Gilan / Helmreich | Resilienz - die Kunst der Widerstandskraft | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 192 Seiten

Gilan / Helmreich Resilienz - die Kunst der Widerstandskraft

Was die Wissenschaft dazu sagt
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-451-81904-9
Verlag: Verlag Herder
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Was die Wissenschaft dazu sagt

E-Book, Deutsch, 192 Seiten

ISBN: 978-3-451-81904-9
Verlag: Verlag Herder
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Resilienz ist das Zauberwort unserer Zeit. Die besondere Fähigkeit des Menschen, Krisen und schwierige Lebensverhältnisse zu bewältigen und aus dieser Bewältigung gestärkt wieder ins Leben zu treten, ist in unser von psychischen Belastungen geprägten Arbeitswelt gefragter denn je. Doch Vorsicht ist geboten.
Donya Gilan und Isabella Helmreich vom Leibniz-Institut für Resilienzforschung in Mainz geben einen Überblick über die Geschichte der Resilienzforschung, schildern den aktuellen Stand der Forschung, weisen auf die Möglichkeiten und Grenzen der Resilienzforschung hin und weisen auf die gesellschaftliche Relevanz, aber auch auf die Gefahren einer übertriebenen Optimierungsgesellschaft hin. Basiswissen zu verschiedenen Aspekten der Resilienz. Verfasst von zwei ausgewiesenen Expertinnen vom größten Resilienzzentrum Deutschlands.

