege, Straßenschlachten, Staaten, die dem Bankrott entgegengetaumelt sind. Aber es waren immer die Krisen anderer, und ich war nur der teilnehmende Beobachter. Jetzt ist es meine eigene. Und wieder einmal muss ich feststellen, dass ich sehr viel besser darin bin, die Fehler Fremder zu analysieren als meinen eigenen, selbstverschuldeten Schlamassel.

Mein Hemd klebt an meinem Rücken, Schweißflecken unter den Achseln. Vor ein paar Wochen war ich noch monsterstolz darauf, dank eines entschlossenen Ernährungs- und Fitnessprogramms endlich wieder in diese supereng geschnittenen Slimfit-Klamotten reinzupassen. Jetzt muss ich allerdings feststellen, dass ich mit meinen albernen schmalen Jeans und den überehrgeizigen Lederschuhen allenfalls in der Via Montenapoleone in Mailand eine bella figura machen würde. Hier auf dem corso eines Touristendorfes glotzen mich die Leute völlig zurecht an wie einen Volldeppen.

Meine Zunge ist so pelzig, als würden mir Haare aus...


Götting, Markus
Markus Götting, Jahrgang 1971, lebt in München. Nach Stationen bei der Süddeutschen Zeitung, dem SZ-Magazin und dem stern ist er seit 2014 Textchef beim Focus. Seine Bestseller "Nachts im Sägewerk" und "Alles Azzurro" sind beide bei Ullstein erschienen.

Markus Götting, Jahrgang 1971, lebt in München. Nach Stationen bei der Süddeutschen Zeitung, dem SZ-Magazin und dem stern ist er seit 2011 Redakteur für besondere Aufgaben bei der Zeitschrift Bunte. Seine Bestseller "Nachts im Sägewerk" und "Alles Azzurro" sind beide bei Ullstein erschienen.



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