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E-Book, Deutsch, 270 Seiten

Giese Galgenheck


1. Auflage 2018
ISBN: 978-3-95602-173-2
Verlag: CONTE-VERLAG
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 270 Seiten

ISBN: 978-3-95602-173-2
Verlag: CONTE-VERLAG
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Der Galgenheck, eine von Einfamilienhäusern durchsetzte Vorortsiedlung, brät in der Julihitze. Seine Bewohner verlangen nichts als kühle Getränke, einen gepflegten Rasen und dass alles so bleibt, wie es ist. Idylle pur. Aber die Sterne stehen nicht günstig für die redliche Gemeinschaft. Nicht nur, dass sich der Tag und die Nacht gegen sie verbünden – da sind auch noch Hugo, Trunkenbold und alter Lateiner, der die müden Knochen zusammenrafft, um gemeinsam mit seinem jungen Freund Alex Unfrieden zu stiften, Isabell, die Königin der Reglosigkeit, und ein Kater, Liebling der Nacht und im Bund mit Dämonen. Aber eines kann man dem Galgenheck nicht nachsagen: dass er wehrlos ist.

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Der Tag des Mondes Danke, danke, danke! Ich hasse euch auch. Ihr Sesselpupser, ihr Wochenendfreaks. Faules Gesindel, aus dem Alltag flüchten, was? Lächerlich. Im Winter in den Fernsehsessel, im Sommer an den Gartengrill. Das ist Leben? Da atmet ihr durch? Euch bis mittags in Laken suhlen, durch Wälder joggen, auf Partys zappeln, das ist Freiheit? Ihr wollt euch aus der Verantwortung stehlen, schlimmer noch: Ihr wollt nicht denken. Seichtkram, Wohlfühlkultur, Seelenwellness, das wollt ihr, was? Und mich dafür verantwortlich machen, dass ihr das nicht an sieben Tagen die Woche könnt. Mir Namen geben – mistiger Montag, mieser Montag, muffiger Montag. Dies Lunae, Blödmänner! Das ist Latein. Der Tag der Mondgöttin Luna, Schwester des Sonnengottes und der Morgenröte, ihr Pfeifen. Ich stehe für die Wiederkehr. Tja, Freunde. Es gibt mich. Ich komme zuverlässig, unausweichlich. Der Inbegriff der Tätigkeit, des Kampfes. Ein bisschen Sportsgeist. Ich bin es, der eurem unbedeutenden Gewusel Struktur gibt, euch zwingt, den Hintern zu lüften. Jaaa, hasst mich ruhig. Ich kehre wieder. Er lag ganz still. Den Körper an den Stamm des jungen Kirschbaums gepresst, den Blick starr zur Hecke. Die Mulde, die sein Körper ins Gras drückte, war warm, feucht vom Wiesentau. Morgenmücken taumelten durch Sonnenflecke, Meisen lärmten, stiegen hoch, kehrten im Sturzflug zurück, starteten erneut, kosteten den Himmel. Er duckte sich tiefer. Anfangs hatten sie ihn bemerkt, waren höher geflattert, sich in nerviger Vogelsprache Warnungen zurufend. Mit der Geduld des Jägers harrte er aus. Ein schwarz-weißer Stein in einem lärmenden Garten. Die Vögel vergaßen ihn, spielten ihre Flugspiele, jagten auf dem grün schillernden Rasen Käfer und Würmer. Sie trauten sich in die Nähe der Terrasse, erkundeten den natursteingefliesten Boden, hüpften auf den Marmortisch, auf die chromgebürsteten Gartenstühle, huschten zurück zur Hecke. Zu ihm. Einer von ihnen, besonders jung oder besonders mutig, wagte sich in seine Reichweite. Im Bruchteil einer Sekunde streckte sich sein Körper, Krallen bohrten sich durch Federn, zogen den sich Windenden heran, angstvolles Flattern ging in den Warnrufen der anderen, im Flügelschlagen und Auseinanderstieben unter. Ein einziger Biss, der kleine Vogelkörper erschlaffte. Nicht tot, nur reglos. Das war das Ärgerliche an den gefiederten Mahlzeiten. Sie wehrten sich kaum, ihre Versuche zu entkommen waren spärlich. Anders als bei den Fellträgern, die mit immer neuen, lächerlichen