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E-Book, Deutsch, 214 Seiten

Gelsing Entzwei


1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-89741-919-3
Verlag: Ulrike Helmer Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 214 Seiten

ISBN: 978-3-89741-919-3
Verlag: Ulrike Helmer Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Ein fataler Tauschhandel trennt die Zwillinge Alma und Helene direkt nach ihrer Geburt. Während Helene auf einem Apfelhof in ländlicher Idylle aufwächst, erfährt Alma in einem Kinderheim der Fünfziger- und Sechzigerjahre grausame Erziehungs-methoden unter dem Deckmantel der katholischen Kirche. Erst im fortgeschrittenen Alter erfährt Helene von Alma. Sie begibt sich auf die Suche und hofft auf einen gemeinsamen Lebensabend. Doch Almas belastende Vergangenheit steht ihnen im Weg ... Eine berührende Familiengeschichte über drei Generationen, die auf wahren Begebenheiten beruht.

SABINE GELSING lebt in Essen, ist Freie Lektorin (ADM), Herausgeberin des Literaturmagazins »introspektiv« und Mitgründerin der Literaturplattform Prosa:ist:innen. Neben dem Schreiben studiert sie Kulturwissenschaften, bloggt über Literatur auf Instagram, sammelt Aphorismen und Zitate und fotografiert das Leben. Einige ihrer Kurzgeschichten wurden veröffentlicht; mit einer gewann sie eine Reise ans Meer. »Entzwei« ist ihr Debütroman.
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2018

Die Bestatterin ist die Letzte. Sie starrt auf die Reste des Leichenschmauses und sieht enttäuscht aus, vermutlich, weil nur noch die verbrannten Randstücke am Kuchenblech kleben. Sie drückt die schwarze Mappe, mit der sie die Trauergäste am Vormittag zu ihren Plätzen dirigierte, an sich und wippt von einem Bein aufs andere. Sie schaut auf die Uhr, wippt, zieht dann die Mappe hervor, als wäre just in diesem Moment ein Öffnen möglich, und entnimmt einen Umschlag. Sie räuspert sich, schiebt ihn über den Küchentisch wie eine Nachricht, die besser ein anderer überbracht hätte. »Sie wissen schon, die Rechnung.« Dann tritt sie an das Tischchen, auf dem zwei nicht geleerte Flaschen neben dem Foto von Helenes Vater stehen, hantiert.

Wie schafft sie es nur, den Riesling von der einen in die andere Flasche zu schütten, ohne dass ein Tropfen verloren geht?, denkt Helene.

»Übung«, sagt die Bestatterin und: »Wär ja zu schade

Helene ist irritiert. Sie nickt.

Wenig später schlägt die Tür ins Schloss, die Rechnung macht einen Satz.

Dieser Rekord hätte dich begeistert. Keine sechzig Minuten für fünf Bleche Apfelstreusel und sechs, nein, sieben Flaschen Riesling. Helene rückt das Bild ihres Vaters in die Mitte und stellt das Leergut zu den Gurkengläsern unter die Spüle. Dann kehrt sie die Kuchenkrümel mit der Hand zusammen und schickt sie mit Schwung über die Kante in die Tiefe.

Sie setzt sich auf die Eckbank, auf den Platz, auf dem sie auch als Kind bereits am liebsten saß: links vom Vater, ihre Großmutter Martha saß über Eck. Helene zeichnet die Einkerbungen in der Tischplatte nach und verweilt bei den Einschlägen.

»Man malt keinen Regen, indem man mit voller Kraft Punkte auf ein Blatt Papier hämmert«, flüstert Helene und denkt an ihre Großmutter. Sie fasst sich an die Wange und ist wieder vier Jahre alt.

Sie schenkt sich ein Glas Wasser ein. Seit sechs Stunden liegt ihr Vater unter einem Erde-Lilien-Arrangement auf dem Dorffriedhof, nicht mehr als einen Steinwurf entfernt.

Vor sieben Tagen grub er eine Wurzel aus, bewaffnet mit Schaufel, Axt und Radio und kehrte siegreich zurück. Vor fünf Tagen fiel er ins Loch.

Helene öffnet die Tür. Ihr Labrador, der träge in dem einzigen Sonnenfleck liegt, sieht sie kurz an, hebt erst die linke, dann die rechte Braue und wendet den Blick wieder der Zinkgießkanne zu, durch deren Griff ein Tulpenstängel ragt. Die Farbe ihrer Blüte lässt sich nicht mehr erkennen. Nur ihr Fruchtknoten reckt sich noch der Nachmittagssonne entgegen.

»BachmannHelene schlägt sich mit den Händen auf die Oberschenkel, bis gestern das vom Hund akzeptierte Signal, zu ihr zu kommen. Altersstarrsinn.

Sie geht zurück in die Küche, stützt sich mit der Hand am Tisch ab, beugt sich nach vornedie Frage, warum sie die Krümel auf den Boden gefegt hat, bekommt Übergewichtund sie klemmt das größte Teigstück zwischen ihre längsten Finger. Im Nacken knackt es, Helene flucht, doch sie lässt nicht los. Ein Tag also, an dem Bücken nur einmal möglich ist.

Helene wirft Bachmann den Butterstreusel vor die Nase. Er frisst ihn im Liegen, als wäre es ein Akt der Gefälligkeit.

»Bachmann, komm schonSchenkelklopfen. Das Tier erhebt sich, trottet mit einem Augenaufschlag an Helene vorbei, der sagt: Ich weiß sehr wohl, dass du nach seinem Tod nicht ohne meine Hilfe zurechtkommst. Bachmann beseitigt sämtliche Überreste zuverlässig. Helene tätschelt seinen Kopf. Was wird nun ohne ihren Vater, der sogar auf die Frage, wie dem Tod zu begegnen sei, eine Antwort hatte? Er hatte seine Beerdigung geplant wie eine große Reise: kein Feuer, kein Standardsarg und um Himmels willen keine Bibelsprüche. Zwölf Bund Lilien und ebenso viele Gäste, dazu Apfelstreuselkuchen und...


SABINE GELSING lebt in Essen, ist Freie Lektorin (ADM), Herausgeberin des Literaturmagazins »introspektiv« und Mitgründerin der Literaturplattform Prosa:ist:innen. Neben dem Schreiben studiert sie Kulturwissenschaften, bloggt über Literatur auf Instagram, sammelt Aphorismen und Zitate und fotografiert das Leben. Einige ihrer Kurzgeschichten wurden veröffentlicht; mit einer gewann sie eine Reise ans Meer. »Entzwei« ist ihr Debütroman.



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