E-Book, Deutsch, Band 1, 416 Seiten
Reihe: Die Toskana-Trilogie
Glaesener Wespensommer
18001. Auflage 2018
ISBN: 978-3-96048-205-5
Verlag: Econ
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Historischer Kriminalroman
E-Book, Deutsch, Band 1, 416 Seiten
Reihe: Die Toskana-Trilogie
ISBN: 978-3-96048-205-5
Verlag: Econ
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Helga Glaesener wurde in Niedersachsen geboren und studierte in Hannover Mathematik. 1990 begann die Mutter von fünf Kindern mit dem Schreiben historischer Romane, von denen gleich das Debüt, Die Safranhändlerin, zum Besteller avancierte. Sie lebt in Oldenburg. Neben dem Schreiben bringt sie angehenden Autoren die Kniffe des Handwerks bei. Seit 2010 lebt sie in Oldenburg. Weitere Informationen unter www.helga-glaesener.de
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Prolog
Florenz im Dezember 1779
Inghiramo Inghirami, Tragödiendichter und Schreiber von Opern- und Oratorienlibretti, trat vor das Portal des Teatro della Pergola. Es war halb fünf, und über Florenz brach eine frühe Nacht herein. Schneeflocken tanzten im Licht der Straßenlaternen wie eine himmlische Balletttruppe, die sich übermütig dem gestrengen göttlichen Blick entzogen hat. Sie wehten über die Gesimse, Giebel und Balustraden des gegenüberliegenden Ospedale Santa Maria Nuova und legten sich sammetweich auf den Rasen und die Büsche des krankenhauseigenen Gartens. Sie bestäubten die Götterfiguren, die dort standen, und bedeckten das bucklige Straßenpflaster. Verzaubert hob Inghiramo die Handflächen und ließ die kalten Sterne auf seiner Haut schmelzen. Er war glücklich. Cecilia würde kommen. Sie hatte ihm ein Billett geschickt und es versprochen.
Seinem sonst so zynischen Blick entging der von Syphilis gezeichnete Bettler, der in viel zu dünnen Lumpen unter einem Vordach des Ospedale zitterte und möglicherweise erfroren sein würde, bevor die Vorstellung im Teatro beendet war. Er sah auch die Frauen nicht, die an die Kutschen herantraten und in Zimt eingelegte Orangen – und andere, verbotenere Früchte – feilboten, und die Ratten, die die Pfeiler hinaufflitzten und sich unter den Dachbalken tummelten. In einer Stunde würde sich drinnen im Theater der Vorhang heben, und seine Merope – Drama in drei göttlichen Akten von explodierender Sprachgewalt! – die Premiere erleben. Und Cecilia würde Zeuge sein …
Ein krausköpfiger Junge in einer viel zu großen blauroten Uniformjacke, die wahrscheinlich aus dem Fundus des Theaters stammte, verteilte Flugzettel an die Passanten. »Mörder will Königin schänden … Drama des berühmten Inghirami … Mörder will Königin schänden … Beginn punkto sechs … nur noch wenige Karten … Mörder will Königin … wenn es gefällig ist, der Herr …«
Dem Herrn war es nicht gefällig, ungeduldig schlug er ihm die Zettel aus der Hand. Der Junge hob sie wieder auf, blies den Schnee fort und brüllte weiter, was man ihm aufgetragen hatte. »Mörder will Königin schänden …!« Mit ein wenig Glück würde er sich heute Abend eine Suppe in der Garküche an der Ecke des Ospedale leisten können.
Inghiramo blickte die Straße hinab. Der Mond hatte sich einen Platz zwischen den zerrissenen Wolken erkämpft, und sein blasses Licht zeichnete die Umrisse der Kirchendächer, Türme, und Hausfassaden weicher, sodass es aussah, als wären sie eine von Rosalbo Carriera gemalte Kulisse. Undeutlich erkannte er eine Gruppe Studenten, die ein Denkmal mit Schneebällen bewarfen.
