E-Book, Deutsch, 397 Seiten
Reihe: Ullstein eBooks
Glaesener Wer Asche hütet
13001. Auflage 2013
ISBN: 978-3-8437-0503-5
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 397 Seiten
Reihe: Ullstein eBooks
ISBN: 978-3-8437-0503-5
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Helga Glaesener wurde in Niedersachsen geboren und studierte in Hannover Mathematik. 1990 begann die Mutter von fünf Kindern mit dem Schreiben historischer Romane, von denen gleich das Debüt, Die Safranhändlerin, zum Besteller avancierte. Sie lebt in Oldenburg. Neben dem Schreiben bringt sie angehenden Autoren die Kniffe des Handwerks bei. Seit 2010 lebt sie in Oldenburg. Weitere Informationen unter www.helga-glaesener.de
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I
Der Allmächtige hatte beschlossen, die heilige Stadt vom Blut zu reinigen. So kam es Tommaso Benzoni jedenfalls vor.
Er stand zu Füßen der Stadtmauer, als der gewaltige Wolkenbruch niederging. Das Wasser fegte über den aufgeweichten Boden, es riss die Erde mit sich und schoss in Sturzbächen zur Straße hinab, wo es sich in einem Netz von Pfützen sammelte, die gierig nach weiteren Wegen suchten. Der Tiber – ein schäumendes, graues Band im Tal – leckte an den Pferdeweiden des Testaccio, und die Häuser in der Innenstadt duckten sich, als spürten sie die Peitsche des Allerhöchsten über ihren Dächern. Gott zürnte, weil er den Anblick des Bluts nicht mehr ertrug.
Rom, dachte Tommaso voller Groll. Die heilige Stadt war nie ein friedlicher Ort gewesen, aber die letzten vier Monate … Die Kardinäle hatten von August, als Paul IV. starb, bis zum Weihnachtsfest gebraucht, um sich auf einen neuen Papst zu einigen. In dieser herrenlosen Zeit hatten die Leute gewütet, als hätten sie nie von Gesetzen gehört. Der Fischhändler oben in der Via Anicia hatte den Laden seines Konkurrenten angezündet und dessen Enkeltochter gebraten, Pompeo Colonna hatte seine Schwiegermutter erwürgt, der mantuanische Gesandte die schimpfende Tante der schönen Ortensia Griffo niedergestochen, die Brüder Foriano hatten ihre Schwester erdrosselt, drei Tage vor der Hochzeit, der Himmel mochte wissen, warum. Wer sich scheute, die eigenen Hände zu beschmutzen, hatte sich an die Sicarii gewandt, die bezahlten Mörder, die in den Schenken an der Piazza Borghese ihre Aufträge so unbekümmert entgegennahmen, als wären sie einfache Kaufleute. Die Römer wussten, dass der neue Pontifex ihnen Absolution für die Untaten während der Sedisvakanz gewähren würde, und entsprechend hatten sie gehandelt.
Nein, dachte Tommaso, während das Wasser sein Kraushaar ins Gesicht spülte, die Himmel weinen nicht, sie senden die zweite Sintflut und verfluchen ihr Versprechen des Regenbogens.
Er schob die Hände in die aufgeweichten Ärmel seines Talars und hob fröstelnd die Schultern, wobei sein Blick über die Stadtmauer schweifte, bis er an dem Turm hängen blieb, den seine Leute gerade durchsuchten. Die sittenlose Zeit war vorbei. Die römischen Gerichte hatten die Zügel wieder in der Hand, und selbst eine vergleichsweise geringe Untat wie der Diebstahl eines Vortragskreuzes wurde unnachgiebig verfolgt. Gut so.
Nur, dachte er verdrossen, warum müssen sie gerade das Ripatribunal damit behelligen? Dem kleinen römischen Hafengericht unterstanden zwölf Sbirri, das reichte mit Müh, um die beiden Stadthäfen zu überwachen.
»Willst du nicht … Tommaso! Komm rüber. Es stinkt wie in der Kloake, aber hier ist es wenigstens trocken.« Ugo, der Notaio des Gerichts, winkte aus der Turmtür, doch Tommaso tat, als hätte er nicht gehört. Er sah, wie Ugo sein Barett über die Ohren zog und losrannte, wobei ihm der nasse Mantel gegen die Beine klatschte. Prustend blieb der kleine Mann vor ihm stehen.
