Gentinetta / Paech | Wachstum? | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 112 Seiten

Reihe: Streitfragen

Gentinetta / Paech Wachstum?


1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-86489-867-9
Verlag: Westend Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 112 Seiten

Reihe: Streitfragen

ISBN: 978-3-86489-867-9
Verlag: Westend Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Wachstum - große Gefahr oder einzige Lösung? Ob Wachstum den von der Menschheit eigens herbeigeführten Untergang der Welt bewirkt oder ganz im Gegenteil die einzige Lösung für die Probleme der Weltgemeinschaft bereithält, ist eine der umstrittensten Fragen unserer Zeit. Während Katja Gentinetta dafür plädiert, dass menschliches Handeln nicht einzig auf ein Überleben ausgerichtet sein darf, sondern sich vielmehr auf die größte Fähigkeit des Menschen rückbesinnen muss, die Welt durch seine Talente immer weiter zu verbessern, übt Niko Paech scharfe Kritik: Gerade das menschliche Streben nach Wachstum ist es, das unsere Welt ihrem Ende immer näher bringt, da die Menschheit durch ihre besinnungslose Ausrichtung an immer mehr Fortschritt und der dadurch ausgelösten Zerstörung kurz vor ihrem Ende steht. Wer sich eine kritische und fundierte Meinung zu den drängenden Fragen unserer Zeit bilden will, kommt an dieser Reihe nicht vorbei! Dr. phil. Katja Gentinetta, geboren 1968, ist politische Philosophin. Seit über 10 Jahren arbeitet sie als selbständige Publizistin und Universitätsdozentin. Sie ist Wirtschaftskolumnistin der NZZ am Sonntag und publiziert und referiert im In- und Ausland regelmäßig zu gesellschafts- und wirtschaftspolitischen Themen. Während je vier Jahren moderierte sie die Sternstunde Philosophie und die NZZ Standpunkte im Schweizer Fernsehen. Katja Gentinetta gehört zu den wichtigsten Stimmen der Schweiz. Prof. Dr. Niko Paech, geboren 1960, ist Volkswirt und habilitierte sich an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, wo er von 2008 bis 2016 den Lehrstuhl für Produktion und Umwelt innehatte. Derzeit forscht und lehrt er an der Universität Siegen im Studiengang 'Plurale Ökonomik'. Paech hat den Begriff der 'Postwachstumsökonomie' in Deutschland eingeführt und gilt als vehementer Verfechter der Wachstumskritik. 2014 wurde er mit dem ZEIT WISSEN-Preis 'Mut zur Nachhaltigkeit' ausgezeichnet.

Dr. phil. Katja Gentinetta, geboren 1968, ist politische Philosophin. Seit über zehn Jahren arbeitet sie als selbständige Publizistin und Universitätsdozentin, u. a. an der Universität Luzern im Lehrgang »Philosophy Politics Economics«. Sie ist Aufsichtsrätin zweier Mittelstandsunternehmen, Mitglied des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes sowie Präsidentin der Kulturinstitution »Stapferhaus« in Lenzburg. Sie referiert regelmäßig im In- und Ausland zu gesellschafts- und wirtschaftspolitischen Themen.

