Gerling | So oder so (Alles muss sich ändern) | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 957 Seiten

Gerling So oder so (Alles muss sich ändern)


2. Auflage 2025
ISBN: 978-3-8190-4727-5
Verlag: epubli
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection

E-Book, Deutsch, 957 Seiten

ISBN: 978-3-8190-4727-5
Verlag: epubli
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection



Julien und Henning ist jedes Mittel recht, um den anderen in die Knie zu zwingen. Henning droht u?ber die eigene Intrige stolpern, Julien sieht sich enttarnt und fragt sich: Wofu?r das alles? Was will ich wirklich? Entschlossen geht Elli immer geradeaus, vom Rand zur Mitte der Gesellschaft; Harriet nimmt lieber lustvolle Umwege hinaus aus ihrer Blase - aufzuhalten sind beide nicht. Sogar fu?r den ewig hadernden Siegfried erhellt sich der Horizont (dieses Jahr wird alles besser!), während sich Thies' Welt langsam verdunkelt. Er trifft eine Entscheidung, die nicht nur sein Leben grundlegend verändert ... So oder so, alles muss sich ändern: (Lebens-)Lu?gen, Fake News oder (Betriebs-)Geheimnisse: Alles kommt ans Licht. Doch denen, die es wagen, in die eigenen Abgru?nde und u?ber den Tellerrand zu schauen, eröffnen sich neue Perspektiven, u?berraschende Allianzen entstehen - und u?berall erblu?ht die Liebe: Eine bessere Welt ist möglich! Teil 2 der Trilogie »Sex und Sozialkritik«

lebte in Köln, Berlin, Hamburg und Itzehoe und zurzeit wieder in Köln; Buchhändlerlehre, Studium (Germanistik, Anglistik, Geschichte in Köln; Politikwissenschaft, Verwaltungswissenschaften, Soziologie in Hagen); hat gearbeitet als Arbeitsvermittler, Bäckereiverkäufer, Buchhändler, Datenqualitätsmanager, Dozent für Deutsch, Englisch und Geschichte, Kellner, Konzeptioner, Putzkraft, Texter, typografischer Gestalter ... und die ganze Zeit über geschrieben
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Juli (Julien III)


Véronique hatte ihm gedroht, zur Polizei zu gehen. Sie beschuldigte ihn, sich Elli unsittlich genähert zu haben, genauso sagte sie es, und dafür habe sie Beweise! Julien war geschockt, wie kam sie darauf? Sowas würde er niemals tun, sich Kindern unsittlich nähern, was sollte das überhaupt heißen? Er liebte die Kinder und sie ihn, gerade Elli; seit beinahe zwei Jahren tat er alles für sie, aber er fasste sie doch nicht unsittlich an! Véronique hörte gar nicht auf, ihn anzuschreien, er schrie zurück, wie sie dazu komme, sie erfinde das doch nur, weil sie selbst unfähig sei, für ihre Kinder zu sorgen und er sich kümmere; wäre er nicht, würden sie alle völlig verwahrlosen, und sie habe doch bloß Schiss davor, dass er wirklich zum Jugendamt gehe! Denn das hatte Julien vor. Die Familie brauchte Hilfe. Zwar hielt er nichts vom Jugendamt, die hatten ihn damals schließlich hängen lassen, aber er wusste nicht, an wen er sich sonst wenden sollte, und er würde denen vom Amt schon klar machen, wie dringend die sich um die Kinder kümmern mussten. Es war zu viel für ihn allein. Er konnte nicht mehr. 

An dem Mittwochabend, an dem er zum ersten Mal in ihrer Küche saß, machte sie ihm sofort klar, er sei Schuld daran, dass ihr Leben sei wie es sei, nur seinetwegen sei sie von ihren Eltern verstoßen worden und habe von Anfang an keine Chance gehabt. Das könne er ja nun wieder gut machen, indem er seine Schuld bei ihr abarbeite, außerdem brauche sie Geld. Und auf keinen Fall dürften Jürgen und die Kinder erfahren, wer er sei. Nur wenn er dem allen zustimme, dürfe er wiederkommen, ansonsten solle er verschwinden und sich nie wieder blicken lassen. Sie rauchte, mit erhobenem Kopf sah sie ihn an, ihrer Mutter so ähnlich, dass es Julien erschauern ließ. Sie sprachen französisch, auch das verlangte Véronique, damit ihr Mann und die Kleinen sie nicht verstanden. Sie lachte und sagte, hat Jules immer noch kein Deutsch gelernt, und dass die ahl Schabrack all die Jahre nichts dagegen habe tun können! Damit meinte sie Doris. Julien fragte, ob sie ihm sagen würde, warum sie ihn bei Doris gelassen habe, und wer sein Vater sei, und wo — da schnitt sie ihm das Wort ab und sagte, vielleicht, beau gosse, vielleicht auch nicht. Erst zeigst du mal, was du kannst. Alors, que t'en dis?

