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Gavalda Alles Glück kommt nie
1. Auflage 2008
ISBN: 978-3-446-23347-8
Verlag: Carl Hanser
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman
E-Book, Deutsch, 608 Seiten, Gewicht: 1 g
ISBN: 978-3-446-23347-8
Verlag: Carl Hanser
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Anna Gavalda, 1970 geboren, ist eine der erfolgreichsten französischen Schriftstellerinnen der Gegenwart. Sie studierte Literatur in Paris und arbeitete als Lehrerin, bis sie mit ihrem ersten Buch schlagartig berühmt wurde. Bei Hanser erschienen Ich wünsche mir, daß irgendwo jemand auf mich wartet (Erzählungen, 2002), Ich habe sie geliebt (Roman, 2003), Zusammen ist man weniger allein (Roman, 2005), der auch als Verfilmung ein großes Publikum in ganz Europa erreichte, Alles Glück kommt nie (Roman, 2008), Ein geschenkter Tag (2010), Nur wer fällt, lernt fliegen (Roman, 2014) und Ab morgen wird alles anders (Erzählungen, 2017).
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1
Anfang Winter. An einem Samstagmorgen. Flughafen Paris Charles-de-Gaulle, Terminal 2E.
Milchigweiße Sonne, Kerosingeruch, unendliche Müdigkeit.
»Haben Sie keinen Koffer?«, fragt mich der Taxifahrer und tippt auf seinen Kofferraum.
»Doch.«
»Dann haben Sie ihn aber gut versteckt!«
Er grinst sich eins, ich drehe mich um: »O nein, ich, das Laufband. Ich habe vergessen, ihn ...«
»Holen Sie ihn! Ich warte hier!«
»Nein. Egal. Ich habe nicht die Kraft dazu, ich, egal ...«
Er grinst nicht mehr. »He! Sie wollen ihn doch nicht hierlassen?«
»Ich hole ihn ein andermal ab. Ich komme schon übermorgen wieder. Es ist fast so, als würde ich hier wohnen, ich ... Nein, fahren wir. Ich pfeif drauf. Ich gehe jetzt nicht wieder zurück.«
»He du, klatsch, klatsch, mein Gott, ja du, ich komm zu dir – auf einem Pferd!
Oh,yeah, auf einem Pferd!
He du, klatsch, klatsch, mein Gott, ja du, ich komm zu dir – auf einem Rad!
Oh,yeah, auf einem Rad!«
Es swingt nicht schlecht, im Peugeot 407 des Claudy A’Bguahana Nr. 3786. (Seine Lizenz ist mit Tesafilm an der Rückenlehne befestigt.)
»He du, klatsch, klatsch, mein Gott, ja du, ich komm zu dir – im Heißluftballon!
Oh,yeah, im Heißluftballon!«
Er spricht mich im Rückspiegel an: »Die stören Sie hoffentlich nicht, die Gospels, oder?«
Ich lächle.
»He du, klatsch, klatsch, mein Gott, ja du, ich komm zu dir – in einer Rakete!«
Mit solchen Lobgesängen hätten wir alle den Glauben nicht so früh verloren, oder?
Oh,yeah!
O ja ...
Nein, nein, ist schon okay. Danke. Alles bestens.«
»Woher kommen Sie?«
»Aus Russland.«
»O je! Dort ist es ganz schön kalt, oder?«
»Sehr.«
Unter Schäfchen meiner Herde wäre ich liebend gern brüderlicher, aber ... Und hier schlage ich mich an die Brust, ja, das kann ich, ich schlage mich an die Brust als Erwiderung, ich kann nicht.
Und es ist ganz und gar meine Schuld.
Ich bin zu weit weg, zu erschöpft, zu schmutzig und zu ausgetrocknet, um mich auf ihn einzulassen.
Eine Autobahnauffahrt weiter: »Ist Gott denn in Ihrem Leben?«
Jesses. Und das muss ausgerechnet mir passieren ... »Nein.«
»Soll ich Ihnen was sagen? Das hab ich gleich gewusst. Ein Mann, der seinen Koffer einfach so zurücklässt, da habe ich mir gleich gedacht: Gott ist nicht da.«
Er wiederholt es noch einmal und schlägt aufs Lenkrad. »Gott-ist-nicht-da.«
»Genau ...«, gebe ich zu.