Die ersten Zuschauer erreichten das Theater, und ein riesiger Schwarzer, den man wegen des exotischen Ambientes angestellt hatte, dirigierte die Sänften in den Portechaisensaal, wo sie in den dafür vorgesehenen Gefachen verstaut wurden. Hastig klopfte sich Inghiramo den Schnee von der Jacke. Er kehrte ins Theater zurück. Cecilia mochte die Leidenschaft seines Lebens sein, aber er würde ihr nicht wie ein Schoßhündchen schon an der Tür entgegenhecheln.
Im Vestibül nahm er einem der Diener, die in weißgoldenen Uniformen über den Marmor schritten und den Theaterbesuchern Erfrischungen kredenzten, ein Glas Champagner ab und wartete.
In den von Kerzenschein glänzenden Spiegeln, die die Wände bedeckten, erblickte er seine Gestalt. Was er sah, gefiel ihm. Nachtschwarze Culotten, eine ebenso schwarze Weste, fedrige graue Spitzenmanschetten von der Feinheit eines Spinnennetzes … dazu eine schmale Nase, die aussah, als wäre sie einmal gebrochen gewesen … schön, schön. Eine düstere, eine tragische Erscheinung. Das Geschenk, das Gott ihm dazugegeben hat, waren die dunklen Augen, diese prächtigen schwarzen, von innen leuchtenden Edelsteine, die selbst in Augenblicken höchsten Frohsinns von einem geheimen Leiden zu künden schienen. Als Kind hatten sie ihm gelegentlich eine Extraportion Salzfleisch eingebracht – und die Prügel seiner Brüder, die sich völlig zu Recht schlecht behandelt fühlten …
»Keine Verwandten, Herr. Nur die alte Schraube von Großmutter.«
Inghiramo fuhr zusammen, als er so unvermittelt angesprochen wurde. Sein Diener Fernando stand zitternd vor ihm in einem schneebedeckten, fadenscheinigen Mantel. Von den löchrigen Schuhen tropfte der Matsch. Er warf einen sehnsüchtigen Blick zum Redoutensaal, aus dem die Wärme eines kräftig eingeheizten Kamins drang. »Es gab einmal einen Großonkel …«
»Psst, nicht doch!« Inghiramo winkte seinen Lakai hastig in eine Ecke. Es fehlte noch, dass sie Aufmerksamkeit weckten.
»Ein Großonkel, Herr, aber der ist tot. Keine Brüder, keine Vettern …«
»Ich hab’s verstanden! Ab nun …«
»Nur die Alte und das Mädchen …«
»Fort mit dir!«
Während Fernando gehorchte, schwebten die ersten Damen herein, Flaggschiffe in Damast und Seide, mit Turmfrisuren, in denen ihre Frisöre Pfauenfedern, Perlenketten, kleine Figuren, Spangen, Spitzentücher und Blumenarrangements drapiert hatten. Die Herren umschwirrten ihre Begleiterinnen und säuselten Artigkeiten in die winzigen Ohren unter den Turmaufbauten.
Inghiramos gute Laune schwand. Plötzlich sah er sie vor sich, die Laffen, wie sie im Parkett miteinander gackern würden wie auf einem lausigen Fischmarkt, während die Schauspieler seine Verse ins Parkett schleuderten. Man konnte dagegen nichts machen. In der Provinz wurde das Theater gewürdigt, hier diente es nur als Kulisse für Geschwätz und Tratsch.
Er hätte sich vielleicht in eine üble Stimmung hineingesteigert, doch in diesem Moment betrat Cecilia Barghini das Vestibül. Inghiramo verschmolz mit dem Schatten einer Säule und beobachtete, wie sie an der Seite ihrer Großmutter kerzengerade durch den strahlenden Spiegelsaal schritt.
Sie trug eine weiße, mit Schneeflocken bestickte Seidenrobe, und ihr lockiges Haar war durch eine einzige rosafarbene Blüte verziert – ein wohltuender Unterschied zu den aufgedonnerten Gänsen. Sie lachte und plauderte mit ihrer Großmutter und legte den Kopf schief, wozu sie eine Neigung hatte.