Natürlich sagte er ja. Er hätte alles getan, um wiederkommen zu dürfen. Das kleine Mädchen saß die ganze Zeit über still auf seinem Schoß, an seine Brust gelehnt, eine Hand in seinem Haar, die andere auf seinem Arm, den er um sie gelegt hatte. Ihr zarter Körper strahlte solche Hitze aus, Julien begann unter seiner Trainingsjacke zu schwitzen. Er empfand sofort tiefe Liebe für das Kind und den Wunsch, sie zu beschützen. Wie er so in der unglaublich schmutzigen, nach Undefinierbarem riechenden Küche saß, lange Sonnenstrahlen fielen durch die dreckigen Fenster auf den mit Flaschen und Geschirr vollgestellten Tisch, dachte er, das hier war eine andere Art von Elend als seine Kindheit in Doris’ Straflager. Warum taten Erwachsene Kindern das an? Er war erschrocken über die Verwahrlosung, in der sie lebten. Der stumme Mann auf der anderen Seite des Tisches schaute vor sich hin, er drückte die fast verqualmte Zigarette aus und machte sich eine Neue an, alles ganz langsam, als müsse er erst überlegen, wie. Die Trostlosigkeit der Situation schnürte Julien den Hals zu. Er sah zu Véronique herüber, es durchfuhr ihn: Die ganze Zeit beobachtete sie ihn, wie er gedankenverloren das Kind auf das helle, nach Rauch riechende Haar küsste und seinerseits den Ehemann betrachtete. Die mag dich, sagte Véronique; ich mag die auch, sagte Julien und versuchte ein Lächeln, auf das ging sie aber nicht ein. 

Sie trank Sekt, sie rauchte; sie fragte, wie alt bist du jetzt, sechzehn, siebzehn; sechzehn, sagte er; und gehst du noch zur Schule; nein; hast du denn Arbeit, wollte sie wissen; er sagte ja, und vielleicht bald eine Ausbildung, aber das interessierte sie nicht. Wieviel verdienst du, fragte sie; so dreihundert Mark im Monat, sagte er: sie sah ihn an, das ist aber nicht viel. Dann fragte sie noch, während sie die Zigarette ausdrückte, ob er eine Freundin habe; nein, sagte er, von Marcel erzählte er lieber nicht; aber du hattest schon mal eine, oder? Warum wollte sie das wissen? Ja, sagte er, um nicht weiter ausgefragt zu werden, warum wollten sie sowas immer wissen? Sie machte sich die nächste Zigarette an, die Luft war zum Schneiden dick, obwohl das Fenster auf Kipp stand, und mittendrin das Kind und irgendwelche Vögel in einem Käfig auf dem Kühlschrank, und in einer Ecke sah er einen großen Käfig auf dem Boden stehen. Hast du Doris gesagt, dass du hier bist, fragte sie. Er sagte, er wohne bei einem Arbeitskollegen und sei nur noch selten zuhause; er habe ihre Adresse nur zufällig auf dem Briefumschlag gesehen, als er mal da war. Halt bloß den Mund bei denen, sagte sie, die können mich mal. Jules hat ja nicht mal geantwortet auf den Brief, sowas nennt sich Eltern. Julien schwieg. Der warme Körper des Mädchens auf seinem Schoß wurde schwerer. Er beugte sich vorsichtig über sie, sie war eingeschlafen. Der Mann stand plötzlich auf und sagte, ich bin mal im Wohnzimmer, ich leg mich wat hin. Véronique antwortete nicht. Julien nickte ihm zu; tschö, sagte der Mann und verließ die Küche.

