E-Book, Deutsch, 255 Seiten
Godazgar Ein Kaninchen killt man nicht: Ein Fall für Markus Waldo - Band 3
1. Auflage 2018
ISBN: 978-3-96148-240-5
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
E-Book, Deutsch, 255 Seiten
ISBN: 978-3-96148-240-5
Verlag: dotbooks
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Peter Godazgar, geboren 1967, wuchs im nordrhein-westfälischen Hückelhoven auf. Er studierte Germanistik und Geschichte, bevor er die Henri-Nannen-Journalistenschule besuchte und später als Redakteur der Mitteldeutschen Zeitung in Halle an der Saale arbeitete. Heute ist Peter Godazgar stellvertretender Pressesprecher von Halle an der Saale. Für seine Kriminalromane und Kurzgeschichten war für unter anderem für den renommierten Friedrich-Glauser-Preis nominiert und erhielt ein Stipendium der Kunststiftung von Sachsen-Anhalt. Der Autor im Internet: www.peter-godazgar.de
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Kapitel 3
Sie verließen Halle in westlicher Richtung. Schönlein wohnte in demselben Dorf, in dem an diesem Wochenende auch die Kaninchenschau über die Bühne ging.
Albert analysierte gut gelaunt die aktuellsten Ereignisse der jüngsten Staffel von 24, aber Waldo war nicht ganz bei der Sache.
»Diese Staffel«, dozierte Albert gerade, »ist der Beweis dafür, dass zeitgemäßes, spannendes Fernsehen nicht notwendigerweise brutal sein muss. Ich meine, okay, natürlich ist die Story brutal, aber bis jetzt kommen sie immerhin ohne die ganzen Folterszenen aus.«
»Hm«, machte Waldo.
»Und was ich vor allem gut finde: Es ist nicht mehr so, dass Jack am Ende jeder Stunde irgendwas rauskriegt und der Großverbrecher dann bloß grinsend zu seinen Kumpanen sagt: Hätten wir hier nicht abbiegen müssen?«
»Was sagt der Großverbrecher?«
»Vergiss den Großverbrecher! Hätten wir hier nicht abbiegen müssen?«
»O Scheiße!« Waldo trat erschrocken auf die Bremse, gab aber gleich wieder Gas, weil der Fahrer hinter ihm die Lichthupe betätigte.
»Mann, Junge, du stehst ja wirklich neben dir. Ich denke, du hast erst neulich deinen Kaninchenfreund besucht.«
Waldo brummte etwas Unverständliches.
»Warum genau fahren wir da eigentlich hin?«
»Schönlein meint, da könne ich die ganzen anderen Züchter kennenlernen.«
»Und dich bei der Gelegenheit freundlich erkundigen, ob sie Schönleins Tiere geklaut haben?«
Sie mussten nicht nach dem Veranstaltungsort fragen; das Vereinsheim der Kaninchenzüchter war neben der Kirche das einzige größere Gebäude in dem Nest. Außerdem standen schon am Ortseingang Hinweisschilder.
»Na, das ist ja mal ein cooles Arrangement«, sagte Albert, als sie durch ein eisernes Tor auf einen holprigen Parkplatz rollten. Das Tor war befestigt an zwei gemauerten Säulen, auf denen je ein meterhoher Hase saß. Rechts ein brauner, links ein weißer.
Vor dem Vereinsgebäude, einer flachen, alten Halle, hockten zwei weitere Kaninchen, die sogar noch größer waren. Sie reichten Waldo und Albert bis zur Brust. Die Hasen waren aus Holz und erinnerten an überdimensionale Laubsägearbeiten.
»Wo sind wir denn hier gelandet?«, entfuhr es Waldo.
»Willkommen in der Wirklichkeit«, antwortete Albert.
Sie standen eine Weile schweigend vor den Holzkaninchen, dann sagte Albert: »Sieht ja wieder aus wie neu.«
»Wieso?«
»Irgendjemand hatte einem Tier mal die Ohren gestohlen. Abgesägt. Stand in der Zeitung. Irgendwann tauchten die Ohren wieder auf.«
Waldo sah stumm auf die Holztiere.
