E-Book, Deutsch, 400 Seiten
Goddard Das Geheimnis von Malborough Downs
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-96148-990-9
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Roman
E-Book, Deutsch, 400 Seiten
ISBN: 978-3-96148-990-9
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Robert William Goddard, geboren 1954 in Fareham, ist ein vielfach preisgekrönter britischer Schriftsteller. Nach einem Geschichtsstudium in Cambridge begann Goddard zunächst als Journalist zu arbeiten, bevor er sich ausschließlich dem Schreiben von Spannungsromanen widmete. Robert Goddard wurde 2019 für sein Lebenswerk mit dem renommierten Preis der Crime Writer's Association geehrt. Er lebt mit seiner Frau in Cornwall. Robert Goddard veröffentlichte bei dotbooks auch die folgenden Kriminalromane: »Im Netz der Lügen« »Der Preis des Verrats« »Eine tödliche Sünde« »Ein dunkler Schatten« »Denn ewig währt die Schuld« »Das Geheimnis von Trennor Manor« »Das Geheimnis der Lady Paxton« »Das Haus der dunklen Erinnerung« »Das Geheimnis von Malborough Downs« »Dunkles Blut - Harry Barnett ermittelt: Der erste Fall« »Dunkle Sonne - Harry Barnett ermittelt: Der zweite Fall« »Dunkle Erinnerung - Harry Barnett ermittelt: Der dritte Fall« Robert Goddard veröffentlichte bei dotbooks weiterhin die historischen Kriminalromane: »Die Sünden unserer Väter« »Die Schatten der Toten« »Jäger und Gejagte« »Die Klage der Toten« »Der Kartograf von London«
Weitere Infos & Material
Prolog
Es beginnt Ende Juli in Avebury. Der Sommer, der bis dahin kühl und feucht gewesen war, ist über Nacht warm und trocken geworden. Die Kalksteinhügel der Malborough Downs flimmern im Dunst der ungewohnten Hitze. Feldlerchen singen in der windstillen Luft über den mit Schafen übersäten Weiden. Unerbittlich brennt die hoch am Himmel stehende Sonne herab. Und die Steine, verwittert und mit Moosflechten überwachsen, stehen seit fast fünftausend Jahren Wache.
Es beginnt also an einem Ort, dessen Ursprünge und Zwecke im Altertum verborgen liegen. Warum vorgeschichtliche Erbauer von megalithischen Anlagen so viel Zeit und Mühe darauf verwendet haben, hier bei Avebury einen von Wällen umgebenen, gewaltigen Steinkreis zu errichten und weniger als eine Meile davon entfernt den künstlichen Hügel von Silbury aufzuschütten, ist unergründet und unergründlich.
Es beginnt deshalb in einer Landschaft, in der das Unerklärte und das Unerklärliche schweigsam dicht nebeneinander liegen, in der von Menschen gemachte Wegweiser einer entfernten Vergangenheit über eine fest gefügte, wohl geordnete Welt spotten, die nichts als eine flackernde, schnell vergehende Gegenwart ist.
Angelsächsische Siedler haben Avebury vor eineinhalb Jahrtausenden seinen heutigen Namen gegeben. Im Schutz seines Grabens und des Erdwalls gründeten sie ein Dorf. Während im Laufe der Jahrhunderte das Dorf wuchs, wurden viele dieser Steine weggeschafft oder eingegraben. Später verwendete man sie als Material zum Bau von Häusern – und den Graben als Müllhalde. Was vom Steinkreis übrig blieb, verwitterte.
Dann trat in den 1930er Jahren der Marmeladenmillionär und Hobbyarchäologe Alexander Keiller auf den Plan. Er kaufte das halbe Dorf, riss es nieder, barg die alten Steine, säuberte den Graben und restaurierte den Kreis. Das Rad der Zeit wurde zurückgedreht. Nun übernahm die Denkmalschutzbehörde, der National Trust, das Gelände. Der Steinkreis erlebte eine neuerliche Blüte – als historische Stätte und als ungelöstes Rätsel.