»Das stimmt nicht! Er ist da! ER ist überall! Er zeigt uns den We–«
»Nein, nein«, ich unterbreche ihn, »da, wo ich herkomme, von wo ich zurückkomme. Da ist er nicht. Glauben Sie mir.«
»Wie kommen Sie darauf?«
»Das Elend –«
»Aber Gott ist im Elend! Gott bewirkt Wunder, verstehen Sie?«
Blick auf den Tacho, 90, ich kann unmöglich die Tür aufmachen.
»Ich, zum Beispiel. Früher war ich – ein Taugenichts!« Er ereifert sich: »Ich habe getrunken! Gespielt! Habe mit vielen Frauen geschlafen! Ich war kein Mensch, verstehen Sie? Ich war ein Taugenichts! Doch der Herr hat sich meiner angenommen. Der Herr hat mich wie eine Blume gepflückt und zu mir gesagt: Claudy, du ...«
Ich werde nie erfahren, was ihm der Alte vorgeschwindelt hat, ich war eingenickt.
Wir standen vor der Eingangstür zu meinem Wohnblock, als er mein Knie anstieß.
Auf der Rückseite der Rechnung hatte er die Anschrift des Paradieses vermerkt: Kirche von Auberviiiers, 46–48, Rue Saint-Denis, 10–13 h.
»Sie müssen nächsten Sonntag kommen, ja? Sie müssen sich sagen: Wenn ich in dieses Auto gestiegen bin, dann war das kein Zufall, es gibt nämlich ... (große Augen) keinen Zufall.«
Das Fenster auf der Beifahrerseite war runtergekurbelt, ich beugte mich vor, um mich von meinem Hirten zu verabschieden: »Und Sie, äh, – schlafen Sie jetzt überhaupt nicht mehr – äh – mit Frauen?«
Breites Lächeln. »Nur mit denen, die der Herr mir schickt.«
»Und woran erkennen Sie die?«
Sehr breites Lächeln. »Es sind die Schönsten ...«
Man hat uns alles ganz falsch beigebracht, überlegte ich, als ich das Tor aufstieß, ich selbst war, soweit ich mich erinnere, nur ein einziges Mal ehrlich, nämlich als ich die Worte nachsprach: »Herr, ich bin nicht würdig, dass du eingehst unter mein Dach.«
Ja, genau. Daran glaube ich wirklich.
Und du, klatsch, klatsch, beim Hochsteigen, ja du, meiner vier Etagen, stellte ich entsetzt fest, dass ich diese verfluchte Leier im Kopf hatte, in einem Taxi,ja, in einem Taxi.
Oh, yeah.
Die Tür war mit dem Sicherheitsbügel verriegelt, und die zehn Zentimeter, um die mir meine Wohnung widerstand, machten mich rasend. Ich kam von zu weit her, hatte zu viel gesehen, der Flieger hatte zu viel Verspätung gehabt, und Gott war zu anspruchsvoll. Bei mir knallte eine Sicherung durch. »Ich bin’s! Macht auf!«
Ich brüllte und hämmerte an die Tür: »Jetzt macht endlich auf, Mann!«
Snoopys Schnauze tauchte im Türspalt auf.
»He, ist ja gut. Reg dich ab. Reg dich ab ...«
Mathilde löste den Bügel, trat zur Seite und hatte mir schon den Rücken zugekehrt, als ich über die Schwelle trat.
»Guten Abend!«, sagte ich.
Sie hob nur kurz den Arm und bewegte lässig ein paar Finger.
Enjoy prangte hinten auf ihrem T-Shirt. Warum nicht? Einen Augenblick lang hatte ich nicht übel Lust, sie an den Haaren zu packen und ihr den Hals zu brechen, damit sie sich umdrehte und mir in die Augen schaute, woraufhin ich diese vier kurzen und altmodischen Silben wiederholen würde: Guten Abend. Doch dann, ach ... ließ ich es bleiben. Die Tür zu ihrem Zimmer war sowieso schon zugefallen.
Ich war eine Woche nicht hier gewesen, würde übermorgen wieder wegfahren – und was soll das Ganze?
He? Was spielt es schon für eine Rolle? Ich war sowieso nur auf der Durchreise.
