E-Book, Deutsch, 316 Seiten
Gillies 00:01
1. Auflage 2018
ISBN: 978-3-941287-64-8
Verlag: CSW-Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 316 Seiten
ISBN: 978-3-941287-64-8
Verlag: CSW-Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Computerforensiker Schröder ist unten angekommen: bei der Firma rausgeflogen und
von seiner Freundin Harriet abserviert. Doch ein Mord ändert plötzlich alles: Ein
Mann wird am Flughafen mit einem chemischen Kampfstoff vergiftet. Einziges
Beweisstück ist seine Digitaluhr, ein Modell aus den Achtzigern. Ermittlerin Harriet, die
auf den Fall angesetzt wird, bittet Schröder, das Relikt zu untersuchen. Der wittert schon
seine zweite Chance bei ihr und sagt zu. Doch plötzlich läuft alles aus dem Ruder: Hacker
greifen Harriets Computer an, Schröders Nachbar wird zusammengeschlagen, sein
Kumpel Leines verschwindet spurlos. Die IT-Profis sind selbst ins Visier der Attentäter
geraten. Und ihre Zeit läuft ab: 00:10, 00:09 …
Autoren/Hrsg.
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#19„Alter, es ist Weihnachten! Das ist doch genau die richtige Zeit für so einen Nakatomi-Plaza-Scheiß!“ Ich wusste es. Ich wusste, dass Leines nicht Nein sagen kann. Auf ihn ist Verlass, das ist einer, dem man ins Auto kotzen kann. Und er klingt nicht mal müde, obwohl es mitten in der Nacht ist, sondern eher, als ob er in seinem Chalet neben dem Telefon gesessen hätte und im Prinzip nur darauf wartet, dass sein Buddy anruft und ihm sagt, dass er in vierzehn Stunden an einer Straßenecke in Bangkok zu sein hat – um da Leute zu treffen, die andere Leute mit chemischen Kampfstoffen umbringen. „Wollte ohnehin die Tage in die Gegend“, war seine typisch lakonische Leines-Reaktion, nachdem ich ihn mit den Details zugetextet hatte, wobei er mit „die Gegend“ wohl Neuseeland meinte. Aber irgendwie liegt Thailand da ja wirklich auf dem Weg. Kann ich ihm das zumuten? „Musst du nicht Weihnachten feiern, Daddy-Stuff machen und so?“ „Nope. Wir sind dieses Jahr zu zweit, Azra und ich.“ Autsch, das klang nach dem Schmerz des leeren Nestes, deshalb hat er so schnell Ja gesagt. „Aber sag doch mal, Schröder …“ Aha, er will ablenken. Soll er. „Diese Sache mit der Telefonnummer: Die klingt doch zieeemlich nach professioneller Opsec, findest du nicht?“ Er tritt die bewährte Flucht ins Technische an … okay, allemal besser, als über Gefühle zu reden. „Wonach?“ Er atmet leicht genervt aus. Ja, Leines, nicht alle Menschen haben die letzten fünf Jahre damit verbracht, sich von morgens bis abends irgendwelche obskuren Defense-Blogs reinzuziehen. Wobei ihm das Aufschlauen natürlich insgeheim Spaß macht, da bricht bei ihm immer sofort die Logorrhoe aus. „Na OPSEC – Operations Security, das bedeutet: alles, was du tust, damit deine Geheimnisse auch geheim bleiben. Diese Nummer in Thailand, die erinnert mich stark an die OPSEC von El Chapo. Den kennst du bestimmt, das war dieser mexikanische Drogenkönig, den sie vor ein paar Jahren hopsgenommen haben. In echt hieß er Joaquín Guzmán. Der war ungeschlagen darin, seinen Kram geheim zu halten. Der hat zum Beispiel niemals direkt mit seinen Schergen gesprochen, sondern nur über Mittelsmänner. Das funktionierte so: Guzmán hat seine Botschaft in seinen Blackberry getippt und dann verschlüsselt an den Mittelsmann geschickt. Der hing den ganzen Tag in der nächsten großen Stadt ab und wanderte da von WLAN zu WLAN. Sobald eine Nachricht vom Boss reinkam, hat er sie zuerst per Hand in ein Tablet getippt und dann über irgendeinen Messaging-Dienst verschickt. Am Ort des Empfängers saß wieder so ein Mittelsmann – man nennt so was einen ‚Mirror’ –, und der hat die Nachricht von seinem Tablet wiederum von Hand auf seinen Blackberry übertragen und dann an den Empfänger weitergeleitet. Ich weiß, klingt megakompliziert …“ Stimmt. „… hat aber einen unschlagbaren Vorteil: Die Bullen konnten mit dem Traffic von Guzmán kaum was anfangen, weil der ja immer nur mit einer Person kommuniziert hat. Außerdem ist das Mirror-System schwer zu knacken, weil die Mittelsmänner ständig ihre Position und das Netzwerk wechseln. Und ich denke, der Typ in Thailand ist so ein Mirror. Der nimmt Nachrichten entgegen und leitet sie an den Big Boss weiter. Würde mich nicht wundern, wenn bei dem Treffen heute Abend nur ein Zettel mit einer kleinen Botschaft den Besitzer wechselt …“ Mein Gott, der Vortrag nimmt ja überhaupt kein Ende … „… und weißt du überhaupt, wie sie El Chapo aus dem Knast geholt haben? Absolut spektakulär! Die Leute aus seiner Gang haben einen kilometerlangen Tunnel gebuddelt, der direkt unterhalb seiner Knastzelle rauskam – eine technische Meisterleistung. Und weil der Tunnel so lang war, haben sie ihn mit einem Motorrad, das auf Schienen fuhr, rauskutschiert. Unglaublich, oder? „Leines?