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Niko Paech: Wirtschaftswachstum als essentielle Bedrohung
Einführung
Und das ist es, was man sich im Zeitalter des Gigantismus vor Augen halten muss: die wirklich revolutionäre Alternative zu Kapitalismus, Imperialismus, Kommunismus, Nationalismus – zu Schwarz, Rot, Blau oder Braun – ist nicht Grün, sondern KLEIN. Leopold Kohr Der folgenreichste Irrtum, in den sich die menschliche Zivilisation jemals verrannt hat, entstammt nicht etwa grauer, von Aberglauben und Unaufgeklärtheit geprägter Vorzeit, sondern ist eine Kopfgeburt der Moderne, also eines Zeitalters der bedingungslosen Fortschrittsgläubigkeit. Demnach sei es möglich, durch Wissensvermehrung, Innovationskraft und technologische Perfektion aus dem materiellen Nichts einen Wohlstand zu erschaffen, der wundersamerweise selbst alles andere als immateriell ist. Was derlei Allmachtsphantasien, die sich in Narrativen wie dem vom vermeintlichen Produktivitätszuwachs widerspiegeln, lange überdauern ließ, ist ein simples Faktum. Die komplexe Mitwelt verfügt über viele Pufferkapazitäten, zeitigt immense Verzögerungseffekte, physische Umwandlungen sowie räumliche Verlagerungen, hinter denen sich jene Effekte verbergen lassen, die von technisch-industriellen Prozessen ausgelöst werden. Die räumliche Verteilung ökologischer Ursache-Wirkungs-Beziehungen überfordert nicht nur die menschliche Wahrnehmungsfähigkeit, sondern erschwert eine empirische Erfassung der Nebenwirkungen des modernen Lebensstils. So ließ sich leicht darüber hinwegtäuschen, dass ökonomischer Fortschritt seit Anbruch der ersten industriellen Revolution nichts anderes als Raubbau sein konnte, somit früher oder später in Chaos umschlagen würde, wenn die Substanz, von der er zehrt, unwiederbringlich verbraucht ist. Infolge einer besinnungslosen Ausrichtung an Wachstum und Technisierung hat die menschliche Zivilisation binnen kürzester Zeit ihre ökologische Überlebensfähigkeit eingebüßt. Von einem Mangel an Korrekturversuchen kann indes keine Rede sein. Allerdings unterwirft sich deren Gros einer strukturkonformen Logik, die zumeist als »ökologische Modernisierung«, »Green Growth« oder »Green (New) Deal« bezeichnet wird. In ihr offenbart sich eine vorgeblich geläuterte, nunmehr »nachhaltige« Steigerungsvariante, die zeitgenössischen Konsumgesellschaften als Alibi dafür dient, überfällige Anspruchsmäßigungen als unnötig zurückzuweisen. Tüchtiger Innovationseifer, so lautet das Credo, werde einen Wirbelwind an technologischen Problemlösungen heraufziehen lassen, der alle Nachhaltigkeitsdefizite vorangegangener Innovationswellen rückstandslos wegoptimiert, ohne den Insassen der Komfortzonen zumuten zu müssen, ihre Handlungen reduktiv zu ändern. Aber lassen sich die Folgen früherer Modernisierungsrisiken durch das Eingehen weiterer Risiken tilgen? Kann Feuer mit Benzin gelöscht werden? Interessanterweise sind es gerade viele der fieberhaft entwickelten Effizienz-, Energiewende- oder Kreislauf-Lösungen, die den materiellen Raubbau sogar intensivieren, indem sie bislang verschont gebliebene Naturgüter und Landschaftsbestandteile einer »grünen«, nichtsdestotrotz industriellen Verwertung zuführen. Dies zeigt beispielsweise der geplante Windkraftausbau im Odenwald, der dessen vollständigen landschaftlichen Zerstörung gleichkäme, genauso eindrucksvoll wie die Tesla-Ansiedlung im brandenburgischen Grünheide, die Lithium-Förderung in Bolivien, die Neodym-Gewinnung in China, die Elektroschrott-Lawine, die sich über den afrikanischen Kontinent ergießt, oder die Wasserkraftprojekte in Brasilien, Island oder der Türkei. Neben ökologischen Grenzen, die sich unüberwindbarer als je zuvor darstellen, decken die Lehman-Brothers- und die Coronakrise ökonomische Sollbruchstellen einer außer Kontrolle geratenen, zunehmend einsturzgefährdeten Wohlstandsarchitektur auf. Damit wird der Nachhaltigkeitsdiskurs um einen vormals kaum beachteten Aspekt erweitert: Resilienz als Fähigkeit der Gesellschaft, der Ökonomie, eines technischen oder sozialen Systems oder auch eines Individuums, (externe) Störungen zu verarbeiten, ohne die Überlebens- und originäre Funktionsfähigkeit zu verlieren. Eine dritte Fortschrittsblase, die ebenfalls geplatzt ist, betrifft den Zusammenhang zwischen der durchschnittlichen Lebenszufriedenheit und dem Ausmaß an verfügbaren Konsum-, Mobilitäts- und Technikoptionen. Längst ist von einer überforderten oder erschöpften Gesellschaft die Rede.1 Allerdings formieren sich inzwischen wachstumsskeptische Positionen unter Bezeichnungen wie »Bio Economy«2, »Steady