Glaesener | Das Findelhaus | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 416 Seiten

Reihe: Ullstein eBooks

Glaesener Das Findelhaus


13001. Auflage 2013
ISBN: 978-3-8437-0499-1
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 416 Seiten

Reihe: Ullstein eBooks

ISBN: 978-3-8437-0499-1
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Die Toskana Ende des 18. Jahrhunderts. In den sanften Hügeln, den schmalen Gässchen lauert der Tod. Die eigenwillige Florentinerin Cecilia Barghini sucht mit Enzo Rossi, Richter in Montecatini, nach dem Mörder eines Waisenkindes und gerät selbst in einen bösen Verdacht. Ihre Tätigkeit im Waisenhaus von Montecatini bringt Cecilia Barghini auf die Spur eines Mordes: Ein kleiner Junge ist unter seltsamen Umständen aus einem Fenster gestürzt. Die Leitung des Hauses will das Ereignis vertuschen. Gemeinsam mit Enzo Rossi, dem Richter der kleinen Stadt, begibt sich Cecilia auf die Suche nach dem Täter. Als sie erste Spuren finden, macht in Montecatini plötzlich ein Gerücht die Runde: Cecilia soll Gelder des Waisenhauses unterschlagen haben. Mitten in der Nacht wird Cecilia als Betrügerin verhaftet und nach Florenz ins Gefängnis gebracht. Nur Enzo Rossi steht auf ihrer Seite. Kann er ihre Unschuld beweisen und dem Mörder das Handwerk legen?

Helga Glaesener wurde in Niedersachsen geboren und studierte in Hannover Mathematik. 1990 begann die Mutter von fünf Kindern mit dem Schreiben historischer Romane, von denen gleich das Debüt, Die Safranhändlerin, zum Besteller avancierte. Sie lebt in Oldenburg. Neben dem Schreiben bringt sie angehenden Autoren die Kniffe des Handwerks bei. Seit 2010 lebt sie in Oldenburg. Weitere Informationen unter www.helga-glaesener.de
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1. KAPITEL


Ich bin eine jämmerliche Heuchlerin, dachte Cecilia Barghini, während sie missmutig neben ihrer ältlichen Verwandten Rosina durch die Gässchen von Montecatini schritt, um das Waisenhaus des Städtchens aufzusuchen. Konnte es etwas Jämmerlicheres geben, als eine Wut auf Waisenkinderchen zu haben, die hungerten und sich wegen der Krätze die Haut blutig rubbelten und husteten und spuckten und unbeweint auf ihren Strohmatten dahinstarben?

Sie selbst führte ein bevorzugtes Leben. Ihre wohlhabende Großmutter hatte sie in Florenz zu einer Dame erzogen. Und nun – nach einer geplatzten Verlobung und dem stürmischen Zerwürfnis mit Großmutter – lebte sie in Montecatini und kümmerte sich um die Tochter des Stadtrichters. Das war vielleicht nicht der brillante Lebensweg, den Großmutter für sie geplant hatte, aber sie mochte Giudice Rossi und die kleine Dina, und in jedem Fall war sie tausendmal besser dran als die armen Dinger im Waisenhaus. Schrecklich, dass sie ihnen nicht mehr Anteilnahme entgegenbringen konnte.

»Ich wünschte, wir hätten schon Nachmittag«, rief sie in Rosinas Ohr, um sich in dem Stimmengewirr verständlich zu machen, das auf der Straße herrschte. »Ich wünschte, ich müsste nicht zur Komiteesitzung, und ich wünschte … Ach, ich bin schrecklich!«

»Was sagst du, Liebes?« Zerstreut fasste die alte Dame nach Cecilias Hand. Es war ein Maitag im Jahre 1782. Über Montecatini strahlte ein nahezu weißer Himmel, und im Stoff ihrer Sonnenschirme fingen sich die Blumendüfte aus den Gärten. Das Städtchen platzte schier aus den Nähten. Jedermann schien Einkäufe erledigen zu müssen oder wollte jemanden besuchen oder einen Stoffballen oder Holzgitter transportieren. Rosinas Augen leuchteten, während sie die Leute beobachtete, und manchmal kicherte sie. Sie hatte den größten Teil ihres Lebens in einem Stift für mittellose Damen verbracht, was entsetzlich öde gewesen musste. Als Cecilia ihr die Stelle einer Gesellschafterin anbot, hatte sie ihr Glück kaum fassen können. Du bist ein Engel, mein Schatz – das war der Satz, den sie pausenlos wiederholte.

