Glaesener | Die Rechenkünstlerin | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 445 Seiten

Reihe: Ullstein eBooks

Glaesener Die Rechenkünstlerin

Roman
13001. Auflage 2013
ISBN: 978-3-8437-0497-7
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, 445 Seiten

Reihe: Ullstein eBooks

ISBN: 978-3-8437-0497-7
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Im Jahr 1389 wird in Heidelberg die erste deutsche Universität gegründet. Carlotta Buttweiler, querköpfige Heldin dieses Romans, von der Natur ausgestattet mit roten Haaren und einer Vorliebe für mathematische Formeln, ist die Tochter des Pedells der neuen Universität. Eines Tages gerät ihr beschauliches Dasein aus den Fugen, als ihre Freundin Zölestine sich das Leben nimmt. War es wirklich Selbstmord?

Helga Glaesener wurde in Niedersachsen geboren und studierte in Hannover Mathematik. 1990 begann die Mutter von fünf Kindern mit dem Schreiben historischer Romane, von denen gleich das Debüt, Die Safranhändlerin, zum Besteller avancierte. Sie lebt in Oldenburg. Neben dem Schreiben bringt sie angehenden Autoren die Kniffe des Handwerks bei. Seit 2010 lebt sie in Oldenburg. Weitere Informationen unter www.helga-glaesener.de
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1. KAPITEL


Circulus vitiosus – der Kreis ist falsch«, murmelte Carlotta und betrachtete das Ding, das einem Kreis ähnlich sah, aber doch keiner war, denn der Zeichner hatte ohne Zirkel gearbeitet und etwas wie ein Ei mit einer eingedellten Spitze geschaffen. Da der Kreis fehlerhaft war, stimmte die ganze Konstruktion nicht, und also konnte auch die Lösung der quadratischen Gleichung nicht gefunden werden, um die es ging. Der Zeichner hatte sie dennoch daneben geschrieben. Die Lösung. Kopiert aus dem Buch, aus dem er selbst abgeschrieben hatte. Und das …

»… ist falsch«, sagte Carlotta.

Die Flamme der Tranlampe flackerte über ihre rostfarbenen, im Nacken zusammengebundenen Locken und warf Schatten auf das aufmerksame Gesicht mit der weichen, runden Nase, auf der sich zahllose Sommersprossen tummelten. In der Wohnstube war es dunkel. Carlotta hatte die drei Fensterchen zur Gasse durch Holzläden verschlossen, weil draußen ein Unwetter tobte, aber auch, weil es Nacht war und man nie wissen konnte, wer im Schutz der Dunkelheit sein Unwesen trieb. Regen prasselte gegen die Läden, und die schweren, schwarzgefärbten Deckenbalken drückten auf das Zimmer, so daß Carlotta das Gefühl hatte, in einer Höhle zu sitzen, in der nur sie und das von der Lampe beschienene Buch mit dem mißratenen Kreis existierten.

Es war kalt geworden. Das Feuer in dem von der Küche aus betriebenen Hinterladeofen hatte seine Kraft verloren. Fröstelnd rieb Carlotta die Füße an den Waden.

Die Sache mit dem Kreis war unwichtig. Die Heidelberger Universität legte mehr Wert auf Aristoteles als auf die Mathematiker, und kaum einer der Heidelberger Scholaren hatte die Elemente bis zu dieser Stelle gelesen. Der Baccalar, von dem sie den Auftrag hatte, ihm den kompletten Euklid zu kopieren, wollte damit seinen künftigen Auftraggebern imponieren, und wenn sie ihm ebenfalls ein eingedelltes Ei hinschluderte, wie auf der Vorlage, würde er es wahrscheinlich nicht einmal bemerken.

»Trotzdem«, sagte Carlotta. »Es geht ums Prinzip.«

Sie spürte eine Bewegung. Die Katze, die auf der Holzbank vor dem Ofen gedöst hatte, wandte ihr bei den lauten Worten die grünschimmernden Augen zu. Carlotta war allein mit dem Tier, denn ihrem Vater, der ihr normalerweise Gesellschaft leistete, machte wieder der Magen zu schaffen. Und die jungen Scholaren, die bei ihnen zu Kost, Logis und Unterricht wohnten, hatten strenge Schlafenszeiten und waren längst in den Kammern.