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2. Resiliente Menschen – das Geheimnis von Erfolgsgeschichten
Nichts ist so anschaulich wie das wahre Leben. Deshalb sollen in diesem Kapitel drei Menschen vorgestellt werden, die mit vielen Widrigkeiten in ihrem Leben zu kämpfen hatten und doch – wenn auch durch manches tiefe Tal – ihren Weg gegangen sind und Freude an ihrem Leben hatten und immer noch haben. Was ihnen dabei geholfen hat, beschreiben wir hier, und Sie werden sehen, dass die Resilienzfaktoren dabei eine große Rolle spielen. Die Menschen, die wir beschreiben, gibt es wirklich. Allerdings haben wir ihre Namen und die Umstände leicht verfremdet, sodass ihre Privatsphäre gewahrt bleibt. Fallbeispiel 1: Von der Katastrophentochter zum Stehaufmännchen
Die „Katastrophentochter“, so nannte Mareikes Mutter ihre Tochter schon in der Schule. „Was ich anfasste, ging kaputt. Was ich versuchte, klappte nicht. Als kleines Mädchen habe ich ein paar Jahre lang ernsthaft geglaubt, meine Hände seien giftig.“ So beschreibt Mareike, wie sie sich als Kind gefühlt hat. Mittlerweile ist sie über 60 Jahre alt und sagt von sich, dass ihr Leben aus einer Kette von Schwierigkeiten bestanden habe, dadurch aber auch ihre Resilienz gewachsen sei und es ihr mittlerweile sehr gut gehe. In der Fachsprache würde man sagen, dass Mareike ein sehr ausgeprägtes und oft überforderndes „Stressimpfungstraining“ absolviert hat. Dennoch hat sie es geschafft, trotz einer schwierigen Kindheit, vieler Schicksalsschläge und traumatischer Erfahrungen am Leben zu wachsen, ihre Selbstwirksamkeit immer wieder zu stärken, indem sie aktiv an ihren Problemen gearbeitet hat, ihren Humor und Optimismus nicht zu verlieren und heute von sich sagen zu können: „Ich bin ein glücklicher Mensch!“ Doch lassen Sie uns von vorne beginnen: Mareike wurde als viertes von fünf Kindern geboren. Sie wuchs in eher ärmlichen Verhältnissen auf. Ihre Mutter war mit einem Mann verheiratet, der zu plötzlichen Gewaltausbrüchen neigte. Mareike entwickelte sich zu einem sehr ängstlichen Kind, denn immer war sie auf der Hut, den Vater nicht zu reizen. Zudem traute sie sich vieles nicht zu (z. B. Radfahren oder Schwimmen) und hatte auch wenig Unterstützung durch die Eltern. Meistens war sie sich alleine überlassen oder musste sich um den jüngeren Bruder kümmern. Zu ihren älteren Geschwistern hatte sie kaum Kontakt, der Altersabstand war zu groß. Schon als Kind hatte sie das Gefühl, nicht hundertprozentig zur Familie zu gehören. „Ich hatte immer das Gefühl, ein Kuckuckskind zu sein, obwohl meine Mutter das immer abstritt.“ Viel später in ihrem Leben hat sich tatsächlich herausgestellt, dass sie aus einer Affäre der Mutter mit einem ungarischen Fabrikarbeiter entstammte. „Früher dachte ich immer, dass ich aus einer Vergewaltigung entstanden bin. Als ich erfuhr, dass ich ein Kind der Liebe bin, war ich so erleichtert und glücklich!“ In der Familie wurde ihr wenig Liebe, Zuneigung oder Aufmerksamkeit entgegengebracht. Mutter und Vater hatten mit ihren eigenen Problemen zu kämpfen. „Nur eine Nachbarin hat sich um mich gekümmert. Zu ihr konnte ich immer gehen, wenn es mir nicht gut ging.“ Als die Nachbarin starb, wollte Mareike zur Beerdigung. Die Mutter erlaubte es jedoch nicht, da die Beerdigung vormittags während der Schulzeit war. „Ich habe dann die Schule geschwänzt, um zur Beerdigung gehen zu können. Als Mutter es herausfand, hat sie mich mit dem Teppichklopfer versohlt, da es in ihren Augen der ‚Grundstein für eine kriminelle Karriere‘ war. Ich habe es jedoch nie bereut, zur Beerdigung gegangen zu sein. Es war mir wichtig, mich zu verabschieden.“ Als sie sieben Jahre alt war, trennte sich der Vater von der Mutter, heiratete erneut und bekam noch ein weiteres Kind. Der Kontakt zum Vater brach ab. Danach nahm die Gewalt zu Hause ab, aber die Mutter arbeitete weiterhin viel, da sie eine Kneipe übernommen hatte. „In ihrer Freizeit suchte sie das Vergnügen.“ Dennoch besaß Mareike eine wichtige Eigenschaft, die ihrem Leben immer wieder eine positive Wendung gab: „Ich hatte einen unbändigen Lebenswillen und in mir den Drang, immer zu versuchen, meine Situation zu verbessern.“ Aktives Coping nennt man Letzteres in der Fachsprache, also die Fähigkeit, sich nicht seinem Schicksaal zu fügen, sondern zu versuchen, Probleme und Herausforderungen aktiv zu bewältigen. Als Kind versuchte Mareike deshalb auch, von zu Hause wegzulaufen: „Ich wollte – ganz naiv, wie man als Kind ist – einfach weg zum Regenbogen, zu einem besseren Ort.“ Als sie jedoch merkte, den Regenbogen nicht erreichen zu können, akzeptierte sie das und kehrte einfach wieder um. Ihre Kindheit empfand sie als so unglücklich, dass sie mit neun Jahren ihre erste suizidale Handlung beging: „Ich habe versucht, mir mit einer Glasscherbe den Puls aufzuschneiden, weil das Gefühl in mir zu groß geworden war, nicht willkommen zu sein.