Ich ging in Laurence’ Schlafzimmer, das auch mein Schlafzimmer war, glaube ich. Das Bett war perfekt gemacht, die Decke glattgezogen, die Kopfkissen waren aufgeplustert, bauchig, hochmütig. Traurig. Ich drückte mich an der Wand entlang und setzte mich vorsichtig auf den Rand des Lattenrosts, um keine Falten zu hinterlassen.
Ich betrachtete meine Schuhe. Ziemlich lange. Sah aus dem Fenster. Auf die Dächer und das Militärhospital Val-de-Grâce in der Ferne. Und dann auf ihre Kleider über der Rückenlehne des Sessels.
Ihre Bücher, ihre Wasserflasche, ihr Notizbuch, ihre Brille, ihre Ohrringe. Das alles musste etwas zu bedeuten haben, aber ich verstand einfach nicht, was. Ich – ich verstand gar nichts.
Ich spielte mit einem Fläschchen voller Kügelchen herum, das auf dem Nachttisch stand.
Nux Vomica 9CH, Schlafstörungen.
Ja, das musste es sein, hier ist jemand echt gestört, knurrte ich und stand auf.
Nux Vomica.
Es war jedes Mal das Gleiche und wurde von Mal zu Mal schlimmer. Ich kam nicht mehr mit. Die Jahre entfernten sich, ich ...
Komm, hör auf, schalt ich mich. Du bist müde und drehst dich im Kreis. Hör auf.
Das Wasser war kochend heiß. Mit offenem Mund, die Augen geschlossen, wartete ich darauf, dass es mich von all den üblen Ablagerungen befreite. Der Kälte, dem Schnee, dem fehlenden Licht, den Stunden im Stau, den unendlichen Diskussionen mit diesem Idioten von Páwlowitsch, den im Voraus verlorenen Schlachten und all den Blicken, die mich noch verfolgten.
Von dem Typ, der mir gestern seinen Helm ins Gesicht gefeuert hatte. Von all den Worten, die ich nicht verstand, die ich aber mühelos erraten konnte. Von der Baustelle, die mich überforderte. In jeder Hinsicht.
Warum hatte ich mich bloß darauf eingelassen? Warum? Und jetzt! Jetzt fand ich inmitten all dieser Schönheitsprodukte nicht einmal mehr meinen Rasierer! Orangenhaut, schmerzhafte Regel, strahlender Teint, straffer Bauch, fettige Haut, brüchige Haare.
Wozu soll dieser Plunder bloß gut sein! Wozu?
Und für welche Streicheleinheiten?
Ich unterbrach mich und feuerte den ganzen Kram in die Tonne.
»Weißt du, was? Ich glaube, ich koch dir einen Kaffee.«
Mathilde lehnte am Türpfosten der Badezimmertür, die Arme verschränkt, die Hüfte kokett zur Seite gestreckt.
»Gute Idee.«
Sie betrachtete den Boden.
»Ja, äh, mir sind gerade zwei, drei Teile runtergefallen. Ich werde ... Mach dir keine Sorgen ...«
»Nein, nein. Ich mach mir keine Sorgen. Das Spielchen bringst du doch jedes Mal.«
»Ach?«
Sie schüttelte den Kopf. »Schöne Woche gehabt?«, fing sie wieder an.
»...«
»Komm! Einen Kaffee.«
Mathilde. Das kleine Mädchen, dessen Zutrauen so schwer zu gewinnen war. Unendlich schwer. Wie groß sie geworden ist, mein Gott.
Zum Glück hatten wir noch Snoopy ...
»Geht’s dir jetzt besser?«
»Ja«, sagte ich und blies über meine Tasse, »danke. Ich habe das Gefühl, endlich zu landen ... Musst du nicht zur Schule?«
»Ä-ä.«
»Arbeitet Laurence den ganzen Tag?«
»Ja. Sie kommt direkt zu Omi. Neeee. Sag jetzt nicht, du hast es vergessen. Du weißt doch, dass sie heute Abend ihren Geburtstag feiert.«
Ich hatte es vergessen. Nein, nicht dass Laurence morgen Geburtstag hat, sondern dass wir so einen netten Abend vor uns haben. Eine richtige Familienfeier, wie ich sie liebe. Genau das, was...