Godazgar Willst du mein Single sein
1. Auflage 2013
ISBN: 978-3-8387-4564-0
Verlag: Bastei Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Roman
E-Book, Deutsch, 224 Seiten
ISBN: 978-3-8387-4564-0
Verlag: Bastei Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
'Kommt irgendwann der Punkt, an dem man unfähig ist, mit jemand anderem zusammenzuleben? Bin ich womöglich so was wie der letzte Tinosaurier?' Tino Liebe, 34, Buchhändler mit leichtem Bauchansatz, war seit sieben Jahren mit keiner Frau zusammen, und es ist höchst unwahrscheinlich, dass sich daran in den nächsten 70 Jahren etwas ändern wird. Nie hätte er gedacht, dass ausgerechnet die Bestsellerautorin Romelia Rauchhaupt neuen Schwung in sein verstaubtes Liebesleben bringen würde. Doch bei einem gemeinsamen Abendessen stellt sich heraus: Romelia ist sehr viel charmanter, als ihre albernen Romane vermuten lassen.
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2.
Dezente erotische Anspielungen
Am Montag sollte also Romelia Rauchhaupts neuer Roman erscheinen. Es ist ihr sechster. Romelia ist sechsunddreißig – so steht es jedenfalls bei Wikipedia. In den Klappentexten ihrer Bücher wird ihr Alter verschwiegen. Mir ist aufgefallen, dass das Alter von Frauen häufig verschwiegen wird, öfter sogar als »früher«, so kommt es mir jedenfalls vor. Ich bin mir nicht sicher, ob das ein Erfolg oder eine Niederlage des Feminismus ist, aber im Zeitalter des Internets finde ich diese Zurückhaltung etwas albern. Auch wenn erst am Montag Erstverkaufstag war, lief mein Chef schon am Samstag mit einer dicken Hose rum und nervte uns alle. Er könnte übrigens ebenfalls einem Romelia-Buch entsprungen sein: Er heißt Jürgen Schweinske, aber er sieht zugegebenermaßen nicht so aus. (Bei Romelia würde er so aussehen.) Schweinske hatte Heike und mich schon vor Wochen in seinem Büro antanzen lassen, weil er uns erklären wollte, wo im Laden er die Stapel mit Romelias Büchern gerne sehen würde. Dabei hielt er permanent ein Vorabexemplar in die Höhe. Er sah aus wie einer von diesen Fanatikern aus dem Leben des Brian, einer von denen, die Brian zu ihrem Messias auserkoren haben und ständig eine Sandale in die Luft halten. Niemand zweifelte daran, dass Romelias neues Buch ein Bestseller werden würde. Die Startauflage war sechsstellig. Eigentlich habe ich mit Romelias Werken beruflich nichts zu tun, weil ich in der Sachbuchabteilung arbeite. Aber Heikes Belletristik-Kollegin Natascha war seit zwei Wochen krank, und darum durfte ich jetzt beides machen. Ich hätte mir ebenfalls schon längst ein Vorabexemplar schnappen können, aber ich wollte erst am Montag damit beginnen, Romelias neues Werk zu lesen, um den Juckreiz noch ein bisschen hinauszuzögern. Abends musste ich noch auf eine Party. Sie sollte in einem Hinterhof stattfinden, mehr wusste ich nicht. Ich hatte keine große Lust, aber die Perspektive, einen weiteren Samstagabend allein vor der Glotze zu verbringen, war auch nicht eben prickelnd. Freilich ist es eine mir wohlbekannte Perspektive. Ich habe mir irgendwann abgewöhnt, an Wochenenden allein auf die Pirsch zu gehen. Es ist zu frustrierend. Man sitzt im Kino, und wenn man richtig Glück hat, sitzt in der Nähe ein frisch verliebtes Paar, das sich ständig gegenseitig versichert, wie toll es den Film findet (oder meinetwegen auch, wie doof). In einem Buch von Romelia würde neben