E-Book, Deutsch, 208 Seiten
Reihe: Dein Business
Gebhardt Future Pics
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-96740-117-2
Verlag: GABAL
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ausblicke in unsere neue Lebens- und Arbeitswelt. Ein Zukunftsszenario in 10 Storys
E-Book, Deutsch, 208 Seiten
Reihe: Dein Business
ISBN: 978-3-96740-117-2
Verlag: GABAL
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Birgit Gebhardt ist Trendforscherin mit Schwerpunkt 'Zukunft der Arbeitswelt'. Die ehemalige Geschäftsführerin des Hamburger Trendbüros führt Entwicklungen zu plausiblen Vorstellungen von Zukunft zusammen. Seit 2012 erforscht sie neue Modelle des vernetzten Wirtschaftens und Arbeitens und berät branchenübergreifend Kunden auf dem Weg in die New-Work-Order, deren Chancenfelder sie in den gleichnamigen Studien beschreibt. Als Impulsgeberin berät sie Unternehmen wie Beiersdorf, Lufthansa, Swisscom, UBS oder XING auf dem Weg in die vernetzte Arbeitskultur und unterstützt bei der Konzeption neuer Arbeitswelten. Das Metier der Trendforschung erlernte die diplomierte Innenarchitektin und gelernte Journalistin in zwölfjähriger Beratungstätigkeit im Trendbüro Hamburg, dem sie von 2007 bis 2012 als Geschäftsführerin vorstand. Seit 2012 forscht sie unter eigenem Namen, besucht Pioniere weltweit und verdichtet ihre Erkenntnisse in ihren 'New-Work-Order'-Studien, die sie im Auftrag des IBA (Industrieverbands Büro- und Arbeitswelt e.V.) erstellt. Birgit Gebhardt war von 2012 bis 2015 Mitglied der Expertenkommission der Bertelsmann-Stiftung mit dem Fokus 'Arbeits- und Lebensperspektiven in Deutschland'. Sie ist Mitglied des Münchner Kreises, des 'New Work' Ideenlabors von XING sowie im wissenschaftlichen Beirat der Liechtensteinischen Stiftung Zukunft.li.
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MOTIV 1
BEHÖRDEN-BRIEFING
Der Raum hat die Form einer Landzunge und ist umlaufend von Fensterbändern umgeben. Er bildet das Ende einer Büroetage, die zunächst in geschwungenem Verlauf an mehreren Kollaborationsräumen, offenen Sitzgruppen und mobilen Kreativboards vorbeiführt und sich an ihrer Spitze zu einer freien Fläche mit etwas Buntem in der Mitte hin öffnet.
Ein gedämpftes Gluckern und Glucksen ist zu hören, so als ob Wasser unter einem Board hindurchfließt. Tatsächlich ist auf dem durchlaufenden Flor in Anthrazitgrau eine silbrig schillernde Wasserstraße projiziert, die neue Gäste wie ein Laufsteg empfängt und um die gebogenen Glaswände der Teamräume lotst und die auf die ovale Arena am Ende der Etage zusteuert. Dort fließt der Strom durch die Mitte von sechs Holztribünen.
Etwa ein Dutzend Besucherinnen und Besucher lehnen an den ringförmig gepolsterten Außenwänden oder bilden an hellblauen Stehtischen kleine Gruppen und sind in angeregte Gespräche vertieft. Wieder andere sitzen mit ihren Getränken bereits in der Arena, auf Polstern, die eine lebendige Farbigkeit verströmen.
Eine Frau mit langen, grau glänzenden Haaren löst sich aus einer Gruppe, die sich an der Stirnseite der Manege zu letzten Instruktionen zusammengefunden hat. Sie blickt von ihrer Smartwatch zu zwei konzentrischen Ringen, die unter der Decke Kameras, Projektoren und Scheinwerfer tragen, wechselt ein paar Worte mit einem jungen Mitarbeiter mit Schirmmütze, worauf beide die Zifferblätter ihrer Uhren kurz aneinanderhalten. Dann begrüßt sie zwei Gäste, die von den Lichtschlaufen zu ihr geführt werden.