Aber auch diese gute Tat war eigentlich heuchlerisch gewesen: Cecilia benötigte eine Anstandsdame, damit es in der Gesellschaft von Montecatini kein Geschwätz darüber gab, dass sie allein in ihrer Wohnung lebte. Und sie hatte Rosina ausgewählt, weil die alte Frau keine Fragen stellte und sich nicht in ihr Leben einmischte. Keine Zuneigung unter Verwandten, wie Rosina fest glaubte. Reiner Eigennutz.

Nun ja, dachte Cecilia und drückte mit einem wehmütigen Lächeln die Hand der alten Frau, inzwischen vielleicht schon ein bisschen Zuneigung.

Sie wichen einem Esel aus, der einen hundertmal geflickten Sack schleppte, und dann einem trüben Rinnsal, das sich aus einem Hauseingang ergoss. Als sie in ein Seitengässchen abbogen, wurde es ruhiger. »Ich wünschte, ich könnte die Kleinen so gern haben wie du«, sinnierte Cecilia. »Im Ernst, Rosina. Sie haben jemanden verdient, der sich wirklich Sorgen um sie macht, den es kümmert, was mit ihnen geschieht. Der ihre Namen kennt und …«

»Aber Liebes, was redest du denn? Du sorgst doch für sie wie ein Engel! Bedenke nur, sie werden Hüte bekommen. Wie richtige Jungen und Mädchen. Und das wäre nicht möglich gewesen, wenn du Signora Macchini nicht überredet hättest, ihr Service mit den indianischen Blumen für die armen Würmchen zu spenden. Du bist wunderbar, nur dass du zu viel grübelst.« Rosina drückte Cecilias Hand in stürmischer Zärtlichkeit.

Was Cecilias Bemühen beim Sammeln von Spenden für das Waisenhaus anging, hatte die alte Dame allerdings recht: Die neuen Kittelchen und Decken – und natürlich die Hüte, wenn man Signora Secci tatsächlich zu solch einem ungewöhnlichen Kauf überreden konnte – waren ihr Verdienst. Es verging keine Woche, in der sie nicht in irgendeinem Salon stand, um der Hausherrin ein paar Scudi für das Waisenhaus abzuschwatzen. Ihre Leibchen sind zu dünn. Sie husten sich die Seele aus dem Leib, die armen Kinderchen … Aber ich gehe nicht in ihre Schlafräume, ich streichle ihnen nicht über die struppigen Köpfe und weigere mich, in ihre Gesichter zu sehen. Wenn das keine Heuchelei ist!

Sie hatten die kleine Straße, in der sich das Waisenhaus befand, erreicht. »Meinst du, es ist genug?« Besorgt hob Rosina das Tuch von ihrem Korb, in dem sie das Gebäck für die Waisenkinder trug. Cecilia verkniff sich ein Lächeln, als sie sah, wie die alte Frau schneller ging und schließlich auf den Rasen lief und die kleinen Lumpengestalten um sich scharte. Plappernd und lachend verteilte sie ihre Köstlichkeiten, und ein Mädchen rieb die Wange am Seidenstoff ihres Kleides.

Rasch wandte Cecilia sich zu dem Weg, der um das Haus herumführte. Der Eingang zum Stiftungssaal lag im hinteren Teil des Grundstücks, dort, wo sich der verwilderte Garten ausbreitete. Sie blieb stehen, als sie das wadenhohe Gras mit den roten Tupfern aus Kronenwindröschen und Spargelbohnen erreichte. Wieder einmal bedauerte sie, dass es unmöglich war, diesen Teil des Grundstücks zu verkaufen, um mit dem Erlös das Waisenhaus zu renovieren. Aber diese Möglichkeit war von der Familie, die vor einem halben Jahrhundert ihr nobles Wohnhaus den Waisen geschenkt hatte, in der Stiftungsurkunde ausdrücklich verboten worden.

Cecilias Blick schweifte zur Tür.

Ich gehe hinein, und ich komme wieder heraus – zwei Stunden meines Lebens, mehr ist das nicht, dachte sie und hoffte von Herzen, dass die Säuglinge schliefen. Denn deren Greinen würde sie unweigerlich an das Kind erinnern, das zwei Jahre zuvor in ihrem eigenen Leib gestorben war. Durch ihre Torheit. Weil sie nicht bedacht hatte, dass ein zu eng geschnürtes Mieder ein Ungeborenes umbringen konnte. Sie hasste das gelbe Haus und die Sitzungen und die Kinder und die Hemdchen, die im Garten auf der Wäscheleine flatterten, weil all das sie an ihre Schuld erinnerte. Ich hasse meine eigene Sünde, dachte sie unglücklich.

»Scusi, Signorina.«

Erschreckt fuhr sie herum. Vor ihr stand der Waisenhausgärtner. Guido Bortolin, zehn Scudi Lohn, dachte sie mechanisch. Dazu Kost und Unterkunft. Unentbehrlich, wenn die armen Würmer nicht verhungern sollten, denn er senkte die Verpflegungskosten um ein respektables Drittel, indem er die Bohnen anbaute, mit denen jedes Essen gestreckt wurde.

