E-Book, Deutsch, 185 Seiten
Giddens / Meyer / Troebst Transit 36. Europäische Revue
1. Auflage 2008
ISBN: 978-3-8015-0585-1
Verlag: Verlag Neue Kritik
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Klimapolitik und Solidarität
E-Book, Deutsch, 185 Seiten
ISBN: 978-3-8015-0585-1
Verlag: Verlag Neue Kritik
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Der Klimawandel stellt die bestehenden demokratischen Institutionen und das Instrumentarium herkömmlicher Politik vor nie gekannte Herausforderungen. Zum einen in räumlicher und zeitlicher Hinsicht: der Klimawandel ist ein globales, ebenso akutes wie langfristiges Phänomen, dem nur mit Maßnahmen beizukommen ist, die die nationalen Grenzen und den nur bis zu den nächsten Wahlen reichenden Horizont von Parteipolitik überschreiten; zugleich wirft er die Frage nach globaler Gerechtigkeit und Generationengerechtigkeit auf. Zum andern in struktureller Hinsicht: der Klimawandel macht Denken in politischen Ressorts obsolet, denn er hat nicht nur ökologische, sondern untrennbar davon auch ökonomische, soziale und sicherheitspolitische Konsequenzen.
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Anthony Giddens KLIMAPOLITIK Nationale Antworten auf die Herausforderung der globalen Erwärmung1 Der Klimawandel ist auf bemerkenswerte Weise und in kürzester Zeit ins Zentrum der öffentlichen Debatte gerückt. Naturwissenschaftler äußern schon seit einem Vierteljahrhundert ernsthafte Sorgen über die globale Erwärmung, und Umweltaktivisten bemühen sich seit mindestens ebenso langer Zeit darum, Regierungen und Bürger dazu zu bewegen, dieses Thema ernst zu nehmen. Doch erst in den letzten Jahren hat der Klimawandel massive Präsenz in der politischen Diskussion gewonnen, und zwar nicht nur in vereinzelten Ländern, sondern weltweit. Warum, ist nicht ganz klar. Gewiss hat die Wissenschaft vom Klima-wandel Fortschritte gemacht. Einen großen Teil der entsprechenden Erkenntnisse hat der Weltklimarat, das International Panel on Climate Change (IPCC) der Vereinten Nationen, ein sehr einflussreiches Gremium, in seinen Veröffentlichungen zusammengefasst. Auch die Aktivitäten des ehemaligen US-Vizepräsidenten Al Gore haben mitgeholfen, das öffentliche Bewusstsein in Sachen globaler Erwärmung zu schärfen. Beide sind für ihre Leistungen mit dem Nobelpreis belohnt worden. Mehrere Naturkatastrophen, die innerhalb weniger Jahre eintraten, haben das ihre zur Bewusstseinsbildung beigetragen. Es ist keineswegs erwiesen, ob der Wirbelsturm Katrina etwas mit der globalen Erwärmung zu tun hatte, doch der Umstand, dass eine Großstadt im reichsten Land der Welt von einem Tag auf den anderen untergehen konnte, war ein unübersehbares Signal dafür, dass uns noch Schlimmeres bevorstehen könnte. Während der Hitzewelle im Sommer 2003 starben in Europa 30 000 Menschen. Der Tsunami in Südostasien am Jahresende 2004, in dem zehnmal so viele Menschen umkamen, hatte mit dem Klimawandel überhaupt nichts zu tun, war aber eine machtvolle Erinnerung an die Urgewalt der Natur und unsere eigene Verwundbarkeit. Was immer auch den Ausschlag gegeben haben mag, irgendwann wurde ein Hebel umgelegt. Der Klimawandel ist zu einem in den Medien allgegenwärtigen, fast täglich behandelten Thema geworden, dem sich eine immens anschwellende Flut von Büchern, Artikeln und Sendungen widmet, verfasst von Wissenschaftlern und Journalisten. Die meisten Staaten haben in Absichtserklärungen oder Programmen dargelegt, wie sie auf die Herausforderung antworten wollen. Die Literatur