Geist / Bagus / Cernohuby | Kolonien - Welt unter Dampf | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 260 Seiten

Geist / Bagus / Cernohuby Kolonien - Welt unter Dampf

Steampunk

E-Book, Deutsch, 260 Seiten

ISBN: 978-3-95869-368-5
Verlag: Amrun Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection



Steampunk, das heißt Abenteuer in einem fiktiven 19. Jahrhundert: Eloquente Hochkultur und verklärte Historie. Hier nicht: In dieser Anthologie dreht sich alles um die Auswüchse des Imperialismus, die Grausamkeiten in den Kolonien und den gnadenlosen Raubbau an Rohstoffen. Und doch finden sich auch hier glanzvolle Abenteuer auf der ganzen Welt. Die Reise führt zu fremden Kulturen, abseits von klassischen europäischen Schauplätzen. Sie erzählt von Forscherdrang, Leid und Respekt für das Unbekannte.

In die Kolonien navigieren die Autoren Anja Bagus, Stefan Cernohuby, André Geist, Peter Hohmann, Vanessa Kaiser und Thomas Lohwasser, Ann-Kathrin Karschnick, Thorsten Küper, Kristina Lohfeldt, Niklas Peinecke, Chris Schlicht, Vincent Voss und Marco Ansing.
Mit einem Vorwort von Stephan Kühn.
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Die letzte Vorstellung André Geist »Die Aufstände breiten sich wie ein Lauffeuer aus. Im Norden drohen wir die Kontrolle zu verlieren. Schickt mehr Truppen!« (aus einer Depesche des Indischen Vizekönigs Victor Alexander Bruce an Königin Victoria, 1892) »Willkommen in meinem Palast! Es ist mir eine Freude, Sie alle in dieser lauen Sommernacht hier begrüßen zu dürfen. Lehnen Sie sich zurück und staunen Sie über die Schönheit und die Wunder der modernen Welt!« Mit diesen Worten ließ sich Sayaji Rao III. Gaekwad auf seinem Diwan nieder. Obwohl er, gemessen an anderen Fürsten, zu einem eher zurückhaltenden Äußeren neigte, hatte sich der Maharadscha von Baroda an diesem Abend prächtig herausgeputzt. Jeden einzelnen Finger zierte ein goldener Ring. Seinen Hals schmückte ein edelsteinbesetztes Collier, um das ihn jede Lady beneidet hätte. Am imposantesten war jedoch sein Turban, den ein einzelner Diamant mitten auf der Stirn des Maharadschas krönte – der Stern des Südens. Neben dem Gaekwad wirkten seine Gäste beinahe blass. Aber auch sie konnten sich sehen lassen. Ich erblickte nicht nur die Radschas und Nawabs der nahegelegenen Fürstentümer, sondern auch die bedeutendste Delegation dieser verdammungswürdigen Engländer, die ich bis zu diesem Tag gesehen hatte. Während ich noch die Gruppe der britischen Gentlemen musterte, begann unten in der Arena der erste Programmpunkt. Zwei Nashörner, durch eine tagelange Zuckerdiät wild gemacht, kämpften gegeneinander. Beide waren in den Farben Barodas bemalt; das eine Tier rot und das andere weiß. So beeindruckend dieses Spektakel auch war, gehörte es doch zum Standardrepertoire regionaler fürstlicher Veranstaltungen und war beinahe klassisch zu nennen. An die Programmpunkte, die mein Meister mit meiner Hilfe vorbereitet hatte, reichte dieses Schauspiel jedenfalls nicht heran und so wand ich meine Aufmerksamkeit wieder den Briten zu. Neben dem amtierenden Vizekönig Petty-Fitzmaurice saß tatsächlich His Royal Highness Edward, der Prince of Wales und designierte Thronfolger des Empires. Vermutlich machte er eine kleine Weltreise, um ein wenig Abstand von den Folgen der Tranby Croft-Affäre zu gewinnen. In drei anderen Herren erkannte ich hohe Beamte des Indian Civil Service. Wieso wurden diese Besatzer, nichts