State«3, »Degrowth«4, »Décroissance«5, »Decrescita«6 oder »Postwachstumsökonomie«7. Sie widmen sich genügsamen Versorgungsformen und Lebensstilen, die das Ziel der ökologischen Überlebensfähigkeit mit jenem der Resilienz und einer erstrebenswerten Lebensqualität koppeln. Als kritische Wissenschaftsdisziplin, die sich diverser Theoriezugänge bedient, ist daraus die Postwachstumsökonomik hervorgegangen. Sie stützt sich auf die Gesetze der Thermodynamik und bildet einen Bereich der Pluralen Ökonomik. Die Postwachstumsökonomik verneint eine systematische Vermehrbarkeit materieller Handlungsspielräume im endlichen System Erde: Jedes Mehr an materiellen Freiheiten wird zwangsläufig mit einem Verlust an nutzbaren Ressourcen und einer Zunahme ökologischer Schäden erkauft. Dies untermauert die Einsicht, dass ein sozial gerechter Zustand nur erreicht werden kann, wenn akzeptiert wird, dass die verfügbare Verteilungsmasse begrenzt ist. Denn wenn alles, was aus indus­trieller Spezialisierung resultiert, grundsätzlich nicht ohne ökologische Plünderung zu haben ist, bedarf der darauf gründende Wohlstand einer Begrenzung. Gleichwohl halten ausnahmslos alle politischen Kräfte trotz einer sich dramatisch verschärfenden Umweltkrise, insbesondere den Klimawandel und den Schwund an Biodiversität betreffend, am Wachstumsdogma fest. Begründet wird dies damit, dass es längst möglich sei, Wachstum in ökologisch harmlose Bahnen zu lenken. Im Folgenden sollen die Versuche dekonstruiert werden, Wirtschaftswachstum durch eine Umlenkung oder Entkopplung von seiner materiellen Substanz dergestalt zu transformieren, dass es sich als nunmehr »qualitatives« bzw. »grünes« Wachstum weiterhin legitimieren ließe. Sodann werden die Konturen der Postwachstumsökonomie in den Blick genommen. I Lässt sich Wachstum durch Umsteuerung entschärfen?
Die Kontroverse zwischen Befürwortern eines »qualitativen« oder »grünen« Wachstums auf der einen und wachstumskritischen Positionen auf der anderen Seite kreist zuvorderst um die Frage, ob es systematisch gelingen kann, Zuwächse des Bruttoinlandsproduktes (BIP) von ökologischen Schäden zu entkoppeln. Das Bruttoinlandsprodukt fasst die jährliche Produktion an Gütern innerhalb einer Volkswirtschaft zusammen und fungiert als Maß für das (materielle) Wohlergehen einer Gesellschaft, seine Steigerung ist folglich das Ziel jeglicher Wirtschaftspolitik. Bereits Nordhaus und Tobin hatten eine Debatte darüber entfacht, ob sich das BIP überhaupt als Maßstab für Lebensqualität eignet, zumal es Wertschöpfungsbeiträge enthält, deren wohlfahrtsmindernder Charakter nicht bezweifelt wird.8 Dazu zählen Aufwendungen für die Beseitigung jener Schäden, die mit der industriellen Lebensweise einhergehen: Unfälle, Erkrankungen und der Verschleiß von Kapitalgütern. Unberücksichtigt bleiben überdies die Aufzehrung knapper ökologischer Assimilationskapazitäten und Ressourcen, Verteilungsdisparitäten in Bezug auf Einkommen und Vermögen sowie andere Dimensionen menschlichen Wohlergehens. Dies hat zu einer Flut an alternativen Wohlfahrtsmaßen und Indikatorsystemen geführt, um diese konzeptionellen Mängel des BIP zu beseitigen. Warum ist es elementar, sich mit diesen Ansätzen aus wachstumskritischer Perspektive auseinanderzusetzen? Erstens: Der Nachhaltigkeitsdiskurs ist seit jeher von der Hoffnung geprägt, dass genau dann, wenn sich Regierungen nicht mehr am Bruttoinlandsprodukt, sondern an »fehlerbereinigten« Zielvorgaben orientierten, weiteres Wachstum auf unproblematische Weise die Lebensqualität erhöht. Zweitens: Tatsächlich ist das Gros alternativer Wohlfahrtsnormen und -ideale längst in die Begründungsmuster demokratischer Politikprogramme eingesickert – aber mit welchem Effekt? Qualitatives Wachstum und alternative Wohlfahrtsmaße
Wichtige Meilensteine in der Entwicklung von Wohlfahrtsindikatoren, die konsistenter als das BIP abbilden, was sich unter Lebensqualität oder gesellschaftlichem Wohlergehen verstehen lässt, sind der »Measure of Welfare«9, der »Index of Sustain­able Economic Welfare«10, das »Sustainable National Income«11, der seit 1990 erhobene »Human Developement Index«12, der »Happy Planet Index«13, der »Nationale Wohlfahrtsindex«14 oder das »Wohlstandsquintett«15. Die Debatte um ein adäquates Zielsystem jenseits des BIP wird in regelmäßigen Abständen aufs Neue, aber nur in leicht gewandelter Form belebt. Aufsehen erregten die von der französischen Regierung initiierte Commission on the Measurement of Economic Performance and Social Progress (CMEPSP), auch oft als...



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