Albert senkte seine Stimme: »Ich denke, es ist so, Harry, wenn wir den Ohrenklauer finden, dann finden wir auch die Kaninchenentführer, was meinst du?«
»Gut möglich, Stephan.«
Kichernd betraten sie die Halle. Ein strenger Geruch schlug ihnen entgegen.
»Aaah!«, rief Albert. »Diesen Duft hatte ich fast vergessen.«
Gleich hinter der Eingangstür war ein Holzklapptisch aufgebaut, auf der Bank dahinter saßen drei rotgesichtige, ältere Männer. Vor ihnen auf dem Tisch befand sich eine Geldkassette, daneben lag eine Rolle mit Eintrittskarten. Vor jedem Mann stand außerdem ein leeres Schnapsglas. Das Trio blickte die Neuankömmlinge schweigend, aber nicht unfreundlich an.
Waldo trat an den Tisch. »Hallo, wir sind auf Einladung von Herrn Schönlein hier. Ist Herr Schönlein da?«
»Auf Einladung von Herrn Schönlein sind Sie hier?«, echote der mittlere Mann. »Ja, Herr Schönlein ist da. Hol mal den Kurt.«
Obwohl der mittlere Mann die ganze Zeit Waldo fixiert hatte, stand der rechte Mann wie selbstverständlich auf und schlurfte davon.
Waldo drehte sich zu Albert um, der bereits ein paar Schritte in den Raum getreten war und sich interessiert umblickte.
Albert zeigte nach rechts. »Oh, guck mal, das ist aber ein schöner Widder.«
»Ein Widder? Wo?«
»Da!« Albert deutete auf einen Käfig.
»Der Hase heißt Widder? Wieso das denn?«
»Was für eine blöde Frage! Wieso heißt du Waldo?«
Waldo glotzte seinen Freund an. Meinte der das jetzt ernst?
Muss wohl, dachte er, denn Albert stand immer noch staunend vor dem kleinen Käfig.
Aus der anderen Richtung näherte sich Schönlein. Waldo begrüßte ihn.
»Nicht schlecht, was?«, fragte Schönlein.
Waldo blickte sich um. »Wir sind grad erst gekommen. Ich hab noch nicht so viel gesehen. Mein Freund ist aber ein großer Kaninchenfan.« Er wies auf Albert, der langsam an den Käfigen vorbeispazierte.
»Na, dann gucken Sie sich erst mal ein bisschen um«, sagte Schönlein.
»War das hier mal eine Turnhalle?«
»Eine Turnhalle? Nee, das war mal ein Schafstall.«
»Dann passt's ja.«
»Was passt?«
»Nur so.«
»Wir haben den Stall nach der Wende von der Treuhand gekauft. Hier sah's aus, kann ich Ihnen sagen. Kommen Sie mal mit.«
Schönlein machte auf dem Absatz kehrt und ging durch den Mittelgang der Halle bis zu einem großen Plakat, auf das zahllose Fotos geklebt waren. Aufnahmen vom Umbau des Stalls.
»So, und jetzt trinken wir erst mal einen«, sagte Schönlein und trat zwei Schritte zur Seite an eine Theke. »Maik, zwei Körner«, rief er.
Waldo sah auf seine Armbanduhr. Halb zwölf. »Ich muss aber noch fahren, Herr Schönlein.«
»Ein Korn kann ja wohl nicht schaden.«
Der Schlaks, den Waldo aus Schönleins Küche kannte, stellte zwei gefüllte Schnapsgläser auf den Tresen.
Schönlein drückte Waldo eines davon in die Hand und kippte den Klaren in seinen Schlund. Waldo tat es ihm gleich. Er behielt das scharfe Zeug ein paar Sekunden im Mund, bevor er es hinunterschluckte.
»Lecker! Und auf wen soll ich hier jetzt ein Auge halten, Herr Schönlein?«
Schönlein lief ein paar Schritte, setzte eine verschwörerische Miene auf und ließ den Blick unauffällig durch den Raum kreisen. So unauffällig, dass es wirklich jedem auffallen musste.
»Sehen Sie den Mann da hinten?«, flüsterte er.
