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E-Book, Deutsch, 256 Seiten
Reihe: Ullstein eBooks
Göpfrich / Engel Der Weihnachtsmann steigt aus
15001. Auflage 2015
ISBN: 978-3-8437-1163-0
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman
E-Book, Deutsch, 256 Seiten
Reihe: Ullstein eBooks
ISBN: 978-3-8437-1163-0
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Astrid Göpfrich hat Literaturwissenschaft, Kunst und Medien studiert und arbeitet als Kulturmanagerin, Lektorin, Autorin und Regisseurin von Hörproduktionen.Sie lebt mit Mann und Kater in Freiburg.
Autoren/Hrsg.
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Himmelreich
Am späten Nachmittag des 28. Dezembers betrat der Weihnachtsmann mit hängenden Schultern das Gasthaus »Zum Himmelreich« und blickte müde in die Runde nachweihnachtlicher Gäste.
Das helle Licht der Gaststube blendete ihn, denn draußen senkte sich bereits die Dämmerung herab und tauchte die Stadt in ein geheimnisvolles Blau.
Der Weihnachtsmann blieb kurz in der Tür stehen, bis seine Augen sich an die Helligkeit gewöhnt hatten, und blinzelte. »Schnghbnd …«, gurgelte es aus seinem weißen Bart hervor, der zerzaust bis zum Bauch hinabhing. Das sollte eigentlich »Schönen guten Abend« heißen, aber vor Aufregung bekam der Weihnachtsmann seine Zähne kaum auseinander. Er war es nicht gewohnt, unter so vielen Menschen zu sein.
Die Gäste blickten erstaunt auf die ungewöhnliche Gestalt, die sich suchend nach einem freien Tisch umsah. Sie sahen einen Mann im langen Mantel, dessen Farbe einmal rot gewesen sein musste, jetzt aber ein ausgeblichenes und schmutziges Orange aufwies. Seine Füße steckten in hohen braunen Stiefeln, deren Absätze vollkommen heruntergelaufen waren.
Niemand erkannte den Weihnachtsmann. Die Gäste dachten, ein Landstreicher wäre von dem weithin sichtbaren Licht der warmen Gaststube angezogen worden und hätte Schutz vor der rauhen Witterung gesucht. Gelangweilt wandten sie sich ab und nahmen nach und nach ihre Gespräche wieder auf.
Der Weihnachtsmann setzte sich an den einzigen freien Tisch direkt neben der Tür. Plötzlich merkte er, wie zittrig seine Beine waren, denn er hatte seit Tagen nichts Richtiges gegessen. Hier duftet es ja verheißungsvoll, dachte er und versuchte, den Geruch mit seiner etwas spitzen Nase einzufangen.
Der Weihnachtsmann wusste aber nicht, wie man in einem Gasthaus etwas zu essen bestellt. Aus den Augenwinkeln beobachtete er, wie eine junge Frau dampfende Getränke und schmackhaft aussehende Gerichte an die Tische trug. Ihm lief das Wasser im Mund zusammen. »Grrrrrrk …«, grummelte sein Magen erbärmlich, »Grrrrrrkrrrk …«
Vor ihm lag ein schmales Buch mit der Aufschrift »Speisekarte«. Er klappte es auf und las: »Ge…füllte Maul…taschen«, »Schnitzel mit Bratkartoffeln« oder »Pfannkuchen mit Pilzfüllung«. Keines der Gerichte sagte ihm auch nur das Geringste.
In den himmlischen Gefilden, wo er lebte, gab es Sternschnuppensuppe oder Schneeflockenkaltschale und zum Nachtisch Mondsichelmus und Kristalleis, aber niemals hatte er von Gerichten wie diesen gehört. Verwirrt blickte er in die Karte und suchte fieberhaft nach etwas Bekanntem. Er war so sehr in den Klang der eigenartigen Worte vertieft, dass er gar nicht bemerkte, wie eine Kellnerin an seinen Tisch kam und ihn erwartungsvoll ansah.