»Wahr ist wahr und falsch ist falsch«, setzte Carlotta der Katze auseinander. »So etwas darf man nicht durcheinanderbringen. Immerzu werden aus Kreisen Eier gemacht und Eier in Kreise umgeschwindelt. Und hinterher wissen die Leute selbst nicht mehr, was richtig ist, und es gibt ein großes Geschrei.«

Die Katze maunzte – es klang eher wie das Zischeln einer Schlange – und sprang von der Bank. Ihr Körper, fett von den Ratten, die sie schlug, krümmte sich. Sie kam näher. Der Lampenschein fiel auf ihr struppiges, schwefelgelbes Fell. Stirnrunzelnd betrachtete Carlotta das häßliche Tier.

»Du bist auch eine von denen, die sich durch die Welt lügen, Katze. Nein, laß meine Beine. Wir wissen beide, daß du mich viel lieber kratzen würdest. Ich hätte auf Josepha hören und dich im Fluß ersäufen sollen, als du das erste Mal an meine Küchentür geschlichen bist. Hör auf damit! Denkst du, irgendwo auf der Welt bekommt eine Katze Milch verfüttert?«

Das Tier fauchte, und Carlotta schwieg.

Es hatte keinen Sinn weiterzuarbeiten. Ihre Augen brannten, die Buchstaben verschwammen, so daß sie kaum noch zu entziffern waren. Sie nahm die Lampe mit dem Talglicht und ging zur Küche, die den hinteren Teil des Hauses einnahm. Der Wind klapperte an den Fensterläden und riß an der Hoftür, als wäre er ein Dieb, der sich Einlaß verschaffen wollte. Regen platschte auf das Dach des Hühnerstalls im Innenhof, nicht nur ein paar Tropfen, sondern als würde jemand Wasser aus Eimern herabschütten.

Die Küche war klein. Zur rechten Hand ein gemauerter Herd, auf dem unter einem bauchigen, mit Schlitzen versehenen Gluthalter das Kochfeuer glomm und über dem an einem Schwenkhaken der Topf mit den Resten der mittäglichen Suppe baumelte. Daneben eine Tür, die in den Innenhof führte, gegenüber ein Regal, in dem das Geschirr verstaut war. Der hintere Teil des Raumes wurde von einem mit Bänken gesäumten Tisch ausgefüllt, an dem die Scholaren zu essen pflegten. Mehr paßte in die Küche nicht hinein, und mehr war auch nicht nötig. Carlotta trat zur Kochstelle, wo in einer Ecke die verbeulte Zinnschüssel mit der Schmalzmilch stand. Sie schüttelte sie vorsichtig, um zu sehen, ob die Masse schon fest zu werden begann. »Du kriegst keine Milch«, sagte sie zur Katze.

Mit Sehnsucht dachte sie an ihr Bett in der kleinen Kammer unter dem Dach. Hoffentlich hatte es nicht wieder hineingeregnet. Und hoffentlich schlug der Sturm keine Schindeln herab. Ihr Vater würde darauf bestehen, den Schaden selbst zu beheben, und dazu hatte er kein Talent, denn so klug und gewissenhaft er als Pedell die Urkunden der Universität führte, so ungeschickt war er bei allem, wozu man zwei Hände brauchte.

Sorgen, Sorgen.

Carlotta nahm das Schüsselchen mit den Pinienkernen vom Regal, dazu ein Holzbrett und ein Hackmesser, und begann im trüben Licht der Lampe die Kerne zu zerkleinern.

Etwas strich um ihre Beine. Die Katze. Aber nicht die gelbe, denn das Fell war weich und die Bewegung so geschmeidig, daß Carlotta der Versuchung nachgab und sich bückte.

»Du willst auch an die Milch, was?«

Es war die graue Katze, die seidige, die nicht für die Rattenjagd taugte, aber dafür fleißig Mäuse anschleppte. Eine mußte sie gerade gefangen haben, denn die Gelbe, die auf der Schwelle zwischen Stube und Küche lag, hielt zwischen den Pfoten ein pelziges Etwas.

»Du hast es fortgegeben, ja?« Carlotta hob die Katze an den Vorderbeinen an und schaute ihr in die sanften Augen. »Das ist dumm!« sagte sie. »Die Gelbe ist fett wie die Sünde. Und die Maus gehörte dir. Du solltest dich darauf besinnen, daß deine Krallen so scharf sind wie ihre.«

Die Katze schnurrte, und Carlotta ließ sie ungeduldig zu Boden. Ihre Schmalzmilch geriet gut, die Kerne waren gehackt, sie wollte zu Bett. »Raus!« scheuchte sie die Katzen und versperrte die Tür.

