E-Book, Deutsch, Band 3, 312 Seiten
Reihe: Milena-Proháska-Krimi
Gercke Wo es wehtut
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-7099-3748-8
Verlag: Haymon Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ein Milena-Proháska-Krimi
E-Book, Deutsch, Band 3, 312 Seiten
Reihe: Milena-Proháska-Krimi
ISBN: 978-3-7099-3748-8
Verlag: Haymon Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
MILENA PROHÁSKA LIEBT DIE GEFAHR - UND DIE GEFAHR LIEBT MILENA PROHÁSKA
Milena hat es nach Kiew verschlagen, wo sie für den Bundesnachrichtendienst arbeitet. Doch Milena steht im Verdacht, ein doppeltes Spiel zu treiben: Man vermutet, dass sie nicht nur für Deutschland und die Ukraine, sondern auch für Russland arbeitet. Den Auftrag, der Sache auf den Grund zu gehen, erhält ausgerechnet Beringer - jener Mann, der sich nach Kräften bemüht, seine Milena zu vergessen, die ihn wenig zuvor verlassen hat. Nun soll er, der Milena einst so nahe war wie kein anderer, seine Beziehung zu ihr wieder anknüpfen, um mehr zu erfahren.
LIEBESGRÜSSE AUS KIEW - SCHAUPLATZ ZWISCHEN BOMBENHAGEL UND TERRORANSCHLÄGEN
Chaotische Zustände empfangen Beringer in Kiew - es herrscht Krieg auf den Straßen, die Regierung hat die Kontrolle verloren. Immer wieder gibt es Anschläge, Entführungen sind an der Tagesordnung. Die Zukunft der verarmten Bevölkerung steht in den Sternen. Mitten in all dem Chaos kümmert sich die Stiftung des idealistischen Amerikaners Bill um verwahrloste Kinder in Kiew. Bill gewinnt schnell sowohl Milenas als auch Beringers Sympathien - doch kann man ihm wirklich trauen?
VERFÜHRERISCHE KRIMISPANNUNG MIT BLICK AUF DIE SCHATTENSEITEN DER GESELLSCHAFT
Unterhaltung mit Anspruch: Schonungslos prangert Doris Gercke in ihren Kriminalromanen Missstände und politische Doppelmoral an. Sie zeigt, wie brutal die sogenannte Demokratie sein kann, dass Menschen für ihren eigenen Vorteil über Leichen gehen, der Teufel nie schläft, wie verschwommen die Grenze zwischen Gut und Böse ist und wie verführerisch die Gefahr sein kann.
"Doris Gercke ist zurück - und besser denn je. So lange habe ich auf ein neues Buch mit Milena Proháska gewartet, und es hat sich gelohnt!"
"Kritisch, klug, spannend - Doris Gercke ist meine Lieblingskrimiautorin, weil ihre Krimis nicht nur wahnsinnig mitreißend sind, sondern auch eine politische Position beziehen."
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Z. / Wiesbaden
Es ist ein gewöhnlicher Sonntag Ende Oktober. Ronny ist zum Frühstück gekommen, wie häufig. Von den Fliederbüschen im Garten sind die Blätter endgültig abgefallen; in der Nacht hat es den ersten Frost gegeben. Ronny verbreitet sich über die Erkenntnisse, die er durch seine frühe Zeitungslektüre gewonnen hat. „Kiew“, sagte er, man müsste jetzt nach Kiew. „Das stell’ ich mir interessant vor.“ Beringer lächelt belustigt. Ihn amüsiert Ronnys Übereifer. Es ist alles wie sonst. Dann klingelt das Telefon, und vier Tage später ist Beringers Leben vollkommen aus den Fugen geraten. Er war zum Telefon gegangen, von Ronny beobachtet, dessen Neugierde zu zügeln Beringer längst aufgegeben hatte. Er hatte dem Anrufer eine Weile zugehört, „in Ordnung“ gesagt und den Hörer aufgelegt. Die Sonne schien auf den Frühstückstisch, als er zurückkam. Die Bestecke glitzerten, die silbernen Eierbecher glitzerten, der Deckel auf dem Honigglas glitzerte, und das alles war nichts gegen das Glitzern in Ronnys Augen. „Z.