E-Book, Deutsch, 288 Seiten
Glines Ashington - Verliebt in einen Earl
22001. Auflage 2022
ISBN: 978-3-492-60123-8
Verlag: Piper Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman | Für Fans von Regency Romance und »Bridgerton«
E-Book, Deutsch, 288 Seiten
ISBN: 978-3-492-60123-8
Verlag: Piper Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Abbi Glines, 1977 in Birmingham (Alabama) geboren, steht für die ganz großen Gefühle. Mit ihren »New Adult«-Romanen gelang ihr der internationale Durchbruch, und auf die Frage, wie viele Bücher sie insgesamt geschrieben hat, hält die Bestsellerautorin meist kurz inne und beginnt, an ihren Fingern abzuzählen. Wenn sie nicht gerade schreibt, liest sie, schleicht sich ins Kino und hört sich die alltäglichen Dramen ihrer Teenager-Kinder an, während sie sich überlegt, welche sie davon später in ihren Büchern verwenden wird. Heute lebt die erfolgreiche Bestsellerautorin mit ihrer Familie in Fairhope/Alabama.
Weitere Infos & Material
Sechs Monate vorher
Miriam Bathurst
achtzehn Jahre und einen Monat alt
Man könnte meinen, im Leben einer jungen Dame gäbe es nichts Schöneres, als – eingedeckt mit eleganten Gewändern und einem hübschen Gesicht dazu – nach London zu reisen und auf den Heiratsmarkt geworfen zu werden. Zumindest wenn es nach meiner Mutter ging. Wäre jemandem an meiner Meinung gelegen gewesen, was offenkundig nicht der Fall war, hätte man anderes zu hören bekommen. Ich machte mir nichts aus all dem Mumpitz, den eine Londoner Saison versprach. Wer wollte schon in Ballkleider gezwängt werden, die unsäglich schwer und unbequem waren, und das Gewicht des hoch aufgetürmten Haars ertragen, das mit Perlen, Blumen und dergleichen mehr aufgeputzt war? Das alles klang so grauenhaft, dass ich liebend gern auf alles und jedes davon verzichtet hätte.
»Wie wahrhaft magisch muss es sein, inmitten all dieser Herrlichkeit zu tanzen. Kannst du dir vorstellen, wie sie alle schimmern, schillern und glitzern müssen?«, fragte meine zwölfjährige Schwester Whitney mit verträumter Stimme. Wie stets meldete sich umgehend mein schlechtes Gewissen. Es erinnerte mich daran, dass das, wovor mir so graute, eben das war, was Whitney sich so inständig wünschte – jedoch nie erleben würde. Seit einem schrecklichen Sturz vom Pferd mit neun Jahren zog sie ein Bein nach und würde daher nie in einem Ballsaal tanzen können. Sie würde nie eine Tanzkarte an ihrem zarten Handgelenk tragen, auf der die Namen derer standen, die einen Augenblick in ihrer Gegenwart verbringen wollten. Sie würde nie als die wahre Schönheit angesehen werden, die sie war – es sei denn, ich änderte etwas daran. Es lag allein an mir, meiner Schwester das erträumte Leben doch zu ermöglichen. Für sie würde ich alles tun. Sogar mein eigenes Leben opfern.
Ich setzte ein Lächeln auf und drehte mich zu ihr um. Sie saß auf dem Sofa unseres gemeinsamen Schlafzimmers und sah mir beim Packen zu. Seit dem Tod unseres Vaters im vergangenen Jahr hatte sich unsere Welt auf den Kopf gestellt, was vor allem daran lag, dass mein Vater ein Spieler gewesen war und einen Berg Schulden hinterlassen hatte. Nun hatten wir nicht nur keine Dienstboten mehr im Haus, nein, auch Tafelsilber besaßen wir keines mehr. Um die Schulden zu begleichen und Essen auf den Tisch zu bringen, hatte Mutter alles verkauft, was ihr an Wertvollem in die Hände fiel. Ich störte mich nicht an der einfacheren Lebensweise, begrüßte sie sogar. Weniger Aufhebens um die Garderobe. Keine förmlichen Tischsitten. In meinen Augen unerwartete, glückliche Erleichterungen. Es machte mir nichts aus, mir mein Frühstück selbst zu holen und meiner Mutter und meiner Schwester die Mahlzeiten zu servieren, die ich zuzubereiten vermochte. Nach so manchem Missgeschick in der Küche war ich inzwischen zumindest imstande, eine ordentliche Kanne Tee zuzubereiten.
In London würde das alles nicht so einfach sein.
»Du wirst frischen Wind nach London bringen, Miriam«, schwärmte meine Schwester aufgeregt. »Wenn ich doch nur mit dabei sein könnte!«
Wehmut, gepaart mit Traurigkeit, lag in ihrer Stimme, und ich wünschte mir nichts sehnlicher, als dass Whitney alles bekäme, was sie wollte. Oft haderte ich mit Gott, dass es Whitney war, die mit einem hinkenden Bein geschlagen war und nicht ich. Ich wäre nämlich durchaus zufrieden gewesen, allein auf dem Land zu leben, Romane zu schreiben und die Einsamkeit zu genießen.
Ich war kein großer Freund der Menschen. So einfach war das. Ihr Verhalten ärgerte mich. Ich bevorzugte Wahrheiten, doch die meisten der Menschen, die ich bislang kennengelernt hatte, nahmen es damit nicht so genau. Zumeist kam es ihnen lediglich auf ihre Wirkung auf andere an. Allen außer Whitney.