“ „… Der Mann war ein Genie, ein Tunnelfreak! Der hat in jeder seiner Villen immer mehrere Fluchttunnel anlegen lassen, manche auch nur zur Tarnung. Und weißte, womit sie ihn im Endeffekt gekriegt haben? Mit einer Taco-Bestellung!“ „Leines?“ „… Also die Bullen hatten alle Fluchthäuser im Blick. Als dann bei einem Safe House plötzlich nachts ein weißer Van losfuhr, um bei einem Restaurant in der Nähe eine größere Bestellung abzuholen, wussten sie, dass Guzmán mit seiner Entourage eingetroffen war. Die Taco-Falle schnappte zu. Und es war übrigens kein Dienstag, sondern ein Donnerstag!“ „Leines?“ „Wat is denn?“ „Du hast nicht viele Menschen zum Reden, oder?“ Rauschen in der Leitung. „Mm, kann sein. Muha-ha-ha-ha“ Sein wahnsinniges Lachen geht in GSM-Artefakten unter. Lach ruhig, Alter, mir kannst du nichts vormachen. Geht es ihm überhaupt gut? Weiß er überhaupt, worauf er sich da einlässt? Beim letzten Ausflug, auf den ich ihn geschickt habe, wäre er ja fast abgenibbelt, wie er nachher zugeben musste. Vielleicht hat er Probleme mit Azra und ich nutze das jetzt aus, ohne es zu wissen. „Mal im Ernst, Leines: Bist du dir ganz sicher? Ich will nicht, dass du hier das Redshirt vom Dienst wirst, weißte.“ Er räuspert sich. „Ne, im Ernst, bin dabei, jetzt echt.“ „Großartig.“ Die Leitung rauscht wie Sau, haben die Frenchies da oben noch ’nen Klingeldraht? „Geht es wieder um die Kleine? Um diese … Harriet?“ Leines, der ewige Flügelmann. Der hilft, wo er kann, um seinem Kumpel zu Geschlechtsverkehr zu verhelfen. „Natürlich nicht!“ „Hab ich mir gedacht.“ Erstaunlich, wie gut man hören kann, ob jemand beim Reden schmunzelt oder nicht. Höchste Zeit, ihm ein letztes Opt-in abzupressen. Wollen Sie die Mission wirklich durchführen – Ja/Nein/Abbrechen? „Dann steigt die Operation One Night in Bangkok?“ „Jup. Macht ja bekanntlich selbst den harten Mann bescheiden. Ich melde mich.“ Rauschen. Ist er noch dran? Es knackt. „Gute Nacht, Schröder – ach ja, und frohe Weihnachten.“ „Frohe Weihnachten, Leines.“ #20Thomas Leinhart fährt mit seinem Finger über die Mickymaus-Ohren an der Handyhülle, dann legt er das Gerät sachte auf dem Nachttisch ab und schlägt die Bettdecke zurück. Er muss grinsen. In Gedanken spielt er die folgenden vierzehn Stunden durch. Wenn er sofort bei seinem Fischer-Agenten anruft, könnte er es schaffen, zum Treffen rechtzeitig in Thailand zu sein. Heli-Transfer nach Lyon oder Turin, dann weiter zum nächsten internationalen Flughafen. Alles nur eine Frage der professionellen Logistik. Für ihn, den International Man of Mystery, kein Problem. Entscheidend ist, dass er sofort handelt. Leinhart schwingt seine Beine aus dem Bett und hält kurz inne. Sollte er Azra noch wecken? Seine plötzliche Abreise würde sie nicht wirklich überraschen, dafür hatte sie schon zu viele seiner Eskapaden miterlebt. Auch dass sie den Weihnachtstag alleine verbringen müsste, würde ihr nichts ausmachen. Sie fände sicher schnell Leidensgenossinnen hier oben, die die Sache mit ihr – und ein paar Hugos – runterspülen. Im Leben von M&A-Anwälten und CEOs gibt es keine Pausen, nicht mal an Weihnachten, und sich um das Gefühlsleben ihrer Trophy Wives zu kümmern hat keine „Prio“, wie sie sagen würden. Azras Welt ist voll von Witwen, deren Männer noch leben. Trotzdem: Es hat sie getroffen, als die Kinder vorhin angerufen haben, um für die Bescherung abzusagen. Und jetzt wäre auch er noch weg. Er würde ein weiteres Steinchen aus dem Turm rausziehen. Fragt sich, wie lange er so noch steht. Andererseits hätte Azra sicher auch keine Skrupel, ihn für irgende ine Nichtigkeit hier sitzen zu lassen. Ach, Thomas, bei Tralala findet „dieser Resortwear-Sale“ statt. Zack, und sie ist weg. Leinhart stößt sich energisch vom Bett ab. Der Trip sollte es besser wert sein, Schröder. #21Jesko von Neumann tritt aus dem weißen Bürohaus und läuft ein paar Schritte den Gehweg herunter, bis er sicher sein kann, niemandem mehr im Weg zu stehen. Er streckt sich und reibt über die grauen Stoppeln auf seinem Kopf. Noch fühlt sich die Wärme der Sonne angenehm an, doch...