Fluchten ihre Körper mit Adrenalin vollpumpten und dadurch noch schmackhafter wurden. Die Gefiederten stellten sich tot. Wenn er nicht achtgab, starben sie wirklich. Dann gab es statt einer köstlich zuckenden Hauptspeise nur fades Aas. Heute hatte er weder Zeit noch Lust, die Meise durch Spiele zu würzen. Er hatte Hunger, war ganz Hunger, war nichts als der wilde Wunsch, den Magen zu füllen, zu beruhigen, warmes Blut zu schmecken, die Zähne in Fleisch zu schlagen, das angenehme Knirschen bröckelnder Knochen zu spüren. Mit den Pfoten rollte er den Körper ein paar Mal hin und her, mundgerecht. Gierig biss er ins Warme, riss Brocken heraus, spie Unverdauliches beiseite, schlang und schluckte. Die Vögel beobachteten ihn aus sicherer Höhe. Als nur noch ein Häufchen Federn, ein paar Hautfetzen übrig waren, verflog der Rausch. Er richtete sich auf, rasterte den Garten, der friedlich im Morgenlicht lag. Er streckte sich, ging gemächlich, fast wiegend, zur Terrasse, legte sich auf die sonnenwarmen Steine, leckte Blut von Kiefer und Schnurrhaaren. Sein Nachtisch, der letzte Leckerbissen, die Erinnerung an das Genossene, ein Echo des Geschmacks, der ihm wohlige Schauer über den muskulösen Rücken jagte. Die Fliegengittertür öffnete sich, ein Schatten fiel über ihn. »Weg da! Los, verschwinde. Weg!« Unangenehme Laute, schrill und hoch. Sein Körper spannte sich. Angriff oder Flucht? Eine Sekunde in der Schwebe. Dann lief er davon. Lise sah ihm nach. Ihre Beine zitterten. Ein Riesenvieh, schwarz und unheimlich, einfach hier, auf ihrer Terrasse. Der Schreck, so unerwartet in blitzende Augen zu sehen. Sie atmete tief die Luft, süß von Blüten und frischem Grün. Ein weiterer warmer Tag, ein weiterer schöner Morgen. Sie schloss die Augen, versuchte sich zurück zu träumen in den einzige Morgen, der zählte, den sie in sich aufbewahrte wie ein Geschenk, ein kostbares Schmuckstück, in den sie zurückkriechen wollte, jedes Mal, wenn es so roch wie heute. Ein früher Morgen damals, sie mit dem Fahrrad unterwegs. Waren Ferien oder war es vor der Schule? Mit dem Fahrrad den Berg hinunter, den Berg, in dessen Talsohle ihr Elternhaus stand. Ein Morgen, ähnlich wie heute. Die Luft berauschend und voll Verheißung. Auf was? Sie erinnerte sich genau, wie sich das Fahrrad angefühlt hatte, das abwechselnd durch Sonnenflecke und Schatten raste. Der harte Kunststoffsattel zwischen ihren Beinen, die jubelnd die Pedale traten. Pedale, die sich angenehm in den Spann der Fußsohlen bohrten. Geschwindigkeit, Schwe­relosigkeit. Die lauernde Gefahr zu stürzen, die Kontrolle zu verlieren, die sich durch helles Jauchzen Luft machte. Das Licht. Die grünen Morgenschatten, der überraschende Blitz der Sonne, die Löcher in den Schatten riss, ihn aufsog, ihn vertrieb für einen strahlend blauen Sommertag. Frisch gewaschene Morgenluft, kühler, satter Duft, der zu Kopf stieg. Sie war rund, ganz, eine Kugel auf einem Fahrrad. Nie mehr war dieses Rundsein, Einssein wiedergekehrt. Sie öffnete die Augen. Eine Hitzewelle ließ ihre Haut glühen und die Luft, eben noch angenehm, wurde zum Gebläse eines Heißluftföhns. Sie stemmte die nackten Füße gegen die Fliesen, tastete die Restkühle, nahm sie in sich auf. »Dumme, alte Kuh«, murmelte sie und der vertraute Wortklang tröstete. Mit der Zeit war ihr Vorname ihr selbst so fremd geworden, dass sie sich zusammenreißen musste, um bei den seltenen Fragen danach nicht ›Dumme, alte Kuh‹ zu antworten. Aber wer fragte schon nach ihrem Vornamen? Ihr Mann hatte sie ›Maus‹ genannt. Sogar bei der Scheidung. Noch einmal atmete sie durch. Sie musste den Rasen wässern. Sonst würde er dürr. Ihre Fußsohlen sehnten sich danach, weiches Gras zu spüren. Dann sah sie die Federn. Eine flaumige Spur im Grün. »Oh, nein.