Waldo blickte in die Richtung, in die auch Schönlein sah. »Da stehen viele Männer.«
»Der mit dem Hut.«
»Da stehen drei Männer mit Hut.«
»Der mit dem grauen Hut. Und der Lederweste.«
»Okay.«
»Das ist Gustav Sonntag.«
»Aha.«
»Ja.«
Hinter ihnen entstand Unruhe. Vier neue Gäste traten ein, alle in vergleichsweise feinem Zwirn.
Schönlein sagte »Oh!«, patschte Waldo auf die Schulter und straffte sich. »Die Ehrengäste«, raunte der Kaninchenzüchter und marschierte auf die Neuankömmlinge zu. Unterwürfig begrüßte er sie, dann führte er sie aufgeregt plappernd zur Theke.
Waldo blieb allein im Mittelgang zurück. Neben ihm waren ein paar Partytische und –bänke aufgestellt. An einigen saßen Männer und tranken schweigend Bier. Ein kleiner, leicht adipöser Junge verspeiste in einer Ecke ein Paar Wiener.
Einige Schritte weiter waren in drei Reihen Pokale und Medaillen aufgestellt. Waldo zählte zweiunddreißig silberne Becher. Was ihn aber am meisten erstaunte, das war die Dekoration: Um die Pokalreihen herum schlängelten sich zwei Gartenschläuche, ein roter und ein blauer.
Waldo nahm einen gelben Zettel von einem kleinen Stapel. Eine Firma warb darauf für Reitbedarf und Futtermittel. Vor Waldo breitete sich eine unbekannte Welt aus: Es gab Taubenfuttermischungen und Wellensittichfutter, Kanarienfutter und Papageienfutter, außerdem Zuchtfutter aller Art, Winterstreufutter sowie Hafer gequetscht. Gequetschter Hafer?, fragte sich Waldo. Jetzt zuschlagen stand auf dem Papier: Fünfundzwanzig Kilogramm Späne kosteten nur 7,70 Euro, zwanzig Kilo Futtermöhren (gewaschen) gab es für fünf Euro. Strohmehl 23 kg nur kg 7,50 Euro. Was sollte das heißen? Kosteten dreiundzwanzig Kilo Strohmehl 7,50 Euro oder kostete ein Kilo Strohmehl 7,50 Euro? Was war Strohmehl? Und wozu brauchte man es?
Waldo legte den Zettel auf den Stapel zurück.
Und nun?, fragte er sich. Was soll ich denn jetzt beobachten? Niemand wird doch hier und jetzt ein paar von Schönleins Viechern klauen ... Egal, denk an die Kohle, Junge.
Er blickte sich suchend um. Wo war Albert eigentlich?
Waldo ging den Gang entlang und fand seinen Freund vor ein paar Käfigen mit pechschwarzen Kaninchen.
»Schönes Fell«, sagte Albert anerkennend.
»Danke, ich tu ja auch was dafür«, antwortete Waldo, aber Albert ignorierte den Scherz.
Stattdessen zeigte er auf einen kleinen Zettel, der an dem Käfig befestigt war. »Kleinsilber schwarz. Guck mal, ganz gleichmäßige Silberung.«
Waldo beugte sich vor. Bewertungsurkunde, las er. In einer Tabelle waren unter anderem Gewicht, Fellhaar und Pflegezustand als Kriterien aufgeführt, daneben waren Punktwerte eingetragen. Hervorragend, stand als Gesamturteil ganz unten.
»Da bekomme ich glatt Lust, selber wieder anzufangen«, sagte Albert.
»Womit? Heu zu futtern?«
»Du Ignorant. Guck dir doch mal dieses seidige Fell an. Toll.«
»Also, ich weiß wirklich nicht, was ich hier soll!«
»Ich find's interessant.«
»Ja, ich find's auch unheimlich interessant. Geradezu exzeptionell.«
Albert konnte Waldos Sarkasmus nicht länger ignorieren. »Mann, was willst du denn? Du hast mich gebeten mitzukommen, also bin ich mitgekommen. Ehrlich, ich find's schön, dass ich mich hier in meine Kindheit zurückversetzt fühle, aber ich hätte an einem Samstagvormittag auch problemlos eine andere Beschäftigung gefunden. Wenn dich das hier so ankotzt, dann musst du zu deinem Klienten...