“, sagte er, „das kann nur Z. gewesen sein. Das letzte Mal hat er sich auch an einem Sonntag gemeldet …“ Es hatte keinen Sinn, vor Ronny etwas geheim zu halten. Unwillkürlich dachte er zurück an die Zeit, in der er Ronny kennengelernt hatte. Er, Beringer, hatte damals jeden Abend, kalt, aber innerlich rasend vor Rachegefühlen, in der Blauen Lagune gesessen und die Leute beobachtet. Rachegefühle, ja, die hatten ihn damals beherrscht. Er, hochdekorierter Kriminalist, als Spezialist von Europol geschätzt, noch nicht einmal fünfzig, körperlich und geistig in bester Verfassung, hatte sich von einem skrupellosen, dämlichen Drogendealer berufsunfähig schießen lassen. Natürlich hätte er auch mit einem zerschossenen Knie weiterarbeiten können. Aber er hatte nicht weitergearbeitet, als man ihn aus dem Krankenhaus, aus der Reha entließ. Er wollte nicht weiterarbeiten. Er wollte den Scheißkerl kriegen, und deshalb hatte er Nacht für Nacht in der Blauen Lagune gesessen und gewartet. In der weiteren Umgebung der Lagune hatte bei der missglückten Festnahme der Schusswechsel stattgefunden. Hier würde der Kerl wieder auftauchen. Hier würde er ihn kriegen. Blaue Lagune, so nannten sie auf dem Land die Tankstelle, der das große Bistro angeschlossen war und deren Dächer mit blauem Neonlicht eingefasst waren. Wenn man nachts durch das finstere Niedersachsen fuhr und das blaue Licht tauchte auf, dann war diese Beschreibung gar nicht so unpassend. Er hatte nachts in der Lagune gesessen und sich die Zeit damit vertrieben, die Einheimischen von den Durchreisenden zu unterscheiden. Er bildete sich ein, er könnte ihnen ansehen, dass sie alle das blaue Licht angelockt hatte. Nun saßen sie da und warteten darauf, dass die Verheißungen, auf die sie von fern gehofft hatten, wahr würden. Stattdessen gingen die Einheimischen, wenn die Nacht vorüber war, angetrunken und enttäuscht nach Hause. Die, die mit dem Auto unterwegs waren und von weiter her kamen, fuhren mit sehnsüchtigen Augen in die Nacht und suchten nach der nächsten Lagune. Vielleicht wartete ja dort das große Abenteuer auf sie. Eines Abends war plötzlich Ronny neben seinem Tisch gewesen. Er hatte ihn nicht kommen sehen. Er musste schon länger dort gestanden haben, und als sein Blick ihn traf, hatte er schüchtern gelächelt. Er war noch einen Schritt näher getreten, und ein merkwürdiger Dialog hatte sich zwischen dem Jungen und ihm entwickelt. Ronny war damals, vielleicht, fünfzehn gewesen, lang und dünn, zu lang für sein Alter, mit zu großen Händen und Füßen, mit langen, dunklen Haaren und großen Augen in einem blassen Stubenhockergesicht. Wahrscheinlich war ihm ihr erstes Gespräch deshalb im Gedächtnis geblieben, weil dieser Dialog damals dazu beigetragen hatte, dass er sich für einen Fünfzehnjährigen zu interessieren begann, was ihm sonst sicher ferngelegen hätte. „Ja?“, hatte Beringer gesagt, als der Junge näher getreten und dann stehengeblieben war. „Sie sind Kommissar“, hatte der geantwortet und geschwiegen. Es war eine Feststellung gewesen, keine Frage. „Ich war Kommissar“, hatte Beringer geantwortet. „Kommissare müssen vorsichtig sein“, war das Nächste gewesen, was der Junge gesagt hatte. „Weshalb glaubst du das?“, hatte er gefragt und dabei überlegt, ob er das merkwürdige Gespräch abbrechen sollte. Der Junge hatte nicht geantwortet, war nur neben dem Tisch stehengeblieben und hatte ihn weiter angestarrt. „Haben Sie Ihre Waffe immer dabei?“, wollte er dann wissen. „Ich bin nicht mehr im Dienst“, hatte er geantwortet. „Das hab’ ich doch schon gesagt.“ Und der Junge hatte gesagt: „Das wollte ich nicht wissen. Ich hatte Sie nach Ihrer Waffe gefragt. Ich könnte mir denken, dass Sie sie noch einmal brauchen werden. Ich wollte nur wissen, ob Sie der gleichen Meinung sind wie ich. In dieser Sache. Nur in dieser Sache. In vielen anderen Dingen werden wir vermutlich unterschiedliche Ansichten haben. Das ist eine Generationenfrage. Obwohl ich eigentlich nicht viel von diesem Generationentheater halte. Bei den Problemen, die die Leute miteinander haben, geht es wohl darum zuletzt.“ Der Junge stand noch immer neben seinem Tisch, so, als warte er auf etwas. Er fühlte sich unbehaglich, und nur, um etwas zu sagen, fragte er: „Und was machst du tagsüber?