»Haben Sie was gefunden, junger Mann?«
Der Weihnachtsmann sah erschrocken auf und blickte in zwei freundlich spöttische grüne Augen. Sofort entspannte er sich etwas und zeigte hilfesuchend auf die vielen Gerichte: »Ich weiß nicht …« Sein Zeigefinger wanderte ratlos die Speisekarte auf und ab.
»Ja, unsere Karte ist ziemlich üppig«, sagte die Kellnerin nicht ohne Stolz, »da waren schon viele überfordert.«
»Ja, … ja überfordert«, lachte der Weihnachtsmann erleichtert über die unverhoffte Lösung und lehnte sich zurück. »Könnten Sie mir vielleicht … etwas empfehlen?«, fragte er scheu.
»Klar«, sagte die Kellnerin und strich sich eine vorwitzige blonde Strähne aus dem Gesicht, »nehmen Sie doch einfach das Tagesgericht. Schmeckt köstlich.« Sie zeigte auf eine große Tafel über der Theke, auf der mit Kreide Heute: Käsespätzle mit gerösteten Zwiebeln geschrieben stand.
»Ja … genau, Kesse-Spätzle, das nehme ich«, antwortete der Weihnachtsmann siegessicher, doch er hatte keine Ahnung, was er da gerade bestellte.
Die Kellnerin musste über die falsche Aussprache der Käsespätzle innerlich grinsen, ließ sich aber nichts anmerken. Wahrscheinlich kommt der bärtige alte Mann von auswärts, dachte sie, und damit lag sie ja gar nicht so falsch. »Und was möchten Sie trinken?« Sie notierte das Tagesgericht und wartete mit aufmunternder Miene auf seinen Getränkewunsch.
Aus dem hinteren Teil des Gastraums forderte eine ungeduldige Stimme bereits zum wiederholten Mal die Rechnung.
«Ich nehme … einen Blitzeistee!«, bestellte der Weihnachtsmann sein himmlisches Lieblingsgetränk.
Die Kellnerin lachte: »Blitzeistee so, so, na, Sie sind mir ja ein Juxgebäck.«
Der Weihnachtsmann blickte verständnislos drein.
»Na, ein Scherzkeks, Witzbold oder meinetwegen Spaßvogel, wie Sie wollen.« Sie zwinkerte dem Weihnachtsmann verschwörerisch zu, kritzelte »Eistee« auf ihren Block, rief »Komme gleich« in Richtung des Zahlungswilligen und verschwand zur Theke, wo ein gestreng dreinblickender Wirt die Bestellungen entgegennahm.
Der Weihnachtsmann verstand nicht, was die Heiterkeit der Kellnerin auslöste, aber sie hatte freundlich gelacht, und so besserte sich seine Niedergeschlagenheit ein wenig. Er streckte die Beine unter dem Tisch aus und merkte jetzt erst, wie unsagbar erschöpft er eigentlich war.
Seinen Schlitten hatte er vor zwei Stunden hinter einem Schuppen geparkt, um kein Aufsehen zu erregen und den beiden entkräfteten Rentieren Einar und Elvar noch etwas Heu und frisches Wasser bereitgestellt. Dann hatte er mutlos auf die vielen Pakete geblickt, die hinten auf der Ladefläche des Schlittens lagen.
Das Geschenkpapier war durch den feinen Nieselregen bereits aufgeweicht und vom tagelangen Umherrutschen an den Ecken abgestoßen. Wieder hatte er es nicht geschafft, alle Pakete rechtzeitig an Heiligabend auszuliefern, und wieder würden einige Kinder sehr enttäuscht sein.
»So kann es nicht weitergehen«, sagte er leise zu sich und seufzte. Die Kellnerin zischte mit der Rechnung für den Zahlungswilligen an seinem Tisch vorbei. Könnte ich vielleicht auswandern?, überlegte der Weihnachtsmann und verwarf den Gedanken sogleich wieder. Denn: Wohin sollte er gehen?
