E-Book, Deutsch, Band 17, 411 Seiten
Reihe: Hauptkommissar Stahnke
Gerdes Verrat verjährt nicht
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-8392-7004-2
Verlag: Gmeiner-Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Oldenburg-Krimi
E-Book, Deutsch, Band 17, 411 Seiten
Reihe: Hauptkommissar Stahnke
ISBN: 978-3-8392-7004-2
Verlag: Gmeiner-Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Peter Gerdes, 1955 geboren, lebt in Leer (Ostfriesland). Er studierte Germanistik und Anglistik, arbeitete als Journalist und Lehrer. Seit 1995 schreibt er Krimis und betätigt sich als Herausgeber. Seit 1999 leitet Peter Gerdes die »Ostfriesischen Krimitage«. Seine Krimis 'Der Etappenmörder', 'Fürchte die Dunkelheit' und 'Der siebte Schlüssel' wurden für den Literaturpreis 'Das neue Buch' nominiert. Mit seiner Frau Heike betreibt der Autor die Krimi-Buchhandlung »Tatort Taraxacum« in Leer.
Autoren/Hrsg.
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1.
Heute
Jedes Mal, wenn sie zustach, spürte sie diesen wohligen Schauder. Wie die pralle Haut unter ihrer Klinge knarrte, wie sich der Schnitt klaffend öffnete, wie das weiche Innere hervordrängte! Als würde sie einen Froschmann sezieren. Oder einen Orca schlachten.
Sie blickte hoch. Die polierte Oberfläche der Kühlschranktür zeigte ihr Spiegelbild. Hohe Wangenknochen, starkes Kinn, blaue Augen, Lockenmähne. Die vollen Lippen ihres breiten Mundes waren zu einem spöttischen Grinsen verzogen. Olivia Dressel, die Spottdrossel, den Spitznamen hatte sie sich redlich verdient. Sich selbst nahm sie dabei nicht aus. Nicht einmal beim Würfeln einer Aubergine hatte sie ihre Fantasie im Griff!
Aubergine, Zucchini, Knoblauch, Kräuter und Harissa, ab damit ins heiße Olivenöl. Schon wieder mediterrane Gemüsepfanne! Das Fleisch blieb im Gefrierfach. Nächstes Jahr wurde sie 40, da hieß es aufpassen. Momentan war sie zwar ganz zufrieden mit ihrem kraftvollen Körper und seinen Rundungen, aber mehr durften es nicht werden. Deshalb hatte sie für den Nachmittag auch zwei Stunden Fitnessstudio angesetzt. Ihre Zeitungsseiten waren schon zu, ihr Arbeitszeitkonto war übervoll; ein guter Tag, um Überstunden abzubummeln.
Beim dritten Bissen summte ihr Smartphone. Direkt neben ihrem Teller, da lag es immer. Falls die Redaktion anrief. So wie jetzt. »Was gibt’s denn noch, Marco?«
»Guten Appetit! Na, was isst du gerade, blutiges Büffelsteak, selbst geschossen?« Kollege Marco Rosenfeld klang am Telefon viel selbstsicherer als im wahren Leben. Ein echter Telefonmensch, wie geschaffen für den Redakteursjob, der immer häufiger am Schreibtisch stattfand.
»Schieß mal selber los«, entgegnete sie, ungeniert kauend. »Du versaust mir doch wohl nicht den Nachmittag, mein Kleiner?« Ihr Kollege war einen Kopf größer als sie, aber in ihrer Gegenwart schien er immer zu schrumpfen; dabei gab er sich doch so hartgesotten, recherchierte selbst die übelsten Mordfälle, so wie neulich den Tod des dealenden Nazi-Rockers mit der aufgeschlitzten Kehle. Hinter seinem Notizblock schreckte er vor nichts zurück, dachte Olivia amüsiert. Alles Fassade! Schade eigentlich, Marco war ein ganz leckeres Kerlchen, und dass er erst Mitte 20 war, störte sie nicht im Geringsten. Aber ein bisschen selbstbewusster mussten ihre Männer schon sein. »Ich muss mich an etwas reiben können, um mich an jemandem zu reiben«, hatte sie das mal ausgedrückt, in der Kneipe, unter Frauen und nach dem dritten Glas Weißwein.
