George | An jenem Tag in Paris | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 400 Seiten

George An jenem Tag in Paris

Roman
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-492-99811-6
Verlag: Piper Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, 400 Seiten

ISBN: 978-3-492-99811-6
Verlag: Piper Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Ein Tag in der Stadt der Lichter. Eine Nacht auf der Suche nach der verlorenen Zeit. Paris, 1927. Eine Stadt, die von berühmten Künstlern, Schriftstellern und Musikern wimmelt, ein wahrer Schmelztiegel des Genies. Inmitten dieser schillernden Stadt ringen vier ganz normale Menschen mit ihren Geheimnissen: die ehemalige Haushälterin von Marcel Proust, die heimlich eines seiner Tagebücher behalten hat und es jetzt verzweifelt sucht; ein Journalist, der nicht aufhören kann, in den Gesichtern der Pariser nach etwas ganz Bestimmtem Ausschau zu halten; ein liebeskranker Künstler, dessen einzig geldbringendes Gemälde eigentlich unverkäuflich ist; und ein armenischer Flüchtling, der Tag für Tag ein ungewöhnliches Marionettentheater betreibt. Ihre Wege werden sich im Laufe eines einzigen Tages auf unvergessliche Weise kreuzen ... Dieses Buch ist eine Liebeserklärung an Paris, eine anspruchsvolle Erzählung auf höchstem Niveau und zugleich ein wunderschön betörendes und raffiniert geschriebenes Werk, in dem Gertrude Stein, Josephine Baker und Ernest Hemingway zur Abwechslung einmal die Nebenrollen spielen. Perfekt für die Leser von Christy Lefteri und Anthony Doerr!  »Faszinierend ... Indem er fiktive Charaktere und historische Figuren mit der gleichen Lebendigkeit heraufbeschwört und sich wiederholende Motive klug einsetzt, vereint George seine Erzählstränge in einer überraschenden und doch völlig überzeugenden Auflösung. Elegant und eindringlich, wird dieses Buch einen besonderen Reiz für Paris-Liebhaber und Fans von Paula McLains ?Madame Hemingway? haben.« Publishers Weekly »Was für ein Konzept! George springt gekonnt zwischen verschiedenen Plots hin und her und führt sie im Laufe des Abends immer näher zusammen. Der Zunder ist gelegt und das Feuer wird entfacht, während die Handlung im ausgelassenen Nachtleben von Montmartre gipfelt.« The New York Times »Ein aus dem Feuer gezogenes Notizbuch, ein vermisstes Kind, eine belastende Schuld, eine traumatische Erinnerung: Aus diesen Elementen entwirft Alex George meisterhaft eine Geschichte von verzweifelten, trauernden Menschen, die Trost, Erlösung und Antworten auf die Fragen suchen, die sie plagen. Wie Anthony Doerrs ?Alles Licht, das wir nicht sehen?, zeichnet ?An jenem Tag in Paris? die Brutalität des Krieges und seine anhaltenden Nachwirkungen mit filmischer Intensität nach. Das Ende wird Sie sprachlos machen.« Christina Baker Kline, Autorin des Bestsellers »Der Zug der Waisen« »George schreibt ergreifend über menschliche Beziehungen, über verlorene und wiedergefundene. Seine lebendige Schilderung der Leben, die sich im Paris des frühen 20. Jahrhunderts kreuzen, wird Sie mit seiner Poesie begeistern und mit seiner Menschlichkeit berühren. Die Hauptfiguren sind so schön gezeichnet, dass sie Ihnen noch lange nach dem Ende der Geschichte im Gedächtnis bleiben werden.« Melanie Benjamin, Autorin von »Die Königin des Ritz« »Eine vollkommen fesselnde Geschichte! Alex George beschwört auf brillante Weise eine Zwischenkriegswelt voller unvergesslicher Figuren herauf. Ein Buch mit Paris als Herzstück, das ich gelesen habe ohne innezuhalten, weil ich unbedingt herausfinden wollte, ob diese wunderbaren Figuren dem Schmerz ihrer Vergangenheit würden entkommen können.« Will Schwalbe Der gebürtige Engländer Alex George studierte Rechtswissenschaften an der Universität Oxford. Als Jugendlicher ging er in den nördlichen Vororten von Paris zur Schule, später arbeitete er als Wirtschaftsanwalt in Paris und London. Mittlerweile lebt er mit seiner Familie im Mittleren Westen der Vereinigten Staaten. Er ist Gründer und Leiter des »Unbound Book Festival« und Inhaber einer unabhängigen Buchhandlung in der Innenstadt von Columbia, Missouri.

