Glinski | Angeklagt | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 256 Seiten

Reihe: Ullstein eBooks

Glinski Angeklagt

Zehn spektakuläre Fälle - als Richter am Schwurgericht
11001. Auflage 2011
ISBN: 978-3-8437-0139-6
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Zehn spektakuläre Fälle - als Richter am Schwurgericht

E-Book, Deutsch, 256 Seiten

Reihe: Ullstein eBooks

ISBN: 978-3-8437-0139-6
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Warum hat der unbescholtene Familienvater seinen Untermieter erschlagen? Ist die junge Frau wirklich vergewaltigt worden, oder hat sie etwas zu verbergen? Wieso hat der verliebte Mann seine hochschwangere Freundin erstochen? In zehn von ihm verhandelten Fällen beschreibt der Richter Robert Glinski Motive und Umstände, die gewöhnliche Menschen zu Schwerverbrechern machen. Ein spannender Einblick in die Urteilsfindung der Justiz.

Robert Glinski, 38 Jahre alt, ist seit über zehn Jahren Richter in Sachsen-Anhalt und Mitglied der Strafkammer für Schwurgerichtssachen am Landgericht Magdeburg. Seit er dort Kapitalverbrechen verhandelt, hat sich seine Sicht auf die Täter verändert.
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Vorwort

Als ich vor etwa fünf Jahren gefragt wurde, ob ich Interesse daran hätte, für eine gewisse Zeit Mitglied einer Schwurgerichtskammer zu werden, war ich gerade als Richter am Oberlandesgericht tätig und im Wesentlichen mit den Aufgaben eines Pressesprechers betraut. Mit dem ganz normalen Alltag eines Richters hatte ich kaum zu tun. Überhaupt war ich mit dem Strafrecht in meiner bisherigen beruflichen Karriere nicht in Berührung gekommen. Und jetzt sollte ich auf einmal zusammen mit zwei weiteren Berufsrichtern und zwei Schöffen in Fällen von Mord und Totschlag Urteile fällen.

Ich hatte nur vage Vorstellungen von dem, was mich dort erwarten würde. Sofort gingen mir die unappetitlichen Bilder von getöteten Menschen durch den Kopf. Fotos von entsetzlich zugerichteten Leichen und ekelerregende Obduktionsberichte. Würde ich mit diesen Bildern klarkommen? Hieß es unter Kollegen nicht immer, dass man diese richterliche Tätigkeit nicht zu lange ausüben sollte, weil die ständige Beschäftigung mit den brutalen Verbrechen und den menschlichen Abgründen, die sich dabei auftaten, den normal sozialisierten Menschen zu stark deformieren würde?

Heute weiß ich es besser. Inzwischen ist mir klar, dass meine damaligen Überlegungen vor allem zeigten, wie wenig ich seinerzeit von dieser Materie verstand. Die Beschäftigung mit den Taten und den Menschen und Geschichten dahinter wirkte auf mich nicht zerstörend, im Gegenteil: Sie hat meinen Horizont erweitert. Obwohl ich das damals nicht wissen konnte, habe ich das Angebot angenommen. Meine Beweggründe waren ausgesprochen banal: Wie viele andere Menschen faszinierte mich das Thema »Mord und Totschlag«, wollte ich mehr über die dunkle Seite des Menschen erfahren. Ich wollte verstehen, warum jemand zum Mörder wird, was diese Täter für Menschen sind und welche Motive sie zur Tat getrieben haben. Es war ein in erster Linie soziologisch-psychologisches und weniger ein juristisches Interesse, das ich meiner neuen Aufgabe entgegenbrachte. Meine Berührungspunkte mit diesem Teil der Gesellschaft hatten sich bis dahin auf den gelegentlichen Konsum von Fernsehkrimis beschränkt. Das Strafrecht kannte ich nur aus dem Studium und aus den Akten. Bis dahin waren Mörder und andere Schwerverbrecher in meinen Augen verschlagen, skrupellos und kaltblütig.