zum Klimawandel lässt sich in mehrere Kategorien einteilen. Es gibt viele von Wissenschaftlern und anderen Autoren geschriebene Bücher zum Phänomen an sich und zu den damit einhergehenden Gefahren. Umfangreich ist auch die Literatur zu möglichen technischen Lösungen des Problems. Viele von denen, die über den Klimawandel schreiben, propagieren ihre Lieblings-Technologie, die in ihren Augen die größte Chance eröffnet, das sich abzeichnende Problem in den Griff zu bekommen. Für manche ist es die Solarstrom-Technik, für andere die Kernkraft oder die Kernfusion, die Brennstoffzelle, die Erdwärmenutzung, eine »saubere Kohleverstromung« oder ähnliches. Für die meisten liegt die Lösung in einem intelligenten Mix aus einigen oder allen diesen Technologien. Es liegen auch zahlreiche Veröffentlichungen vor über die verschiedenen Bemühungen um internationale Vereinbarungen zur Eindämmung der für die globale Erwärmung verantwortlichen Treibhausgase. Diskutiert werden dabei vor allem die Verträge von Kyoto und später Bali sowie die innerhalb der Europäischen Union ausgearbeiteten Pläne. Die meisten Bücher und Artikel, die über »Klimapolitik« geschrieben worden sind, handeln von solchen internationalen Vereinbarungen. Ich möchte hier die vielleicht provozierende Behauptung aufstellen, dass es bis heute keine schlagkräftige Politik gegen den Klimawandel gibt, insbesondere nicht auf nationaler Ebene, wo die Mehrzahl der nötigen Maßnahmen ergriffen werden müssten. Will sagen: Es gibt keine ausgearbeitete Analyse der politischen Veränderungen, die wir vornehmen müssen, wenn unsere Bestrebungen, den Klimawandel zu stoppen, Wirklichkeit werden sollen. Ich möchte im Folgenden versuchen, einige der Fragen zu klären, die gestellt und beantwortet werden müssen – ohne dass ich einen Anspruch auf Vollständigkeit erhebe. Danach werde ich einen genaueren Blick auf Großbritannien werfen, als Beispielfall für die Probleme und Chancen, wie sie sich in mehr oder weniger allen Industrieländern darstellen, soweit diese sich um politische Lösungen bemühen, die tatsächlich etwas bewirken. Zunächst einmal scheint es mir jedoch ratsam, kurz auf den Stand der Dinge in der Klimadebatte als solcher einzugehen. Der Klimawandel: die Debatte Nur sehr wenige Aspekte des Klimawandels sind unumstritten, und die Kontroversen zwischen den Protagonisten sind oft heftig und teils sogar bitter. Drei unterschiedliche Positionen lassen sich ausmachen. Auf der einen Seite gibt es Klimawandel-Skeptiker, die sagen, die These, dass die derzeit beobachtbaren Phänomene der globalen Erwärmung durch den Menschen verursacht seien, sei nicht erwiesen. Sie berufen sich darauf, dass es in der Erdgeschichte Klima-Fluktuationen als Folge natürlicher Vorgänge schon immer gegeben hat. Was gegenwärtig passiere, sei im Prinzip nichts anderes. Andere Skeptiker räumen ein, dass wir gegenwärtig einen Klimawandel erleben und dass menschliche Aktivitäten dazu beitragen, behaupten jedoch, die damit einhergehenden Gefahren würden übertrieben. Für diese Leute stellen andere globale Probleme wie Armut, AIDS oder die potentielle Verbreitung von Atomwaffen akutere und größere Bedrohungen dar als der Klimawandel. Die Zahl dieser Skeptiker ist in den letzten Jahren in dem Maß, wie die wissenschaftliche Erforschung des Klimawandels vorangekommen ist, erheblich geschrumpft, aber sie finden nach wie vor eine gehörige Resonanz. Die zweite Position möchte ich als die Mainstream-Meinung bezeichnen (oder genauer als den Fächer der Mainstream-Meinungen), repräsentiert