Inzwischen ist es fast vierzig Jahre her, dass der National Trust von Keiller die Rechte auf die Anlage in Avebury erwarb. Der restaurierte Kreis glüht, von niemandem behelligt, in der Hitze eines Sommertags. Ein Turmfalke, der sich von der Luftströmung in die Höhe tragen ließ, genießt einen perfekten Blick auf den rundum von einem Wall eingefassten Steinkreis, den Baumeister späterer Generationen gevierteilt haben. Die High Street des Teils des Dorfes, der überlebt hat, führt in west-östlicher Richtung durch den Kreis, wo sie in der Nähe des Mittelpunkts die Straße von Swindon nach Devize quert. Östlich dieser Kreuzung lassen sich am Fehlen der Gebäude die Folgen von Keillers Abbruchsarbeiten deutlich erkennen. Die Green Street macht inzwischen ihrem Namen alle Ehre. Sie führt aus dem Kreis hinaus zum noch bestehenden Teil des Dorfes und weiter zu den Hügeln dahinter, wo sie sich nach und nach verliert.
Auf einem Zickzackkurs zieht sich die Hauptstraße durch das Dorf und streift im Nordwesten das Gasthaus Red Lion Inn, ein weiß getünchtes Haus mit Strohdach aus der elisabethanischen Zeit. Gegenüber dem Red Lion Inn befinden sich hinter einem Zaun die Überbleibsel eines als The Cove bekannten inneren Kreises – zwei von den Einheimischen gern als Adam and Eva bezeichnete Steine, einer hoch und schmal, der andere niedrig und gedrungen. Direkt gegenüber dem Parkplatz des Pubs ist ein Tor in den Zaun eingelassen. Ein weiteres Tor befindet sich in der Green Street vor dem Silbury House, einem quadratischen Gebäude, das früher das Pfarrhaus der nonkonformistischen Gemeinde war und heute vom National Trust benutzt wird.
Es ist kurz nach zwölf Uhr mittags an diesem letzten Julimontag des Jahres 1981. Im Red Lion sitzen nur wenige Gäste, und auch in den Steinkreis verlaufen sich kaum Besucher. Sobald der Verkehrslärm verebbt, was in regelmäßigen Abständen geschieht, herrscht Stille. Aber eine bedeutungsvolle Stille ist das nicht. Sie enthält keinen Hinweis auf das, was nun gleich geschehen wird.
An einem der Terrassentische vor dem Red Lion sitzt ein einzelner Gast mit einem Bierglas in der Hand. Es ist ein schlanker, dunkelhaariger Mann, etwa Mitte zwanzig, in Bluejeans und einem hellen Hemd mit offenem Kragen und hochgekrempelten Ärmeln. Vor ihm auf dem Tisch liegen ein Spiralblock und ein Kugelschreiber. Er starrt mit leerem Blick über die Straße auf die noch erhaltenen Steine im inneren Kreis. Allerdings interessieren sie ihn nicht wirklich, was klar wird, als er auf die Uhr sieht. Er wartet auf etwas oder auf jemanden. Er trinkt einen Schluck von seinem Bier und stellt das Glas auf den Tisch. Es ist fast leer. Sonnenlicht glitzert auf dem Schaum.
Eine Kinderstimme dringt vom Cove an sein Ohr. In diesem Moment fahren keine Autos vorbei, die diesen Laut übertönen könnten. Der Mann wendet den Kopf in die Richtung des Geräuschs. Er sieht eine Frau und drei Kinder aus der Richtung des Walls näher kommen. Zwei Kinder, ein Junge und ein Mädchen, laufen voraus – vielleicht liefern sie sich ein Wettrennen zu den Steinen. Der Junge ist neun oder zehn Jahre alt und trägt Baseballschuhe, Bluejeans und ein rotes T-Shirt. Das Mädchen, gut zwei Jahre jünger, hat Sandalen, weiße Söckchen und ein blau-weiß gepunktetes Kleid an. Beide haben helles Haar, das in der Sonne schimmert, der Junge kurz geschnittenes, das Mädchen langes, das zu einem Zopf geflochten ist. Die Frau ist zurückgefallen. Ihr Tempo wird von dem jüngsten Kind bestimmt, das an ihrer Hand geht. Dieses Kind, ein Mädchen, ist mit einer grauen Latzhose über seinem gestreiften T-Shirt bekleidet. Die Farbe seines Haars, das mit rosa Bändern zu Zöpfchen zusammengebunden ist, lässt kaum einen Zweifel daran, dass es die Schwester der beiden anderen ist.
Dass die schlanke, dunkelhaarige Frau mit fein geschnittenem Gesicht die Mutter der drei Kinder sein könnte, ist dagegen weit weniger wahrscheinlich. Dafür sieht sie viel zu jung aus. Sie ist höchstens Anfang zwanzig. Sie trägt eine cremefarbene Leinenhose zu einer rosa Bluse und hält einen Strohhut in der Hand. Ihre Aufmerksamkeit gilt vor allem dem kleinen Mädchen an ihrer Seite. Die anderen zwei Kinder laufen ein Stück voraus.