Schon die ersten Fälle machten mir aber deutlich, dass es so einfach nicht war. Sicher, es gibt ihn, den sinnlos mordenden Psychopathen. Doch stellte dieser Tätertyp, wie ich schnell lernte, die absolute Ausnahme dar. Sehr viel häufiger hatten wir es hingegen mit einem Täter zu tun, der durch die Verkettung ungünstiger Umstände, aufgrund einer Ausnahmesituation oder eines einzigen schwachen Momentes gehandelt hatte. Statt einer Verkörperung des Bösen schlechthin saß auf der Anklagebank sehr häufig ein eher bemitleidenswerter Mensch. Anders als im »normalen« Strafrecht hatten wir keine Gewohnheitsverbrecher vor uns, die schon mit einer ganzen Latte von Verurteilungen bei uns vorstellig wurden. In den meisten Fällen gab es zu den vermeintlich schlimmsten aller Täter zuvor keinen einzigen Eintrag im Bundeszentralregister, wie das Vorstrafenregister in Deutschland heißt. Insofern waren sie bis dahin mehr oder weniger unbescholtene Bürger gewesen. Und noch etwas fiel mir schon bald auf, nachdem ich meinen neuen Posten angetreten hatte: Unsere Täter rekrutierten sich aus allen nur erdenklichen gesellschaftlichen Schichten. Vor der Kammer für Schwurgerichtssachen mussten sich Menschen vom ungelernten Dauerarbeitslosen bis zum Professor verantworten. Auch dieser Umstand bedeutet einen gravierenden Unterschied zu der Klientel der allgemeinen Strafkammern, in denen fast ausschließlich Menschen aus unteren Gesellschaftsschichten abgeurteilt werden.

Ich begann mich stärker für die Geschichte der Angeklagten zu interessieren. Im Grunde waren sie nicht anders als alle anderen Menschen, und mir wurde klar, dass unter gewissen Umständen jeder von uns zum Täter werden kann.

Und bei Prozessen am Schwurgericht ist die Sache mit dem angemessenen Urteil besonders heikel. Denn für den eines Mordes Angeklagten geht es um alles oder nichts: Entweder wird er freigesprochen oder zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Tertium non datur – ein Drittes gibt es nicht. Dieses Prinzip prägt die Arbeit am Schwurgericht. Anders als in anderen Strafkammern haben wir bei Mordfällen nicht die Möglichkeit, über die konkrete Strafhöhe, womöglich im Rahmen eines sogenannten strafprozessualen Deals, korrigierend einzugreifen. Wird ein Angeklagter wegen Mordes verurteilt, muss gegen ihn eine lebenslange Freiheitsstrafe verhängt werden. Diese drastischen Folgen für den Angeklagten bürden dem Gericht eine große Verantwortung auf, die in unserer konkreten Arbeit auch spürbar wird. Denn es ist auch für den professionellen Richter etwas anderes, ob gegen den Angeklagten die höchste Strafe des Strafgesetzbuches verhängt wird oder dem Täter eine kurze Freiheitsstrafe oder sogar nur eine Geldstrafe droht. Mit den Folgen eines möglichen Fehlurteils lässt sich in Fällen mit geringem Strafmaß viel leichter leben.

Auch wenn das Gesetz in Bezug auf das Strafverfahren eigentlich nicht zwischen schweren und leichteren Straftaten differenziert, ist es praktisch doch so, dass an die Überzeugungsbildung in einem Mordverfahren wesentlich höhere Anforderungen gestellt werden. Deshalb werden Schwurgerichtsverfahren mit einem immensen (Kosten-)Aufwand betrieben. In fast keinem dieser Strafverfahren kommen die Richter ohne Sachverständige aus, und ihnen wird jede Stunde, die sie für dieses Verfahren tätig sind, auch entsprechend der Sätze im Zeugen- und Sachverständigenentschädigungsgesetz vergütet. Da kommen so einige Stunden zusammen, denn wir müssen regelmäßig die Hilfe von forensischen Psychiatern, Rechtsmedizinern, Biologen und anderen Wissenschaftlern aller nur erdenklichen Fachrichtungen in Anspruch nehmen. Auch kommt kaum ein Schwurgerichtsverfahren heute ohne technisch aufwendige und kostspielige DNA-Analysen aus. Dutzende von Zeugen müssen vernommen werden, die zum Teil von weit her anreisen und deren Aufwendungen aus der Justizkasse beglichen werden. Schließlich hat jeder, der eines Kapitalverbrechens angeklagt wird, Anspruch auf die Beiordnung eines Pflichtverteidigers; und auch das Opfer oder dessen Hinterbliebene können als Nebenkläger auf die Beiordnung eines rechtlichen Beistandes bestehen.