»Es ist, als würdest du einen Floh in einem Haufen Mist suchen. Weißt du, wie viele Türme das sind bis zu San Pancrazio? Dreißig? Nein, mehr …« Zitternd versuchte er zu schätzen. »Und dazu die verdammten Wehrgänge! Und die Arkaden und der ganze Dreck davor und dahinter … Was bitte hat die Mauer mit dem Hafen zu tun? Drei, Tommaso, drei Türme stehen an der Ripa. Der Rest gehört zu Trastevere, und das ist Gebiet des Governatoregerichts. Weshalb ist von denen keiner hier? Die haben achtzig Sbirri, die sie über die lausigen Treppen jagen könnten. Die wären in einem Tag fertig. Wir brauchen …« Entmutigt warf er die Arme in die Luft.
Sie musterten die Mauer mit ihren doppelstöckigen Arkadenbögen, hinter denen sich Stiegen und Nischen verbargen – unzählige Versteckmöglichkeiten. Akkurat alle hundert Fuß wurde die Mauer von einem quadratischen, mehrstöckigen Turm unterbrochen. Türme und Mauer waren über tausend Jahre alt, und an den Wänden wuchs Moos, und in den Gängen und Räumen und im Deckengebälk hausten Ratten und Mäuse. Man verlangte von ihnen, einen Augiasstall auszumisten. Und der Sinn der ganzen Aktion ist möglicherweise, dass Strata sich einen Misserfolg erhofft, dachte Tommaso, von seinem eigenen Gedanken überrascht.
Andrea Strata, der Römische Ankläger, war am vergangenen Vormittag in sein Ufficio im Hafentribunal gekommen und hatte ihm mitgeteilt, dass zwei Rosenkranzschnitzer aus der Kirche San Pietro in Montorio ein Vortragskreuz und Altargerät gestohlen hatten. Der Sakristan, der gerade den Abfall in den Klostergarten brachte, hatte die beiden Strolche davonrennen sehen. Man konnte sie fassen, aber es war ihnen zuvor gelungen, ihre Beute zu verstecken. Vermutlich in einem der Stadttürme, hatte Strata gesagt. Und daher hatte er verlangt … Nein, gebeten, er war höflich gewesen. Er hatte gebeten, bei der Suche zu helfen, aber durchblicken lassen, dass sein Freund, der Governatore, äußerst ungehalten wäre, wenn die Männer vom Ripatribunal diese Gefälligkeit abschlügen.
»Und wenn es gerade das ist, was er will – dass wir erfolglos bleiben?«, wiederholte Tommaso seinen Verdacht laut.
Ugo, der mit beiden Händen das Barrett hielt, starrte ihn entgeistert an.
»Andrea Strata. Wir suchen, aber wir finden nichts. Er geht zum Heiligen Vater und berichtet von unserer Unfähigkeit oder dem mangelnden Eifer oder weiß der Himmel und schlägt vor, das unnütze Ripatribunal mit dem des Governatore zu vereinigen. Er hat das schon mal versucht. Zweimal, unter Papst Paul.«
Ugo stöhnte und spuckte trübe in das aufgeschwemmte Gras zu seinen Füßen. Er war fast fünfzig – kein gutes Alter, um die Arbeit zu verlieren.
»Muss ja nicht sein«, schwächte Tommaso ab. Eine Zeit lang schwiegen sie, während das Regenwasser durch die Nähte ihrer Stiefel sickerte und ihre Füße in Eisklumpen verwandelte. Sie sahen das Licht der Fackeln hinter den Fensterchen, und gelegentlich trat einer der Sbirri halbherzig in einen Arkadengang, zog sich aber schleunigst wieder zurück, wenn ihm der Regen ins Gesicht peitschte.
»Warum ausgerechnet hier?«, grübelte Tommaso.
»Was? Keine Ahnung. Warum nicht?« Ugo verstummte.