Der gebürtige Engländer Alex George studierte Rechtswissenschaften an der Universität Oxford. Als Jugendlicher ging er in den nördlichen Vororten von Paris zur Schule, später arbeitete er als Wirtschaftsanwalt in Paris und London. Mittlerweile lebt er mit seiner Familie im Mittleren Westen der Vereinigten Staaten. Er ist Gründer und Leiter des »Unbound Book Festival« und Inhaber einer unabhängigen Buchhandlung in der Innenstadt von Columbia, Missouri.
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Kapitel 5


Passacaille I


Jeden Morgen rettet das Klavier Souren Balakian aus seinen Träumen.

Die immer gleichen leisen Töne holen ihn langsam weg von all dem, was er hinter sich gelassen hat. Die Geister, die seinen Schlaf heimsuchen, werden von der Musik vertrieben, die durch den Boden aus der Wohnung unter ihm aufsteigt. Er öffnet die Augen.

Die Werkbank auf der anderen Seite des Raums. Die leeren Blicke der Puppen an der Wand. Erleichtert schnappt er nach Luft.

Sein Kopf fällt zurück auf das Kissen, während die Musik über ihn hinwegstreicht.

Die erste Melodie erhebt sich aus den Tiefen des Klaviers, kaum mehr als ein Flüstern. In der würdevollen Prozession einzelner zarter Noten schwingt schwere Melancholie mit. Jeden Morgen fragt sich Souren, was der Komponist wohl durchlebt hat, um solche Traurigkeit aus sich herauszuholen.

Und dann dringt ein leuchtender Sonnenstrahl durch die dunklen Wolken. Eine neue Melodie setzt ein, hoch und klar und herzzerreißend. Auf sie wartet Souren. Sie durchbricht die dichter werdenden Schatten und hüllt sein Herz in Helligkeit.

Die grüblerischen Töne vom Anfang ziehen sich in den Hintergrund zurück. Die Musik besteht aus zwei ineinander verwobenen Melodielinien, die eine tief, die andere hoch, die eine traurig, die andere voller Hoffnung. Sie treffen aufeinander und trennen sich, Gegensätze aus Dunkelheit und Licht. Mal kommen sie in süßer Einigkeit zusammen, dann wieder nicht.

Schließlich kehrt die Musik zu ihren Ursprüngen zurück, diesem einfachen, verzweifelten Klagelied. Die linke Hand des Klavierspielers streckt sich zu den immer tieferen Tasten, bis er keine mehr anschlagen, keine Noten mehr spielen kann.

Stille breitet sich aus.

Souren liegt da und blickt zur Zimmerdecke. Das Scharren des Klavierschemels ertönt unter ihm. Einen Moment später dringen dieselben leisen Töne wieder durch den Boden. Er lauscht ein zweites und dann ein drittes Mal.

Der unsichtbare Pianist spielt nur dieses Stück. Keine Tonleitern, keine anspruchsvollen Etüden. Jeden Morgen kommt er in die Wohnung und spielt immer dasselbe.

Wenn Souren den Nachbarn von unten im Flur trifft, tauschen die beiden Männer ein höfliches Nicken aus, doch sie haben noch nie ein Wort miteinander gewechselt. Der Musiker ist ein kleiner Mann mittleren Alters, immer tadellos gekleidet. Von seinem akkurat gekämmten Haar bis zu den Spitzen seiner polierten Schuhe strahlt er unerschütterliche Eleganz aus, doch Souren weiß es besser. Sein überschaubares Repertoire verrät den inneren Vulkan.