Als sie sich den Steinen nähern, tritt aus der Lücke zwischen Adam und Eva eine Gestalt, die bis dahin verborgen war. Es ist ein kleiner, rundlicher Mann in Wanderschuhen, braunen Shorts, kariertem Hemd und einer Art Anglerweste mit vielen Taschen. Unter seinem schütteren Haar fallen eine Brille und ein rundes Gesicht auf. Sein Alter ist schwer zu schätzen – er könnte irgendwo zwischen fünfunddreißig und fünfzig sein. Die zwei Kinder bleiben stehen und starren ihn an. Der Mann sagt etwas. Der Junge gibt eine Antwort und geht auf ihn zu.
Der Mann vor dem Red Lion schaut beiläufig hinüber, weil sonst nichts Interessantes los ist. Etwas Verdächtiges oder Bedrohliches kann er nicht erkennen. Was er sieht, ist im Sonnenlicht aufblitzendes Glas, als der Mann zwischen den Steinen aus einer seiner vielen Taschen einen Gegenstand zieht. Der Junge tritt näher.
Die Frau hat es jetzt eiliger, die beiden zu erreichen, ohne deswegen loszulaufen. Besorgt scheint sie nicht zu sein, nur etwas misstrauisch. Dann wird sie abgelenkt, als sich das Kleinkind, das immer mehr trödelt, plötzlich ins Gras setzt, um die Butterblumen zu untersuchen.
Der Mann vor dem Red Lion beobachtet all das und denkt sich nichts dabei. Auch dann nicht, als aus dem Schatten des Silbury House eine weitere Gestalt in sein Blickfeld läuft. Es ist ein kräftig gebauter, kurzhaariger Mann. Seine Kleidung könnte aus einem Laden für Armeebestände stammen. Er läuft immer schneller. Die Frau, der er sich ungesehen von hinten nähert, spricht jetzt den Mann in der Anglerweste an. Sie lächelt.
Und dann geschieht es. Der Mann hinter ihr bleibt jäh neben dem sitzenden Kind stehen, packt es unter den Achseln, reißt es hoch, als wäre es so leicht wie die Butterblume in der linken Hand des Mädchens, und rennt mit ihm zurück in die Richtung, aus der er gekommen ist.
Der Mann in der Anglerweste reagiert als Erster. Er ruft der Frau etwas zu und deutet. Sie dreht sich um und schaut. Sie schlägt sich die Hand vor den Mund. Dann lässt sie den Hut fallen und setzt dem anderen Mann nach. Da er inzwischen wieder hinter dem Silbury House verschwunden ist, kann ihn der Mann vor dem Red Lion nicht mehr sehen. Ein vorbeidonnernder Lastwagen sorgt für noch mehr Durcheinander. Das alles geschieht unglaublich schnell und doch wie in Zeitlupe. Der Biertrinker tut nicht mehr, als aufzustehen und mit weit aufgerissenen Augen hinüberzustarren, während das Geschehen der nun folgenden Minute sein Gift auf alle verspritzt, die es als Zeugen miterleben.
Ein weißer Transit Van kommt mit aufheulendem Motor aus der Green Street um die Ecke geschossen. Die hintere Tür wird zugeknallt. Das Mädchen und sein Entführer befinden sich auf der Rückbank. Alle Zeugen denken oder vermuten das, denn nur die Frau hat die beiden einsteigen sehen. Der Van wird von einem weiteren Mann gefahren. Auch das können die Zeugen nur ahnen, denn angesichts dessen, was nun geschieht, achtet keiner mehr auf ihn.
Der Mann in der Anglerweste hat Anstalten gemacht, der Frau zu folgen, dann aber aufgegeben. Der Junge steht wie gelähmt zwischen Adam und Eva. Er weiß einfach nicht, was er tun, wem er folgen soll.
Seine Schwester dagegen ist sehr wohl zum Handeln entschlossen. Mit wehendem Pferdeschwanz rennt sie zum Tor bei der Hauptstraße. Was sie vorhat, ist unklar. Von ihrer Warte aus muss sie den Van wegfahren gesehen haben. Sie weiß, dass ihre Schwester ihr gestohlen werden soll. Sie hat keine...




