E-Book, Deutsch, Band 25, 800 Seiten
Reihe: Anaconda Gesammelte Werke
E-Book, Deutsch, Band 25, 800 Seiten
Reihe: Anaconda Gesammelte Werke
ISBN: 978-3-7306-9146-5
Verlag: Anaconda Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Autoren/Hrsg.
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FRÜHE GEDICHTE
Gedichte der Knabenjahre
Bei dem erfreulichen Anbruche des 1757. Jahres
wollte seinen hochgeehrtesten und herzlichgeliebten Großeltern
die Gesinnungen kindlicher Hochachtung und Liebe
durch folgende Segenswünsche zu erkennen geben
deroselben treugehorsamster Enkel
Johann Wolfgang Goethe. Erhabner Großpapa! Ein Neues Jahr erscheint, Drum muss ich meine Pflicht und Schuldigkeit entrichten, Die Ehrfurcht heißt mich hier aus reinem Herzen dichten, So schlecht es aber ist, so gut ist es gemeint. Gott, der die Zeit erneut, erneure auch Ihr Glück, Und kröne Sie dies Jahr mit stetem Wohlergehen; Ihr Wohlsein müsse lang so fest wie Zedern stehen, Ihr Tun begleite stets ein günstiges Geschick; Ihr Haus sei wie bisher des Segens Sammelplatz, Und lasse Sie noch spät Möninens Ruder führen, Gesundheit müsse Sie bis an Ihr Ende zieren, Dann diese ist gewiss der allergrößte Schatz. Erhabne Großmama! Des Jahres erster Tag Erweckt in meiner Brust ein zärtliches Empfinden Und heißt mich ebenfalls Sie jetzo anzubinden Mit Versen, die vielleicht kein Kenner lesen mag; Indessen hören Sie die schlechte Zeilen an, Indem sie wie mein Wunsch aus wahrer Liebe fließen. Der Segen müsse sich heut über Sie ergießen, Der Höchste schütze Sie, wie er bisher getan. Er wolle Ihnen stets, was Sie sich wünschen, geben Und lasse Sie noch oft ein Neues Jahr erleben. Dies sind die Erstlinge, die Sie anheut empfangen, Die Feder wird hinfort mehr Fertigkeit erlangen. Bei diesem neuen Jahreswechsel überreicht
seinen verehrungswürdigen Großeltern dieses Opfer
aus kindlicher Hochachtung
Joh. Wolfg. Goethe den 1. Jenner 1762. Großeltern, da dies Jahr heut seinen Anfang nimmt, So nehmt auch dieses an, das ich vor Euch bestimmt, Und ob Apollo schon mir nicht geneigt gewesen, So würdiget es doch nur einmal durchzulesen. Ich wünsch aus kindlichem gehorsamen Gemüte Euch alles Glück und Heil von Gottes Hand und Güte, Sein guter Engel sei bei Euch in aller Zeit. Er geb’ Euch das Geleit in Widerwärtigkeit Sowohl als in dem Glück und lass Euch lang noch leben, Dass Ihr Urenklen noch den Segen könnet geben; Dies schreibt der älteste von Eurer Töchter Söhnen, Um sich auch nach und nach zu denken angewöhnen, Und zeigt ingleichen hier mit diesen Zeilen an, Was er dies Jahr hindurch im Schreiben hat getan. Wenn mich bis übers Jahr die Parzen schonen täten, Wie gerne wollt’ ich denn mit fremder Zunge reden. POETISCHE GEDANKEN
ÜBER DIE HÖLLENFAHRT JESU CHRISTI
Auf Verlangen entworfen von J. W. G. Welch ungewöhnliches Getümmel! Ein Jauchzen tönet durch die Himmel. Ein großes Heer zieht herrlich fort. Gefolgt von tausend Millionen Steigt Gottes Sohn von seinen Thronen Und eilt an jenen finstern Ort. Er eilt, umgeben von Gewittern; Als Richter kommt Er und als Held. Er geht, und alle Sterne zittern. Die Sonne bebt. Es bebt die Welt. Ich seh’ Ihn auf dem Siegeswagen, Von Feuerrädern fortgetragen, Den, der für uns am Kreuze starb. Er zeigt den Sieg auch jenen Fernen, Weit von der Welt, weit von den Sternen, Den Sieg, den Er für uns erwarb. Er kommt, die Hölle zu zerstören, Die schon sein Tod darnieder schlug; Sie soll von Ihm ihr Urteil hören. Hört! Jetzt erfüllet sich der Fluch. Die Hölle sieht den Sieger kommen, Sie fühlt sich ihre Macht genommen. Sie bebt und scheut Sein Angesicht. Sie kennet Seines Donners Schrecken. Sie sucht umsonst sich zu verstecken. Sie sucht zu fliehn und kann es nicht. Sie eilt vergebens, sich zu retten Und sich dem Richter zu entziehn, Der Zorn des Herrn, gleich ehrnen Ketten, Hält ihren Fuß, sie kann nicht fliehn. Hier lieget der zertretne Drache, Er liegt und fühlt des Höchsten Rache, Er fühlet sie und knirscht vor Wut. Er fühlt der ganzen Hölle Qualen, Er