Geiger | Nils | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 376 Seiten

Geiger Nils

Bis alle tot sind!
E-Book
ISBN: 978-3-940839-83-1
Verlag: Hirschkäfer Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Bis alle tot sind!

E-Book, Deutsch, 376 Seiten

ISBN: 978-3-940839-83-1
Verlag: Hirschkäfer Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Ene, mene, muh ... und tot bist du. Eine Schülerclique wird Opfer eines spektakulären Rachefeldzugs. Einer nach dem anderen wird getötet - bei jeder Tat steigert sich die Brutalität und doch hat jeder Mord seltsamerweise etwas Kindliches an sich. Julia Kramer und Dennis Lubinski von der Münchner Kripo stehen vor einem Rätsel. Das ungleiche Ermittlerduo kämpft dabei nicht nur mit einer Mordserie, bei der nichts ist, wie es scheint, sondern auch mit der gegenseitigen Abneigung und eigenen, schmerzhaften Verlusten. Bald führt die Spur zu einem anderen Schüler: Nils, dem Außenseiter mit den gruseligen Augen. Augen, die etwas gesehen haben, was niemand sehen sollte, die ihn brandmarken und sein ganz persönliches Kindheitstrauma widerspiegeln. Als der Täter sein Tempo immer mehr verschärft, gelingt es der Polizei, Nils zu verhaften. Da nimmt der Fall eine unerwartete Wendung. Auch für Nils. Ein eskalierender, unglaublich rasanter Thriller mit Pageturner-Garantie. Wenn du denkst, krasser geht's nicht, wirst du umgehend eines Besseren belehrt.

Jürgen Geiger, geboren in Reutlingen, entdeckte bei einem Praktikum in einer kleinen Werbeagentur seine Liebe zum Schreiben. Also hängte er sein frisch erworbenes BWL-Diplom an den Nagel und textete sich stattdessen in der Kreativwirtschaft durchs Leben. Nebenbei entwickelte sich aus einer Gedankenspielerei Nachtschicht für Nachtschicht eine ganz eigene Geschichte und daraus sein Thriller-Debüt »Nils«. Der Autor lebt mit seiner Familie in München.
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7


Für Dezember war es frühlingshaft. Die Sonne lächelte. Sie war die Einzige. Der Ostfriedhof war von Menschenmassen bevölkert. Nils traute seinen Augen nicht, als er einen nach dem anderen, Heerscharen schwarzer Lemminge, in der tempelartigen Aussegnungshalle verschwinden sah. Man hätte meinen können, einem Staatsbegräbnis beizuwohnen. So jedenfalls kam es Nils vor. Er blieb lieber draußen, außen vor. Er wollte keine scheinheiligen Geschichten hören. Von Gott, und seiner Gnade, vom ewigen Leben, von Jesus, und was er alles auf sich genommen hat, von Heiligen Geistern und weiß der Teufel. Was wusste er schon? Er hatte sich schon lange nicht mehr damit beschäftigt. Für ihn existierte Gott nicht. Oder was war das für ein Gott, der das alles zuließ? Damals, und jetzt schon wieder. Was sollte das für ein Gott sein? Ein Arsch von einem Gott.

Seine Mutter tot. Linda tot. Das Wort ›tot‹. Komisch, wie das passt. Der Ausdruck des Entsetzens von zwei Kreuzen eingerahmt. Ob das Zufall ist? Oder … genau … in ›Gott‹ steckt ›tot‹ auch mit drin. Aber wofür steht dann das ›G‹? Glaube? Gnade? Geburt? Er schweifte wieder ab. Was für ein Quatsch. Er kratzte sich unsicher am Kopf und rückte seine Sonnenbrille zurecht. Eine Ray-Ban. Linda hatte sie ihm geschenkt. Er wusste noch genau, wann und wo.

Es war ein schöner Sommertag gewesen. Sie hatten sich an IHREM Treffpunkt verabredet, der Hackerbrücke. Hier hatten sie sich kennengelernt. Linda versteckte etwas hinter ihrem Rücken.

»Was hast du da?«, fragte Nils.