anderes waren die Briten in meinen Augen, nur überall in Indien so wohlwollend aufgenommen? Gut, seit dem Sepoy-Aufstand hatte es den einen oder anderen Anschlag auf einen der heaven born, wie sich diese Männer gern selbst nannten, gegeben. Die Attentäter waren allerdings in allen Fällen einfache Männer gewesen. Die Mächtigen dieses Landes hatten den Widerstand schon vor Jahrzehnten aufgegeben. Applaus riss mich aus meinen Gedanken. Als ich meinen Blick wieder dem Schauspiel in der Arena zuwandte, sah ich, dass der Kampf schon beendet war. Das weiße Nashorn war blutend aus der Arena geflohen. Unter dem anhaltenden Beifall des Publikums bugsierten sechs Männer mit langen Stäben das siegreiche rote Nashorn hinaus. Nun war es an der Zeit für die erste Darbietung aus unserer Programm. Zunächst betraten zwei Männer in der wohl typischen Kluft der schottischen Highlands die Arena. Ich hatte einen Dilruba-Spieler vorgeschlagen, aber mein Meister hatte auf Dudelsäcke bestanden; angeblich, weil die indischen Fürsten diese britische Musik liebten. Vermutlich aber eher, weil er selbst an seiner alten Heimat hing. Natürlich waren die Musiker nicht der erste Programmpunkt, sondern nur schmückendes Beiwerk. Sobald sie mit ihrem Spiel begonnen hatten, stapfte eine schwerfällige Maschine in die Arena. Der Automat, den wir aus Gründen, die für das Publikum jetzt noch nicht zu erahnen waren, Saraswati getauft hatten, war einem Menschen nachempfunden. Er war etwa sechseinhalb Fuß groß und hatte die Statur eines Dockarbeiters. Sein Äußeres war schlicht und kantig. Als der Automat die Mitte der Arena erreicht hatte, verlangsamte die Dudelsackmusik. Der mechanische Mensch begann mit dem Kopf zu kreisen und seine Arme und Beine zu bewegen; gerade so, wie ein echter Mensch es getan hätte, bevor er versuchte eine sportliche oder akrobatische Leistung zu erbringen. Dabei knackten seine metallenen Gelenke so laut, dass es bis in die letzte Reihe deutlich zu vernehmen war. Irgendwo im Publikum lachte ein Mann. Als ich versuchte ihn zu erspähen, blieb mein Blick am Gesicht des Gaekwads hängen. Während seine geliebten Engländer um ihn herum alle ob der scheinbar gerade misslingenden Aufführungen schmunzelten, war sein Blick wütend. Er hatte gutes Gold für diese Aufführung bezahlt. Verständlich, dass er nun nicht blamiert werden wollte. Aus der Arena war nun ein Krachen zu hören. Der Miniaturkoloss hatte ein Stück seiner Schulterverkleidung verloren. Aus der Lücke trat Dampf aus. Jetzt konnte auch die britische Delegation ihr Lachen nicht mehr unterdrücken. Ins Gesicht des Maharadschas war eine ungesunde Röte gestiegen und kurz hatte ich Angst, dass er die Nummer vor ihrem Höhepunkt unterbrechen würde. Die Dudelsäcke wurden ein wenig schneller und der mechanische Mensch schüttelte sich. Mehr und mehr Teile fielen von ihm ab. Durch den dabei austretenden Dampf erkannten die Anwesenden, dass nun nur noch eine Art Grundgerüst dastand. Dann verstummte die Musik vollends. Mit langsamen Schritten trat das, was alle für einen rudimentären Rest des Automaten gehalten hatten, aus der Dampfwolke. Ein Laut des Staunens war aus dem Publikum zu vernehmen. Der Kern des grobschlächtigen Automaten entpuppte sich als die Darstellung einer wohl proportionierten Frau. Die Musik setzte wieder ein und Saraswati begann mit einem Tanz, den die Ausländer sicherlich als exotisch beschrieben hätten. Die Bewegungen der Tänzerin waren so perfekt und geschmeidig, dass ich sie für eine mit silberner Körperfarbe bemalte Frau gehalten hätte, wäre ich nicht zuvor bei ihrem Bau anwesend gewesen. Das Publikum war begeistert. Alle staunten über die Anmut der Tänzerin und die, die begriffen, dass es sich um einen Automaten handelte, auch über die Kunstfertigkeit meines Meisters. Als die Musik schließlich endete, brandete Applaus auf. Rufe wie »Wunderbar!