Souren kennt die Sicherheit vertrauter Abläufe nur zu gut: Wie der Pianist absolviert er einen identischen Auftritt nach dem anderen. Tag für Tag erzählt er dieselben Geschichten. So überlebt er. Deshalb wird er später seine Puppen einpacken und die Stadt durchqueren bis zu seinem üblichen Platz im Jardin du Luxembourg unter den Kastanienbäumen. Dann wird er auf die Kinder warten.

Die Klaviertöne schweben weiter zu ihm empor. Die Melodie überwindet seine Mauern und nistet sich tief in ihm ein. Er fühlt den kummervollen Puls der leisen Noten tief in seinen Knochen. Die Musik belebt sein Blut, und er denkt an Thérèse – ihr weicher Körper unter seinem, ihr roter Mund auf seinen Lippen. Seit Monaten hat er sie nicht gesehen. Wenn das Publikum sich als großzügig erweist, wird er ihr heute Abend vielleicht einen Besuch abstatten.

Ein leises Geräusch, als der Pianist den Klavierdeckel schließt.

Souren geht zum Fenster und sieht hinunter auf die Straße. Vor dem Haus steht ein kleiner Brunnen. Das Wasser plätschert ungleichmäßig aus der Spitze der Steinsäule in der Mitte. Der Boden ist mit Münzen bedeckt, die abergläubische Passanten hineingeworfen haben. Von Sourens Fenster aus spiegelt sich in ihnen die Morgensonne, und sie schicken zwinkernd das Licht zu ihm nach oben.

Kurz darauf tritt der Pianist aus dem Haus, geht an dem Brunnen vorbei und über die Straße auf den gegenüberliegenden Gehsteig. Er trägt einen perfekt geschnittenen grauen Mantel und einen eleganten Hut. An seinem Hals blitzt etwas Dunkles auf, ein Seidenschal. Er geht gebeugt, als müsse er sich gegen starken Wind stemmen.

Die Musik dieses Mannes ist zu einem Teil von Sourens Morgen geworden, so essenziell wie die Sonne, die sich über die Dächer der Stadt erhebt. Die vertraute Melodie schenkt ihm einen Moment ruhiger Gnade, der ihm die Kraft für den vor ihm liegenden Tag gibt. Der Pianist weiß davon natürlich nichts. Er spielt nur für sich selbst. Souren fragt sich, wie sich die Erschaffung solcher Schönheit jeden Morgen auf den Tag des Mannes auswirkt. Der Pianist geht einsam die Straße entlang. Er wirkt müde, besiegt. Er spielt nicht aus Freude, denkt Souren, sondern um zu überleben.

Die darauffolgende Stille ist fast so süß wie die Musik. Noch ganz im Bann der verzaubernden Melodie setzt Souren sich an den Tisch.

Dann ertönt ein reizendes Echo: die tiefe, volltönende Stimme einer Frau, gefolgt von einer zweiten, die höher und lieblicher ist. Die Sängerinnen meistern die Klaviertonfolgen in perfektem Einklang. Ein Lied ohne Worte. Verschwunden ist die Melancholie. Jetzt ist die Musik wiedergeboren, voller Leben und berstend vor Hoffnung.

Souren räumt ein Ende des Tisches frei und deckt zwei Teller auf. Er wickelt dickes Wachspapier von einem Stück blassem Käse mit staubig grauer Rinde, beugt sich darüber und schnuppert. Ich habe einen neuen für dich gefunden, hat Augustin gestern Abend gesagt, als er in der fromagerie in der Rue des Martyrs vorbeigeschaut hatte. Einen Saint-Nectaire, aus der Auvergne. Ich denke, der wird dir schmecken. Souren legt den Saint-Nectaire zwischen die zwei Teller und wartet.

Ein paar Minuten später klopft es an der Tür.

Ein junges Mädchen steht im Flur. Sie trägt einen blauen Kittel und hat langes, dunkles Haar. Aus großen grauen Augen sieht sie zu ihm auf.

»Das errätst du nie!«, sagt sie aufgeregt.

»Bonjour, Arielle. Was?« Nach all den Jahren ist Sourens Französisch immer noch unbeholfen und vorsichtig. Diese Sprache ist voller grammatikalischer und redensartlicher Besonderheiten, selbst der einfachste Satz hält Fallen für die Unachtsamen bereit. Zumindest weiß er, dass seine junge Besucherin ihm seine Fehler nicht vorhalten wird.