dem einsamen Tino Liebe ein Paar sitzen, das Petting macht; diese Erfahrung ist mir bisher immerhin erspart geblieben. Dennoch: Ein Film muss mich schon sehr interessieren, damit ich diese Unannehmlichkeiten auf mich nehme. Dabei ist das Kino einer jener Orte, an denen ich es vorziehe, allein zu sein. Ich möchte nämlich im Kino nicht über den Film reden. Viele Menschen haben aber die Angewohnheit, über das zu sprechen, was sie sehen – oder auch über was ganz anderes. Hier meine kleine Typologie des Kinoquatschers, der übrigens fast immer eine Kinoquatscherin ist: Der abschweifende Quatscher: In irgendeinem Film – ich meine, es sei Frankie und Johnny gewesen – isst einer der Darsteller Erdnussbutter. Oder Erdnusscreme. Ich weiß es nicht mehr genau, der Film ist aus dem Jahr 1991. Jedenfalls entspann sich zwischen zwei Frauen in der Reihe hinter mir ein zwar getuschelter, aber gleichwohl gut hörbarer Disput darüber, wie ekelhaft es doch sei, Erdnussbutter/-creme zu essen: »Bäh, Erdnusscreme.« – »Das essen die in Amerika zum Frühstück.« – »Iiih, wie kann man nur?« – »Ich nehm das aber manchmal zum Kochen.« – »Wieso?« – »Für die asiatische Küche braucht man das immer mal.« – »Eeecht? Und das schmeckt?« – »Superlecker« … Und so weiter und so weiter. Ich frage mich, warum diese Menschen ins Kino gehen. Jedenfalls nicht, um einen Film zu gucken. Der Wir-hätten-besser-in-die-Kneipe-gehen-sollen-Quatscher: Immer paarweise, immer Frauen, mindestens ein Paar pro Vorstellung: »Und dann sagt er zu mir: ›Ich fühl mich total eingeengt von dir!‹« – »Eingeengt?« – »Ich sag: ›Wieso?‹ Und er so: ›Du lässt mir überhaupt keine Freiheiten.‹« – »Der spinnt doch.« – »Und ich so: ›Bloß, weil ich den Rudi nicht mag, was soll denn der Quatsch?‹« – »Oh Mann!« – »Und er: ›Ich lass dich doch auch mit deiner Freundin weggehen.‹ Oh, guck mal, das Kleid sieht ja toll aus!« – »Ja, toll, Sarah Jessica Parker hatte so ein ähnliches an in Sex and the City 2.« – »Den hab ich immer noch nicht gesehen« … Und so weiter und so weiter. Der beeindruckte Quatscher: Er quatscht eigentlich nicht, er raunt nur. Ich traf ihn zuletzt im Film Brokeback Mountain. Zwei Reihen hinter mir kriegten sich zwei Damen gar nicht mehr ein angesichts der – tatsächlich umwerfenden – Landschaftsaufnahmen. Immer wieder zischten sie »kraaass« oder »wooooow« oder »irre«, was bei ihnen aber mehr wie »örre« klang. Das Gegenstück ist der unbeeindruckte Quatscher: Ausschließlich männlich, erträgt es nicht, Liebesszenen unkommentiert zu lassen. Macht dann zum Beispiel laute Knutschgeräusche, lässt auch gerne mal einen Rülpser los. Gibt dem Hauptdarsteller hilfreiche Tipps (»Geh ran, Junge!«) oder ergeht sich in der halb gesungenen Aufforderung »Auszieh’n!«. Der Kapier-ich-nicht-Quatscher: Sowohl männlich als auch weiblich. Tut laut und deutlich kund, dass er rein gar nichts schnallt. Kommt vorzugsweise in Filmen mit verschiedenen Zeitebenen vor. Der Klassiker hier: Reservoir Dogs von Quentin Tarantino. »Ist das jetzt Mr. Pink oder Mr. Orange?« – »Ich glaub Mr. Blonde … oder Black?« – »Es gibt doch überhaupt keinen Mr. Black!« – »Dann halt Mr. White, was weiß denn ich?« – »Und wieso haben die überhaupt alle diese schwarzen Anzüge an?« – »Und wer hat sie nun an die Polizei verraten?« – »Ist das jetzt wieder ’ne Rückblende?« – »Ach du Scheiße, hat der dem jetzt echt das Ohr abgeschnitten? Und wieso? Ist der jetzt der Verräter?