»Ja bitte?« Sie merkte selbst, wie ungeduldig ihre Stimme klang.

Der Mann nahm die Mütze ab und klemmte sie unter seinen Arm. »Ich will es jemand sagen!« Er wartete offensichtlich auf eine Antwort.

»Gewiss, Guido, nur … worum geht es denn?«

»Dass Sie etwas tun müssen, scusi, Signorina. Sie und die anderen Damen. Zum Schutz der Kinderchen.« Seine dicken Lippen blähten sich, während er sie anstarrte. Er war nicht schwachsinnig, auch wenn manche Menschen es befremdlich fanden, dass er seinen Gemüsebeeten Frauennamen gab. Der Salat kommt von Letizia, wenn’s recht ist … Felicita gibt fade Petersilie … Er hatte die Beete mit Frauennamen belegt, weil sie wie Frauen unterschiedlichen Grillen nachhingen. Felicita vertrug kein Geröll, Delia soff, Letizia gedieh nur mit Schweinepisse …

»Warum müssen wir etwas zu ihrem Schutz tun, Guido?«

»Weil sie zurückgekehrt ist. Rachele. Das ist es. Sie ist aus ihrem Grab raus und gewandelt. Hier im Garten. Und es ist nur noch drei Wochen hin. Dann sind die sechsundsechzig Jahre um.«

Ratlos schaute Cecilia in das faltenzerfurchte Gesicht.

»Und dann wird sie’s wieder tun«, erklärte der Mann, er wurde langsam ungeduldig. »Donnerstag in drei Wochen. Das ist der Tag, wo sie ihr Kind umgebracht hat. Sie hat es aus dem Fenster geworfen. Da, aus dem Turm.«

»Wer hat jemanden aus dem Fenster geworfen?«

»Rachele. Die Kindsmörderin. Am Donnerstag in drei Wochen ist es sechsundsechzig Jahre her. Dann ist der Jahrestag, und dann wird sie es wieder …«

»Guido …«

»Geht mich nichts an, Signorina, weiß ich selbst. Ich wollt’s nur sagen. Dass ich sie gesehen habe. Und dass es nur noch drei Wochen und zwei Tage hin ist. Sind doch auch Geschöpfe Gottes, die Kinderchen … hinter all der Blödigkeit … nach meiner Meinung … scusi … Bin ja nur ein dummer alter Gärtner … Was weiß schon ein Gärtner …« Guido strich sich die schmierigen weißen Haarsträhnen hinters Ohr, setzte die Mütze wieder aufs Haupt und kehrte beleidigt zum Flieder zurück. Verdutzt starrte Cecilia ihm nach.

Es dauerte zwei Stunden, ehe die Frage der Hüte entschieden war. Es würde keine Hüte geben. Signora Secci, die resolute Leiterin des Waisenhauskomitees mit einer Neigung zu gelben Kleidern, in denen sie wie eine Bonbonniere aussah, hielt nichts davon, die Kinder zu verzärteln – ganz gleich, wie billig die Hüte erstanden werden konnten. Man musste die armen Würmchen auf ihr hartes Leben vorbereiten, damit sie es in Gottesfurcht durchstehen konnten. Hüte leisteten dabei keinen Nutzen. Als Cecilia das Waisenhaus wieder verließ, drehte sich ihr der Kopf.

Sie und Rosina erreichten den Marktplatz, als die Glocke von San Pietro gerade zwölf schlug. Eigentlich hatte sie vorgehabt, sofort in den Palazzo della Giustizia zu eilen, das schäbige graue Gebäude in der Ecke des Platzes, in dem Enzo Rossi mit seiner Tochter wohnte. Sie hatte für Dina einen Stundenplan erstellt, und für die Zeit bis zum Mittagessen war Französischunterricht vorgesehen. Aber nun zögerte sie. Das Gericht tagte – und wie immer, wenn das Wetter es zuließ, bei geöffneten Türen.

Rosina zupfte an ihrem Ärmel.

»Ich weiß«,...


Glaesener, Helga
Helga Glaesener wurde in Niedersachsen geboren und studierte in Hannover Mathematik. 1990 begann die Mutter von fünf Kindern mit dem Schreiben historischer Romane, von denen gleich das Debüt, Die Safranhändlerin, zum Besteller avancierte. Sie lebt in Oldenburg. Neben dem Schreiben bringt sie angehenden Autoren die Kniffe des Handwerks bei. Seit 2010 lebt sie in Oldenburg. Weitere Informationen unter www.helga-glaesener.de



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