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E-Book, Deutsch

Gerhardt / Kirsten / Novel Willkommen!

Blogger schreiben für Flüchtlinge
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-944543-28-4
Verlag: mikrotext
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Blogger schreiben für Flüchtlinge

E-Book, Deutsch

ISBN: 978-3-944543-28-4
Verlag: mikrotext
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Die persönlichsten Online-Texte, etwa von Sarah Connor, Stefanie Sargnagel, Anke Domscheit-Berg, Jaafar Abdul Karim, Margarete Stokowski, Karim Hamed oder Michael Seemann, in einem E-Book: bei der Spendenausgabe am Bahnhof, beim Mitnehmen von Syrern im Auto über die Grenze, mit einer irakischen Familie im Wohnzimmer. Ein Beweis für die vielfältige neue Willkommenskultur in Europa. Herausgegeben von Katharina Gerhardt, Caterina Kirsten, Ariane Novel, Nikola Richter, Frank O. Rudkoffsky, Eva Siegmund. Die Blogger Paul Huizing, Nico Lumma, Karla Paul und Stevan Paul riefen Ende August 2015 die Crowdfunding-Aktion Blogger für Flüchtlinge ins Leben, um Spendengelder zu sammeln und Aufmerksamkeit für die vielen Menschen, die in Not nach Europa kommen, zu generieren. Seitdem haben sich zahlreiche Blogger für diese Aktion engagiert, über sie berichtet, das Thema Flucht reflektiert und den Hashtag #BloggerfuerFluechtlinge viral verbreitet. Gestartet mit einem Spendenziel von 5.000 Euro sind inzwischen weit über 130.000 Euro für die Flüchtlingshilfe zusammengekommen. Das E-Book soll eine Sichtbarmachung dieser Solidarität sein, ein deutliches Zeichen, dass die Hetzer nicht die Mehrheit sind. Sämtliche Erlöse aus dem Verkauf des E-Books werden gespendet.