Sinterklaas musste in Holland fast noch mehr schuften als er, der französische Père Noël war gerade wegen Burnout in der intergalaktischen Supernova-Kurklinik behandelt worden, und von Jultomten aus Schweden hatte er schon seit zwei Jahren nichts mehr gehört. Obwohl die Weihnachtsmänner Tag und Nacht unterwegs waren und unermüdlich schufteten, schafften es die meisten nicht, pünktlich zum Fest alle Geschenke auszuliefern.
Der Weihnachtsmann seufzte und sah wehmütig zum Nachbartisch, an dem sich eine Familie gerade über die neuesten Schnappschüsse amüsierte. Bestimmt hatte er selbst den dazugehörenden Apparat zu Weihnachten geliefert, aber er erinnerte sich nicht daran.
Früher hatte man beim Ausliefern einen kleinen Schwatz halten können oder war sogar kurz zum Aufwärmen hereingebeten worden. Heute klingelte er, drückte den verdutzten Leuten die Geschenke in die Hand und rannte auch schon wieder zu seinem Schlitten zurück. Manchmal reichte die Zeit sogar nur dafür, die Pakete im Vorbeifahren über den Zaun zu werfen. Dann konnte er nur hoffen, dass sie rechtzeitig gefunden wurden. Die beiden Rentiere Einar und Elvar bekamen viel zu kurze Pausen und waren oft fußkrank. Am schlimmsten ist, dachte er, dass manche Kinder ganz auf ihre Geschenke verzichten müssen.
Weihnachtsmann zu sein, machte einfach überhaupt keinen Spaß mehr.
Nachdem er zwei Stunden ziellos durch die Stadt geirrt und schon bald völlig orientierungslos war, hatte er schließlich das Gasthaus »Zum Himmelreich« entdeckt. Der Name hatte ihn sogleich in seinen Bann gezogen, schließlich wohnte der Weihnachtsmann in himmlischen Gefilden. So hoffte er, hier auf Gleichgesinnte zu stoßen. Genau genommen hatte ihn natürlich auch der köstliche Geruch, der vom Gasthaus ausging, hierher gelockt.
Der Weihnachtsmann blickte sich gespannt in der Gaststube um, als auch schon die Kellnerin mit einer Tasse und einem dampfenden Teller auf ihn zueilte.
»Einmal Blitzeistee und einmal die Kessen Spätzle«, lachte sie, stellte das Geschirr vor ihm ab, drehte sich flugs auf einem Fuß um und war schon wieder am Nachbartisch, um dort eine neue Bestellung aufzunehmen.
Etwas wie die Spätzle hatte der Weihnachtsmann noch nie gesehen, doch sie verströmten einen betörenden Duft von geschmolzenem Käse und gerösteten Zwiebeln. So nahm er entschlossen die Gabel, spießte einige Spätzle und Zwiebeln darauf auf und führte sie zum Mund. Der geschmolzene Käse zog lange Fäden vom Teller zur Gabel und verhedderte sich in seinem Bart.
Das störte den Weihnachtsmann nicht im Geringsten, denn der Geschmack war wirklich sensationell. So würzig und so kräftig, ja, fast besser als die himmlische Sternschnuppensuppe. Er aß und aß und vergaß vor lauter köstlicher Wonne alles um sich herum.
Als der Teller leer war, lehnte er sich zufrieden zurück und rieb sich den Bauch.
»Ach, ich habe ja noch gar nichts von dem Blitzeistee probiert!«, stellte er auf einmal fest und nahm gierig einen großen Schluck. Doch was war das? Der Blitzeistee bestand nicht im Entferntesten aus einer luftigen Essenz von Eiskristallen, wie man ihn im Himmel servierte. »Der ist ja total sauer… und seltsam: zugleich viel zu süß, pfui!« Angewidert spie der Weihnachtsmann den Tee aus und sprühte ihn dabei über den ganzen Tisch.
Schlagartig verstummten an den Nebentischen die Gespräche, und tausend Augenpaare schienen ihn nun feindselig zu mustern.
Der Weihnachtsmann errötete bis unter die Haarwurzeln und tat, als ob er den Flug einer imaginären Fliege verfolgen müsse. Dabei bemerkte er, dass sein Bart...