vor allem durch die Veröffentlichungen des IPCC. Das IPCC hat einen enormen Einfluss auf das weltweite Denken in Sachen Klimawandel entfaltet. Wenn heute ein Konsens über dessen Ausmaß und Gefahren besteht, so hat das IPCC einen großen Anteil an seinem Zustandekommen. Das entspricht auch dem erklärten Ziel des Gremiums, so viel wissenschaftliches Belegmaterial wie möglich zusammenzutragen, es einer rigorosen Prüfung zu unterziehen und zu umfassenden Schlussfolgerungen über den Stand der wissenschaftlichen Meinung zu gelangen. In seinen sukzessiven Veröffentlichungen hat das IPCC verschiedene mögliche Zukunfts-Szenarien skizziert und versucht, ihnen Wahrscheinlichkeiten zuzuordnen. Die Klimawandel-Skeptiker sehen im IPCC den Erzfeind eines freien und einzig der Wahrheit verpflichteten wissenschaftlichen Denkens. Für sie ist der Weltklimarat zu einer Herrschaftsinstanz geworden, die entschlossen ist, die Welt durch eine bestimmte Brille zu sehen, zum Gralshüter einer neuen Orthodoxie. Die Skeptiker sehen sich selbst gern als freie Geister, die den Mut haben, das konventionelle Wissen ihrer Zeitgenossen in Frage zu stellen. Die Schlacht zwischen den Skeptikern und der vorherrschenden wissenschaftlichen Meinung dauert an, wobei jede Seite dazu neigt, die Argumente der Gegenseite für unsinnig zu erklären. Es lässt sich heute jedoch noch eine weitere Meinungsdifferenzierung erkennen, nämlich die zwischen dem Mainstream und denjenigen Autoren und Forschern, nach deren Auffassung der Klimawandel sogar größere und akutere Gefahren heraufbeschwört als gemeinhin angenommen. Diese Leute, die ich hier als die »Radikalen« bezeichnen will, erklären, die Erforschung früherer, naturbedingter Klimafluktuationen zeige, dass man es bei Prozessen der Klimaveränderung mit Schwellen-Effekten zu tun habe. In früheren Erdzeitaltern hätten sich abrupte Klimaveränderungen vollzogen, manchmal innerhalb von nur zehn Jahren. Die Radikalen halten es zumindest für möglich, dass der aktuelle, menschlich induzierte Klimawandel etwas Ähnliches bewirkt. Es gebe mehrere potentielle »Auslösepunkte«. Dazu gehöre die Möglichkeit, dass die Eispanzer, die den antarktischen Kontinent und die Insel Grönland bedecken, schneller abschmelzen, als die Wissenschaft es bis heute für möglich hält, oder dass das Abschmelzen der gefrorenen Torfmoore im westlichen Sibirien und in Kanada Methan in großen Mengen freisetzt. Methan ist ein weitaus wirksameres Treib-hausgas als CO2. Manche Radikalen – wie der Naturwissenschaftler James Lovelock – sind der Überzeugung, es sei bereits zu spät, einen gefährlichen Klimawandel noch abzuwenden, und die Menschheit täte besser daran, das Gros ihrer Energien in den Versuch zu investieren, sich bestmöglich darauf vorzubereiten und Überlebensstrategien für diesen Fall zu entwickeln. Andere glauben, wir könnten die schlimmsten Folgen eines Klimawandels noch verhüten, müssten dann aber hier und jetzt weitreichende Maßnahmen ergreifen. Wie sollen wir diese divergierenden Positionen einschätzen? Offensichtlich ist es von erheblicher Bedeutung, welche der drei skizzierten Auffassungen der Wahrheit am nächsten kommt. Die Skeptiker dürfen wir nicht ignorieren, und sei es nur, weil sie die öffentliche Meinung beeinflussen. Interessengruppen, die eine Politik gegen die Klimawandel-These betreiben, und gewöhnliche Bürger, die nicht willens sind, ihre Denk- und Lebensgewohnheiten zu ändern, können einfach sagen: »Was soll’s, nichts davon ist bewiesen, oder?« Man könnte den...