All dies macht Schwurgerichtsverfahren interessant, aber auch häufig zu komplexen Großveranstaltungen, an denen eine Vielzahl von Menschen mitwirkt, damit die Wahrheit ans Licht gelangt. Was ist wirklich geschehen? Wie hat sich die Tat konkret ereignet? Ist der vor uns sitzende Angeklagte auch wirklich der Täter? Und hat er die Tat auch schuldhaft begangen? Ist er also schuldfähig? Diesen Fragen versuchen wir uns mühsam in einem häufig langen Prozess zu nähern. Und trotzdem kann unser Ergebnis am Ende nur eine mehr oder weniger gelungene Annäherung an die Wirklichkeit sein. Wenn wir uns auch noch so große Mühe geben, den für die juristische Beurteilung relevanten Sachverhalt mit allen uns zur Verfügung stehenden Erkenntnismitteln aufzuklären, handelt es sich doch am Ende um eine (re-)konstruierte Wirklichkeit, die mit den tatsächlichen Ereignissen nicht unbedingt übereinstimmen muss, erst recht nicht in allen Details. Selbst wenn der Angeklagte umfassend gesteht und auch alle anderen Beweise gegen ihn sprechen, bleibt immer ein Restzweifel zurück, mit dem wir Richter leben müssen.

Die Rechtswissenschaft ist keine Wissenschaft im engeren Sinne. Unsere Arbeitsergebnisse entziehen sich einem exakten naturwissenschaftlichen Beweis. Der enorme Aufwand, den wir in einem Schwurgerichtsprozess betreiben, ist und wird für immer lediglich der Versuch bleiben, der Wahrheit so nah wie möglich zu kommen. Insofern ist der großzügige Einsatz aller nur erdenklichen Ressourcen auch ein Versprechen der Justiz, sich gegen die Beschränkung unserer Erkenntnismöglichkeiten zu stemmen. Es stellt die staatliche Gegenleistung einer bleibenden Ungewissheit dar. Wir täuschen den Menschen nicht vor, dass wir in allen Fällen zu richtigen Ergebnissen gelangen, mit den natürlichen Beschränkungen unserer Erkenntnismöglichkeiten sollten wir immer offen umgehen. Und uns vor allem hüten, voreilige Urteile zu fällen oder uns auf sonstige Weise die Arbeit leichtzumachen.

Als Richter am Schwurgericht lernt man nicht nur etwas darüber, wie Menschen zu Tätern werden, sondern auch darüber, wie Menschen zu Opfern der jeweiligen Taten werden. Bei der Bearbeitung schwerster Straftaten gelangte ich zu einer unerwarteten Erkenntnis: Nicht selten spielt der Zufall eine entscheidende Rolle. Viele Straftaten sind keineswegs das Ergebnis gründlicher Vorbereitung und Planung. Ganz häufig entspringt die Tat einem spontanen Entschluss oder einer plötzlichen Gemütsregung, wofür das spätere Opfer nicht einmal der Auslöser gewesen sein muss. Oft war er oder sie nur die Projektionsfläche für eine empfundene Kränkung oder schlicht ein unerwartetes Hindernis bei einem versuchten...


Glinski, Robert
Robert Glinski, 38 Jahre alt, ist seit über zehn Jahren Richter in Sachsen-Anhalt und Mitglied der Strafkammer für Schwurgerichtssachen am Landgericht Magdeburg. Seit er dort Kapitalverbrechen verhandelt, hat sich seine Sicht auf die Täter verändert.

Robert Glinski, 38 Jahre alt, ist seit über zehn Jahren Richter in Sachsen-Anhalt und Mitglied der Strafkammer für Schwurgerichtssachen am Landgericht Magdeburg. Seit er dort Kapitalverbrechen verhandelt, hat sich seine Sicht auf die Täter verändert.



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