»Eine Überraschung.«

»Für mich?«

»Nein, für das Geburtstagskind.«

»Ich hab heute Geburtstag.«

»Echt? Du bist ja ein Glückspilz. Also gut. Mach die Augen zu.«

Nils schaute Linda unsicher an.

»Sorry, kleiner Witz«, kicherte Linda.

Nils schmunzelte. Linda durfte Witze über seine Augen machen. Linda schon.

»Halt dir die Augen zu«, sagte sie liebevoll.

Nils nickte und bedeckte seine Augen mit beiden Händen. Linda schritt auf ihn zu und boxte ein paar Luftlöcher, um sicherzugehen, dass Nils wirklich nichts mehr sehen konnte.

Nils zuckte nicht, aber atmete tief ein. Lindas Schattenboxen fächerte ihm Luft zu. Ihren Geruch. Der Duft des Lebens. Er lächelte selig.

»Wir machen aus dir eine coole Sau«, sagte Linda, klappte ein schwarzes Brillenetui auf und nahm die verspiegelte Ray-Ban heraus.

»Eine Sonnenbrille?«

»Deine Sonnenbrille.«

Sie setze ihm die Brille vorsichtig auf und strich ihm dabei eine Haarsträhne hinter das Ohr. Nils hätte sterben können vor Glück.

»Nice«, war Linda selbst begeistert.

»Findest du wirklich?«

»Ohne Scheiß.«

Nils’ Herz machte einen Handstandüberschlag.

»Wie bei Superman. Nur andersrum«, freute sich Linda.

»Andersrum?«

»Genau. Wenn Clark Kent seine Brille abnimmt, wird er zu Superman. Bei dir ist es umgekehrt. Du wirst zu Superman, wenn du die Brille aufsetzt.«

Nils mochte den Gedanken. »Aber ich hab doch gar keine Superkräfte.«

Linda nahm Nils’ Hand und blickte in seine verspiegelten Brillengläser. Sie erkannte sich fast nicht wieder. So friedlich wie sie aussah.

»Wer weiß.«

Sie schwiegen. Eine Minute. Vielleicht länger. Nils kam es unendlich vor. Unendlich schön.

»Du hast den Röntgenblick«, sagte Linda und meinte damit nicht das Offensichtliche. (Sondern: Du weißt, wie es in mir aussieht).

»Und wen rette ich?«

Linda führte Nils’ Hand nach oben und schmiegte ihre Wange darin.

»Mich.«

Die Trauerfeier war beendet. Hinter dem Sarg schleppte sich die schwarze Anakonda aus Trauergästen schwerfällig Richtung endgültige Ruhestätte. Der Kiesweg knirschte ächzend unter der auf vielen Schultern solidarisch verteilten Last. Nils schlich unauffällig hinterher. Bei der Beisetzung am Grab stand Nils abseits. Wie immer. Dass er wirklich dabei gewesen war, hätte er im Nachhinein nicht einmal beschwören können. Er erlebte die Beerdigungszeremonie wie in Trance. Als stünde er neben sich. Eine körperlose Hülle löste sich von ihm, entfernte sich und schwebte über die Trauergäste hinweg, scannte jeden Einzelnen. Rechts vom Grab standen Lehrer und Schüler versammelt. Die halbe Schule, hatte Nils den Eindruck. Wer seid ihr, dass ihr alle hier seid? Warum gebt ihr vor zu trauern? Hat Linda euch denn vorher interessiert? War euch jemals etwas an ihr gelegen? Heuchler! Ob ER auch unter ihnen war? Nils hätte zu gerne gewusst, wie er aussah. Was Linda an ihm fand. An ihm gefunden hatte. Aber so sehr Nils die einzelnen Gesichter auch sezierte, niemand stach aus der anonymen Masse heraus, der seinen Erwartungen auch nur annähernd hätte gerecht werden können.

Gegenüber der Schülerschar, auf der anderen Seite des Grabes, hatte eine Art Posaunenchor Stellung bezogen. Sie sahen aus wie verkleidete Soldaten. Soldaten und Schüler. Das Spalier des Todes. Direkt hinter dem Grab schließlich drängte sich der Großteil der Trauerkostümierten, standesgemäß nach abnehmender Wichtigkeit aufgefächert. Sehen und gesehen werden, selbst auf dem Friedhof. Das war nicht seine Welt. Hier nicht. Nirgendwo. Er kannte diese Menschen nicht. Er wollte sie auch nicht kennen. Und er war sich sicher, dass keiner davon Linda kannte. So richtig kannte. So wie er.