“ Es blutete stark, aber sonst sei nicht viel geschehen. Deshalb habe sie sich einfach ein Pflaster auf die Wunde geklebt. Den Eltern sei das gar nicht groß aufgefallen. Mit 16 Jahren wurde sie dann ungewollt schwanger. Der Vater des Kindes wollte, dass sie abtreibt. Mareike jedoch brachte einen Sohn zur Welt, den sie dann zur Adoption freigab. „Ich quäle mich jedoch immer noch mit dem Gedanken, dass ich ihn im Stich gelassen habe. Obwohl das in der damaligen Situation für ihn das Beste war. Ich war zu jung, alleinerziehend und hatte keine Ausbildung. Er wuchs bei einer sehr netten Familie auf, bei der es ihm gut ging. Ich hatte keinen Kontakt zu ihm. Erst als er längst eine eigene Familie hatte, nahm er Kontakt zu mir auf. Da freute ich mich sehr. Leider ist der Kontakt jedoch wieder abgebrochen.“ Um den Verlust zu verarbeiten, verbrachte Mareike nach der Adoption erst einmal mehrere Monate in einer psychiatrischen Klinik. Dort lernte sie auch ihren ersten Mann kennen. „Bei ihm hatte ich das Gefühl, dass hier jetzt endlich jemand ist, der mich wirklich liebt.“ Mit Anfang 20 heirateten beide heimlich und bekamen eine Tochter. Die Ehe ging jedoch nicht lange gut, da ihr Mann Alkoholiker war. Schweren Herzens trennte sich Mareike von ihm und war fortan alleinerziehend. „Bei meinem zweiten Kind wollte ich jetzt jedoch alles anders machen.“ Mareike hörte auf, „auf Rettung zu warten“, wie sie es ausdrückt, und nahm ihr Leben in die Hand. Sie wendete sich ans Arbeitsamt und machte eine Ausbildung zur Verwaltungsfachangestellten. „Hier merkte ich endlich, dass ich etwas konnte und dass auch schlimme Situationen sich zum Guten wenden lassen.“ Die Jahre waren nicht leicht, aber Mareike schaffte es, ihre Tochter großzuziehen und ihrer Arbeit nachzugehen. Besonders unterstützend empfand sie dabei ihren Chef, der ihr viel Selbstvertrauen und Zuversicht vermittelt hat. Er war es auch, der sie dabei unterstützte, im Alter von 30 Jahren ihren leiblichen Vater aufzuspüren, nachdem ihre Mutter gestorben war. Sie rief ihn an, und sie vereinbarten ein Treffen. Mareike besuchte ihn für zwei Tage in seinem Haus. Ihr leiblicher Vater hatte mittlerweile eine eigene Familie und eine Adoptivtochter, die seine Frau mit in die Ehe gebracht hatte. Und hier kam der nächste Tiefschlag: „Ich wollte ihn nur kennenlernen, aber seine Frau hatte Angst, dass ich mehr wollen würde. Sie hat den Kontakt unterbunden, indem sie ihm mit Suizid drohte, wenn er sich weiter mit mir trifft. Wir haben noch zweimal miteinander telefoniert und dann den Kontakt eingestellt. Das war sehr traurig für mich. Aber die zwei Tage, die ich mit ihm verbracht habe, waren wunderschön. Jetzt wusste ich endlich, wer mein wirklicher Vater ist. Es hat mich sehr froh und glücklich gemacht, dass ich von keinem gewalttätigen Menschen abstamme, denn er war ein herzensguter und liebevoller Mensch. Dieses Wissen und die schönen Stunden mit ihm haben es mir leichter gemacht zu akzeptieren, dass ich keinen weiteren Kontakt zu ihm haben konnte.“ Mareikes weiteres Leben ist von Höhen und Tiefen geprägt, von Rückschlägen, Unfällen und Krankheiten. Noch zweimal musste sie sich in stationäre psychiatrische und psychosomatische Behandlung begeben und hat auch mehrere ambulante Therapien gemacht, da sie zeitweise auch mit schweren Depressionen zu kämpfen hatte. Zweimal hat sie noch versucht, sich zu suizidieren, das letzte Mal mit 28 Jahren. Zeitweise lebte ihre Tochter auch woanders, und zwei weitere Ehen gingen in die Brüche. Doch Mareike hat immer fest daran geglaubt, dass sie es in der Hand hat, ihr Leben und ihre Situation zu verbessern. Heute geht es ihr gut. Sie sagt, Suizid sei keine Option mehr für sie: Sie könne das Leben jetzt schätzen und habe im Rahmen der Therapien gelernt, mit ihren Schwächen und Ängsten umzugehen. Jetzt wisse sie, was sie brauche und was ihr guttue. Ein markanter Wendepunkt in ihrem Leben war ihr erfolgreicher Rauchstopp. Mit 14 Jahren hat sie mit dem Rauchen begonnen und 37 Jahre lang stark geraucht. Verschmitzt sagt sie: „Vielleicht denken Sie, das kann doch nicht so schwer sein, sich das Rauchen abzugewöhnen. Aber für mich war das eine Riesensache. Ich kannte mich nur mit Zigarette in der Hand. Das Nikotin hat in weiten Teilen meinen Alltag bestimmt. Der Entzug war unglaublich hart, in den ersten Tagen habe ich mich von Stunde zu Stunde gehangelt und in einer Woche mehr geweint als sonst in einem Quartal. Als ich wusste, es ist überstanden, war ich die stolzeste und glücklichste Frau auf Gottes Erdboden. Niemand hatte mir das zugetraut, am wenigsten ich selber. Ich habe jedoch bemerkt, dass ich mit jeder...


Dr. Donya Gilan ist Psychologin und Expertin für den Themenkomplex Anpassung an Krisen und neue Lebensumwelten. Gemeinsam mit Dr. Isabella Helmreich leitet sie den Bereich "Resilienz und Gesellschaft" des Leibniz-Instituts für Resilienzforschung in Mainz.
Dr. Isabella Helmreich ist approbierte psychologische Psychotherapeutin (Verhaltenstherapie) und Expertin für Gesundheitsprävention, insbesondere hinsichtlich der Entwicklung und Durchführung von Interventionen zur Resilienzförderung. Gemeinsam mit Dr. Donya Gilan leitet sie den Bereich "Resilienz und Gesellschaft" des Leibniz-Instituts für Resilienzforschung in Mainz.



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