Aus dem inneren Kreis schicken kleine Projektoren zusätzliche Lichtreflexe durch den Raum, welche die Wasserstraße am Boden zu speisen scheinen. Von dort steigen sie tanzend über die farbigen Polster der Tribünenbänke hinauf bis zu den Außenkanten, rutschen teilweise in die begehbaren Zwischenräume ab oder gleiten hinten über die Kante auf den etwa fünf Meter breiten Umlauf mit den Stehtischen. Treffen sie auf ihrem Weg bis zur Fensterfront auf einen Gast, verfolgen sie ihn oder sie und umspülen die jeweilige Position mit einem Lichtlooping. Ein sportlich wirkender Mittvierziger, der gerade die gebogenen Glasscheiben der Teamräume passiert hat und sich auf einen Stehtisch zubewegt, wird augenblicklich von solch einer zappelnden Lichtschlange erfasst. Während sie seine Schritte unterspült und ihn wie Jesus über Wasser laufen lässt, lösen sich zwei Schriftzüge, die über Kopf und vorausschicken. Das Textband formiert sich als Lichtlooping und springt förmlich zu den nächsten beiden Personen im Raum, um auch vor deren Sneakern nun die jeweiligen Vornamen samt Unternehmenslogo aufleuchten zu lassen.
Die Lichtschleife betitelt das Gesprächspaar als und . Die beiden nicken kurz mit dem Kopf, sprechen aber weiter, sodass sich den enger werdenden Lichtschlaufen verwehrt und einen Serviceroboter heranwinkt, der Wasser in transluzenten grünen Trinkflaschen anbietet. Der Roboter, der aussieht, als hätte er einen Kühlschrank verschluckt, öffnet für Marek seine Bauchlade und verweist auf seinen Recyclingbehälter, der hinten wie ein Rucksack aufsitzt. Marek wählt ein Wasser mit blauer Papierbanderole – ohne Zusätze – und schaut noch einmal zu der attraktiven Ali.does-Frau hinüber, die dem Namen und Aussehen nach von indischer Abstammung zu sein scheint.
Einen kurzen Moment wartet er, ob die Lichtschleife nicht doch noch einmal den Blick des Amtsleiters oder seiner Gesprächspartnerin zu ihm hinüberführt. Doch die einzige Reaktion kommt vom kleinen Robo-Freezer vor ihm, der den Kopf schräg legt und mit seinem Finger fragend auf den Bauchladen tippt. Als Marek müde lächelnd verneint und mit der Flasche in der Hand einen der hellblauen Stehtische anpeilt, reißt das Lichtband von Sahila und ihrem Gesprächspartner vollends ab, schwappt wie Quecksilber zu ihm, bildet kurz eine Schleppe, überholt dann seine Schritte und spült seinen Namen zwei jungen Männern und einer Frau entgegen, die auch gerade, vertieft in eine Unterhaltung, den Stehtisch ansteuern.
Marek streicht vor seinem linken Ohr nach oben und hört jetzt den Graumelierten mit knielangem Rock deutlicher fragen: »Und was haltet ihr von den Tribünen hier?« Er dreht sich zur Arena um. – »Kenn ich, aber hätte ich in einer deutschen Behörde nicht erwartet«, erwidert die rothaarige Frau mit überraschend tiefer Stimme. »Sieht mit den bunten Polstern nicht nach Amtsstube aus. Eher nach Kindergarten«, bemerkt der sportive Jüngere, der den Tisch erreicht hat und dessen Lichtschleife sich nun auch Mareks Loop öffnet. »Könnte direkt Umsturzfantasien wecken!« – »Ja, sogar ganz demokratisch, weil alle mitmachen wollen«, lacht der im Rock mit niederländischem Akzent, der nun auch von Mareks Lichtschlaufe umgarnt wird. – »Sorry, ich kann sie nicht zurückpfeifen. Ist schlecht erzogen«, wirft Marek mit betretenem Blick zum Boden ein und liest bei der Rothaarigen und den beiden anderen und .