“ „Sie meinen, was ich arbeite“, hatte der Junge geantwortet, und Beringer sah deutlich, dass er errötete. Seine Stimme allerdings blieb gleichmütig wie zuvor. „Jeder findet irgendwann das, was für ihn das Richtige ist“, hatte er geantwortet. „Bei manchen dauert es nur länger. Aber ich bin bald so weit, das weiß ich.“ So hatten sie sich kennengelernt, vor dreizehn oder vierzehn Jahren. Inzwischen hatte Ronny sein Jura-Examen glänzend bestanden. Er hätte auch zur Kriminalpolizei gehen können. Milena und er hätten seine Ausbildung finanziert. Ronny aber bewunderte Milena und hatte sich deshalb für ihren Beruf entschieden. Milena. Was für eine wunderbare Frau war sie gewesen, als er sie kennengelernt hatte: jung und voller Elan, mit wilden, roten Haaren, klug und schön und vollkommen fehl am Platz als Bedienerin in dieser Blauen Lagune; wie ein Edelstein unter Sandkörnern. Als Strafverteidigerin war sie gerade gescheitert, aber sie hatte ihr Leben trotzdem im Griff. Er aber, besessen von seinen Rachegelüsten, hatte sie nicht einmal bemerkt, bis sie ihn um Hilfe gebeten hatte … Er hatte ihr geholfen, ja, aber nur, um sie anschließend für seinen Rachefeldzug einzuspannen. Ja, auch als sie sich später zusammengetan und eine erfolgreiche Kanzlei geführt hatten, war er niemals bereit gewesen, sie bedingungslos zu lieben, wie sie es von ihm erwartete. Als sie dann verschwunden war, hätte Ronny sich geweigert, ihre Stelle einzunehmen, auch wenn Beringer ihn darum gebeten hätte. Das tat er nicht, aus verschiedenen Gründen, sicher auch, weil er ahnte, dass Ronny ablehnen würde, aber hauptsächlich deshalb, weil er nicht dort weitermachen wollte, wo die gemeinsame Arbeit mit Milena zu Ende gegangen war. Die Erinnerung daran hatte er gemieden. Ronny und er waren trotzdem Freunde geblieben. ‚Soweit man mit mir befreundet sein kann‘, dachte er. ‚Kann sein, er ist nur deshalb noch hier, weil ich ihn nie danach gefragt habe, weshalb er nicht arbeitet. Mit seiner Examensnote hätte er jederzeit in eine gute Kanzlei einsteigen können.‘ In Wirklichkeit war es so, dass Ronny noch immer hoffte, Milena würde zurückkommen und sie könnten die gemeinsame Arbeit dort wieder aufnehmen, wo sie sie beendet hatten. Darauf wartete er und dafür wollte er frei sein. So weit aber ging Beringer, wenn er über Ronny nachdachte, was eher selten vorkam, in seinen Überlegungen nicht. Sie hätten ihn zu sehr an seine eigenen Wünsche erinnert. Z. war tatsächlich am Telefon gewesen. Ronny würde den Bürodienst übernehmen, solange Beringer in Wiesbaden zu tun hätte. Sie frühstückten dann, das heißt Ronny frühstückte, während er Beringer damit unterhielt, das Neueste über das BKA, Z. und Wiesbaden zu erzählen. Im Gegensatz zu Beringer war Ronny Zeitungsleser. Er kaufte die Zeitungen nicht, sondern er stahl sie, wenn er kein Geld hatte, um sich im Café niederzulassen und dort die Zeitungen durchzusehen. Im Hinterzimmer seines Lieblingscafés war es erlaubt zu rauchen, und manchmal, wenn Ronny ein paar Stunden lang die Zeitungen studiert hatte, roch man an seiner Kleidung, wo er gewesen war. „Z.“, sagte er. „Interessant, mit welchen Leuten Sie befreundet sind.“ Während er sprach, war er intensiv damit beschäftigt, ein hartes Ei in Viertel zu zerlegen. Er sah nicht auf. „Ich hab’ mit ihm zusammen Abitur gemacht“, sagte Beringer, „von Freundschaft kann nicht die Rede sein.“ „Ich dachte nur … Sonntagsanrufe … jedenfalls hat Ihr“, er zögerte und setzte neu an, „jedenfalls hat Ihr Abiturfreund Probleme. Er war gerade zum vierten Mal vor den Untersuchungsausschuss des Bundestags zur NSU-Affäre geladen und nach allem, was man liest, lügt er dort wie gedruckt.“ Beringer sah Ronny an, der noch immer nicht aufblickte. Der junge Mann ihm gegenüber war achtundzwanzig Jahre alt, seine Haare waren zu lang, seine Augen waren von dunklen Rändern umgeben, und er roch nach Rauch. Die Augenränder hatten damit zu tun, dass Ronny sich im Milieu herumtrieb. Es gab keine Kneipe in der Hafengegend, die er nicht kannte. Er...