Der Sturm hatte zugenommen. Etwas klapperte draußen auf der Gasse, vielleicht ein Fensterladen, den es aus der Angel gerissen hatte. Carlotta hob die Lampe und begann, die Stiege ins Obergeschoß hinaufzuklettern. Wenn Schindeln vom Dach geweht wurden, würde sie einen der Scholaren bitten, den Schaden zu reparieren. Vielleicht Bertram. Der schuldete ihr noch etwas, denn sie hatte ihm das Schildkrötenproblem des Archimedes auseinandergesetzt, was immerhin zwei Stunden in Anspruch genommen hatte, und wahrscheinlich würde es ihm sogar Spaß machen, auf dem Dach herumzuturnen.

Mit einem Mal stockte sie.

In das Prasseln und Pfeifen des Sturms hatte sich ein fremder Laut gemischt. Ein Klopfen, das anders klang, als die Geräusche zuvor. Jemand pochte an die Haustür.

Carlotta zögerte. Sie stand bereits am Ende der Stiege. Einen Schritt den Flur entlang befand sich die Kammertür ihres Vaters. Flüchtig erwog sie, ihn zu wecken. Aber morgen war der Tag des heiligen Dionysius, und ihm zu Ehren würde die Universität eine Prozession und einen Gottesdienst veranstalten, und während der Prozession würde ihr Vater das silberne Zepter der Universität tragen müssen – was ihm schwer genug fallen würde, auch ohne daß er übermüdet war.

Unschlüssig stieg sie die Stufen hinab. Wer trieb sich in der Nacht herum? Wäre das Wetter besser gewesen, hätte sie vermutet, daß die Scharwache einen Scholaren zurückbrachte, der sich heimlich über die Galerie und den Innenhof ins Freie geschlichen und in der Stadt Dummheiten angestellt hatte. Obst aus den Gärten gestohlen, das kam öfter vor. Aber nicht bei diesem Sturm.

Aus dem Klopfen wurde ein ungeduldiges Hämmern. Sie stellte sich hinter die Tür. »Wer ist da?«

Die Antwort ging im Rauschen des Unwetters unter.

Unentschlossen nagte Carlotta an ihrem Fingernagel. Dann schob sie den Riegel zurück, öffnete die Tür und spähte in die Nacht hinaus.

Nicht nur eine einzelne Person stand dort, auf der Gasse herrschte ein regelrechtes Gedränge. Männer auf Pferden, vielleicht ein halbes Dutzend, duckten sich im Regen, der sie wie Nebel umsprühte. Sie umringten einen kleinen Reisewagen, von dessen Plane das Wasser rann und dessen Räder im aufgeweichten Gassendreck steckten. Die Männer trugen einheitliche Kleidung, aber nicht die gestreiften Schecken der Stadtwache und auch nicht die taubenblauen der pfalzgräflichen Burgmannen. Sie waren purpurrot gewandet, in Wämsern, die sich unter langen, bis zum Knie geschlitzten Reisemänteln verbargen und teuer und unendlich vornehm wirkten.

Der Mann, der geklopft hatte, schob sein Gesicht in den Schein von Carlottas Lampe. Er war der einzige, der kein rotes Wams trug, sondern das Gewand der Scharwache, und sie erkannte ihn an seiner gebrochenen Nase. Er gehörte zur Mannschaft, die den Wachdienst oben am Keltertor versah. Grimmig stemmte er sich gegen Wind und Regen. Seine Kleidung troff, der kurze Umhang flatterte, die Strümpfe klebten ihm an den Beinen, wo sie Falten zogen.

»Wohnt hier der Pedell?« bellte er.

Natürlich. Und das wußte er so gut wie jeder andere, denn Heidelberg war eine kleine Stadt und der Pedell der Universität ein wichtiger Mann. Angeber.

»Was …« Carlotta zog hastig den Kopf zurück. Ein Windstoß blies Regen durch den Türspalt. »Was wollt Ihr von...


Glaesener, Helga
Helga Glaesener wurde in Niedersachsen geboren und studierte in Hannover Mathematik. 1990 begann die Mutter von fünf Kindern mit dem Schreiben historischer Romane, von denen gleich das Debüt, Die Safranhändlerin, zum Besteller avancierte. Sie lebt in Oldenburg. Neben dem Schreiben bringt sie angehenden Autoren die Kniffe des Handwerks bei. Seit 2010 lebt sie in Oldenburg. Weitere Informationen unter www.helga-glaesener.de



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