Jap, der EU-Mann mit niederländischem Akzent, deutet schmunzelnd auf die Lichtschlange, die wegen eingeschränkter Projektionskraft unter Marek zu einer müden Pfütze wird: »Schon Probleme mit der Inkontinenz?« Sie lachen und Jap findet es »schon verrückt, was sie sich alles einfallen lassen, damit wir uns unterhalten«. – »Früher hätte ein Namensschildchen gereicht, heute braucht es Experiences«, weiß Karol, die Marek bei näherer Betrachtung nicht mehr zu 100 Prozent als Frau einstufen würde.
Jap schlägt Sanne auf die Schulter: »Hier unser Freund, der übrigens nicht Sanne, sondern Josh heißt« – er tritt demonstrativ auf dem falschen Namen herum, der am Boden noch angezeigt wird – »kommt aus Slowenien und ist dort Marktführer mit e-motorisierten Stand-up-Paddling-Boards.« – »Genau, wir bringen euch hier asap die eSUPs«, lacht Josh, zeigt dabei eine charmante Zahnlücke und fragt, an Marek gerichtet: »Ich sehe, dass du bei ENJOY in der Tourismusbranche zu Hause bist?« – »Ja, wir haben allerdings schon eSUP-Vertragspartner, aber wenn jetzt hier was Neues entsteht, interessiert uns das natürlich schon. Vor allem bin ich gespannt, ob es zu einer Entlastung auf den Straßen und mehr sportlichem Lifestyle in den Städten führt«, teilt Marek seinen Fokus mit und Jap pflichtet bei: »In Basel schwimmen sie ja schon ewig den Rhein runter und packen ihre Klamotten in diese bunten, wasserfesten ›Wickelfisch‹-Beutel. Wenn ein Arbeitsweg zu einem Pharmariesen so aussieht, gewinnt eine Stadt natürlich enorm an Attraktivität«, erklärt Jap die Anfänge der Idee und findet es interessant, dass die EU das Water-Corridors-Projekt auch wegen der Übertragbarkeit auf andere Städte mit Fördermitteln begleitet.
»Dumm nur, dass die Elbe kein grünes Gebirgswasser führt und die Gezeiten dich mal rein- und mal rausziehen«, wirft Marek ein. »Wieso? Das könnte für den Arbeitsweg morgens wie abends sogar hilfreich sein«, grinst Karol. »Aber die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass die Containerschiffe dich mit deinem ›Wickelfisch‹-Rucksack doch übersehen«, gibt Marek schmunzelnd zu bedenken. »Ich bin überhaupt gespannt, welche Wasserstraßen sie uns jetzt anbieten. Bei der Ausschreibung war das ja noch nicht ganz klar, da wussten wir nur: Die Norderelbe wird es nicht sein«, erklärt Josh.
»Ja, die Norderelbe ist eine Bundeswasserstraße, da kommst du mit deinen Stand-up-Paddlern gerade recht!« foppt Jap seinen slowenischen Kumpel, während der eine Flasche von einem Serviceroboter entgegennimmt, auf der steht: Josh rollt mit den Augen: »Doch Behörde: Die sind noch bei den Glückskeks-T-Shirt-Sprüchen!« Darauf dreht Marek ihm seine Flaschenbotschaft zu: »Oh, okay, aber du hast schon verstanden, dass ich nicht meine Kollegin Sanne bin?«, lacht Josh und ergänzt an Jap gerichtet: »So viel dazu, wie hilfreich diese Vorstellungsspielchen sind.«
»Na ja, das ist wahrscheinlich noch eine alte Software oder wir haben hier von Amts wegen wieder ein Problem mit den Persönlichkeitsrechten. Bestimmt hängt bei dir noch die Anfrage«, vermutet Marek, während Karol das Körbchen mit den Flaschen wegwedelt, das der Roboter ihr unhöflicherweise zuletzt anbietet. »Du brauchst hier die Inrupt-App. Bei den deutschen Behörden läuft inzwischen auch alles über Solid Pods«, ergänzt Jap. Josh dreht an der Krone seiner Smartwatch und starrt...