Wenn es denn überhaupt ein vollkommenes Geschöpf gab, dann war sie es: selbstlos, freundlich, klug, voller Hoffnung. Mit ihrer Anwesenheit erhellte sie jeden Raum. Noch war mir kein zweiter Mensch wie sie begegnet. Sie war das wahre Juwel in dieser Familie, und ich würde dafür sorgen, dass der Augenblick kam, an dem sie erstrahlen konnte.
Ich besaß keine ihrer Eigenschaften; dem würde meine Mutter zustimmen, die mich oft wegen meines kecken und unhöflichen Benehmens ausschalt. Und mir widerstrebten die Dinge, die sie sich für mich wünschte. Genau das hatte im Lauf der Jahre immer wieder für Konflikte gesorgt. Früher einmal hatte ich mich danach gesehnt, dass Mutter mich ebenso liebevoll ansah wie meine Schwester. Aber mit der Zeit erkannte ich, dass Whitney im Gegensatz zu mir leicht zu lieben war.
Wann immer Mutter laut wurde, um sich über meine Manieren oder mein Verhalten zu echauffieren, war Whitneys liebe Stimme das Einzige, das mich im Zaum hielt. Sie war es, die ich nicht enttäuschen wollte. Anderen mochte das unlogisch erscheinen, aber die hatten auch keinen Einblick in unser Familienleben und wussten nicht, was wir durchgemacht hatten. Unser Vater war über keine seiner beiden Töchter glücklich gewesen. Er hatte sich einen Sohn gewünscht.
Dieser Wunsch schien in Erfüllung zu gehen, als meine Mutter ein Zwillingspaar gebar – doch mein Bruder überlebte nur wenige Tage. Mehr als einmal in meinem Leben hatte ich mir von meinem Vater anhören müssen, er wünschte, ich wäre anstelle meines Bruders gestorben. Ich wagte niemandem gegenüber zuzugeben, wie sehr mich das verletzte. Oft fragte ich mich, ob ich wohl Whitney ähnlicher wäre, wenn mich mein Vater weniger abgelehnt hätte. Ihr hatte er einfach keine Beachtung geschenkt, weshalb sie immerhin nie so harsche Worte zu hören bekommen hatte wie ich. Ihr sanftes Wesen machte es unmöglich, an ihrem Verhalten etwas auszusetzen.
Dieser Gedanke ließ mich auch verschmerzen, dass Mutter Whitney mehr Zuneigung entgegenbrachte als mir. Whitney brauchte das, denn sie war nicht so dickhäutig wie ich und hätte es nicht überlebt, eine ungewollte Enttäuschung zu sein.
»Onkel Alfred wird bestimmt nichts dagegen haben, nach dir zu schicken, da bin ich mir gewiss. Gleich nach meiner Ankunft werde ich ihn darum bitten. Ich kann den Gedanken an unsere Trennung nicht ertragen!«
Whitney sah strahlend zu mir auf. Ihr Lächeln war einfach zum Niederknien. Hätte ich auf Schönheit Wert gelegt, dann hätte ich sie für dieses zauberhafte Lächeln gewiss beneidet. Doch auf mein Aussehen gab ich nichts. Mein Gesicht diente nur dem einen Zweck, einen wohlhabenden Ehemann zu finden, um meine Schwester und meine Mutter gut versorgt zu wissen. Onkel Alfred hatte sich bereit erklärt, ihnen unter die Arme zu greifen, wenn auch nicht so, wie ich es mir gewünscht hätte. Zumindest, was Whitney anging. Ich hatte mich in der Bibliothek meines Vaters stundenlang in medizinische Fachzeitschriften vertieft und wusste daher, dass es Verfahren gab, die das Hinken meiner Schwester, wenn auch nicht vollkommen beseitigen, so doch zumindest lindern konnten. Was hieß, dass all ihre Träume wahr werden konnten! Mit ihrem märchenhaften Ansehen gehörte Whitney in schöne Gewänder und sollte in dem Licht tanzen, das nach ihren Vorstellungen aufs Wundersamste glitzerte.
Soweit es in meiner Macht stand, ihr das zu ermöglichen, würde ich es tun. Für meine Schwester würde ich mich einer Kugel in den Weg stellen, und manchmal hatte ich das Gefühl, es wäre ohnehin dasselbe. Vielleicht war die Kugel sogar vorzuziehen? Ich hatte nicht das Gefühl, als ob ich jemals in die Rolle passen würde, die ich jetzt zu spielen hatte.
Ich wandte mich wieder meiner Ausstattung zu, um meine finstere Miene bei dem Gedanken, mich mit einem Mann abgeben zu müssen, zu verbergen. Ich mochte Männer nicht. Schließlich hatte mir mein Vater die Grausamkeit des anderen Geschlechts vor Augen geführt. Da vertiefte ich mich lieber in meine Bücher oder griff zur Feder und verfasste Geschichten über mutige und einfallsreiche Frauen.
»Oh, glaubst du, er wird es tun? Wirklich?«, fragte Whitney, während ich ein weiteres Kleid zusammenfaltete und in meinen Koffer legte. Ich hatte noch nie selbst gepackt und bezweifelte, dass ich es richtig...