ächzt und heult bei tausend Malen: Vernichte mich, o heiße Glut! Da liegt er in dem Flammen-Meere, Ihn foltern ewig Angst und Pein. Er flucht, dass ihn die Qual verzehre, Und hört, die Qual soll ewig sein. Auch hier sind jene große Scharen, Die mit ihm gleichen Lasters waren, Doch lange nicht so bös als er. Hier liegt die ungezählte Menge, In schwarzem schröcklichen Gedränge, Im Feuer-Orkan um ihn her. Er sieht, wie sie den Richter scheuen, Er sieht, wie sie der Sturm zerfrisst. Er sieht’s und kann sich doch nicht freuen, Weil seine Pein noch größer ist. Des Menschen Sohn steigt im Triumphe Hinab zum schwarzen Höllen-Sumpfe Und zeigt dort Seine Herrlichkeit. Die Hölle kann den Glanz nicht tragen, Seit ihren ersten Schöpfungstagen Beherrschte sie die Dunkelheit. Sie lag entfernt von allem Lichte, Erfüllt von Qual im Chaos hier. Den Strahl von Seinem Angesichte Verwandte Gott auf stets von ihr. Jetzt siehet sie in ihren Grenzen Die Herrlichkeit des Sohnes glänzen, Die fürchterliche Majestät. Sie sieht mit Donnern Ihn umgeben, Sie sieht, dass alle Felsen beben, Wie Gott im Grimme vor ihr steht. Sie sieht’s, Er kommet, sie zu richten, Sie fühlt den Schmerzen, der sie plagt; Sie wünscht umsonst, sich zu vernichten. Auch dieser Trost bleibt ihr versagt. Nun denkt sie an ihr altes Glücke, Voll Pein an jene Zeit zurücke, Da dieser Glanz ihr Lust gebar; Da noch ihr Herz im Stand der Tugend, Ihr froher Geist in frischer Jugend Und stets voll neuer Wonne war. Sie denkt mit Wut an ihr Verbrechen, Wie sie die Menschen kühn betrog. Sie dachte sich an Gott zu rächen, Jetzt fühlt sie, was es nach sich zog. Gott ward ein Mensch. Er kam auf Erden. Auch dieser soll mein Opfer werden, Sprach Satanas und freute sich. Er suchte Christum zu verderben, Der Welten Schöpfer sollte sterben. Doch weh dir, Satan, ewiglich! Du glaubtest Ihn zu überwinden, Du freutest dich bei Seiner Not. Doch siegreich kommt Er, dich zu binden. Wo ist dein Stachel hin, o Tod? Sprich, Hölle! Sprich, wo ist dein Siegen? Sieh nur, wie deine Mächte liegen. Erkennst du bald des Höchsten Macht? Sieh, Satan! Sieh dein Reich zerstöret. Von tausendfacher Qual beschweret Liegst du in ewig finstrer Nacht. Da liegst du wie vom Blitz getroffen. Kein Schein vom Glück erfreuet dich. Es ist umsonst. Du darfst nichts hoffen, Messias starb allein für mich! Es steigt ein Heulen durch die Lüfte, Schnell wanken jene schwarze Grüfte, Als Christus Sich der Hölle zeigt. Sie knirscht aus Wut; doch ihrem Wüten Kann unser großer Held gebieten; Er winkt, die ganze Hölle schweigt. Der Donner rollt vor Seiner Stimme. Die hohe Siegesfahne weht. Selbst Engel zittern vor dem Grimme, Wann Christus zum Gerichte geht. Jetzt spricht Er; Donner ist Sein Sprechen, Er spricht, und alle Felsen brechen. Sein Atem ist dem Feuer gleich. So spricht Er: Zittert, ihr Verruchte! Der, der in Eden euch verfluchte, Kommt und zerstöret euer Reich. Seht auf! Ihr waret Meine Kinder, Ihr habt euch wider Mich empört. Ihr fielt und wurdet freche Sünder, Ihr habt den Lohn, der euch gehört. Ihr wurdet Meine größten Feinde, Verführtet Meine liebsten Freunde. Die Menschen fielen so wie ihr. Ihr wolltet ewig sie verderben. Des Todes sollten alle sterben. Doch, heulet! Ich erwarb sie Mir. Für sie bin Ich herab gegangen, Ich litt, Ich bat, Ich starb für sie. Ihr sollt nicht euren Zweck erlangen. Wer an Mich glaubt, der stirbet nie. Hier lieget ihr in ew’gen Ketten, Nichts kann euch aus dem Pfuhl erretten, Nicht Reue, nicht Verwegenheit. Da liegt, krümmt euch in Schwefel-Flammen! Ihr eiltet, euch selbst zu verdammen, Da liegt und klagt in Ewigkeit! Auch ihr, so Ich Mir auserkoren, Auch ihr verscherztet Meine Huld; Auch ihr seid ewiglich verloren. Ihr murret? Gebt Mir keine Schuld. Ihr solltet ewig mit Mir leben, Euch ward hierzu Mein Wort gegeben, Ihr sündigtet und folgtet nicht. Ihr lebtet in dem Sünden-Schlafe. Nun quält euch die gerechte Strafe, Ihr fühlt Mein schreckliches Gericht. — So sprach Er, und ein furchtbar Wetter Geht von...