»Nee, natürlich nicht. Ist nur eine Kleinigkeit.« Marco druckste herum. Damit fiel er bei ihr schon wieder durchs Raster. »Ist auch nur, weil du doch momentan die Ostfriesland-Seiten machst. Da kam gerade eine Meldung aus Völlen rein, die muss noch zu morgen mit.«
»Na und? Dann stell sie doch rein.« Sie ließ ihn zappeln. »Rechts auf der Zwei, die Meldungsspalte, da stehen unten die DRK-Termine. Schmeiß die raus und stell die Meldung oben drüber. Ist doch kein Ding. Morgen schreibe ich einen Nachdreher.« Ihre Zeitung, die Regionale Rundschau in der alten Residenzstadt Oldenburg, war gerade dabei, ihren Beritt in Richtung Küste auszudehnen, weil das Leeraner Blatt den jahrzehntealten Kooperationsvertrag gekündigt hatte. Das bedeutete Krieg, deshalb hatte sich Olivia auch gleich für die neue Position gemeldet. Freie Hand und Konkurrenzkampf, so etwas liebte sie.
»Ja nee.« Ihr Kollege gab sich einen hörbaren Ruck. »Wir brauchen ein Foto, und von den freien Fotografen, die wir dort haben, hat keiner Zeit. Von uns hier in der Zentrale auch nicht.«
»Wie, und jetzt soll ich extra in die Sümpfe fahren, bloß, um ein Foto zu knipsen? Wovon denn überhaupt?« Sie schaufelte sich Gemüse in den Mund, soviel nur hineinpasste. Das Zeug schmeckte wirklich gut. Außerdem war ihr Widerstand in Wahrheit längst gebrochen. Also schnell hin, schnell fertig, dann blieb vielleicht noch Zeit für das Studio. Oder für ihr Boot, dort musste sie auch mal wieder nach dem Rechten schauen.
»Anschlag auf den Gedenkstein vor der Kirche«, sagte Marco.
Olivia prustete Auberginenstücke auf ihren Teller. »Wie bitte? Hat jemand das Ding in die Luft gejagt? Das hättest du gleich sagen sollen.«
»Nein, keine Bombe, aber ein Farbanschlag. Immerhin. Du weißt, das Ding ist sowieso brisant, seit die Sache mit diesem Johann Niemann aufgeflogen ist. Deswegen brauchen wir unbedingt ein Foto, die Fakten haben wir schon zusammen. Also, was ist? Nagelst du eben runter mit deinem Organspendermobil? Foto kannst du online schicken. Danach hast du frei.«
»Natürlich online! Das sagst du doch bloß, damit ihr mir die Rückfahrt nicht als Arbeitszeit berechnen müsst.« Sie nahm ihren Teller und stellte ihn auf die Spüle. »Und mach mir mein Moped nicht schlecht, verstanden? Wenn ich das nicht hätte, würdest du bei mir auf Granit beißen.«
»Moped! Selten so eine schamlose Untertreibung gehört. Höllenmaschine passt wohl eher.« Marcos Stimme war die Erleichterung anzuhören.
Sie musste lachen. »So was kann nur ein Weichei sagen. Sorry, nichts für ungut, aber – Weichei! Lass dich doch in die Gartenredaktion versetzen, oder hast du etwa vor Harken Angst? Die sind vorne ebenfalls aus Metall.«
»Nein, danke, ich bleibe bei meinen weichen Themen«, parierte Marco. »Solchen wie dieser ultrarechte Parteifunktionär, der gestern gegen eine Mauer gerast ist, weil sein Wagen die komplette Bremsflüssigkeit verloren hatte. Der ist jetzt butterweich, das kannst du mir glauben.«
Olivia lachte entzückt. »Oho, Marco! Willst du etwa doch noch auf Mann umschulen?«
Er lachte mit, gutmütig, wie er war. »Schönen Dank auch! Und treib’s nachher nicht zu doll, nicht, dass mir Klagen kommen.«
»Wenn ich es irgendwo treibe, kommen nie Klagen.« Sie alberten noch ein bisschen herum, während Olivia sich in ihre Lederjacke zwängte. Die Lederhose trug sie bereits, die war einfach schick, wenn auch etwas warm im Sommer. Aber was tat man nicht alles für ein paar bewundernde Blicke.