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Mama Bibis geduldete Söhne. Von Jessica Sabasch
In einem kleinen schwäbischen Dorf ohne Lebensmittelgeschäft und ohne Gastwirtschaft werden sechs schwarze Flüchtlinge einquartiert. Es gibt Vorbehalte. Und doch finden sich Menschen, die nicht nur helfen, sondern ihre Freundschaft anbieten.
In den ersten Wochen sitzt Mustapha in seinem Zimmer und schaut in den Fernseher wie eine Wüste. Er fürchtet sich. Vor der Vergangenheit, vor der Zukunft und vor der Lage in seinem Land. Ein paar Häuser weiter sitzt Brigitte an ihrem Küchentisch, lernt einen Theatertext und fragt sich, wie sie Mustapha die Furcht nehmen kann. Für die 76-Jährige sind er und die fünf anderen Flüchtlinge aus Gambia vom ersten Tag an Schützlinge. Seit einem halben Jahr leben sie jetzt hier im Dorf. Die Männer kennen sich nicht, bis sie an einem Julitag in zwei Taxis sitzen, auf dem Weg zu ihrem gemeinsamen Haus, und die Landschaft an ihnen vorbeizieht. Wald und Hügel, Obstwiesen, Feldwege. Ackerland. Ein Steinbruch. Sie sprechen verschiedene Sprachen ihres Landes. Alle bis auf einen sprechen auch Englisch, Gambias Amtssprache. Der jüngste ist Mitte 20, der älteste 54.  Ihr neues Dorf hat einen Sportplatz, ein Feuerwehrhaus, eine Mehrzweckhalle, einen Schützenverein, eine Narrenzunft und keinen Supermarkt. 1.200 Einwohner leben in Familienhäusern mit gepflegten Gärten. Viele alte Höfe und Scheunen stehen leer. Hühner gackern. Das örtliche Gasthaus wurde im Dezember geschlossen – aus Altersgründen. Der Handyempfang ist schlecht. Der letzte Bus in die Stadt fährt wochentags um 19 Uhr.  Am Tag ihrer Ankunft ist Brigitte nicht da. In Empfang genommen werden die Männer von der Zuständigen des Landratsamts und von Brigittes Nachbarin. Monika wohnt auf der anderen Straßenseite und kannte das Haus schon, als darin noch eine alte Frau lebte. Seit sie starb, hat sich scheinbar nichts verändert. Vergilbte Blümchentapete, Linoleumboden, karger Flur. Eine knarrende Treppe führt zur Küche. Auf dem Tisch stehen eine Obstschale und Brot von Brigitte. Die Zimmer zweckmäßig: sechs Betten, ein paar Tische und Stühle. Im Treppenhaus ein Notfallknopf zur Polizei. Daneben eine laminierte Liste mit Notfallnummern. Wenn es ein Problem gibt, klingeln die Männer oft an Brigittes oder Monikas Tür.  Die Nachbarinnen kennen sich seit 30 Jahren, flüchtig. Erst ihr gemeinsames Engagement hat sie verbunden. Monika ist 62 und kommt von hier. Kurzhaarfrisur, fester Händedruck, ruhige Stimme. Brigitte, Jahrgang 1938, weißes Haar, war ihr Leben lang Schauspielerin. Mit ihrem Lebensgefährten Manfred wohnt sie in einem alten Bauernhaus. Obwohl sie schon lange Zeit hier leben, sind sie keine alteingesessenen Dorfbewohner, nehmen zum Beispiel nicht am Vereinsleben teil. Die Frage, wie man sich in einer Notsituation verhalten würde, „wenn es drauf ankäme“, beschäftigt das Paar schon lange. Viele ältere Leute im Dorf wunderten sich anfangs darüber, dass die Männer immer ihre Handys am Ohr haben. Oder mit dem Handy draußen an der Grillstelle hinter dem Sportplatz sitzen. Weil der Empfang dort besser ist. „Das Handy ist ihre wichtigste Verbindung zu Freunden und Familie“, sagt Brigitte. „Mama Bibi“ sagen die Männer zu ihr. „Weil Bibi leichter auszusprechen ist.“ Sie hat zwei Söhne.  Vor einem halben Jahr schrieb Brigitte einen Leserbrief. Sie war erschrocken über die Reaktion mancher Leute am Informationsabend des Bürgermeisters, fühlte sich an die 1990er Jahre erinnert, als Fremdenfeindlichkeit weit verbreitet war. Monika saß im Publikum. „Es wurden skeptische Stimmen laut“, erzählt sie. „Das Dorf eigne sich nicht als Flüchtlingsunterkunft. Vorgeschobene Gründe wie die schlechte Verkehrsanbindung wurden genannt und dass es keine Geschäfte gibt.“ Am Ende der Veranstaltung sei sie aufgestanden: „Ich möchte, dass die Menschen willkommen geheißen werden. Wir müssen warten, wer kommt, und dann auf sie eingehen.“ Dann wünschte sie den Leuten eine gute Nacht und ging. Ein paar Tage später lud der Bürgermeister die beiden Frauen, eine Gemeinderätin und einen Pädagogen ins Rathaus, um zu überlegen, wie man die Flüchtlinge begrüßen könnte. „Ich war sehr erleichtert, dass es Gleichgesinnte im Dorf gibt“, sagt Brigitte rückblickend. Seit diesem Gespräch spüre sie dort einen Zusammenhalt, von dem sie ohne die Ankunft der Flüchtlinge nie erfahren hätte.  Viele Dorfbewohner unterstützen sie. Beim Deutschlernen, beim Einkaufen, im Alltag. Nachbarn brachten ihnen Fahrräder. Andere luden sie zum Fußballtraining ein. „Die Hilfe findet intuitiv statt, wir sprechen uns nicht ab“, sagt Brigitte. Sie nimmt die Männer mit ins Kino oder ins Café. „Wir geben ihnen jetzt, was wir können“, sagt Monika.  