Giesselbach | Meine abgeschminkten Jahre | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 352 Seiten

Giesselbach Meine abgeschminkten Jahre

Wie ich im amerikanischen Frauenknast landete
1. Auflage 2017
ISBN: 978-3-492-97636-7
Verlag: Piper ebooks in Piper Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Wie ich im amerikanischen Frauenknast landete

E-Book, Deutsch, 352 Seiten

ISBN: 978-3-492-97636-7
Verlag: Piper ebooks in Piper Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Die junge Hamburger Geschäftsfrau Stefanie Giesselbach ist keine 30, als sie in Chicago verhaftet wird. Nach und nach begreift sie, dass sie für die dubiosen Zollgeschäfte ihres Arbeitgebers büßen soll. Sie verliert ihren Job, ihr Einkommen und ihren Partner und durchlebt vier Jahre Zwangsaufenthalt in den USA, schließlich muss sie für zehn Monate ins Gefängnis. Im Frauenknast erlebt sie Denunziation, Gewalt und Drogengeschäfte - aber auch Fürsorge und Zusammenhalt. Sie trainiert Hunde für Behinderte und eröffnet ihre eigene Eisdiele. Dabei notiert sie alles, was sie in dieser seltsamen Parallelwelt erlebt. Als sie endlich nach Hamburg zurückkehrt, hat sie fünfeinhalb Jahre verloren - aber eine Stärke gewonnen, die ihr niemand mehr nehmen kann.

Stefanie Giesselbach, geboren 1978, absolvierte nach dem Abitur eine Ausbildung zur Außenhandelsfachwirtin. Für ihren Arbeitgeber, ein alteingesessenes Hamburger Handelshaus, ging sie 2006 nach Chicago. 2008 wurde sie dort verhaftet und insgesamt fünfeinhalb Jahre in den USA festgehalten. Seit Anfang 2014 ist sie wieder als Sales-Managerin in Hamburg tätig.
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Die Letzten, von denen ich mich in Chicago verabschiede, sind Susan und Kurt. Meine Nachbarin kuriert gerade eine Krankheit aus und ist noch schwach auf den Beinen. Doch für einen kurzen Moment verwandelt sie sich wieder in das quirlige Energiebündel, als das ich sie eigentlich kenne. Sie rappelt sich vom Sofa hoch, springt aufgeregt um mich herum und umarmt mich. »Wir sehen uns wieder!«, versichern wir uns, lachend und zugleich mit Tränen in den Augen. »Schon bald! In Deutschland oder irgendwo sonst auf der Welt!«

Kurt hilft mir, meine beiden Koffer nach unten zu bringen. In Flip-Flops, knielangen Shorts und locker über dem Hosenbund hängendem T-Shirt sehe ich ihn noch in der Auffahrt des Park View Palace stehen und winken, bis er aus meinem Blickfeld verschwindet.

Moritz, mein Vorgesetzter, holt mich ab, um mich in seinem dunkelblauen Firmenwagen zum Flughafen zu bringen. Wir fahren pünktlich los, aber schon auf der Auffahrt zum Highway staut sich der Verkehr. Das Wetter ist frühsommerlich warm an diesem 23. Mai 2008 in Chicago, und bereits Freitagmittag scheinen sämtliche drei Millionen Einwohner der Stadt in ein verlängertes Wochenende aufzubrechen. Am Montag ist Memorial Day, der Feiertag zu Ehren der für Amerika gefallenen Soldaten.

Als wir endlich am Flughafen O’Hare ankommen, ist es schon so spät, dass Moritz gar nicht erst das Parkhaus ansteuert. Er bremst direkt vor dem Abflugterminal und lässt seinen Wagen mit eingeschaltetem Warnblinker stehen. Wir schnappen uns meine beiden Koffer, rennen zum Air-France-Schalter und verabschieden uns mit einer herzlichen Umarmung voneinander. »Wir sehen uns! Vielleicht schon bald in Hamburg!«

Ein bisschen verschwitzt und atemlos reihe ich mich zum Check-in ein. Ich bin froh. In elf Stunden wird Christoph mich am Hamburger Flughafen in seine Arme schließen. Anderthalb Jahre Fernbeziehung liegen dann endgültig hinter uns. Und auch meine Eltern, meinen Bruder und all meine Freundinnen und Freunde kann ich ab morgen endlich wieder sehen, wann immer mir danach ist.

Moritz entdeckt durch die Schiebetüren des Abflugterminals eine grimmig dreinblickende Politesse, die auf seinen Audi zusteuert, und spurtet los. Fast gleichzeitig mit der Ordnungshüterin kommt er bei seinem Auto an. Aus der Ferne beobachte ich, wie er wild gestikulierend auf die Frau einredet, um dann schnell in sein Auto zu springen und wegzufahren.