Sie beendete das Gespräch und trat aus der Tür. Hinaus in die grüne Hölle. Ihr kleines Siedlerhäuschen in Drielake hatte über 1.000 Quadratmeter Garten, viel zu viel für ihren Geschmack. Wenn sie mit Mähen und Schnippeln an einem Ende fertig war, konnte sie am anderen direkt wieder anfangen. Meistens tat sie das nicht, was die Sache nicht einfacher machte. Zum Glück hatte sie tolerante Nachbarn. Das Kifferpärchen rechts lobte sie sogar für ihren »Naturgarten«, während deren eigener an eine Müllkippe erinnerte. Und der alte Schulte links, der schon ewig dort wohnte und dessen Garten immer aussah wie geleckt, stutzte sogar die kleine Trennhecke auf ihrer Seite mit. Als Nachbar war der Mann ein Glücksfall, weil er nicht nur von Pflanzen, sondern auch von Motoren etwas verstand. Auf dem Weg zu ihrem Carport sah sie ihn drüben werkeln und winkte ihm zu.
Im Carport stand ihr roter Alfa Romeo Spider, klein und niedrig und so weit wie möglich hinten rechts in die Ecke gedrängt, als fürchte er sich vor dem anderen Fahrzeug, mit dem er sich den Unterstand teilen musste. Einem Klotz aus schwarzem Metall, der das Auto deutlich überragte, mit obszön unverkleideter Maschine und blanken Luftansaugstutzen, die wie Kanonenrohre aussahen. Die Yamaha V-Max, seinerzeit das erste Serienmotorrad auf dem deutschen Markt mit mehr als 100 Pferdestärken. Sogar mehr als 100 Kilowatt! Inzwischen war das keine Seltenheit mehr, aber dieses Monstrum mit seinen 262 Kilo Gewicht hatte einst den Bann gebrochen.
Sie stülpte den knallroten Helm über ihre Mähne und glitt in den Sattel. Dröhnend und fauchend erwachte der Motor zum Leben. Sanft gab sie Gas, ließ die Maschine niedertourig über den Hemmelsbäker Kanalweg rollen, um keinen Nachbarn vom Sofa zu scheuchen; hier am Stadtrand hielt man sich noch an die Mittagsruhe bis 15 Uhr. Erst hinter dem Bahnübergang gab sie kurz mehr Gas – und steckte sofort im dichten Stadtverkehr fest. Mit einem wirklichen Moped hätte sie sich jetzt zwischen den Autos hindurchgeschlängelt. Mit dem Monster tat sie das lieber nicht. Nicht hier, wo man sie kannte.
Statt sich durch die Innenstadt zu quälen, schlug sie den Weg zur Autobahn ein, nahm die Auffahrt Oldenburg-Ost, fuhr bis Eversten/Bloherfelde und nahm dann die B401, die in Hundsmühlen auf den Küstenkanal traf. Ab hier ging es mehr oder weniger geradeaus bis zur Abzweigung nach Papenburg. Trotz der Geschwindigkeitsbeschränkungen, an die sie sich weitgehend hielt, fuhr Olivia diese Strecke gern. Vor allem wegen des Kanals, dessen Wasser linker Hand immer wieder durch Baumreihen blitzte. Hin und wieder kam ein Motorboot in Sicht, dann reckte sie den Hals. Meist aber waren es behäbige Rentnerpötte, hoch und breit und mit allem Komfort. Olivia liebte es auch auf dem Wasser deutlich rasanter. Ihr eigenes Boot im Oldenburger Jachthafen legte Zeugnis davon ab.
Kurz vor der Abzweigung des Elisabethfehnkanals kam ihr ein niederländisches Binnenschiff entgegen, so groß, wie es gerade noch durch die Schleusen passte, hoch beladen mit Containern, einige davon knallbunt, die meisten matt und rostig. Wie hatten diese Blechbüchsen die Seefahrt verändert, weltweit, auf den Ozeanen wie auf den Flüssen und Kanälen! Albert Schulte, ihr netter alter Nachbar, schwärmte oft von den Zeiten, als Stückgut noch Stückgut war und mit Kran und Karre gelöscht wurde, als die Schiffsbesatzungen zahlreich und die Hafenarbeiter noch weit zahlreicher waren. Aus, vorbei, komplett umgekrempelt. Containerhäfen glichen heute Geisterstädten, arbeiteten dafür rund um...