Was mach ich hier, dachte Julien, es war so unwirklich: Die fremde Frau, die seine Mutter sein sollte und so gar nichts Mütterliches hatte, und das Kind, das seine Schwester war. Mit einem Mal wünschte er sich, er hätte den Brief nie gefunden. Es wäre doch besser gewesen, er hätte von all dem hier gar nichts gewusst. Er hatte sich das ganz anders vorgestellt, aber wenn er an Doris dachte, dann wusste er, es wäre in jedem Fall schlimm gewesen. Julien ahnte, dass er sich gerade etwas auflud, das zu schwer für ihn war. Aber schon wegen des Mädchens in seinem Arm konnte er nicht mehr zurück. Die schläft, sagte er, wie heißt die denn? Gabrielle, sagte Véronique, wie die eine Schwester von Jules. Die andere heißt Annick, so hieß die andere Schwester. Sie lachte, hat nix genutzt, sagte sie, die Kinder interessieren den einen Scheiß. Sie ließ ihn nicht aus den Augen. Sie sah ihn nicht an wie einen, den man vermisst hat oder über den man sich freut, sondern wie jemanden, der einem gerade recht kommt. Julien fühlte sich nicht gut, er wollte gehen. Soll ich die ins Bett bringen?, fragte er. Sie nickte in Richtung einer offenen Tür. Da ist das Schlafzimmer, da kannst du die solang hinlegen, sagte sie. Julien stand auf, das schlafende Kind fest im Arm. Ihr Kopf sank auf seine Schulter, er spürte das kleine Herz gegen seine Brust schlagen. Er betrat ein Zimmer, das durch einen dünnen Vorhang geteilt war in einen größeren Raum und einen schmalen Durchgang, der in das Wohnzimmer führte. Julien schob den Vorhang beiseite. Die Gardinen vor dem Fenster waren zugezogen, der Raum dunkel und vollgestellt: Bett, Kleiderschrank, Wäschetruhe, ein aufgeklapptes Bügelbrett, Nachttische, und überall lagen Kleidungsstücke. An der einen Wand, gegenüber vom Ehebett, stand ein großer Schminktisch mit einem dreiteiligen Spiegel, auf einem Stuhl in der Ecke ein kleiner Fernseher. Zwischen all den Möbeln und dem Bett konnte man sich kaum bewegen. Julien zog den Überwurf und die Bettdecke zurück, alles war dünn, alt und steif, die Wäsche roch nach Rauch und zuviel Weichspüler. Er legte das Mädchen vorsichtig hin, dabei hielt er ihren Kopf. Sie war ganz verschwitzt, ihre Wangen glühten. Sanft deckte er sie zu und strich ihr das feuchte Haar aus dem Gesicht. Er kniete sich neben das Bett, auf den langfaserigen dunklen Teppich. Auf dem Nachttisch stand ein voller Aschenbecher. Julien sah das Kind an, es schlief tief und fest. Er strich leicht mit dem Handrücken über seine Wange. Ihm war so elend; nein, dachte er, du kannst nicht mehr zurück. 

Er stand auf, nahm den Aschenbecher und zog den Vorhang hinter sich zu, da sah er Véronique im Türrahmen stehen. Sie war ihm gefolgt und hatte ihn beobachtet. Sie verunsicherte ihn. Verlegen hob er den Aschenbecher an und sagte, ich hab den hier mal das muss ja nicht sein, und wollte an ihr vorbei in die Küche. Sie blieb stehen, die Zigarette in der Hand, er musste sich an ihr vorbeizwängen. Fängst du schon an zu arbeiten, das ist gut, sagte sie. Ihm schoss die Hitze ins Gesicht.Wo ist der Mülleimer, fragte er und sah sie an. Hast du Geld, fragte sie. Sie zeigte auf einen Plastikeimer neben dem Herd. Er leerte den Aschenbecher aus, spülte und trocknete ihn ab und stellte ihn auf den Tisch, sie drückte ihre Zigarette darin aus. Und, fragte sie. Er hatte zwanzig Mark dabei, das war sein Rest für die Woche, die gab er ihr. Sie nahm den Schein und ließ ihn neben den Aschenbecher fallen. Hast du Telefon, fragte er, sie sagte, wenn die Rechnung bezahlt ist, dann wieder. Okay, sagte er, ich geh dann jetzt. Ich komm morgen nach der Arbeit, so sieben. Sie gab ihm nicht die Hand, sie stand in der Tür, als er ging, sie sagte nichts, sondern schaute ihn bloß an, die ganze Zeit über mit einem Blick, den er nicht deuten konnte, vielleicht Misstrauen, Verachtung, nein eher Gleichgültigkeit, auf jeden Fall keine Liebe. 

Marcel erzählte er nichts davon. Er sagte nur, er müsse sich jetzt doch zuhause mehr kümmern, seine Oma sei krank und brauche Unterstützung. Marcel wunderte sich: Ich dachte, die interessieren sich nicht für dich, und Julien sagte, ja naja schon, aber ist ja Familie. Da seufzte Marcel, lag in seinem Lächeln etwas Abschätziges? Ja sicher, sagte er, dann musst du natürlich. Julien lag noch lange wach in dieser Nacht, in dem wunderschönen Bett unter der Satindecke, neben ihm schlief...



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