«, »Herrlich!« oder auch »Brilliant!« waren zu hören. Natürlich war es einer der Engländer, dem es am nötigen Anstand mangelte. »Die kaufe ich mir!«, sagte er deutlich vernehmbar zu seinem Nebenmann. Oh, wie ich diese Himmelsgeborenen, die glaubten, ihnen gehöre die ganze Welt, verabscheute! Warum unternahm niemand etwas gegen sie? Warum nur ließ man zu, dass sie alles für sich beanspruchten? Jetzt war es aber erst einmal Zeit für den nächsten Programmpunkt. Die Tänzerin war vollständig von meinem Meister gebaut worden, aber an dem, was jetzt folgte, hatte auch ich einen großen Anteil. Zum Klang der unsäglichen Dudelsäcke, die uns leider bis zum Ende begleiten würden, stapfte ein Flusspferd in die Arena - natürlich kein echtes, sondern ein mechanisches. Allerdings war es so detailliert ausgearbeitet, dass dies von keinem der Zuschauer erkannt wurde. Auf seinem Rücken saß ein metallisch glänzender Vögel. Das Flusspferd lief langsam im Kreis. Nach einer Runde stampfte es in die Mitte der Arena, wo es regungslos stehen blieb. Möglicherweise wurde nun den ersten bewusst, dass es gar kein lebendes Tier war. Doch wir gaben ihnen nicht die Möglichkeit, lange bei diesem Gedanken zu verweilen. Denn jetzt kam Leben in den Vogel. Zunächst stolzierte er ein wenig auf dem Rücken des grauen Kolosses auf und ab. Dann breitete er seine Flügel aus und begann damit zu schlagen. Ein Raunen ging durch das Publikum. Der Vogel hatte sich tatsächlich in die Luft erhoben und kreiste über der Arena. Das Publikum jubelte. So etwas hatte es noch nie gesehen. Ich gerate immer noch ins Schwärmen, wenn ich an diese Bravourleistung meines Meisters zurückdenke. Obwohl ich bei der Konstruktion anwesend war, habe ich bis heute nur in Ansätzen verstanden, wie dieser Vogel fliegen konnte. Ein wesentlicher Aspekt war die leichte Bauweise. Die Außenhaut bestand nicht wirklich aus Metall, sondern war aus speziellen Fasern gewoben, die lediglich wie Metall glänzten. Das Innere war, bis auf einen winzigen, aber sehr starken Motor und eine Art Getriebe, leer. Einen Auftriebskörper gab es nicht. Ich hätte damals wirklich noch so vieles von meinem Meister lernen können, aber meine Interessen galten anderen Dingen. Allem voran beschäftigte mich die Frage, wie wir Inder die Engländer loswerden und unsere mannigfaltige Kultur bewahren könnten. Während der Vogel noch seine Kreise zog, erwachte das Flusspferd aus seine Starre und richtete sich auf zwei Beine auf, bis es wie eine Art Flusspferdmensch dastand. Ursprünglich hatte ich – ja, diese Maschine war mein Entwurf – für diese Nummer einen Elefanten bauen wollen, aber die Ähnlichkeit zu Ganesha hatte ich dann doch als unpassend empfunden. Nun nahm der Flusspferdmensch die Yogaposition des Kriegers ein, was bei einigen Einheimischen eine gewisse Belustigung hervorrief. Das Licht wurde gedämpft und die Musik verklang langsam. Ruhe kehrte in der Arena ein. Alles wartete gespannt. Unvermittelt wurde die Musik...


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