Meine Reisepapiere halte ich schon in der einen Hand, während ich mit der anderen und einem Knie meine Gepäckstücke vorwärtsbugsiere. Wenig später reiche ich den weinroten Reisepass und den Ausdruck meiner Online-Buchung über den Tresen. Eine freundliche Air-France-Mitarbeiterin beginnt mit dem Check-in, während ich einen der Koffer auf die Gepäckwaage wuchte.

»Stefanie!«, für einen Moment habe ich den Eindruck, dass jemand nach mir ruft. Ich achte nicht weiter darauf. Es ist unwahrscheinlich, dass ich gemeint bin. Wer sollte mich hier auf dem Flughafen schon kennen?

»Stefanie!« Jetzt höre ich es laut und deutlich.

Merkwürdig. Da spricht jemand meinen Vornamen englisch, mit einem spitzen »S-t« aus. Suchend drehe ich mich um.

Ich erkenne die drei sofort: Die beiden Männer und ihre Chefin sind von der amerikanischen Einwanderungs- und Zollbehörde ICE (U.S. Immigration and Customs Enforcement). Es ist knapp zwei Monate her, dass sie mich hier, am Flughafen, unverhofft in Empfang genommen haben, als ich von einem Osterurlaub aus Hamburg zurückkam. In einem ihrer Konferenzräume haben sie mich damals eingehend nach den Geschäftspraktiken meines Arbeitgebers befragt.

Ich starre die drei verständnislos und etwas genervt an. Was wollen sie denn jetzt noch? Auf den letzten Drücker, am Flughafen? Gab es vorher nicht genug andere Möglichkeiten, mich um eine Gespräch zu bitten?

»Stefanie, Sie sind verhaftet!«

Die Stimme der Chefermittlerin klingt feindselig und hart.

Ich reagiere so ungläubig, dass sie sich veranlasst sieht, jedes einzelne Wort ganz langsam und mit sichtlicher Genugtuung zu wiederholen. »Stefanie! Sie. Sind. Verhaftet.«

Für einen Augenblick steht die Zeit still. Verhaftet? Verhaftet? Verhaftet? Nur langsam nimmt mein Gehirn seine Tätigkeit wieder auf.

»Soll das ein Witz sein?«, frage ich gereizt.

»Umdrehen!«, schnappt sie.

Die Frau, die, wie ich mich jetzt erinnere, Mary heißt, will mir Handschellen anlegen. Ich bemühe mich, gelassen zu bleiben, um sie, aber auch mich selbst zu beruhigen.

»Nicht nötig. Ich komme freiwillig mit. Es ist ja nur eine Frage der Zeit, bis sich dieses Missverständnis aufklärt.«

»Umdrehen!«, wiederholt die Ermittlerin herablassend, als habe sie meinen Einwand nicht gehört. Mir bleibt nichts anderes übrig, als meine Arme hinter dem Rücken zu verschränken. Dann höre ich es klicken. Schmerzhaft fest packt sie mich am linken Oberarm und schiebt mich durch die Menschenmenge in der Abflughalle.

Ein paar Tage zuvor habe ich in Chicago eine kleine Abschiedsparty gegeben. Allzu viele neue Freundschaften haben sich hier in anderthalb Jahren nicht entwickelt, aber einige Menschen sind mir sehr ans Herz gewachsen. Allen voran Susan und Kurt, meine Nachbarn im Park View Palace. Und Susans Freundin Terri mit ihrem Mann David, die mit ihrer kleinen Tochter zwei Etagen unter uns wohnen. Eins der netten schwulen Paare, von denen in unserem Hochhaus ziemlich viele wohnen, zählte auch zu meinen Gästen. Und dann noch eine Kollegin aus der Außenhandelsbranche sowie mein Vorgesetzter Moritz mit seiner Ehefrau.

Gemeinsam blickten wir aus meinem Wohnzimmer im 47. Stock auf den Michigan-See hinunter, der sich im Licht der untergehenden Sonne dunkelrot verfärbte, und auf die aufblühenden Bäume. Der Ausblick war fantastisch. Etwas Vergleichbares würde ich in Hamburg wohl kaum finden.

Auch meine Mutter war noch einmal für ein paar Tage zu Besuch in Chicago. Begeistert klapperte sie tagsüber die vielen Museen und Sehenswürdigkeiten der Stadt ab, während ich im Büro über der Abwicklung letzter Geschäftsvorgänge schwitzte. Wahrscheinlich kannte sie die Windy City – die Stadt, in der stets ein Wind weht – inzwischen besser als ich.