Sie und Brigitte vermitteln auch bei Missverständnissen. Weil die Männer sich gegenseitig nicht auf dem Laufenden halten, platzen schon mal Arzttermine oder Verabredungen. „Sie sind nicht unzuverlässig“, betont Brigitte. Meistens gäbe es einfache Erklärungen für ihr Verhalten, zum Beispiel fehlendes Guthaben auf dem Handy. Es gibt auch Situationen, in denen die Männer sich unwissentlich falsch verhalten. Neulich habe sie mit der Deutschen Bahn telefoniert. Die Männer hatten sich im Zug in die erste Klasse gesetzt. Sie sollten 80 Euro Strafe zahlen. „Sie haben sich halt die schönsten Plätze ausgesucht“, sagte Brigitte der Frau am Telefon. Am Ende war die Strafe nur halb so hoch. „Stress“, nennt Mustapha die Kopfschmerzen, die ihn nachts nicht schlafen lassen. Vor drei Jahren hat der 36-Jährige sein Land verlassen. Er hatte Todesangst. Sein Fluchtweg führte ihn über den Senegal nach Spanien, wo er zwei Jahre lebte, teilweise auf der Straße. Bevor er ins Dorf kam, war er in Berlin, Karlsruhe, Mannheim. Er erzählt vom jüngsten Putschversuch in Gambias Hauptstadt Banjul. Vom Leiden der Bürger unter dem diktatorischen Stil des seit 20 Jahren regierenden Präsidenten Yahya Jammeh. Mustapha erzählt auch von seinen Schwestern, seinen Eltern, von – „Forget about that!“. Er bricht ab, seine Lippen beben. Dann möchte er lieber Deutsch üben. Wenn er die Aufgaben wiederholt, kann er sich besser auf das Jetzt konzentrieren. Er hält die Blätter auf dem kleinen Tisch fest, als ob ein Wind sie davonwehen könnte. Seit Mustapha viermal in der Woche den Bus zum Deutschkurs in die Stadt nimmt, geht es ihm besser als in der Anfangszeit. Er würde gerne arbeiten. Am liebsten als Bäcker. Es ist bis dahin ein weiter Weg. Während der ersten 15 Monate haben geduldete Flüchtlinge kaum Chancen, eine Arbeitserlaubnis zu erhalten, wenn es gleichqualifizierte deutsche Bewerber um eine konkrete Stelle gibt. Erst nach dem 15. Monat endet die sogenannte „Vorrangprüfung“. Hinzu kommt, dass den sechs Männern aus Gambia jederzeit die Abschiebung droht. Das Land steht nicht auf der Liste der anerkannten Flüchtlingsländer. Eine allgemein unsichere Lage reicht für ihre Anerkennung nicht aus. 110.734 Menschen lebten Ende 2014 in Deutschland mit dem Status einer Duldung. Das heißt für Mustapha, dass er keine Aufenthaltserlaubnis hat und grundsätzlich ausreisepflichtig ist. Abgeschoben werden bedeutet, in Handschellen auf den Flughafen abgeführt und in ein Flugzeug gesetzt zu werden. Zurück in die Unsicherheit.  Aus Furcht, dass seine Adresse bekannt wird, möchte Mustapha nicht, dass der Name seines Dorfes genannt wird. Ob diese Furcht gefühlt oder real ist, macht keinen Unterschied. Furcht ist Furcht. Wenn man sie fühlt, dann wird sie zur Realität. Man muss aufpassen, dass sie einen nicht verschluckt. „Ich darf mir nicht vorstellen, wie es ist, wenn sie gehen müssen“, sagt Monika, „ich schiebe die Gedanken beiseite.“ „Immer wenn ich mit den Männern über die Zukunft spreche, bereue ich es hinterher“, sagt Brigitte. Wenn eine der Frauen länger wegfährt, sprechen sie sich vorher ab.  Mustapha zieht seine Jacke an, nimmt eine Mandarine und schließt die Haustüre hinter sich. Sechs provisorische Namensschilder kleben darauf. Im Türrahmen die Segensbitte der Sternsinger: C+M+B 2015. Er geht spazieren, Richtung Sportplatz. Ein Hochhaus ragt aus der flachen Landschaft. Es sollte mal ein Hotel werden. Heute befinden sich darin Sozialwohnungen. Es sei für ihn schwer, auf die Hilfe anderer angewiesen zu sein. Zu Hause in Gambia hatte er ein eigenes Leben, Arbeit. Im Großhandel. Mit dem Verlassen seines Landes hat er auch ein Stück seiner Identität verloren.  „I like it here“, sagt Mustapha. Ihm gefallen die Häuser und Vorgärten mit Schaukeln und Rutschen. Es ist ein kalter Januartag. Wüsste man es nicht besser, könnte man denken, es seien Musterhäuser, ohne Bewohner. An einer Kreuzung weiß er nicht, ob er weitergehen oder umkehren soll. Wenn er den gleichen Weg durch die Siedlung zurückginge, stünden manchmal Leute im Fenster. „Sie kennen mich nicht.“ Einige hätten vielleicht noch nie einen Schwarzen gesehen. Er wolle sie nicht erschrecken. Und so geht er die große Runde. Ein Stück am Wald entlang.  Im Haus ärgert sich Alex, dass Mustapha ihn nicht geweckt hat. Der schmale Mann im Kapuzenpullover ist 28. Er wirkt jugendlicher, offener. Auf die Frage, wie es für ihn sei, mit den anderen im Haus zu leben, antwortet er mit einem Bild: „Nur weil die Zunge manchmal an die Zähne stößt, bedeutet es nicht, dass sie nicht zusammenleben können.“ Eigentlich seien nur drei von ihnen regelmäßig hier. Der Älteste, Saja, verstehe kaum Englisch und sei immer besorgt. Er wolle zurück in die Heimat, seine Familie komme nicht ohne ihn zurecht, es sei jedoch sehr schwer. Die zwei anderen, Lamin und Yaya, wohnten meistens bei Freunden in der Stadt.  Für Alex dagegen ist es wichtig, Zeit mit...



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