Lorenzo, der Bargello des Ripagerichts, der die Suche leitete, war auf der Plattform des Turms erschienen. Seine lange, fadendünne Gestalt in den goldgelben Kleidern leuchtete vor dem schwarzen Himmel. Er hob die Arme zum Zeichen, dass die Männer bisher nichts entdeckt hatten.
Tommaso winkte zurück und fuhr lebhafter fort: »Strata hat betont, dass wir bei den Hafentürmen mit der Suche anfangen sollen. Aber warum? Die Diebe sind von der Kirche losgelaufen. Also sollte man doch annehmen …«
»Vielleicht haben die Mönche die Kerle bis zur Ripa verfolgt und gesehen, dass sie das Zeug dort noch bei sich hatten.«
»Dann hätte Strata uns kaum gebeten, sämtliche Türme zu durchforsten. Er hätte gesagt: Von hier bis … Er hätte die Suche eingeschränkt.«
»Wenn er nicht so ein Dreckskerl wäre.«
»Wenn er nicht …« Tommaso musste plötzlich lachen. Er klopfte seinem frierenden Notaio auf die Schulter. »Ein Dreckskerl würde uns hier mit der Suche anfangen lassen, auch und gerade wenn feststünde, dass die Diebe bereits hinter den ersten drei Türmen gefasst wurden. Richtig, Mann.«
Er reckte das Gesicht gegen den Himmel und genoss mit einem Mal die prickelnden Stiche auf der Haut. Strata versuchte, ihnen eins auszuwischen. Und er selbst war ein Idiot, dass ihm das erst jetzt klar wurde. Die Sedisvakanz, dieser massenhafte Ausbruch von Gewalt, gegen die kein Einschreiten mehr möglich gewesen war, hatte sein Gehirn aufgeweicht. Er grübelte zu viel, war zu weich. Das war sein Fehler.
»Komm!« Ohne abzuwarten, ob sein Notaio ihm folgte, tastete er sich seitwärts den glitschigen Hang hinab. Ugo rief etwas zum Turm hinauf und beeilte sich, ihm zu folgen. Er keuchte, und Tommaso ging langsamer. Eine ganze Weile liefen sie schweigend nebeneinanderher, immer bemüht, sich mit den Armen vor den schlimmsten Böen zu schützen. Die Straße wurde steiler. Weingärten tauchten auf, die sich bis zur Mauer hinaufzogen. Schwarze Flächen, die mit ihren kahlen Stöcken wie Friedhöfe aussahen.
»Was genau wurde gestohlen?«, rekapitulierte Tommaso. »Ein Kreuz und Altargerät, ja. Aber was für Gerät? Wie viel und wie schwer war das alles? Hatten die Diebe einen Sack dabei? War der Diebstahl geplant und gab es Komplizen, denen sie die Sachen zuwerfen konnten? Das würde erklären, warum die Mönche nichts gefunden haben. Falls Strata sie überhaupt hat suchen lassen. Ich könnte mir vorstellen, dass er sie in ihre Zellen zurückscheuchte und alles zu einer Angelegenheit des Fiscus erklärte.«
»Verfluchtes …! Ich meine das Wetter. Bitte, red nicht mehr von Strata, Tommaso. Tu mir den Gefallen.« Ugo glitt im Matsch aus, hielt sich an seinem Vorgesetzten fest, und einen Moment standen sie still und rangen um ihr Gleichgewicht.
»Hast du eigentlich schon mal darüber nachgedacht aufzuhören?« Der Notaio klapperte mit den Zähnen. »Du hast einen guten Namen in Rom. Warum nicht eine Kanzlei aufmachen? Erinnerst du dich an die Sache mit della Cornea? Der seinen Halunken losgeschickt hat, um diese Hure zusammenzuschlagen, diese Griechin? Es hat den Leuten gefallen, wie du seinem Rüpel die Strafe auf den Rücken diktiert hast. Endlich mal die Peitsche von einer blinden Justitia geschwungen – so sehen sie das. Und dass Cornea, dies Schwein, dich nicht umgebracht hat … Geh langsam, ich bin kein Windhund. Sie denken, dass du mächtige Verbindungen haben musst. Wenn du eine...