Sie hatte blonde Haare, was er eigentlich nicht mochte, denn Blond stand für Heiterkeit und Heiterkeit für Commedia und Commedia für Idioten. Er konnte auch die Sommersprossen nicht leiden, die sich vulgär auf ihrer Nase tummelten. Sie neigte zur Fülle. Noch nicht jetzt. Eingezwängt in ihr Korsett, gab sie eine tadellose Figur. Aber in wenigen Jahren, wenn sie ausreichend genascht, vielleicht Kinder geboren hatte, würde sie auseinander gehen. Dafür hatte er einen Blick. Sie würde sich in ein Hausmütterchen verwandeln, in eine Küchlein servierende Matrone.
Und wenn er all das wusste – warum, zur Hölle, war er ihr dann verfallen? Hatte er, der berühmte Inghirami, nicht Dutzende Liebschaften gepflegt? War nicht sogar eine Comtessa in sein Bett gekrochen? Und er hatte sie am nächsten Morgen schluchzend in ihr Kleid steigen lassen, und sie hatte es hingenommen, dass er sie mit dem Wedeln seiner Hand verscheuchte, weil ihm in Hexameter geformte Leidenschaft aus dem schwarzen Federkiel floss. Und nun versteckte er sich wie ein Hanswurst hinter einer Säule!
Aber was sollte er tun? Er hörte ihr Lachen, und sein Herz entbrannte von neuem, als hätte ein Lampenknecht es mit dem Feuerstab berührt.
Trotz ihres niedlichen Aussehens war Cecilia nicht dumm, sogar schlagfertig, gemessen an den Möglichkeiten einer Frau. Er erinnerte sich an die erste bewusste Begegnung, als sie ihm zur Bearbeitung der Cleopatra gratuliert hatte. Sie war beeindruckt gewesen, sie … nun ja, sie hatte Cleopatras Abschied kritisiert – und er musste zugeben, diese Stelle war nicht die stärkste des Stückes. Aber sie hatte es in einer Weise getan, die ihm ob des freundlichen Witzes den Atem verschlug.
Von da an waren Blicke getauscht, vorsichtige Worte gewechselt und schließlich Billetts zugesteckt worden. In aller Heimlichkeit natürlich, denn Großmamma wachte mit dem Misstrauen eines Hofköters über die Enkeltochter.
Inghiramo seufzte. Er machte sich nichts vor – ein Tragödiendichter, der einer unbescholtenen jungen Dame der guten Gesellschaft nachstellte, begab sich in Gefahr. Nicht in die eines Duells, wie Fernandos Recherchen ergeben hatten. Aber man konnte ihn einlochen, ihn auf die Galeere schicken, ihn aus der Stadt jagen, ihn von bezahltem Gesindel verprügeln lassen …
Er sah, wie sie sich verstohlen umdrehte, als sie die Treppe erreichte. Wagemutig trat er hinter der Säule hervor und winkte ihr zu. Cecilia klappte mit einer mutwilligen Gebärde den Fächer zusammen und spreizte ihn wieder. Und schon war sie in dem Gang verschwunden, der zur Loge ihrer Familie führte.
Inghiramo machte sich auf den Weg zum Proszenium. In einer halben Stunde würde die Vorstellung beginnen. Das Teatro della Pergola hatte eine schlechte Saison hinter sich. Nehmen wir eine Komödie, etwas Märchenhaftes … Gozzi läuft immer!, hatte der Vorstand der Società di palchettisti gefordert, und sein Wunsch hatte Gewicht, denn die Theatermäzene sorgten dafür, dass der Laden nicht geschlossen werden musste. Gozzi läuft immer – natürlich! Das zum Erbrechen stupide Publikum brüllte bei jedem Purzelbaum des Harlekin, als hätte man es mit einer Sensation überrascht.
Aber der Impresario hatte sich durchgesetzt. Merope hatte das Zeug, die Seelen der Menschen zu berühren. Ein Stück voller Qual und Abgründigkeit. Wofür leben wir, Signori, wenn nicht für die Unsterblichkeit!
Rosetti, der Eifersüchtling, der für das Teatro...