»Maman hat zugestimmt, mich heute in den Jardin du Luxembourg mitzunehmen. Enfin!«

Souren lächelt. »Das sind sehr schöne Neuigkeiten.«

»Ich werde endlich dein Puppentheater sehen!«

»Ich mag unsere kleinen Vorführungen hier«, sagt Souren. »Sie erinnern mich an ein Mädchen, das ich früher mal kannte. Sie hieß Amandine.«

»Das ist aber nicht dasselbe«, erwidert Arielle. »Ich kann dich sehen. Und so soll das nicht sein.«

Souren neigt den Kopf und denkt darüber nach: Ihn zu sehen ist nicht richtig. Er bedeutet ihr, einzutreten. »Heute probieren wir etwas Neues.«

Arielle setzt sich an den Tisch und mustert den Käse. »Qu’est-ce que c’est?«

»Er heißt Saint-Nectaire«, sagt Souren, schneidet zwei Stücke ab und legt sie auf die Teller. »Sag mir, wie du ihn findest.«

Schweigend essen sie den Käse.

»Er riecht nicht so stark wie die anderen«, verkündet Arielle. »Kann ich noch ein Stück haben?«

Souren schneidet ihnen noch zwei Scheiben ab und wendet sich dann zu seiner Puppenwand. »Alors, wer darf es heute sein?«

Arielle überlegt einen Moment. »Die beiden.« Sie deutet auf einen Jungen und einen stattlichen Ritter. Souren nimmt die Puppen von ihren Haken und setzt sich wieder hin. Arielle isst ihren Käse und wartet.

Plötzlich kommen die Puppen unter der Tischplatte hervor und erwachen zum Leben. Der Ritter ist edel und gefasst, der Junge dagegen springt am Tischrand hin und her. Er möchte der Knappe des Ritters werden. Er bittet, er fleht. Arielle sieht hingerissen zu. Wenn du mein Page sein möchtest, sagt der Ritter, musst du deine Loyalität und deine Tapferkeit beweisen. Natürlich, natürlich, stimmt der Junge sofort zu. Und wie mache ich das?

Da klopft es an der Tür. Souren atmet erleichtert aus. Manchmal weiß er schon, wie eine Geschichte enden wird, und manchmal nicht.

»Herein!«, ruft er.

Die Tür wird geöffnet, und eine Frau tritt ein. Sie lächelt den beiden zu. »Wie ist der Käse heute?«, fragt sie.

»Maman, du unterbrichst schon wieder die Geschichte«, beschwert sich Arielle.

Ihre Mutter wirkt ungerührt. »Oh, Saint-Nectaire! Wie köstlich!« Sie steckt sich einen Käsekrümel vom Teller ihrer Tochter in den Mund. »Wir müssen heute sowieso Lebensmittel holen, Arielle. Vielleicht kaufen wir auch welchen für uns.«

»Ich habe euch beide heute Morgen singen gehört«, sagt Souren.

»Oh, ich hoffe, wir haben dich nicht gestört!«

»Überhaupt nicht. Ich höre euch sehr gern singen.«

Die Frau lächelt. »Eine wunderschöne Melodie, n’est-ce pas?«

»Ich hoffe, er wird sie für immer spielen«, stimmt Souren zu.

»Das wird er sicher, bis er etwas Neues schreibt.«

Souren runzelt die Stirn, unsicher, ob er sie richtig verstanden hat. »Bis er schreibt …?«

»Wusstest du das nicht? Er ist eigentlich kein Pianist. Er wäre der Erste, der das von sich weist. Er sagt, seine Hände sind zu klein.«

Souren denkt an den elegant gekleideten Mann und seine manikürten Finger. »Für mich klingt er wie ein Pianist.«

Sie schüttelt den Kopf. »Er ist Komponist. Sein Name ist Maurice Ravel.«

Souren hat noch nie von ihm gehört.

»En tout cas, man sagt, dass er seit Monaten keine einzige Note...



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