Lindas Eltern standen in vorderster Front. Ihr Vater, Erwin Lehmann, ertrug die Worte des Priesters wie ein lästiges Übel. Ein Kollateralschaden des gemeinen Lebens. Seine Frau Irene hingegen repräsentierte das krasse Gegenteil seiner abgestumpften Emotionslosigkeit. Die Augen blutunterlaufen, rannten ihr schwarz verschmierte Tränenrinnsale über das ganze Gesicht. Sie schluchzte, jammerte, kreischte, flehte, schrie, raufte sich die Haare, warf den Kopf hin und her, war kaum zu bändigen. Das letzte Aufbäumen. Ihr Mann war unangenehm berührt. Seine einzige Gefühlsregung.

Der Sarg sank in die offene Grube. »Sinkende Imagewerte«, hörte Erwin Lehmann in Gedanken seinen PR-Berater sagen. »Ein Kandidat, dessen Tochter Selbstmord begeht. Das darf auf keinen Fall an die Öffentlichkeit gelangen. Sonst ist Ihre politische Karriere beendet.«

Zum Glück hatten Erwin Lehmann und seine PR-Truppe gute Kontakte zu den Medien. Die ganze Geschichte wurde als tragischer Unfall verkauft. Was erstaunlich war, denn wer fällt schon aus Versehen von der Dachterrasse eines Luxushotels. Erwin Lehmann schüttelte kaum merklich den Kopf. Als ob das nicht schlimm genug war. Und jetzt gebärdete sich auch noch seine Frau wie eine Wahnsinnige.

Just in diesem Moment sank Irene Lehmann, Ironie des Schicksals, in seinen Armen zusammen. Er konnte sie gerade noch auffangen, stürzte fast dabei. Angestrengt versuchte er, Haltung zu bewahren, den hochroten Kopf oben zu behalten. Endlich kam ihm jemand zu Hilfe, ausgerechnet sein PR-Berater. Erwin Lehmann sah ihn Hilfe suchend an, und erntete ein aufmunterndes Nicken. Keine Sorge, sollte das bedeuten, das wird schon wieder, das müsste ein paar Punkte bringen. Das ist herrlich menschlich. Die auserwählten Fotografen schossen fleißig Exklusivbilder.

Nils erinnerte sich an die Bilder, die sich ihm unauslöschlich in das Gehirn eingebrannt hatten. Wie hatte es nur dazu kommen können? Von wegen, er würde Linda retten. Von wegen, er wäre ihr Superheld. Er hatte sie umgebracht. Er war Lindas Mörder. Am liebsten hätte er es rausgeschrieen, hätte sich dem schwarzen Mob gestellt. Ich bin schuld! Nur ich! Ja, bringt mich um! Kommt schon! Los!

Die Trauergäste begannen, Erde auf den Sarg zu werfen. Nils zuckte zusammen. Was für ein schreckliches Geräusch. Schorfig. Kratzend. Endgültig.

Sollten sie ihn doch damit bewerfen und mit zu Linda in die Grube stoßen, dachte Nils. Ja, begrabt mich lebendig. Beschmutzt mich, wie ich Linda beschmutzt habe. Oh Gott, was hab ich nur getan? Das wollte ich nicht! Ich habe sie doch geliebt. Sie war meine einzige Hoffnung, mein Leben … meine Fresse, was für eine pathetische Scheiße, würde Linda sagen. Hätte Linda gesagt …

Du hast es aber getan! Du warst schuld! Schon wieder! Erst deine Mutter, und jetzt Linda. Du! Du! Du!

Ist ja gut, ich hab’s verstanden, sagte er zu sich selbst. Er war wieder bei sich. Bei der Beerdigung. Weiter wurde Erde auf das Grab geworfen. Es klang schon gedämpfter. Aber die schwarze Schlange hinter dem Grab wurde nicht kürzer....



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