Als ich sie zum Flughafen brachte, war sie ungewöhnlich sentimental. Meine Mutter ist sonst keine Glucke, die mir mit ihren Ängsten und Sorgen die Luft zum Atmen nimmt. Aber diesmal schloss sie mich lange und fest in die Arme. »Steffi, ich habe irgendwie ein ungutes Gefühl«, sagte sie. »Willst du nicht lieber sofort mit mir nach Hause fliegen?«

»Jetzt gleich?« Ich sah sie ungläubig an.

»Ja. Sofort«, setzte sie nach und war dabei ein bisschen blass um die Nase. Ich wischte ihre Bedenken mit einem Lachen fort. »Ach, Mama! Ich hab hier doch noch ein bisschen zu tun. Und in einer Woche sehen wir uns schon in Hamburg!«

Mary schiebt mich weiter durch die Abflughalle. »Was ist eigentlich los? Was soll das alles?«, frage ich immer wieder.

»Das werden Sie noch früh genug erfahren!«, gibt sie barsch zurück.

Sobald sie merken, was hier vor sich geht, weichen die Reisenden erschrocken vor uns zurück. Die beiden Männer haben sich mein Gepäck und meinen Ausweis gegriffen und folgen uns unnatürlich dicht. Sie tragen zwar Zivil, aber ihre Handschellen und Waffen am Hosenbund stellen sie offen zur Schau. Erst als wir schon fast am Ausgang sind, kommt Mary auf die Idee, mir meine leichte Sommerjacke so über die Schultern zu legen, dass die gefesselten Handgelenke verdeckt sind.

Vor einem Schild mit dem Schriftzug Welcome to Chicago wartet eine ganze Wagenkolonne auf uns. Homeland Security steht in fetten Lettern auf den Autos.

»Wir fahren zum Gericht. Ins Zentrum«, verkündet Mary.

Bis in die Innenstadt, denke ich verwirrt, das kann ganz schön dauern. Dabei muss ich dringend auf die Toilette. Eigentlich wollte ich das gleich nach dem Check-in erledigen.

»Ich muss mal«, melde ich schüchtern bei Mary an.

Sichtlich genervt geleiten mich die Ermittler zurück ins Terminal. Über Rolltreppen, quer durch die Ankunftshalle und an einem Burger-Restaurant vorbei bringen sie mich zu ihrem Büro. Erst im Vorraum der Toilette nimmt Mary mir die Handschellen ab.

»Lassen Sie die Tür offen stehen!«, ordnet sie barsch an. Mir liegt die Frage auf der Zunge, ob sie mir auch noch den Hintern abwischen will. Aber ich beherrsche mich und halte den Mund.

Zurück vor dem Flughafengebäude, schieben sie mich nicht etwa in eines ihrer Dienstautos, sondern auf die Rückbank von Marys privatem Kleinwagen. Ein junger Ermittler mit Bürstenschnitt setzt sich nach vorne auf den Beifahrersitz. Er war auch bei der Befragung vor zwei Monaten dabei. Als arrogant und anmaßend habe ich ihn in Erinnerung. Er hat damals versucht, mich einzuschüchtern, mir gedroht. Ich hätte nicht gedacht, dass wir uns noch mal wiederbegegnen würden.

Mary stellt ein mobiles Blaulicht auf das Autodach, dann rasen wir auf dem Standstreifen an den Verkehrsstaus vorbei. Nach einiger Zeit gehen Funksprüche im Auto ein, aufgeregte Durchsagen wechseln hin und her.

»Wir haben ihn«, verstehe ich als Erstes. Dann schält sich ein Name aus dem Rauschen und Knattern des Sprechfunks heraus: Moritz Böhm.

Ich schlucke. Auch mein Kollege ist verhaftet?

Wie ich später erfahre, haben sie ihn in einer spektakulären Aktion auf der Autobahn gestellt, als er vom Flughafen zurück in die Stadt fuhr: Hände...


Stratenwerth, Irene
Irene Stratenwerth, geboren 1954, lebt als freie Autorin und Journalistin in Hamburg und arbeitet unter anderem für Geo Epoche und den NDR.

Giesselbach, Stefanie
Stefanie Giesselbach, geboren 1978, absolvierte nach dem Abitur eine Ausbildung zur Außenhandelsfachwirtin. Für ihren Arbeitgeber, ein alteingesessenes Hamburger Handelshaus, ging sie 2006 nach Chicago. 2008 wurde sie dort verhaftet und insgesamt fünfeinhalb Jahre in den USA festgehalten. Seit Anfang 2014 ist sie wieder als Sales-Managerin in Hamburg tätig.



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