« … Und so weiter und so weiter. Man darf einen Film selbstverständlich nicht verstehen! Auch ich muss ab und zu bei Wikipedia die Handlung nachlesen, um die Pointe zu kapieren. Aber, bitte, kann man das nicht hinterher klären? Der Knisterer: Ein Sondertyp, der nicht quatscht, sondern knistert. Ist in der Lage, ein Bonbon auf die denkbar nervtötendste und zeitraubendste Weise aus dem Papier zu pulen. Versucht, ganz, ganz leise zu sein, erreicht damit aber das genaue Gegenteil. Sein Bruder im Geiste ist der Popcornmampfer, der auf Dezenz keinen gesteigerten Wert legt. Hat eine Drei-Liter-Box auf dem Schoß, starrt auf die Leinwand und macht knirschende Kaugeräusche ähnlich einem Nagetier, das Erdnüsse knackt: Krappkrappkrappkrappkrapp – Pause – krappkrappkrappkrappkrapp – Pause – krappkrappkrappkrappkrapp. Und so weiter. Bis er schlürfend an einem Strohhalm saugt, der in einem Drei-Liter-Eimer Cola steckt. Fazit: Kein Kino mehr. Markus kann ich auch nicht immer überreden, was zu unternehmen, erst recht nicht am Wochenende. Schon komisch: Er und Yvonne nerven sich permanent, aber das Wochenende ist ihnen offenbar heilig. Am Wochenende nehmen wir uns meist gar nichts vor, das wollen wir ganz für uns haben. Da wollen wir uns mal so richtig schön auf die Nerven gehen. In Diskos gehe ich schon aus Prinzip nicht mehr alleine. Das ist noch frustrierender als Kino. Grundgütiger, wie viel Lebenszeit habe ich zwischen wogenden Leibern und wummernden Bässen sinnlos vergeudet? Wie viele Frauen habe ich angestarrt und mit meinen Blicken zu hypnotisieren versucht, ohne dass sie auch nur die geringste Notiz von mir genommen hätten? Halt! Das stimmt nicht! Einmal, jawohl, ein einziges Mal bin ich in der Disko angesprochen worden. Von einer Frau, jawohl! Ihren Namen habe ich nie erfahren, sie stand auf einmal neben mir und sagte: »Tanz doch auch mal.« Ich dachte, na, das ist doch mal ein charmanter Gesprächsauftakt und antwortete ganz spontan: »Was?« Und sie: »Du stehst hier nur so rum.« Und ich: »Ähm … na ja … Ich warte noch auf die richtige Nummer.« Und sie: zuckte mit den Achseln und ging auf die Tanzfläche. Den Rest der Nacht verbrachte ich damit, Blickkontakt mit der Unbekannten aufzunehmen und mir andere Gesprächsverläufe auszudenken. Ohne Erfolg, versteht sich. Ich würde gerne wissen, ob sich jemals aus einer Diskobekanntschaft etwas Dauerhaftes entwickelt hat. Ich meine, die dummen Anmachsprüche sind doch Legion: Hallo, ich bin vom ADAC, ich soll dich hier abschleppen. Hat es eigentlich wehgetan, als du vom Himmel gefallen bist? Ich hoffe, du bist gut versichert, du hast nämlich gerade eine Beule in meine Hose gemacht. Und so weiter und so fort. Dämliche Anmachsprüche gibt es genug, und sie sind natürlich alle indiskutabel. Aber wie funktioniert es dann? Ehrlich, ich weiß es nicht, aber ich wüsste es gern. Keiner meiner Freunde ist je mit einer unbekannten Frau in der Disko ins Gespräch gekommen. Doch, halt, wenn ich mich recht erinnere, hat Markus mal einer Frau den Satz »Ziemlich laut hier, was?« ins Ohr gebrüllt. Sie brüllte zurück: »Dann könntest doch wenigstens du die Klappe halten!« Natürlich wollte ich nicht mit so einer negativen Einstellung an den Abend rangehen, aber ich ahnte doch, wie er enden würde. Ich würde dumm rumsitzen und keine Sau kennen, abgesehen von...