« Zögernd setzte sie die Schritte. Direkt unter dem Kirschbaum war der Schlachtplatz. Federn, glänzende Blutstropfen, ein paar Knöchelchen, eine rostrote Darmschlinge. Über ihr lärmten die Vögel, als sei nichts geschehen. Die Sonne schien auf das erbarmungsvolle Häufchen, das einmal Leben gewesen war. Sie schluckte, blickte sich um. Da war niemand. Um diese Uhrzeit hatten die Nachbarn die Häuser schon verlassen. Die Autos waren gestartet, die Bewohner in der Stadt, an ihren Arbeitsplätzen, bei ihren Besorgungen. Eigentlich die schönste Zeit in den Gärten. Keine lärmenden Kinder, keine Rasenmäher, keine Gespräche, kein Motorengebrumme. Aber in diesem Moment hätte sie etwas gegeben für eine menschliche Stimme. Nicht dass sie um Hilfe gebeten hätte. Gott, die Überreste eines toten Vogels entsorgen, damit belästigte man doch niemanden. Komm, damit wirst du fertig, dumme, alte Kuh. Von oben konnte Isabell die Kopfhaut durch das feine Haar schimmern sehen. Was tat die Alte-Unten? Automatisch hörte sie die Stimme ihrer Mutter: »Sag nicht ›Alte-Unten‹, das ist Frau Bungert!« Dabei nannten die sie auch ›Alte-Unten‹, erst gestern Abend. »Die Alte-Unten könnte auch mal wieder den Rasen mähen«, hatte Stalin gemurrt. Der ewige Dorn! Die Alte-Unten hatte den Rasen, die Hecken, den Garten. Sie wusste, dass Stalin danach gierte. Noch so eine Ecke zum Ackern und Ordnen. Konnte sie sich vorstellen, wie der Garten unter seiner Fuchtel aussehen würde. Gekehrt und übelst geleckt. Da würde es kein Gänseblümchen wagen, den Kopf zu recken und makelloses Smaragdgrün zu stören. Seine Obstbäume wären nicht schief und knorrig, sondern könnten stramm stehen. Nicht, dass die Alte-Unten nicht versuchen würde, ihren Garten zum Exerzieren zu bringen. Das Beet mit den Dreierreihen Begonien war ein echter Schritt. Fror man schon beim Hinsehen. Fast. Die standen nicht richtig. Stalin hätte die mit Zirkel und Richtschnur gepflanzt und jeden Tag kontrolliert. Wehe, wenn eine affige Begonie es wagen würde, drei Zentimeter zur Seite zu wachsen. Würde dem blöden Ding schlecht bekommen. Allein das Beet mit den überhängenden Pflanzen musste ihn jeden Morgen zur Weißglut bringen. Bei der Vorstellung grinste sie. Selbst schuld, warum hatten sie die blöde Wohnung auch gekauft? Zweiter Stock, ohne Garten, nur Balkon? Noch dazu in der toten Ecke, in der die Einfamilienvorgärten nur so vor sich hin schimmelten? Sogar zum Einkaufen musste man mit dem Bus. Und der letzte fuhr zwanzigdreizehn. Galgenheck, der Name passte. Fasziniert sah sie, wie die Alte-Unten mit einem Gartenhandschuh die Teile des toten Viechs auf eine Zeitung schaufelte. Der Kater war krass. Absoluter Profi. Wie der da gesessen hatte … der Hammer! Über zwanzig Minuten, ohne sich zu bewegen. Isabell hatte ihn kommen sehen, sich schnell hinter die schmiedeeiserne Balkonbrüstung gekniet, kaum verdeckt vom hochglanzpolierten Oleander ihres Vaters. Ein Wettkampf, sie gegen den Kater. Wer hielt länger durch? Der Kater natürlich. Zwanzig...


Madeleine Giese, geboren im vergangenen Jahrhundert im Saarland, lebt in Rheinland-Pfalz. Sie veröffentlichte fünf Kriminalromane, etliche Krimi-Dinner, zahlreiche Kurzgeschichten in Anthologien, Texte für Theater und Kabarett. Sie ist zudem Autorin von Hörspielen (u.a. für die ARD Serie RadioTatort).



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